Katholische Kirche

Gewisser Spielraum

Wie soll die Kirche mit gleichgeschlechtlichen Paaren umgehen? Kardinal Reinhard Marx hat in einem Radiointerview mit BR5 eine Antwort gegeben, die in der weltweiten Katholischen Kirche für viele Diskussionen sorgen dürfte. DOMRADIO meldet:

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx sieht in Einzelfällen Spielraum bei der Segnung homosexueller Paare. Neue Lebensumstände und neue Erkenntnisse stellten die Kirche vor Herausforderungen, sagte der Erzbischof von München und Freising am Samstag im „Interview der Woche“ des Bayerischen Rundfunks (BR 5).

Es folgt ein Plädoyer für die Situationsethik:

Er betonte allerdings, dass jeder Einzelfall in den Kirchen vor Ort entschieden werden müsse – eine generelle Freigabe für eine kirchliche Segnung homosexueller Paare lehnt er weiterhin ab. „Es gibt keine generellen Lösungen, das halte ich nicht für richtig, weil es hier um Seelsorge für Einzelfälle geht“, sagte Marx dazu.

Hier die Meldung: www.domradio.de. Siehe auch die Meldung von katholisch.de.

„Wenn doch Franziskus nur Luther wäre!“

Gemäß mehrerer Pressemeldungen soll Papst Franziskus einem inzwischen homosexuell lebenden Missbrauchsopfer in einem persönlichen Gespräch gesagt haben:

Gott machte dich so und er er liebt dich so. Der Papst liebt dich so und du solltest dich selbst lieben und dich nicht sorgen, was die Leute sagen.

Das Treffen zwischen dem Mann und Papst Franziskus fand auf dem Hintergrund des Missbrauchsskandals statt, der die Kirche in Chile erschüttert. Missbrauchsfälle des früheren Priesterausbilders Fernando Karadima sollen über Jahre hinweg von der Kirche gedeckt worden sein.

Falls das Papst-Zitat authentisch ist, signalisierte es eine klare Abkehr von der bisherigen römisch-katholischen Moraltheologie, nach der Homosexualität als gegen den Willen Gottes gerichtet gilt. Ich würde den Vorfall allerdings nicht überbewerten. Der aktuelle Papst sympathisiert nicht nur mit Formen der Situationsethik, sondern sagt hin und wieder etwas, was ihm so rausrutscht und später richtiggestellt wird. Das muss nicht gleich bedeuten, dass die kirchliche Lehre „kippt“.

Spannender finde ich den Artikel „Wenn doch Franziskus nur Luther wäre!“, den Carl Trueman für FIRST THINGS geschrieben hat. Trueman nimmt Wim Wenders Dokumentarfilm über Franziskus zum Anlass, um über sein Verhältnis zu Luther zu schreiben. Dem Papst wurde mehrfach nachgesagt, er sympathisiere mit Luther. Die Zeitschrift L’Espresso hatte kürzlich sogar die Vermutung ausgesprochen, Franziskus verfolge den Plan, dem Katholizismus ein neues Profil zu geben. Dabei greife er den Ansatz der ‚Dekonfessionalisierung‘, wie ihn Walter Kasper vertritt, dankbar auf.

Trueman verbindet Franziskus hingegen weniger mit Luther als mit Erasmus:

Der Papst hat eine klare Vorliebe für die Armen. Er hat seine Besorgnis über die Ausgegrenzten und Entrechteten zum Ausdruck gebracht. Seine Offenheit gegenüber denjenigen, die die bürgerliche Gesellschaft als Außenseiter betrachtet, ist offensichtlich. Diese Einstellungen sind es, die sein Papsttum faszinierend und attraktiv machen. „Bete und tue Gutes“ scheint eine gute Zusammenfassung seiner Annäherung an den christlichen Glauben zu sein. Aber in theologischen und dogmatischen Fragen scheint Franziskus an den feinen Unterschieden und klaren Behauptungen, die das traditionelle katholische Denken kennzeichnen, nicht besonders interessiert zu sein. Die Unbestimmtheit seiner Herangehensweise an die kirchliche Lehre von der Scheidung scheint ein Beispiel dafür zu sein. Das Dogma mag für ihn wichtig sein, aber wahrscheinlich nicht so wichtig wie die Liebe – und das ist natürlich ein etwas nebulöser Begriff, wenn man sich vom Dogma löst.

