Judith Butler hat etwas bewegt

Die Stadt Frankfurt am Main hat am Dienstag Judith Butler mit dem Adorno-Preis geehrt. Der Tenor in der Medienberichterstattung war einhellig: Butlers Haltung gegenüber Israel ist anfechtbar, ihre Beiträge zur Gender-Problematik haben dagegen weitgehende Akzeptanz gefunden.

Eva Geulen, selbst Butler-Expertin und die Laudatorin des Abends, packte ihre Bewunderung für die Preisträgerin in den Satz: „Sie hat etwas bewegt.“ Der CDU Politiker Felix Semmelroth stellte vornehmlich ihre Leistungen für die Gender-Theorie heraus: „Ihre Stimme, und das macht auch ihre Verantwortung als öffentliche Intellektuelle aus, wird nicht nur gehört, sondern hat Gewicht, wird wahr- und ernstgenommen und dies natürlich nicht immer mit Zustimmung oder gar Wohlgefallen.“

Bei so viel Überschwang für Judith Butler bin ich gestern mit einem ihrer Standardwerke ins Bett gegangen. Ungefähr zwei Stunden habe ich mit dem Unbehagen der Geschlechter (Suhrkamp, 1991) verbracht.

Das Buch ist eine Streitschrift gegen die „Zwangsheterosexualität“ und den „Phallogozentrismus“, ein Versuch, Geschlechterordnungen zu (ver)stören. Konstruktionen von Geschlechtern sind für Butler Ausdruck politischer und gesellschaftlicher Machtdiskurse. Sogar das Inzestverbot wurde erschaffen, um die herrschende heterosexuelle Geschlechterordnung zu verfestigen.

Über allem steht die Attacke auf die binäre Ordnung. Butler treibt die Unterscheidung von biologischem Geschlecht (sex) und „seelischer“ Geschlechtsidendität (gender) soweit, dass sie die Geschlechtstidentität nicht nur vom biologischen Geschlecht entkoppelt, sondern – in gewisser Weise konsequent – behauptet, dass Gender dem biologischen Geschlecht immer schon vorausgeht. So verflüssigen sich nicht nur biologische Grenzen, sondern auch sozial konstruierte Geschlechtsidentitäten erweisen sich als unbestimmt.

Wenn wir jedoch den kulturell bedingten Status der Geschlechtsidentität als radikal unabhängig vom anatomischen Geschlecht denken, wird die Geschlechtsidentität selbst zu einem freischwebenden Artefakt. Die Begriffe Mann und männlich können dann ebenso einfach einen männlichen und einen weiblichen Körper bezeichnen wie umgekehrt die Kategorien Frau und weiblich (S. 23).

Butler will jeden Rest einer binären Unterscheidung wegspülen, um die Konfigurationen von Geschlechteridentitäten erweitern zu können. Dem humanistischen Feminismus wirft sie deshalb vor, dass er Geschlechtsidentität noch als „Attribut einer Person“ begreifen will (S. 28). „Als sich ständig verschiebendes (shifting) und kontextuelles Phänomen bezeichnet die Geschlechtsidentiät nicht ein substantiell Seiendes, sondern einen Schnittpunkt zwischen kulturell und geschichtlich spezifischen Relationen“ (S. 29).

Butler hat wirklich etwas bewegt. So manches Unbehagen der Geschlechter ist bereits in den Grundschulen angekommen. Das Konzept der Geschlechtsidentität soll in ein überarbeitetes Grundgesetz einfließen. Butler hat eben Gewicht, also Macht. Vielleicht sollte sich jemand die Mühe machen, ihre Thesen so zu formulieren, dass sie falsifizierbar, also überprüfbar, sind. Vermutlich würde sich schnell herausstellen, dass die Genderkönigin nichts an hat (vgl. hier).

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Schandor
12 Jahre zuvor

Das wär‘ von 1939 – 1945 nicht möglich gewesen. Rechtsradikal? Klar. Und was wäre dies? Richtig: Linksradikal. Die Mitte wäre dort, wo es heißt: Und er schuf sie als Mann und Frau.

