Kirchengeschichte

Faszination frühe Christen

 

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Roland Werner legt in seinem Buch Faszination frühe Christen dar, welche Faktoren das Leben in den antiken christlichen Gemeinden prägten. Er knüpft an frühe christliche Quellen und biblische Zeugnisse an und hebt hervor, dass es den Anhängern Jesu zu jener Zeit gelungen ist, eine Gegenkultur zu entwerfen. Mein Kollege Wolfgang Häde hat das Buch gelesen und eine nützliche Rezension geschrieben.

Er äußert darin:

Den großen Verdienst von Roland Werners Buch sehe ich darin, evangelikalen Christen Geschmack auf mehr aus den frühen christlichen und anderen frühen Quellen zu machen. Es gibt durchaus Christen, die in ihrer Praxis die lesenswerten Bücher nach der Bibel im besseren Fall in der Reformationszeit beginnen lassen, im schlechteren Fall da, wo die eigene Gemeindeströmung ihren Ursprung nahm – manchmal erst vor fünfzig, zwanzig oder nur fünf Jahren.

Der Autor greift auch nicht nur einzelne Belegstellen für seine Thesen heraus, sondern lässt frühe Schriften bisweilen ausführlich zu Wort kommen, wie etwa die „Didache“, Plinius, Clemens von Rom oder den „Brief an Diognet“. Da entstehen tatsächlich faszinierende Einblicke in die Welt der frühen Christen.

Es gelingt Roland Werner, bei wichtigen Themen den Bogen zu spannen von den biblischen Worten hin zu den Zeugnissen über die nachbiblische Praxis der Christen. Da erkennen wir dann beispielsweise, dass der Dienst an anderen Christen nicht nur von Jesus vorgegeben und von den Aposteln angeordnet wurde. Die frühen Christen erregten tatsächlich auch in den Jahrhunderten danach durch ihre Hingabe im Dienst füreinander und auch für Nichtchristen Aufsehen, bis hin zum Dienst an Pestkranken, der manchen Christen das eigene Leben kostete.

Roland Werner zeigt, dass die Christen gleichzeitig durch eine klar von der übrigen Gesellschaft unterscheidbare Ethik und durch ihren selbstlosen Dienst auffielen. Ein Fingerzeig für uns Christen heute!

Der gute Wunsch, das Gesamtbild darzustellen, führt allerdings an einigen Stellen dazu, dass der Unterschied zwischen dem biblischen Zeugnis und dem Leben bzw. der Lehre der Christen in den Jahrhunderten danach nicht immer klar herausgestellt wird.

Mehr: www.evangelium21.net.

Die Reformatoren durch Manipulation ihrer Botschaft rekatholisieren?

Ich bin etwas überrascht, dass mein kurzer Beitrag zu Matthew Barrett so viel Aufmerksamkeit erhält. Zugleich bin ich erfreut, dass sich so viele Leute mit dem Thema „Kontinuität der Reformation“ beschäftigen. 

Ergänzend zu meinen vorsichtig kritischen Anmerkungen zu Barretts Sicht auf die Reformation möchte ich daher noch auf einen Vortrag von Peter Opitz hinweisen, in dem er Barretts The Reformation as Renewal: Retrieving the One, Holy, Catholic, and Apostolic Church beleuchtet.

Opitz, einer der besten Kenner der Schweizerischen Reformation, ist davon überzeugt, dass Barrett im Umgang mit den historischen Quellen sehr interessengeleitet gearbeitet hat.

Hier der Vortrag: “Reformation As Renewal:” Recatholicizing The Reformers By Manipulating Their Message? von Peter Opitz.