In der Sprache des presbyterianischen Theologen J. Gresham Machen: Christliche Orthodoxie und christlicher Liberalismus sind nicht zwei Formen der einen Religion. Das eine ist das Christentum, das andere nicht. Machen betrachtete den orthodoxen römischen Katholizismus als Christentum, wenn auch eine sehr unvollkommene Form davon, während er den liberalen Presbyterianismus als Heidentum betrachtete. Der eine behauptet die übernatürliche Natur des Glaubens, die in der Geschichte begründet ist und sich nun in lehrmäßigen Behauptungen manifestiert; der andere sieht den Glauben als eine psychologische oder praktische Sache.

Deshalb sollten sich orthodoxe Katholiken weniger um die Ähnlichkeit des gegenwärtigen Papstes mit Luther als vielmehr um seine Ähnlichkeit mit Erasmus sorgen. Den Inhalt bestimmter Dogmen zu diskutieren, ist eine Sache; die Bedeutung von Dogmen im Allgemeinen zu diskutieren, ist eine ganz andere. Im ersten Fall besteht die Hoffnung, dass sich die Wahrheit durchsetzt; im zweiten Fall besteht die Gefahr, dass die Wahrheit irrelevant wird. Und ein Christentum, für das die dogmatische Wahrheit irrelevant ist, ist nicht das Christentum, auch nicht im abgeschwächtesten Sinne des Wortes.

Hier der vollständige Text, leider nur in Englisch: www.firstthings.com.

 

Konfessionsverschiedene Ehen und die Eucharistie

Die Deutsche Bischofskonferenz hat auf der Frühjahrs-Vollversammlung 2018 beschlossen, in Einzelfällen konfessionsverschiedene Ehepaare zur Eucharistie zuzulassen. Im Abschlussbericht heißt es dazu:

Erneut haben wir uns mit dem Thema „Konfessionsverschiedene Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie“ befasst. Hintergrund ist der hohe Anteil konfessionsverschiedener bzw. konfessionsverbindender Ehen und Familien in Deutschland, bei denen wir eine herausfordernde und dringende pastorale Aufgabe erkennen. In den vergangenen Monaten haben die Ökumenekommission und die Glaubenskommission an einem Dokument gearbeitet, das sich – anknüpfend an die weltkirchlichen und kirchenamtlichen Bezugstexte der vergangenen Jahrzehnte bis hin zu Amoris laetitia – als Hilfestellung versteht, um im seelsorglichen Gespräch die konkrete Situation anzuschauen und zu einer verantwortbaren Entscheidung über die Möglichkeit des Kommunionempfangs des nichtkatholischen Partners zu kommen. Deshalb sind die Personen, an die sich das Dokument richtet, zuallererst die Seelsorger: Ihnen geben wir eine Orientierung für die seelsorgliche Begleitung von konfessionsverschiedenen Ehepaaren, die für sich klären wollen, ob eine gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie in der katholischen Kirche möglich ist.

Im nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia („die Freude der Liebe“) hat Papst Franziskus im achten Kapitel eine Bemerkung hinterlassen, die zu vielen Diskussionen geführt hat. Er schreibt (AL 305):

Aufgrund der Bedingtheiten oder mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde – die nicht subjektiv schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist – in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt.

Die Bischofskonferenz nimmt das situationsethische Verständnis dieser Aussage auf und erklärt, dass in Einzelfällen ein schwerwiegendes geistliches Bedürfnis rechtfertigen kann, den evangelischen Ehepartner eines Katholiken zum Tisch des Herrn zuzulassen.

Meines Erachtens wird an dieser Entscheidung deutlich, dass die Betonung des Gewissens und der Subjektivität die eigentlichen Beschwernisse nicht beseitigt, sondern nur verschleiert.

Was meine ich damit? Nun, wenn man die Erklärung genau liest, wird deutlich, dass die Vertreter der Bischofskonferenz davon ausgehen, dass Teilnehmer an der Eucharistiefeier den katholischen Glauben teilen. Der evangelische Ehepartner darf nämlich nur dann zum Tisch des Herrn, „wenn er den katholischen Eucharistieglauben bejaht“. Die Eucharistie ist für die Katholische Kirche der Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens. Im Katechismus heißt es entsprechend: „Die heiligste Eucharistie enthält ja das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, das Osterlamm“ (KKK 1324).