10 Jahre zuvor

Also wenn der Hochstapelei zu Babel nicht immer derselben Zusammenbruch mit Todesfolge auf den Fuß folgen würde, könnte man sich ja gelassen zurücklehnen und sagen: Pah – keine Chance, gegen das Allmächtige Wort setzt sich diese Luftnummer niemals durch!“. Weil so viel Kaiserschmarren aber durchaus Menschleben kostet oder gefährdet und deshalb auch noch viel höher gemauerte Kultur- oder Landesgrenzen nachsichzieht, könnt einem schon der Kamm schwillen. Auf Spiegel-online war erst vorgestern davon die Rede, dass im Zuge der Gleichstellung von Mann und Frau, jene Frau auch mit wenigsten drei Klimmzügen in dieselbe Kampfeinheit dürfen müsse, wo Männer aber wenigstens 10 Klimmzüge vorzulegen hätten. Jetzt schaffen die meisten Mädels aber auch nach 12 Wochen Training nicht mal einen einzigen Klimmzug und versuchen sich trotzalledem ein Recht auf diese Truppe einzuklagen. Da konnte ich mich dann auch nicht mehr zurückhalten und schrieb kurzerhand, dass die Genderpolitik bloß nicht konsequent genug sei: Wenn nämlich nur eine Frage der Konvention ist, was männlich oder… Weiterlesen »

schandor
10 Jahre zuvor

„Wenn nämlich nur eine Frage der Konvention ist, was männlich oder weiblich heißt, dann ist auch nur eine Frage der Konvention, wieviel drei oder zehn Klimmzüge sind, nämlich gleichfalls nur gleich viel. Sogar besser noch: Im Handumdrehen ist selbst der eine Klimmzug dasselbe wie eine Entbindung.“

LOL! 🙂 🙂 🙂

Roderich
10 Jahre zuvor

@Alexander,
schön, dass Du dich nun für die Objektivität und Zuverlässigkeit des Sprachgebrauchs einsetzt. Auf der Seite hätte ich Dich bis gestern noch nicht erwartet, sieh an. 😉

10 Jahre zuvor

Tut mir wirklich leid, Roderich, dass ich dir fortwährend widersprechen muß:

Ich habe mich nicht für den aktuellen Sprachgebrauch, die Genderpolitik oder die allegemeine Blasphemie eingesetzt, sondern genau DAGEGEN eingesetzt. Es wäre nämlich ganz besonders naiv, anzunehmen, die vermeintliche Genderpolitik residiere erst seit jenem Tag unter uns, seit dem ihr dieses Pseudonym verliehen worden ist. Der Slang hat beliebig viele Namen.

Blasphemie und „Genderpolitik“ rasen auch nicht erst seit dem Turmbau zu Babel um die Welt, sondern schon seit Adams Verrat am HErrn und Eva.

Es gibt also noch immer keinen Grund dafür, anzunehmen, wir wären wieder IN der Wahrheit – wir sind weder in der Wahrheit noch im Paradies, sondern RAUS und AUSSERHALB. Um wieder rein zu gelangen müßtest du schon die Cherubim überwinden – einen Ring aus Feuer – aber DASS und WIE das geht, hat dir / uns Jesus Christus vorgemacht. Noch bist du IHM nicht nachgegangen!

Grüße, Alexander

Felix
10 Jahre zuvor

„Vielleicht sollte sich jemand die Mühe machen, ihre Thesen so zu formulieren, dass sie falsifizierbar, also überprüfbar, sind.“ Dass aus dem Munde eines Theologen zu hören… da kann ich mir ein Schmunzeln nicht vergreifen. Die Behauptung, dass ein Gott existiert, ist absolut nicht falsifizierbar. Sie vertreten in ihrem letzen Absatz einen Positivismus, der, angewendet auf Ihre eigene Disziplin, von dieser nichts übrig lassen würde.
Freundliche Grüße, Felix

Markus
10 Jahre zuvor

@Felix 1. Eine Auffassung, die als neue Staatsideologie immer mehr als verbindlich vorgeschrieben werden soll, hätte – setzte man eine auch nur halbwegs rationale Kultur voraus – natürlich eine Rechtfertigungspflicht. Sie muss ihre Thesen klar und damit überprüfbar formulieren. Und die Überprüfung sollte ein Stück weit schon vorangeschritten und dabei auch positiv verlaufen sein. Aber das ist alles ja offensichtlich nicht der Fall. Geht auch gar nicht, da hier, wie in allen Ideologien, (unterschwellige) normative Konzepte entscheidend sind (was gut, gerecht, richtig…ist). Selbstverständlich ist diese Forderung vom epistemischen Status der Theologie unabhängig. 2. Ungeachtet dessen ist die Behauptung, dass Gott existiert, natürlich überprüfbar und damit auch „falsifizierbar“. Wir können uns überlegen, wie die Welt sein müsste, falls Gott nicht existierte, und umgekehrt. Und dann können wir das mit dem tatsächlichen Zustand der Welt vergleichen. Die Überprüfbarkeit unterscheidet sich hier übrigens gar nicht so grundlegend von der Praxis in der Naturwissenschaft, wie es oft behauptet wird. Theisten bringen entsprechend Gründe vor,… Weiterlesen »