Der Glaube der unitarischen Universalisten

Deutschland feiert den 150. Geburtstag von Thomas Mann. Sogar der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat anlässlich dieses Jubiläums in Lübeck eine Rede gehalten. Steinmeier sagte über Manns Einsatz für den Demokratie in den USA: „Unermüdlich reist der nun bald Siebzigjährige in große und kleine Städte der Vereinigten Staaten, er wirbt für den Kampf gegen den Faschismus, für die Demokratie. Getragen von der Überzeugung, dass nur in der Demokratie die Individualität eines jeden Menschen, seine Würde und die Entfaltung wahrer Humanität, von der seine eigene Literatur zeugt, gesichert sein können.“

Anschließend erklärte Steinmeier (FAZ vom 07.06.2025, Nr. 131, S. 18): 

Das praktische Christentum spielt dabei für Thomas Mann eine immer größere Rolle. Dazu trug Präsident Roosevelt bei, der, wie Mann sagt, „Religion als sozialen Fortschritt im Zeichen der Gottesfurcht“ verstand, als „Achtung vor dem Individuum und was man hier ‚mercy‘ nennt, Erbarmen, Güte“. Auch Manns Engagement in der First Unitarian Church of Los Angeles gehört dazu, in der er seine Enkel taufen lässt und gelegentlich predigt. Christentum, schreibt Thomas Mann 1949, ist „die Demokratie als Religion – wie man sagen kann, dass die Demokratie der politische Ausdruck des Christentums ist“. Das vielleicht auch – beiseite gesprochen – gegen alle, die, zu allen Zeiten und allerorten, Religion für autoritäre Ziele in Anspruch nehmen. Das bedeutendste Engagement gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft sind die Radioansprachen, die Thomas Mann im Krieg über den deutschsprachigen Dienst der BBC an seine „Deutschen Hörer“ richtet. Mit allen Mitteln wirkungsvoller Rhetorik, ohne Schnörkel, wie es sonst kaum seine Art war, ohne Angst vor plakativen Formulierungen, vielmehr mit Sarkasmus, mit Polemik, mit unverhohlener Verachtung für Diktatur und ihre willigen Vollstrecker. Ein ums andere Mal auch mit grimmigen Voraussagen des gerechten Schicksals, das den deutschen Verbrechern und allen, die ihnen willig folgen, blühen werde.

Aber ist das Christentum der First Unitarian Church of Los Angeles wirklich christlich? Ich will die Gelegenheit nutzen und mal erläutern, was in dieser Kirche geglaubt wird. Die Kirchengemeinde ist war und ist – wie der Name schon verrät – unitarisch. Der Name „Unitarian” leitet sich vom lateinischen Wort „unitas” für „Einheit” ab und wendet sich gegen die christlich-trinitarische Vorstellung der Dreieinigkeit Gottes und betont stattdessen die unteilbare Einheit Gottes. Und dann ist die First Unitarian Church auch noch universalistisch, also davon überzeugt, dass alle Menschen letztlich durch die Allmacht Gottes gerettet werden.

Die Gemeinde gibt es übrigens immer noch. Und wer sich mal die Mühe macht, dass aktuelle Glaubensbekenntnis zu lesen, wird schnell erkennen, dass es sich um eine humanistische Glaubensgemeinschaft in einem vermeintlich christlichen Gewand handelt. Ich zitiere

Als Gemeinde der Unitarischen Universalisten bekräftigen und fördern wir sieben UU-Prinzipien, die wir als starke Werte und moralische Leitlinien betrachten. Wir leben diese Grundsätze im Rahmen einer „lebendigen Tradition“ von Weisheit und Spiritualität, die aus so unterschiedlichen Quellen wie Wissenschaft, Poesie, Schrift und persönlicher Erfahrung schöpfen. Wie Pfarrerin Barbara Wells ten Hove erklärt: „Die Prinzipien sind kein Dogma oder eine Doktrin, sondern vielmehr ein Leitfaden für diejenigen von uns, die sich dafür entscheiden, einer unitarischen Universalisten-Religionsgemeinschaft beizutreten und an ihr teilzunehmen.“