Aus katholischer Sicht ist diese Erwartungshaltung, also die Bejahung des katholischen Glaubens, allzu verständlich. Die gemeinsame Feier des Heiligen Mahles setzt ja die Gemeinschaft im Glauben voraus. Aber die theologischen und geistlichen Probleme werden so nicht gelöst. Hinter einer vermeintlich auf Gemeinschaft und Versöhnung abzielenden Praxis verbirgt sich das Einverständnis mit dem katholischen Abendmahlsverständnis. Der Priester, der die Hostie reicht, darf beim Empfänger etwa die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi, den Opfercharakter oder auch die Einbeziehung der in Christus Gestorbenen während der Messe („Wir opfern den für unsere Sünden hingeopferten Christus. Dadurch versöhnen wir den menschenfreundlichen Gott mit ihnen [also den Verstorbenen] und mit uns“ (Cyrill von Jerusalem, catech. myt. 5,10 zitiert aus KKK 1371)) voraussetzen.

Zeit für eine Wurzelbehandlung.

Kardinal Marx stellt Segnung homosexueller Paare in Aussicht

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hatte eine Diskussion in der katholischen Kirche darüber gefordert, ob Pfarrer künftig gleichgeschlechtliche Paare segnen sollten. Die kirchenkritische Laieninitiative „Wir sind Kirche“ und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sprechen sich schon länger für solche Segnungen aus. „Wenn Autos und wer weiß noch alles gesegnet werden, darf die Kirche gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen nicht verweigern“, sagte deren Sprecher Christian Weisner. Und: „Ich denke, dass es zum Glück auch Priester gibt, die gleichgeschlechtliche Paare zumindest im kleinen Kreis und ohne mediale Aufmerksamkeit segnen. Und das ist gut so.“

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, gibt solchen Forderungen inzwischen nach und hat die Segnung homosexueller Paare im Einzelfall in Aussicht gestellt. Man müsse dazu ermutigen, „dass die Priester und Seelsorger den Menschen in den konkreten Situationen auch einen Zuspruch geben“, sagte Marx auf eine entsprechende Frage in einem am Samstag ausgestrahlten Interview des Radiosenders B5 aktuell.

Der katholische Philosoph Robert Spaemann wies 2016 darauf hin, dass Papst Franziskus mit seinem postsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“ eine Situationsethik gestärkt habe, die eine einflussreiche Strömungen innerhalb der jesuitischen Moraltheologie schon seit dem 17. Jahrhundert vertrete.

Mehr: www.faz.net.

Mehr & Mehr

Mitreißend, faszinierend, evangelistisch, bibeltreu, wunderbar! Das haben einige liebe Freunde über die MEHR-Konferenz 2018 gesagt oder geschrieben. Wirklich?

So einfach ist das alles nicht. Ich habe mehrmals in die Konferenz hineingehört. Ich habe viel Gutes gehört. Oft war es klarer als alles, was ich in den letzten Jahren aus dem Raum der evangelischen Eliten gehört habe. MEHR noch: Es war klarer, als vieles, was ich in letzter Zeit innerhalb der Evangelikalen Bewegung vernommen habe. Denken wir nur an: „Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch!“ Danke.

So war das.

Aber ist es biblisch und evangelisch (dem Evangelium gemäß)? Machen wir es uns nicht zu einfach. Meiden wir pragmatische und gefühlige Abkürzungen! Klärungen sind oft anstrengend und schmerzhaft. Ohne sie gibt es aber kein nachhaltiges und gedeihliches Wachstum.

Gott mutet uns Wahrheit zu, weil sie es ist, die zum Leben führt. Die Wahrheit enthält keine doppelten Böden. Sie muss die Grundlage unserer Leidenschaft sein. Um sie muss es gehen, wenn wir über Vergebung, Rechtfertigung, ewiges Leben, Kirche oder Mission sprechen.

Ich empfehle, dem Gottesdienst vom 7. Januar genau zu lauschen:

P.S. Lieber Johannes! Falls Du das liest, dann nimm mir bitte ab, dass das nicht einfach so dahingesagt ist. Mir geht es nicht um schnelle und billige Nörgelei. Es geht um mehr, um die Wahrheit und Schönheit des Evangeliums.

Digitalisierung der Vatikanbibliothek

Es ist ein historisches Projekt. Den Abschluss der Digitalisierung der Vatikanische Bibliothek werden wir wahrscheinlich nicht mehr erleben, da es bei bisheriger Taktung noch mehr als 100 Jahre dauern würde, sämtliche Dokumente ins Internet zu bringen. Schade, dass ausgerechnet dem Vatican das Geld dafür fehlt, die Frequenz zu erhöhen. Da kommen sicher noch Schätze und Überraschungen ans Licht.

