Expressiver Individualismus ist nach Carl Trueman die Überzeugung, dass das wahre Selbst im Inneren eines Menschen liegt und dass Authentizität darin besteht, dieses innere Selbst nach außen auszudrücken – unabhängig von äußeren Normen, Traditionen oder Autoritäten. Moralische Kategorien wie „gut“ oder „schlecht“ verschieben sich: Schlecht ist, was innere Selbstverwirklichung behindert. Gut ist, was Selbstverwirklichung ermöglicht.
In der FAZ ist ein gutes Beispiel für den expressiven Individualismus zu finden. Die Autorin Stefanie de Velasco beschreibt dort, warum es für sie besser ist, „kinderfrei“ zu leben. Hier ein Auszug:
Ein Leben lang hatte ich penibel verhütet, auch deswegen bemerkte ich es erst spät: Plötzlich war ich schwanger. Es war ein unangenehmes, surreales Gefühl, ich musste die ganze Zeit an die schmelzenden Uhren von Dalí denken. Den Test machte ich auf einem Klo in der Staatsbibliothek, wo ich gerade meine Magisterarbeit schrieb.
Nach der Abtreibung war ich erleichtert wie selten zuvor. Hieß das, ich will nicht Mutter werden? Keine Ahnung. Das Leben meiner Freundinnen mit Kindern wollte ich jedenfalls nicht. Mir kam es vor, als ob einige mit der Geburt ihrer Kinder in eine Art Mutterland gezogen seien, aus dem sie nicht mehr ausreisen konnten. Wenn ich sie mal sah, wirkten sie überfordert. In den Beziehungen kriselte es, sie hatten keinen Sex mehr. Ihre Kinder bereiteten ihnen zwar großes Glück, aber viele ihrer eigenen Wünsche verpufften mit ihnen.
Es war, als wäre ich aus einem seltsamen Traum erwacht. Vor meiner Abtreibung war ich von vielen gewarnt worden – egal ob auf Websites, in der Schwangerschaftskonfliktberatung oder von meiner Therapeutin: Ich würde „es“ bereuen, in Depressionen und Schuldgefühle verfallen. Immer, immer würde ich an das Ungeborene denken, traurig seine Geburtstage zählen.
All das ist nie eingetreten. Ich fühle mich jeden Tag aufs Neue in meiner Entscheidung bestätigt: Ein Leben ohne Kinder ist besser – für mich. Auch wenn es diesen klaren Moment, in dem ich wusste, ich will Kinder oder nicht, nie gab. Wie auch? Gewollt/ungewollt kinderlos – was sind das für lächerliche Kategorien? Reproduktive Biographien sind zu komplex, um sie in diese beiden Schubladen zwängen zu können.
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Aus meiner Sicht ist Frau de Velasco völlig frei darin, sich ohne Kinder frei und wohl zu fühlen. Wer sollte ihr ein solches Lebensglück auch verwehren wollen? Für diese ihre wohltuende Erkenntnis hat sie das Leben ihres Kinders geopfert. Ein hoher Preis. Frau de Velasco hat jetzt ein schönes Leben. Ihr Kind wurde dafür von ihr umgebracht. Ich bete für sie, dass sie sich noch besinnt, trauert, umkehrt und den lebendigen Gott um Vergebung bittet.
Ich bete für sie, dass sie sich noch besinnt, trauert, umkehrt und den lebendigen Gott um Vergebung bittet. Oder sie wurde bereits für die ewige Verdammnis vorherbestimmt. Auch diese Betrachtungsweise ist in bestimmten Konfessionen problemlos möglich. Wenn sich die Christenheit da mal einig wäre… Daneben gäbe es noch die eschatologische Perspektive, dass der letztmögliche Zeitpunkt der Umkehr bedauerlicherweise bereits verstrichen sein kann und noch Lebenden nur noch Zeugen des Abfahrens der letzten Stationen des Heilsfahrplans (für die jeweilige Nation) werden dürfen. Das entspricht natürlich nicht der populären großkirchlichen Lehre des allversöhnlichen Gottes, der sich am Ende natürlich auch noch mit allen nichtchristlichen Religionsgemeinschaften versöhnt. Aber genau solche Lehrer kündigt das Buch Offenbarung eben auch an. Gesamtgesellschaftlich betrachtet ist nur noch ein Drittel der Bevölkerung christlich-abendländisch geprägt – wobei Kirchenmitgliedschaft dazu weitgehend orthogonal verläuft. Die zwei anderen Drittel sind bereits säkular, wobei die jüngere Drittel einer anderen Religion eher freundlich gestimmt ist, das ältere eher feindlich. Daran wird sich auch nichts… Weiterlesen »
@Jan Malcolm Ist nicht böse gemeint, aber deine Perspektive ist hier schon mehrfach klar geworden. Es ist völlig okay, wenn du dich nicht jedes Mal erneut erklärst 😉
Meine Meinung ist:
Leider missachtet Frau de Velasco die Schöpfungsordnung.
https://americanreformer.org/2024/07/the-impotence-of-secular-conservatism/
Wenn die Gründerväter von der Natur und dem Gott der Natur sprachen, wenn sie behaupteten, wir seien „von unserem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet“, dann ist das eine Sprache, die nicht bloß schmückend oder illustrativ ist, sondern einen Wahrheitsanspruch erhebt. Diese Sprache knüpft an das an, was in der lutherischen Tradition explizit als Schöpfungsordnung bezeichnet wird, und ich freue mich, sagen zu können, dass dahinter die Bestätigung dessen steht, was man mit Recht als Naturrecht bezeichnen könnte. Es handelt sich um eine geschaffene Ordnung. Es ist eine offenbarte Ordnung, und es ist eine Ordnung. Hinter dieser Ordnung steht der Gott der Bibel, der Gott der Genesis. Hinter der Schöpfungsordnung steht der Schöpfer. Hinter dem Naturrecht steht der übernatürliche Gesetzgeber.