Felix
10 Jahre zuvor

@Markus Zu 1: Vom Genderdiskurs und seinen politischen Forderungen als einer Staatsideologie zu sprechen, halte ich für absolut hysterisch. Damit verwässert man lediglich den Ideologiebegriff. Zur Überprüfbarkeit. Ein wichtiger Grundsatz natürlich. Es gibt allerdings Theorien, die widerspruchsfrei sind, aber sich empirisch nicht mehr überprüfen lassen. Ich nehme mal das von Herrn Kubsch angeführte Zitat Butlers: „Als sich ständig verschiebendes (shifting) und kontextuelles Phänomen bezeichnet die Geschlechtsidentiät nicht ein substantiell Seiendes, sondern einen Schnittpunkt zwischen kulturell und geschichtlich spezifischen Relationen“ Diese Behauptung lässt sich empirisch nicht überprüfen: Man kann keine Experimente oder andere empirische Nachforschungen machen, um anhand dieser aufzuzeigen, dass geschlechtliche Identität kein „substantiell Seiendes“ ist, also als nicht etwas, das immer schon im Individuum angelegt ist und aus einem inneren Geschlechtskern herrührt, der unvermeidlich Teil meiner Identität ist. Genauso wenig lässt sich allerdings die Butler widersprechende Ansicht empirisch überprüfen: Dass wir losgelöst von unserer Sprache, Kultur, allem, was gesellschaftlich hergestellt wird, nur in uns hineinhorchen müssten, um dort unsere… Weiterlesen »

Roderich
10 Jahre zuvor

@Felix, Klar, könnte alles der Fall sein, aber merken Sie nicht, wie absurd das klingt…? Das absurd klingen kann doch wohl nicht als Argument gemeint sein. Denn wie etwas „klingt“, hängt ja von vielen Faktoren ab. Für jemanden, der nicht nur atheistische Bücher liest, klingt es jedenfalls keinesfalls absurd. Ich würde sehr empfehlen, mal das Buch „Hat die Wissenschaft Gott begraben“ von John Lennox zu lesen. Danach reden wir weiter über „absurd“… Ich weiß also, dass es erst einmal ein unmoralisches und vielleicht sogar Angst einflößendes Gefühl ist, das christliche Dogma, die Existenz Gottes, in Zweifel zu ziehen. Bis man sich irgendwann fragt, was daran eigentlich unmoralisch und Angst einflößend sein soll. Schade, wenn es nur „Gefühle“ waren, die damals den Glauben ausgemacht haben – offenbar war damals zeitlich keine Gelegenheit, ein paar sinnvolle christliche Bücher zu lesen? Z.B. auch von C.S. Lewis „Pardon, ich bin Christ. Meine Argumente für den Glauben“. Oder von Richard Swinburne: „Gibt es einen Gott?“.… Weiterlesen »

Markus
10 Jahre zuvor

Zu 1: Es hängt davon ab, wie man „Ideologie“ definiert. Was würden Sie hier vorschlagen? Sei „Ideologie“ zum Beispiel eine von einer mächtigen intellektuellen Minderheit ausgedachte, unbegründete bis inkohärente Auffassung, die durch Instrumentalisierung des Staates und Zwangsmaßnahmen verschiedener Art der Bevölkerung aufgeprägt werden soll, passt dies sehr wohl auf den Genderismus. Eine empirische Überprüfung ist sicherlich auch wichtig. Wo man empirische Tests fordert, so sind empirische Kriterien für Geschlechtlichkeit nötig. Und hier ist der Befund (von einigen seltenen Gendefekten abgesehen) eindeutig die Bipolarität. Überprüfungen sind aber nicht nur empirischer Art. Wie gesagt, spielen bei solchen Gedankenkonstrukten normative Konzepte eine Rolle. Die Überprüfung bezieht sich hier zum Beispiel auf die sachliche Klarheit, Kohärenz und die Begründetheit der Ansprüche und Wertungen. Der Genderismus kann aber keine empirischen Belege aufweisen. Er ist nicht begründbar und um seine Kohärenz ist es nicht gut bestellt. Er hat, von einem rationalen Standpunkt aus betrachtet, etwa den Status einer Ufo-Sekte. Es gibt – bestenfalls – keinen rationalen… Weiterlesen »