Das Unterfangen, die Apostolische Bibliothek des Vatikans zu digitalisieren, wird die spektakulärste Sammlung alter Bücher der Welt zugänglich machen. Die 1451 gegründete Bibliothek des Papstes hütet Schätze wie die als Vatikanischer Vergil bekannte 1600 Jahre alte Kopie der „Aeneis“ oder das älteste gebundene Heft des Lukas-Evangeliums sowie Seiten von Dantes Göttlicher Komödie, illustriert von Botticelli. Seit einigen Jahren laufen verschiedene Modernisierungsprojekte für die ehrwürdige Bibliothek, darunter eine Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg.

Der 53-Jährige koordiniert das Team, das die Wälzer Seite für Seite scannen und online der Welt zugänglich machen soll. 50 Leute, darunter Experten aus Japan, arbeiten an dem Projekt, das NTT selbst mit 18 Millionen Euro finanziert. „Wenn Geld keine Rolle spielen würde, könnten wir den Einsatz spielend auf das Fünffache ausweiten“, erzählt Massari. „Aber darüber hinaus würden wir wahrscheinlich nicht genug Experten mit den passenden Fähigkeiten finden.“

Vatikan-Archivare legen fest, welche Dokumente zuerst kommen und welche von der Digitalisierung ausgenommen werden, weil selbst das Öffnen die brüchigen Stücke zerstören könnte. Dann präparieren Restauratoren die Handschrift für den Scan im Labor. Der Scan selbst benötigt zwischen 60 bis 90 Sekunden pro Seite. Danach prüft laut Massari ein Tutor, ob die Details stimmen: Ist die Farbwiedergabe gut? Sind Seiten falsch herum oder gar vergessen worden? Sind alle Randnotizen, die Gelehrte vor Hunderten von Jahren hinterließen, abgebildet? Bei diesem Aufwand kann die Digitalisierung eines Manuskriptes eine Woche in Anspruch nehmen. Oder einen Monat.

Nach einer erneuten Prüfung durch Restauratoren wandert das Original anschließend zurück ins Archiv – idealerweise für immer. Wenn die Online-Bilder eine Top-Qualität lieferten, gebe es „nahezu null Bedarf“, die sensiblen Werke je wieder anzufassen, sagt Massari. Ein enormer Gewinn für Wissenschaftler weltweit – und auch für interessierte Laien, sofern sie denn mit handschriftlichem mittelalterlichen Latein oder Griechisch etwas anfangen können.

Mehr: www.n-tv.de.

„Seht, da ist der Mensch!“ dekonstruiert

Mit „ecce homo“ benennt nach dem Johannesevangelium der römische Statthalter Pontius Pilatus den gefolterten und mit einer Dornenkrone gekrönten Jesus, weil er keinen Grund für dessen Verurteilung sieht (vgl. Joh 19,5, wo „ecce homo“ in Luther 1984 mit „Sehet, welch ein Mensch“ übersetzt wird).

Christian Geyer weist uns als Beobachter des Katholischen Kirchentages darauf hin, dass das „ecco homo“ gern schon mal „zweckentfremdet“ wird. Gemeint ist dann eben nicht mehr der Mensch „Jesus Christus“ im Kontext der Passionsgeschichte, sondern die Lebenswirklichkeit des Menschen in der Gesellschaft. Ein hermeneutischer Schachzug, von dem nicht nur Kardinal Marx beim Leipziger Abschlussgottesdienst Gebrauch gemacht hat. Er ist geradezu symptomatisch für Kirchen, die nicht mehr von Gott her denken, sondern vom Menschen aus und auf den Menschen hin.

Geyer:

Von alldem unberührt legt Reinhard Kardinal Marx beim Leipziger Abschlussgottesdienst das Motto des Katholikentags „Seht, da ist der Mensch!“ in der angesagten inklusiven Lesart aus, nämlich eben gerade nicht im Kontext der Passionsgeschichte als Wort des Pilatus über Jesus Christus (das klassische „Ecce homo!“, wie es in die christliche Tradition und Kunstgeschichte einging), sondern im Sinne der normativen Kraft menschlicher „Lebenswirklichkeit“. Gibt sie nun dem „Ecce homo“ das Maß vor statt umgekehrt? Alles von dieser Lebenswirklichkeit müsse zu seinem Recht kommen, wenn es in die christliche Perspektive gerückt werde (Marx sagt wirklich „Perspektive“, wenn es um die Erlösung geht; Blickwinkel sind allemal inklusionstauglicher als die Bekehrungsaufrufe der alten Schule). Er weiß sich da mit seinem Papst einig, welcher unterstreiche, dass die „Suchbewegung“ Gottes „im Grunde inklusiv“ sei, was bedeute, „möglichst alle in die Perspektive der Hoffnung mitzunehmen“.