1. Grundsatz: Der jedem Menschen innewohnende Wert und seine Würde;

2. Grundsatz: Gerechtigkeit, Gleichheit und Barmherzigkeit in menschlichen Beziehungen;

3. Grundsatz: Gegenseitige Akzeptanz und Ermutigung zum geistigen Wachstum in unseren Kirchengemeinden;

4. Grundsatz: Eine freie und verantwortungsvolle Suche nach Wahrheit und Sinn;

5. Grundsatz: Das Recht auf Gewissensfreiheit und die Nutzung des demokratischen Prozesses in unseren Gemeinden und in der Gesellschaft insgesamt;

6. Grundsatz: Das Ziel einer Weltgemeinschaft mit Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit für alle;

7. Grundsatz: Respekt vor dem interdependenten Netz der gesamten Existenz, von dem wir ein Teil sind.

Die sieben Prinzipien und sechs Quellen der Unitarian Universalist Association sind an der Basis unserer Gemeinschaften entstanden, wurden demokratisch bestätigt und sind Teil dessen, was wir sind.

Obwohl der Unitarismus und der Universalismus beide liberale christliche Traditionen waren, hat uns diese verantwortungsvolle Suche dazu gebracht, verschiedene Lehren aus östlichen und westlichen Religionen und Philosophien zu übernehmen. Einige unserer Mitglieder bezeichnen sich als Christen, andere als Atheisten, Agnostiker, Humanisten, Juden, Muslime und Heiden. Wir heißen Menschen aller Glaubensrichtungen willkommen.

Wir leben unsere Grundsätze innerhalb einer „lebendigen Tradition“ von Weisheit und Spiritualität, die aus so unterschiedlichen Quellen wie Wissenschaft, Poesie, Schrift und persönlicher Erfahrung schöpfen. Dies sind die sechs Quellen, die unsere Kongregationen bestätigen und fördern:

  • Unmittelbare Erfahrung jenes transzendenten Geheimnisses und Wunders, das in allen Kulturen bezeugt ist und uns zu einer Erneuerung des Geistes und einer Offenheit für die Kräfte bewegt, die das Leben schaffen und erhalten;
  • Worte und Taten prophetischer Menschen, die uns herausfordern, den Mächten und Strukturen des Bösen mit Gerechtigkeit, Mitgefühl und der verwandelnden Kraft der Liebe zu begegnen;
  • Weisheiten aus den Weltreligionen, die uns in unserem ethischen und spirituellen Leben inspirieren;
  • jüdische und christliche Lehren, die uns auffordern, auf Gottes Liebe zu antworten, indem wir unsere Nächsten lieben wie uns selbst;
  • Humanistische Lehren, die uns raten, die Führung der Vernunft und die Ergebnisse der Wissenschaft zu beherzigen, und uns vor Götzendiensten des Verstandes und des Geistes warnen;
  • spirituelle Lehren erdzentrierter Traditionen, die den heiligen Kreislauf des Lebens feiern und uns anleiten, in Harmonie mit den Rhythmen der Natur zu leben.
  • Rev. Kathleen Rolenz sagte: „Im Laufe der Geschichte haben wir uns im Rhythmus von Mysterien und Wundern, Prophezeiungen, Weisheit, Lehren aus alten und modernen Quellen und der Natur selbst bewegt.“

Thomas Müntzer: Reformator und Revolutionär

Der Theologe Thomas Müntzer wollte nicht nur die Kirche erneuern, er rief auch zum gesellschaflichen Umsturz auf. Im Mai 1525 wurde er dafür hingerichtet. Kommunisten wie Friedrich Engels verklärten Müntzer daher später als Märtyrer des Proletariats. 

