Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage durch psychische Erkrankungen hat sich in Deutschland den neuesten Zahlen zufolge seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt. Einer der wichtigsten Gründe: Druck zur Selbstverwirklichung – beruflich wie privat. Jan Grossarth schreibt für die FAZ:
Für den Anstieg psychischer Erkrankungen werden viele Gründe genannt. Der BPtK-Präsident Rainer Richter nannte als wichtige Gründe für den Anstieg etwa den „Druck zur Selbstverwirklichung“, beruflich wie privat. Vor Jahrzehnten, als die alten gesellschaftlichen Normen noch galten, seien neurotische Verhaltensauffälligkeiten die häufigsten gewesen, die Freiheit eines jeden, Individualität und Identität heute selbst zu finden, führe dagegen öfter zu Erschöpfung. Daher genügten eine gesunde Ernährung und viel Bewegung längst nicht als Vorbeugung.
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VD: JS
Selbstverwirklichung ist ein Luxusproblem, welches mich sehr belästigt. Nicht, weil ich so erpicht auf eine geile Karriere wäre, sondern weil die Frage, was ich in zwei Semestern so tolles machen möchte – und diese Frage kommt häufiger als mir lieb ist – mich jedes Mal in eine Identitätskrise stürzt. Ohne genauen Lebensplan kein Stipendium. Ich kann schon verstehen, dass der, der Geld zur Verfügung stellt, Planungssicherheit braucht, aber muss man die jungen Menschen dabei dermaßen unter Druck setzen?
Glücklich, wer heute noch sagen kann: I´ve got no plans beyond today.
Seltsam: Ich kann’s sagen, aber „glücklich“ – das bin ich dadurch nicht.
Okay, auf der anderen Seite gibt es natürlich auch das Extrem: Der langjährige Hartz-IV-Empfänger, der perspektivlos in den Tag lebt, ist unter Umständen auch nicht glücklich über sein Leben.
Ob nun „Hartz-IV-Empfänger, der perspektivlos in den Tag lebt“ oder „Student, der keinen genauen Lebensplan hat und nicht weiß, was er in den Semestern Tolles anfangen soll“ – wo ist letztlich der Unterschied?
Und was hat das eigentlich mit dem Artikel genau zu tun?
Lutz
@Lutz
Eben, das ist es ja gerade, es gibt keinen Unterschied. Es ist ein breites gesellschaftliches Phänomen, das sich in allen Altersgruppen sowie allen sozioökonomischen Gruppen findet.
http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/gesundheitsreport-degs-jugendliche-leiden-haeufiger-unter-depressionen-a-838843.html
Mein erster Beitrag war einfach nur eine spontane, „persönliche“ Reaktion. Wie soll man mit Selbstverwirklichungsdruck umgehen, wenn man eine Quelle ausgemacht hat und sich selbst auch als Verstärker wahrnimmt, Angst hat, nicht adäquat damit umgehen zu können? Vielleicht findet sich hier jemand, der in einer ähnlichen Situation ist.
@logan Eine „Depression“ aufgrund von Sinnlosigkeit ist doch ursächlich anders als eine „Depression“ aufgrund von Aktivismus „sich selbst zu verwirklichen“. Dann gäbe es sicherlich noch die „Depression“ aufgrund der fehlenden Mittel (also eigentlich weiß ich, was ich machen möchte und wo ich mich ausleben will – aber mir fehlen die Möglichkeiten) und was weiß ich, was noch … „Selbstverwirklichungsdruck“ ist meiner Erfahrung nach ein Druck, der auch ganz besonders von außen ausgeübt wird. Mit anderen Worten, es sind dann Andere, die dich unter Druck setzen mit ihren eigenen Vorstellungen, Wünschen … – was denn alles so wahnsinnig toll ist, was du noch brauchst um endlich dein eigenes Selbst so richtig zur Entfaltung zu bringen … Nur mir will nicht einleuchten, dass dies automatisch auf ein: „Ich weiß nicht, was ich machen soll?“ zutrifft. Sicherlich ist dieses „ich weiß nicht“ – die Lücke, die dann wiederum Andere mit ihrem Druck füllen möchten … Anders: in Deutschland gibt es Schulpflicht. Ist diese… Weiterlesen »