Markus
10 Jahre zuvor

Lieber Felix, Ich bin quantenmechanischer Agnostiker und ich habe mich mit Quantenmechanik ehrlich gesagt nie genau beschäftigt. Letztlich muss man sich zwischen agnostischem A-Quantenmechanizismus und agnostischem Quantenmechanizismus entscheiden. Am Ende bleibt immer ein großes I don’t know. Ich entscheide mich für ersteres, Sie wahrscheinlich für letzteres. Ich habe keine Ahnung, wie man experimentell oder theoretisch die Quantenmechanik überprüfen soll, deshalb kann man sie nicht überprüfen! Man spricht in der Quantenmechanik, so viel ich weiß, ja auch nur von Wahrscheinlichkeit. Aber ganz ehrlich – so unter erwachsenen Menschen – glauben sie wirklich an den Welle-Teilchen- Dualismus? Halbzahligen Spin? Quantenzahlen? Unbestimmtheit des Ortes eines Elektrons? Wahrscheinlichkeitsfunktion? Merken Sie nicht, wie absurd das klingt? Ich habe als Schüler auch an die Quantenmechanik geglaubt. Ich bin naturwissenschaftlich aufgewachsen. Bald habe ich erfahren, dass es ein unmoralisches und angsteinflößendes Gefühl ist, vor allem im Chemie- und Physikstudium, die Wahrheit der Quantenmechanik zu bezweifeln. Irgendwann habe ich mich gefragt, warum das unmoralisch und angsteinflößend sein soll.… Weiterlesen »

Felix
10 Jahre zuvor

@Roderich: Es bringt doch herzlich wenig, in einer Diskussion auf einem Blog auf den Inhalt ganzer Bücher zu verweisen. Bitte, kauen Sie mir die einzelnen Argumente vor, wenn Sie mögen. 😉 Aber nur am Rande, weil der erste Titel mir schon in die völlig falsche Richtung zu gehen scheint: Kaum ein Atheist würde behaupten, dass die Wissenschaft Gott begraben hat. Wie gesagt: agnostischer Atheismus. Auch die meisten medienpräsenten Atheisten schließen die Existenz eines Gottes ja nicht vollkommen aus. „Was die Verifizierbarkeit / Falsifizierbarkeit angeht: ich würde davor warnen, etwas nur nach “100% Verifizierbar oder nicht” oder “nicht falsifizierbar, also auf exakt der gleichen Stufe stehend” zu beurteilen. Sondern es geht um graduelle Unterschiede, die sich anhand von Plausibiliät bestimmen lassen. […] „Es gibt mehr als nur “nicht falsifizierbar”.“ Ich habe nichts Gegenteiliges behauptet. Dass ich sogar auch der Meinung bin, dass es mehr als „nicht falsifizierbar“ gibt, beinhaltet meine Verteidigung Butlers: „Es gibt allerdings Theorien, die widerspruchsfrei sind, aber sich… Weiterlesen »

Felix
10 Jahre zuvor

Zu 2.) „Nicht respektieren kann ich aber, dass Sie behaupten zu wissen, dass sonst auch niemand wisse, dass Gott existiert – ohne dass Sie sich die Mühe machen, eine Begründung für diese These auch nur zu versuchen.“ Ja, ich behaupte, dass niemand legitim behaupten kann, dass ein Gott mit absoluter Gewissheit existiert. Wenn das für Sie anmaßend ist, ok. Ich halte eher die dogmatische (gnostisch-theistische) Haltung der Kirchenvertreter „Es gibt einen Gott!“ für anmaßend. Stimmt, Sie haben da ein paar Gründe aufgeführt, ich will drauf eingehen. „Geist und Bewußtsein“: Meinen Sie: Da wir denken können und in einem reflexiven Verhältnis zu uns selbst und zur materiellen Welt stellen, lässt das darauf schließen, dass uns vor ein paar Milliarden von Jahren ein metaphysisches Wesen erschaffen hat? Ist mir nicht klar, warum das so sein soll. „die Existenz von Leben“, unser ethisches Bewusstsein, unsere Rationalität bzw. Wahrheitsfähigkeit“: Auch hier ist mir nicht klar, warum es kein Leben, keine Ethik, keine Rationalität und… Weiterlesen »