Thomas Kaufmann schreibt über Münzer in seinem Artikel Der Theologe, der zum Revolutionär wurde (FAZ vom 19.05.25, Nr. 115, S. 6): 

Heute ist ein nüchterner Umgang mit der faszinierend-tragischen Gestalt Thomas Müntzers möglich. So schillernd seine Theologie, so spezifisch sein Schicksal war – seine zeitgenössischen Wirkungen als Prediger und Publizist waren eher bescheiden. Dass Müntzer Massen mobilisiert hätte, trifft nicht zu. So interessant sich seine Theologie, insbesondere hinsichtlich ihrer Quellen, für den Kirchenhistoriker ausnimmt, so schwer verständlich und fremd muss sie dem „gemeinen Mann“ des 16. Jahrhunderts geblieben sein. Berühmt wurde Müntzer vor allem dadurch, dass Luther ihn bekämpfte. Luthers Antipathie gegen Müntzer ergab sich aus dessen Schülerschaft. Denn Müntzer radikalisierte und aktualisierte Motive und Aspekte, die in der frühen Theologie Luthers angelegt gewesen waren, die der Wittenberger Reformator aber nach und nach dadurch einhegte, dass er die konsequente normative Orientierung am biblischen Wort forderte, den Verzicht auf physische Gewalt propagierte und die politischen Obrigkeiten zu exklusiven Trägern der Reformprozesse machte.

Der DLF hat einen hörenswerten Beitrag über Thomas Müntzer veröffentlicht: 

Ist der „späte“ Augustinus ein Missverständnis?

In der Augustinusforschung der letzten 100 Jahre wird immer wieder die so genannte „Diskontinuitätsthese“ ins Spiel gebracht und diskutiert. Diese These entstand als Gegenbewegung zu einer bis dahin eher einheitlich gedachten Augustinusrezeption.

Ein erster Vertreter der Diskontinuitätsthese war Hermann Dörries (1895–1977). In seinem Buch Die Entstehung der augustinischen Gnadenlehre (1930) diagnostizierte er einen Wandel in Augustinus’ Gnaden- und Freiheitsverständnis vor und nach der Auseinandersetzung mit Pelagius. Um das Jahr 412/413 habe es die markante Wende in Augustins Theologie gegeben. Auch der bekannte Biograph Peter Brown verteidigt die Diskontinuität zwischen dem frühen und dem späten Augustinus (Augustinus von Hippo, 1982).

Die Diskontinuitätsthese steht im Spannungsfeld zur „Kontinuitätsthese“, die einen scharfen Bruch oder mehrere sanfte Brüche in der Gnadentheologie des Kirchenvaters verneint. Einer der bekanntesten Vertreter der kontinuierlichen Entwicklung der Gnadentheologie bei Augustinus ist Volker Drecoll, der Herausgeber des Augustinus Handbuchs (2007).

Vor einigen Jahren hat Kenneth Wilson in einer Promotionsarbeit die Diskontinuitätsthese noch weiter radikalisiert, indem er nicht nur einen Bruch durch das Werk Ad Simplicianum de Diversis Quaestionibus (dt. An Simplicianus über verschiedene Fragen) behauptet, sondern mittels Redaktionskritik dieses Werk ins Jahr 412 transferiert (die allg. angenommene Entstehungszeit liegt bei 396/397 n. Chr.). Nach Wilson war also Augustinus schon über 60 Jahre alt, als er seine prädestinatorische Theologie entwickelte. Im deutschsprachigen Raum hat z.B. Roger Liebi für diese radikale Diskontinuitätsthese von Ken Wilson geworben (vgl. Hat Augustinus die abendländische „Ursünde“ erfunden?).

In den deutschsprachigen Akademikerkreisen hat sich besonders Kurt Flasch für einen radikalen Bruch innerhalb der Theologie Augustins ausgesprochen. Der Philosophiehistoriker hat sich schon früh vom christlichen Glauben verabschiedet und gilt als fundierter und unaufgeregter Kritiker des christlichen Glaubens (vgl. sein Warum ich kein Christ bin, 2013 u. sein Interview über den Glaubensverlust hier). In zwei neuen Veröffentlichungen hat er inzwischen auf Ken Wilsons These reagiert und damit seine Kritik an der der Ursündentheologie untermauert. Hartmut Leppin schreibt in seiner Rezension von Augustins letztes Wort: Prädestination und Augustin neu lesen: Diskussionsbeitrag zu Kenneth M. Wilson (beide erschienen im Verlag Vittorio Klostermann, 2024):

Die Reaktionen auf Wilsons Arbeit waren teils skeptisch, teils enthusiastisch zustimmend. Kurt Flasch hat aufgrund der Lektüre Wilsons seine bisherige Auffassung revidiert – und bekennt das freimütig. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, diskutiert er in zwei kurzen, mit pointierten Titeln versehenen Büchern. In „Augustins letztes Wort“ widmet Flasch sich späteren Schriften des Kirchenvaters, vor allem jenen zur Prädestination, aus denen er weitere Passagen übersetzt, sowie abendländischen Texten, auf die Augustin einwirkte, namentlich solche von Thomas von Aquino und Johannes Calvin, aus dessen Werk Flasch eine Sammlung einschlägiger lateinischer Zitate zusammenstellt.

Im zweiten, ausdrücklich als Diskussionsbeitrag gekennzeichneten Werk, „Augustin neu lesen“, dessen Vorwort nur knapp drei Wochen später datiert ist, erörtert Flasch explizit Wilsons Arbeit, ferner Passagen aus „Ad Simplicianum“, einem Werk Augustins, das als grundlegend für die Gnadenlehre gilt und das Wilson in zentralen Teilen umdatiert hat. Zudem behandelt er lange, neu übersetzte Abschnitte aus den „Bekenntnissen“, die nach bisheriger Meinung mit jenen Teilen zusammenhingen. In beiden Werken verbinden sich die höchst qualitätsvollen Übersetzungen (hier leider gewöhnlich ohne lateinisches Original) mit eindringlichen Interpretationen, die auf eine systematische Auseinandersetzung mit der verästelten Forschung verzichten, dieser auch nicht bedürfen. (FAZ vom 05.04.2025, Nr. 80, S. 12)

Inzwischen liegt außerdem eine umfangreiche Untersuchung zu Augustinus und dem Pelagianismus vor, in der ebenfalls die Spannung von Kontinuität und Diskontinuität berührt wird. David Burkhart Janssen hat 2024 seine Dissertation Inimici gratiae Dei: Augustinus’ Konstruktion des Pelagianismus und die Entwicklung seiner Gnadenlehre nach 418 veröffentlicht (Brill u. Schöningh, 2024). Janssen war mehrere Jahre Assistent am Lehrstuhl von Drecoll in Tübingen und hat das Dissertationsprojekt unter dessen Betreuung durchgeführt.

Inimici gratiae Dei (dt. Feinde der Gnade Gottes) ist mit über 900 Seiten eine sehr gründliche Auseinandersetzung zum Thema Gnadentheologie. Janssen hat die Quellen akribisch untersucht und die Entwicklung der antipelagianischen Gnadenlehre so detailiert nachgezeichnet wie m.W. bisher niemand sonst.

Für alle, die sich mit neuen Perspektiven auf Pelagius oder Augustinus beschäftigen, ist es eine wahre Fundgrube. Die Kirchengeschichtsschreibung sah bis zur Jahrtausendwende den Pelagianismus überwiegend kritisch. Adolf von Harnack sagte noch: „Aber man wird urtheilen müssen, dass ihre Lehre [d.h., die der Pelagianer] den Jammer der Sünde und des Uebels verkennt, dass sie im tiefsten Sinne gottlos ist, dass sie von Erlösung nichts weiss und wissen will“ Dogmengeschichte, Bd. 3, 1890, S. 183).