Roderich
10 Jahre zuvor

@Felix, ich verwende auf diesem Blog gerne das „Du“, ich hoffe, das ist okay. (Wenn nicht, wechsle ich gerne auf das „Sie“). Es bringt doch herzlich wenig, in einer Diskussion auf einem Blog auf den Inhalt ganzer Bücher zu verweisen. Bitte, kauen Sie mir die einzelnen Argumente vor, wenn Sie mögen. Ja, wenn man aber behauptet, als erwachsener Mensch könne man nicht sinnvoll an die christliche Weltsicht glauben, und dann im nächsten Atemzug zugibt, man hat noch nie ein Buch dazu gelesen, halte ich das für nicht sehr „erwachsen“. Gerade wenn man sich so für „Überprüfbarkeit“ starkmacht. Im Zweifel hat man dann aber an der Überprüfung doch kein Interesse, sondern möchte nur seine Thesen loswerden… (Ich finde eher, als „erwachsener Mensch“ kann man das Gegenteil nicht glauben: dass alles aus dem Nichts aus Zufall entstanden sein soll; dass das unglaubliche Fine-Tuning Zufall sein soll (siehe dazu die DVDs „Dem Geheimnis des Lebens nahe“ und „Der Privilegierte Planet“); dass Leben aus… Weiterlesen »

Felix
10 Jahre zuvor

@Ron: Vielen Dank erst einmal für Ihre ausführliche und in weiten Teilen treffende Rekonstruktion wesentlicher Thesen Butlers. Dadurch können wir hier eine inhaltliche Diskussion führen. Bei zwei Punkten haben Sie aber in der Tat etwas falsch verstanden: 1) Und zwar behauptet Butler mitnichten, dass die binäre Unterscheidung vom „Mann“ erfunden wurde, denn das würde ja gerade ein Kollektivsubjekt („die Männer“) voraussetzen, das der Geschlechterordnung vorausgeht und diese anschließend konstruiert. Wie Sie ja aber richtig feststellten, geht es ihr ja gerade darum, das Subjekt hinter den Handlungen aufzugeben, also geschlechtliche Identität als gesellschaftlich hergestellte Identitätskategorie herauszuarbeiten, anstatt Sie als natürlich und immer schon gegeben vorauszusetzen. Dementsprechend kann Butler zufolge der „Mann“ da auch nichts erfunden haben. 2) Wenn Sie formulieren, dass es Butlers Ansicht nach „Aufgabe der Politik“ sei, das binärgeschlechtliche Sprechen zu subversieren, dann hört sich das so an, als meinte Butler damit die staatliche Politik bzw. die Politiker, die sich darum kümmern sollten. Davon ist natürlich nie die Rede.… Weiterlesen »

Felix
10 Jahre zuvor

@ Roderich: Mir wäre es tatsächlich lieber, weiter zu Siezen, aber vielen Dank für Ihr Angebot. Ich glaube, für das weitergehende Diskussionsklima ist das besser. Sie vertreten also eine kreationistische Weltauffassung, die meines Wissens nach kein seriöser Wissenschaftler vertritt. Selbst der vorherige Papst hat die Urknall- und Evolutionstheorie nicht angezweifelt, indem er zurecht behauptete, dass diese einer reduzierten christlichen Auffassung nicht notwendig widerspricht. Selbstverständlich, ein Gott könnte den Urknall ausgelöst haben.

(http://www.welt.de/politik/article1057226/Benedikt-XVI-glaubt-an-die-Evolution.html)

Meines Wissens nach behauptet der gesamte Neue Atheismus (mit Ausnahme Steven Hawkins), dass diese Möglichkeit (Gott als erste Ursache) besteht. Wohingegen der gesamte Neue Atheismus sich allerdings in der Tat geschlossen wendet, ist die von Ihnen vertretene kreationistische Theorie und damit ist er auf Seiten des Papstes. Die Wissenschaft hat also nicht Gott begraben, sondern den Kreationismus.