In den letzten Jahren hat es mehrere Rehabilitierungsversuche der pelagianischen Theologie gegeben. So wird Augustinus vorgeworfen, in seinen späten Jahren Manichäer gewesen zu sein (der so genannte Manichäismusvorwurf). Am Bekanntesten ist The Myth of Pelagianism von Ali Bonner (2018). Bonner hat behauptet, dass im 4. Jahrhundert Pelagius eine Mehrheitsmeinung vertreten habe und vielmehr Augustinus mit seiner Betonung des geknechteten Willens und der Vorherbestimmung die Ausnahme gewesen sei. Bonner behauptet sogar, dass die Positionen, die Pelagius durch seine Gegner zugeschrieben bekam, in seinen Schriften gar nicht zu finden seien und es keine pelagianische Bewegung im engere Sinne gegeben habe. Allerdings konnte sie die Fachwelt nicht überzeugen. Andrew C. Chronister zieht in seiner Buchbesprechung das Fazit: „Alles in allem hat Bonner’s Studie den Leser nicht überzeugt“ (Augustinian Studies, Bd. 51, Ausgabe 1, 2020, S. 119). David Bukrhart Janssen schreibt (S. 27, Fn. 79):

Auch wenn – bis heute – umstritten ist, inwiefern sich Augustinus’ Theologie aus der Tradition speist, ist doch zu statuieren, dass im vierten Jahrhundert unterschiedliche Lehransätze mit einem häufig nicht ganz geklärten Nebeneinander von Gnade und menschlichem Wirken bestanden …; ebenfalls bezogen sich Augustinus und Pelagius wie ihre Vorgänger gemeinsam in diesen Fragen auf das paulinische Corpus.

Zu Kenneth Wilsons These konstatiert Janssen, dass die von ihm vollzogenen Umdatierung von Ad Simplicianum de Diversis Quaestionibus der Quellenlage widerspricht (vgl. S. 20, Fn. 54). Einen radikalen Bruch kann er bei Augustinus in der Gnadenfrage nicht finden, wohl aber eine konsequente und kontininuierliche Fortentwicklung seiner eigenen Sichtweise. Die Untersuchung schließt mit den Worten (S. 778):

Der antipelagianische, „späte“ oder alte Augustinus ist der gleiche Theologe wie der junge, der allerdings das, was er bereits in vielen Jahrzehnten angelegt hatte, in Reaktion auf die Pelagianische Kontroverse spezifizierte, zuspitzte und systematisierte. In den antipelagianischen Schriften begegnet eine situativ bedingte, aber dennoch konsequente und kontinuierliche Fortentwicklung der augustinischen Theologie.

Augustinus hat in besonderer Konsequenz die paulinische Grundansicht durchdacht, dass der Mensch Erlösung nicht aus sich selbst heraus erlangen kann, sondern der Gnade in und durch Christus bedarf. Die Schlussfolgerungen, die Augustinus daraus gezogen hat, insbesondere die Vorstellung von der Sündhaftigkeit und Gnadenbedürftigkeit aller, die Betonung des Kreuzes sowie die Prädestinationslehre, waren damals wie heute umstritten. Die Untersuchung von Augustinus’ Konstruktion und Widerlegung des Pelagianismus zeigt jedoch, dass Versuche, aus seiner Theologie den einen oder anderen Aspekt (etwa die Prädestinations- oder die tradux peccati originalis-Lehre) herauszulösen, weitreichende Änderungen an der soteriologischen Grundaussage des afrikanischen Kirchenvaters zur Folge haben: Der Mensch erlangt Rettung nur durch die Gnade des treuen und barmherzigen Gottes.

800 Jahre Thomas von Aquin

Im Januar 1225, also vor 800 Jahren, wurde Thomas von Aquin geboren. Er war zweifelsohne einer der einflussreichsten christlichen Philosophen. In einer turbulenten Epoche entwickelte er ein Denken, das das Abendland lange prägte. Richard Kämmerlings stellt uns den „Nicht-Revolutionär“ vor und schreibt über die Entdeckung von Aristoteles im 12. Jahrhundert:

Die entscheidende Konstellation jener Jahrzehnte war die Begegnung mit der Aristotelischen Philosophie in seiner ganzen Breite: Zwar gehörten etwa dessen logische Schriften schon zuvor zum Kanon, vor allem im Studium der Artes liberales, der freien Künste, dem „Vorstudium“ zur Theologie. Aristoteles’ Hauptwerke aber waren in der christlichen Welt unbekannt. Erst die sogenannte „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ hatte eine intensive Auseinandersetzung mit der arabischen Philosophie ausgelöst, in der Aristoteles umfangreich überliefert und kommentiert worden war.