Viele Grüße,
Felix

Markus
10 Jahre zuvor

Lieber Felix, letztlich ist es allein Ihre Sache, aber mein dringlicher Rat ist, sich mit der Frage, ob Gott existiert, sehr gründlich zu beschäftigen. Ich habe das getan und bin gerade dabei, ein Buch darüber zu schreiben. Deshalb skizziere ich nur kurz, von was ich mich selbst argumentativ überzeugt habe. Eine naturalistische Erklärung von Bewusstsein und Intentionalität ist nach über 100 Jahren ernsthaften Versuchens gescheitert. Ich meine, zudem einen Beweis entwickelt zu haben, der zeigt, dass eine naturalistische Erklärung prinzipiell unmöglich ist. Eine Erklärung, warum die Naturgesetze und –konstanten genau so sind, dass eine komplexe Chemie und Leben möglich sind, ist naturalistisch nicht möglich. Das Universum weist überdies eine unvorstellbar hohe Ordnung (reziproke Entropie) auf. Größenordnung 10 hoch 10 hoch hundert. Eine wirklich verbindliche, gültige (man kann auch sagen „objektive“) Moral kann ohne die Existenz Gottes nicht existieren. Sind Personen bzw. Subjekte in der Welt nicht grundlegend (sondern ein Produkt der Materie bzw. einer unpersönlichen Substanz) kann es keine Willensfreiheit… Weiterlesen »

Roderich
10 Jahre zuvor

@Felix,
noch eine Ergänzung:

Ich halte eher die dogmatische (gnostisch-theistische) Haltung der Kirchenvertreter „Es gibt einen Gott!“ für anmaßend.

Der Begriff „gnostisch“ hat doch mit einer gewissen inneren Sicherheit dass es Gott gibt und dass man Gottes Kind ist, nichts zu tun. Ich bitte also darum, nicht unreflektiert mit „Kraftausdrücken“ um sich zu werfen.

Sonst wären Paulus und die Thessalonicher ja „gnostisch“, denn Paulus schrieb da in 1. Thess 1,4-5:

Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid, denn unsere Predigt des Evangeliums kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem heiligen Geist und in großer Gewissheit.

Aber nichts ist abwegiger, denn Paulus als „Gnostiker“ zu bezeichnen.

Markus
10 Jahre zuvor

Lieber Ron, Der Psychologie Gustave Le Bon (ca. 1910) schrieb einmal die bemerkenswerten Zeilen: „Die reine, einfache Behauptung ohne Begründung und ohne jeden Beweis ist ein sicheres Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen. […] Das Wiederholte befestigt sich so sehr in den Köpfen, dass es schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen wird.“ Gerade irrationale, unscharf gehaltene Ideen, gehüllt in interessant und mystisch klingenden Worte, so Le Bon sinngemäß, nötigten den Menschen, den „Gebildeten“ wie den „Ungebildeten“, Ehrfurcht ab. Genaue Begriffsdefinitionen, stringente Argumentationen usw. ließen sie kalt. Ich fürchte, Le Bon hat hier Recht. Das ist dann auch ein Schlüsselaspekt der Durchsetzung von Butlers Ideen. Es ist ein völlig (und ganz wörtlich) „irrationaler“ – also auf Klarheit, Definition, Begründung, (rationalen) Diskurs wohl ganz bewusst verzichtender Ansatz. Die Begründungspflichten, die mit ihren Aussagen – vor allem wenn sie gesellschaftlich relevant werden sollen – eigentlich eingehen, werden nicht im Ansatz erfüllt – was ja auch gar nicht angestrebt wird. Wichtig ist m.E.… Weiterlesen »

Markus
10 Jahre zuvor

Lieber Felix,
Der Vergleich mit der Ufo-Sekte ist berechtigt, sorry. Er betrifft natürlich nicht die konkreten Inhalte, sondern den rationalen Gehalt solcher und ähnlicher (de-)konstruktivistischer Konzepte, die zu allem Überfluss noch normative Setzungen machen. Das ist ja der (manipulative) Trick.
Analog dazu: Sind Menschenwürde, Gerechtigkeit, Rationalität, Realität usw. auch Konstrukte? Manche Dekonstruktivisten behaupten das ja.
Sind Logik und Mathematik und stringente Beweisführung Konstrukte?
Vielleicht ist auch und gerade das Konzept des „Konstrukts“, wie es Butler et al. verwenden, ein Konstrukt. Was meinen Sie?

Apropos „intellektuelle Hilflosigkeit“. Biogenese? Kambrische Explosion? Hochkomplexe molekulare Maschinen? Bewusstsein? Entstehung der Sprache? Thomas Nagel oder Bradley Monton sind jüngste Beispiele atheistischer Philosophen, die in vielen Punkten dem „intelligent Design“ beipflichten.
Ich sehe also eine ganz ausgeprägte intellektuelle Hilflosigkeit – aber bei den Evolutionisten.

Gruß,
Markus

Markus
10 Jahre zuvor

liebe Leute, trotz allem wäre es interessant, eine Ontologie (so klar es eben geht) von Butlers Idee zu rekonstruieren. Nicht deshalb, weil sie Substanz hätte. Das sehe ich wie gesagt nicht. Aber wenn z.B. die Ideen von Ufo-Sekten politisch durchgesetzt werden sollten, wäre es sinnvoll, sich auch mit diesen Ideen zu beschäftigen. Hauptsächlich wäre gut herauszufinden, was Butlers Meinung nach Konstrukt ist und was nicht (also Realkategorie). Sie redet doch von so etwas wie Unterdrückung/Missbrauch? Hier, und wo sie etwas kritisiert, geändert haben will oder was fordet, muß sie das ja auf Grundlage irgendeines normativen Prinzips (für sie also einer Realkategorie) machen. Spätestens das wird ja nicht mehr der Dekonstruktion unterworfen. Warum? Letztlich scheint mir das völlig beliebig zu sein, was dekonstruiert wird und was nicht. Im Grunde funktionieren alle Ideologien so. Die Nazis oder Kommunisten haben das „dekonstruiert“, was ihnen passte, und sie haben das belassen oder sogar verabsolutiert, was ihnen passte. Die einzige Frage ist – im Rahmen… Weiterlesen »

Felix
10 Jahre zuvor

Lieber Ron,

halten Sie es nicht für notwendig, hier mal zu intervenieren, oder halten Sie den HITLER- und ENDLÖSUNGS-Vergleich (!!!???!!!) von Markus etwa für einen legitimen Standpunkt, den man unkommentiert so stehen lassen kann?

Mir fehlen fast die Worte.
Felix

Felix
10 Jahre zuvor

@Ron. Sie scheinen über ein extrem vereinfachtes Gut-Böse-Weltbild zu verfügen, wenn Sie Butler-Hitler-Vergleiche versuchen als irgendwie noch haltbar zu reformulieren. Ich halte das für die unterste Schublade, für eine Diffamierung Butlers, die nicht tolerierbar ist. Nicht zuletzt werfen Sie dadurch auch ein extrem dunkles Licht auf die Religion, die Sie hier repräsentieren. Nun gut, das hier wird mein letzter Beitrag. Mir ist die Lust vergangen, mich mit Leuten wie Ihnen zu unterhalten. Ein paar Sachen möchte ich dennoch noch loswerden: 1) Inhaltlich zu Butlers Theorie: Es geht ihr nicht darum, in einem repressiven, gar staatlich durchgeführten Zug die Zweigeschlechtlichkeit abzuschaffen. Ihr geht es darum, vermeintlich universelle Ordnungen als historisch- und kulturell variabel zu explizieren, um auf deren Schattenseiten aufmerksam zu machen. Dass in diesem Zuge Identitäten als „verflüssigt“ ausgewiesen werden, hätten wir problematisieren können. Denn dadurch erklärt sie Identität zum konstitutiv-offenen Projekt und das hat seinerseits problematische Konsequenzen: a) Verlust lebensweltlicher Ordnung b) Überforderung im Zwang der Selbstverwirklichung. Wir hätten… Weiterlesen »

Markus
10 Jahre zuvor

@Felix, „Entrüstung“ anstelle von Argumentation. Wollen Sie gar nicht argumentieren? Geht es Ihnen gar nicht um das objektiv Richtige und Wahre? Wollen Sie nur anderen Ihre Meinung und Ihre Wertvorstellungen aufzwingen? So scheint es. Denn jetzt auf einmal setzen Sie plötzlich eine objektive Moral voraus und setzen sie absolut (und zwar eine, wie sie Ihnen genehm ist). Wie passt das in Ihr Weltbild? Und gestehen Sie das anderen auch zu? Genauso massiv und zum Beispiel in Bezug auf Sexualethik? Wie es aussieht nicht. Sind Sie Gott? Sind Sie es, der festlegt, was gut und böse ist? Und auf Positionen, die von Ihren Wertvorstellungen abweichen, reagieren Sie auf diese Weise? Ist nur der Nationalsozialismus böse? Und die heutigen Ideologien per definitionem neutral oder gut? Der Marxismus mit seinen historischen Folgen? Der Feminismus und die Millionen abgetriebener Kinder? Sind Kinder wirklich Parasiten, wie das manche Feministinnen sagen? Und die Relativierung oder gar Zerstörung von Ehe und Familie? Zerstörte Kinderseelen? Sowohl Ehe (von… Weiterlesen »

Roderich
10 Jahre zuvor

@Felix,
ja, so kann man sich auch vor den Argumenten drücken… man spielt Entrüstung über eine Nebensache und ignoriert alle inhaltlichen Aspekte.