Das muslimische Andalusien, speziell Cordoba, war eine Drehscheibe des Austauschs und der Übersetzung. Schriften wie die „Nikomachische Ethik“ oder „Über die Seele“ werden erst jetzt bekannt, zusammen mit ihren scharfsinnigen arabischen Kommentatoren wie Ibn Sina (Avicenna) oder Ibn Ruschd (Averroes) oder auch dem jüdischen Denker Moses Maimonides, der sich ebenfalls intensiv an Aristoteles abarbeitete.

In diesem komplexen geistesgeschichtlichen Prozess der Aneignung oder Umschmelzung dieser nichtchristlichen, antik-paganen, islamischen oder auch jüdischen Wissenskomplexe spielen Albertus und Thomas eine entscheidende Rolle – im zähen Widerstand gegen Traditionalisten und Autoritäten (mehrfach werden aristotelische Lehrsätze in Paris verboten), aber auch im Kampf gegen allzu direkte, problematische Übernahmen, die ans Eingemachte christlicher Grundüberzeugungen gingen. Die Hauptfrage lautete: Lassen sich religiöser Glaube und Wissenschaft, Offenbarungswahrheit und weltliche Philosophie verbinden? Und wenn ja, wie?

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Die Aktualität des Werkes: Der Gottesstaat

Chris Watkin lobt den Gottesstaat von Aurelius Augustinus dafür, dass er das Verhältnis der himmlischen Stadt und der irdischen Stadt zeitlos und gut ordnet: 

Die letzte Lektion, die Augustinus uns erteilt, besteht darin, wie er die Stadt Gottes und die irdische Stadt als miteinander verflochten und unentwirrbar in der heutigen Zeit darstellt, die aber dazu bestimmt sind, beim letzten Gericht getrennt zu werden.

Ein kulturkritischer Ansatz, der die Antithese überbetont, würde dazu neigen, die beiden Städte als völlig unterschiedlich zu betrachten – und wäre damit blind für die Art und Weise, wie sie von der Kultur geprägt wird. Ein Ansatz, der die Erfüllung überbetont, würde dazu neigen, die beiden Städte als alternative Ausdrucksformen derselben grundlegenden Werte zu sehen – und wäre damit unfähig, der Welt etwas anderes zu verkünden als eine aufgewärmte, gebrauchte Version seiner selbst.

Doch Augustinus’ biblischer Rahmen bedeutet, dass er nicht zwischen zwei unzureichenden Optionen wählen muss. Die Verflechtung der beiden Städte in der heutigen Zeit, hilft uns zu erkennen, dass „Kultur“ nicht etwas ist, das gehorsam vor der Kirchentür sitzt und darauf wartet, eingelassen zu werden; sie formt uns auch innerhalb der Kirche, ob wir wollen oder nicht.

Die getrennten Schicksale der beiden Städte erinnern uns daran, dass, so bequem sich die spätmodernen Annahmen auch anfühlen mögen (und wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, dass wir keine Postmodernen sind), sie nicht unser Zuhause sind und wir bereit sein müssen, sie zu kritisieren. Die Stadt Gottes liefert uns einen Entwurf für ein kulturelles Engagement in unserer Zeit, das sowohl bibeltreu als auch kultursensibel ist. Seine Brillanz ist oft nachgeahmt, aber nie übertroffen worden.

Mehr: www.thegospelcoalition.org.

Dictionary of the Presbyterian & Reformed Tradition in America

D.G. Hart und Mark Noll haben eine hilfreiche Quelle für das Studium und das Verständnis der Geschichte der presbyterianischen und reformierten Kirchen in Amerika herausgegeben.  Das Dictionary of the Presbyterian & Reformed Tradition in America ist ein dreihundertseitiges Wörterbuch, das Artikel über wichtige Personen, Ereignisse, Lehren und Konfessionen der reformierten und presbyterianischen Kirchen in den USA  enthält. Hier sind z.B. Einträge über Charles Hodge, B.B. Warfield oder die Princeton Theology zu finden. Die Beiträge sind kurz und präzise gehalten.

Die entstellte Gestalt der Kirche

Was Martin Luther vor rund 500 Jahren über die Verwüstung der Kirche geschrieben hat, trifft die Kirche, die katholische wie die evangelische, heute mehr als damals. Gerhard Ebeling schreibt zur Klage des Reformators (Luthers Seelsorge an seinen Briefen dargestellt, 1999, S. 226–228):

[Die] geistliche antichristliche Verwüstung der Kirche ist in Christi natürlichem Leib präfiguriert, was in Ps 89 (88),39–46 unverhüllt vorausgesagt ist. Von dort aus rückblendend auf Ps 22 (21) wird nun geradezu lawinenartig die geistliche Verwüstung der Kirche vorgeführt.

Ohne die Bezüge zum Psalmtext jetzt im einzelnen hervorzuheben, sei in Kürze nur die Fülle kirchlicher Mißstände angedeutet, die Luther hier beklagt. Die Kirche sei trotz des Übermaßes an religiösen Aktivitäten glaubensverlassen (im Sinne von „Gott-verlassen“), bei allem christlichen Anschein ohne Glaube und Liebe. Glaube und Christus seien zum Gespött geworden. Nicht der gelte als Christ, der an Christus glaubt, sondern wer dem Papst gehorcht. Unter der Herrschaft des vicarius Christi sei es mit der res Christiana aus. Die Bischöfe, unter deren Druck die Kirche steht, seien weder Priester noch Fürsten, sondern Monstren, etwas Widernatürliches, nur geschminkt nach dem Aussehen beider Stände. Die auf Christus getauften und durch sein Blut erlösten Seelen werden geringgeachtet wie verschüttetes Wasser. Mit dem Evangelium gehe man aufs nachlässigste um. So sei die Kirche in des Todes Staub gelegt, das heißt: zu Grabe getragen. Welch ein grauenhafter Anblick!

Indem Luther, dem Psalmtext folgend, das Schreckensbild der Kirche entwirft, gelangt er schließlich zu v. 19, dem anscheinend Geringfügigsten, dem Umgang der Kriegsknechte mit Christi Kleidern. Unter ekklesiologischem Aspekt vollzieht sich nun jedoch im Gegenteil eine Steigerung. Wenn alles, was Wort und Glaube betrifft, in der Kirche öffentlich unterdrückt wird, dann bleibe nur eines übrig, was noch an Christus erinnert: die heilige Schrift. In ihr ist die Wahrheit des Glaubens eingehüllt wie Christus in seinen Kleidern. Deshalb widerfährt der Kirche der äußerste Schade, wenn mit der heiligen Schrift leichtfertig umgegangen, sie in einen vierfachen Sinn zerteilt und wie im Würfelspiel aufs Geratewohl hin ausgelegt wird.

Warum sollte ich die Kirchenväter lesen?

Warum sollten wir uns mit den Kirchenvätern beschäftigen? Michael Haykin nennt einige Gründe: 1. Um die Kirche vom Zeitgeist des 21. Jahrhunderts zu befreien, 2. um ihr einen erfahrenen Leiter auf ihrem Weg mit Christus zu geben, 3. um ihr zu helfen, das grundlegende Zeugnis ihres Glaubens, das Neue Testament, zu verstehen, 4. um den schlechten Ruf der frühen Kirche zu widerlegen und um 5. ein Mittel für geistliches Wachstum zu nutzen.

Mehr hier: www.evangelium21.net.

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