Markus
10 Jahre zuvor

@Felix
ich empfehle Ihnen dringend, Ihre vermutlich starken Gefühle zu überwinden, und sich mit diesen existenziell wichtigen Dingen wirklich unvoreingenommen, sauber argumentativ auseinanderzusetzen. Bislang waren Sie, lieber Felix, immun gegenüber Argumenten und Indizien. Ich habe mehrfach ausgeführt, dass und wie die Existenz Gottes überprüft werden kann. Überlesen Sie das? Verdrängen Sie das? Ich kann Ihre Haltung hier einfach nicht nachvollziehen. Die Realität ist so wie sie ist. Sie ist nicht so, wie Sie sich das wünschen.
Und ob es eine Hölle gibt, prüfen wir alle empirisch. Auch Sie.

Markus

Roderich
10 Jahre zuvor

Dovid Gottlieb zeigt am Beispiel der Seele exemplarisch, dass es gute Evidenzen dafür gibt. Wenn es eine Seele gibt, kann der Materialismus aber nicht wahr sein.
http://www.dovidgottlieb.com/lectures/evidence_for_the_soul.htm

Schandor
10 Jahre zuvor

Selbst Chalmers? Ich dachte, der sei Eigenschaftsdualist …

Übrigens müssen wir auf unseren Sprachgebrauch achten: Du hast keine Seele, du bist eine Seele und hast einen Körper.

🙂

Markus
10 Jahre zuvor

Liebe Leute,
die Behauptung, die Existenz Gottes sei nicht mit guten, objektiv nachvollziehbaren Gründen zu belegen, ist Teil des postmodernen, amoralistischen Kulturkampfes. Eine rationale Theologie ist das letzte, was seine Protagonisten brauchen können.

Ist es wirklich anzunehmen, dass eine Welt, die aus nichts als einer
blinden, intelligenzlosen Substanz herstammt, auch nur annähernd
ähnliche Merkmale hat wie eine Welt, die von einem unendlich
intelligenten, rationalen und mächtigen Wesen herstammt? Nehmt mal ein
Buch aus Eurem Schrank. Kann man wirklich nichts darüber sagen, ob die
Buchstaben zufällig angeordnet sind oder ob sich jemand was dabei
gedacht hat?

Wir können die Wahrheit der Existenz Gottes ungefähr so gut oder schlecht belegen, wie die Quantenmechanik oder das Gravitationsgesetz. Freue mich auf eine Debatte in diesem Punkt!

Markus

Schandor
10 Jahre zuvor

Es wird immer auf dasselbe hinauslaufen, wie man es auch dreht und wendet:

Gottes Zorn ergeht vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten, weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist, da Gott es ihnen offenbar gemacht hat; denn sein unsichtbares Wesen, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit Erschaffung der Welt an den Werken durch Nachdenken wahrgenommen, so daß sie keine Entschuldigung haben.

Der Mensch hat kein erkenntnistheoretisches, sondern ein moralisches Problem. Sein Wesen ist verdreht, so zwar, dass es den Versuch der Korrektur als ein Infragestellen desselben wahrnimmt und die Wahrheit sofort unterdrücken muss.

7 Jahre zuvor

[…] haben hier schon mehrfach über die Bedeutung von „Gender Mainstreaming“ diskutiert (z.B. hier). Ich empfehle an dieser Stelle ein Büchlein, dass Volker Zastrow vor 11 Jahren herausgebracht […]

5 Jahre zuvor

[…] vermittelt wird (wir haben im Blog schon viel darüber diskutiert, siehe etwa hier und hier), ist kaum darüber reflektiert worden, dass sich die Philosophin von liberalen und linken […]

5 Jahre zuvor

[…] Verschwiegen wird, dass das Konzept von Judith Butler eben tatsächlich nur zusammengeschrieben (und nicht bewiesen) wurde. Gerade unter den harten Wissenschaften ist ihre These (von Theorie sollte man noch gar nicht sprechen)  äußerst umstritten, so dass manche von „unwissenschaftlicher Ideologie“ oder „universitärer Pseudowissenschaft“ sprechen. Ein Beispiel. Das biologische Geschlecht wird laut Butler durch „doing Gender“, also durch alltägliche sprachliche und kulturelle Interaktionen, hergestellt. Wir dürfen fragen: Wie entstanden denn die biologischen Geschlechter, ohne die es keine Fortpflanzung gibt, in der Tierwelt? Solche und ähnliche Fragen haben wir hier ja schon vor Jahren diskutiert (vgl. z.B. hier). […]

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