Kurzum gehe es darum, und hier schlägt der Kardinal einen nachgerade begehrlichen Ton an, „dass wir als Kirche in Deutschland unseren Weg so gehen, dass wir die Wirklichkeit des Menschen nicht aus dem Blick verlieren“. Statt um „kirchliche Identität“ solle man sich um „den Menschen“, um „die Erde“ sorgen. Aber tun das nicht auch Greenpeace et al.? Der Markenkern der Kirche wird unscharf, wenn sie ihre Marketingstrategen „Ecce homo“ mit „ja zur gesamten Wirklichkeit des Menschen“ übersetzen lässt.

Wie kommt, nebenbei gefragt, die Kirche darauf, dass sie umso attraktiver sei, je mehr „Nähe“ sie nicht nur zum Sünder, sondern neuerdings auch zu seiner Sünde demonstriert? So inklusiv, so schamlos paternalistisch möchte man sich um Himmels willen doch gar nicht verstanden wissen.

Sehr lesenswert: www.faz.net.

VD: JH

„Logik der Integration“

Der Sekretär der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, Guido Pozzo, diagnostizierte kürzlich eine klare Willensbekundung des Papstes, „den Weg zur vollen und dauerhaften kanonischen Anerkennung [der Piusbruderschaft] zu fördern.“ Christian Geyer kommentiert die hinter dem Vorgang stehende „Logik der Integration“ bissig:

Just zu den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils, die diese beiden Themen behandeln, verweigern die Piusbrüder bis heute ihre Zustimmung. Für Franziskus offenbar kein Grund, schwarz-weiß zu malen. Verwirklichen die Piusbrüder Europas Werte nicht „zumindest teilweise und analog“, wie man in Anlehnung an das antinormative Argumentationsmuster des jüngsten päpstlichen Schreibens „Amoris laetitia“ fragen könnte? Warum „kleinlich“ und „unerbittlich“ auf der Anerkennung von abstrakten Zivilisationsgesetzen bestehen, wenn die Piusbrüder nun einmal „nicht in der Lage sind, die objektiven Anforderungen des Gesetzes zu verstehen, zu schätzen oder ganz zu erfüllen“?

Entscheidend ist laut „Amoris laetitia“ die „Logik der Integration“, ohne dass diese Logik mit belastbaren Kriterien ausgestattet werden bräuchte: „Es geht darum, alle einzugliedern.“ Auf die Piusbrüder gewendet heißt das: Maßgeblich sind die guten Absichten und mildernden Umstände, unter denen das Meta-Lehramt der Bruderschaft zustande kam, nicht sein objektiver Gehalt. Wenn die Piusbrüder deshalb nach entsprechender Gewissensprüfung zu dem Ergebnis kommen, die Religionsfreiheit theologisch ablehnen zu müssen, dann sollen sie selbst entscheiden dürfen, wie katholisch das ist, welche Dokumente des Zweiten Vatikanums sie anerkennen möchten und welche lieber nicht.

Tatsächlich geht es auf dem Weg zur kirchenrechtlichen Anerkennung der Piusbrüder genau darum: Die wichtigen Texte zum Judentum und zur Religionsfreiheit sind, so wünscht es der Vatikan, in ihrer bloß relativen Normativität darzustellen, so dass von ihrer Anerkennung nicht länger die kanonische Anerkennung der Piusbrüder abhängen soll. Das Vorgehen entspricht präzise dem eklektischen, sich um den Zusammenhang der Lehre weiter nicht scherenden Stil des Papstes der „Barmherzigkeit“, welcher heute diese und morgen jene Regel – nein, nicht für unerheblich erklärt, aber sie so zur Anwendung bringt, dass sie für die Beurteilung einer „Situation“ (der Begriff hat unterm aktuellen Pontifikat beinahe schon Fetisch-Charakter) nicht länger den Ausschlag gibt, sondern als regulative Idee in den Hintergrund tritt.

Mehr: www.faz.net.

Robert Spaemann kritisiert „Amoris Laetitia“

Der katholische Philosoph Robert Spaemann kritisiert das päpstliche Schreiben „Amoris Laetitia“ (dt. Freude der Liebe) scharf und beschwört sogar die Gefahr einer Spaltung der Katholischen Kirche herauf. Wie schon zuvor Christian Geyer von der FAZ, beanstandet auch Spaemann die fehlende Klarheit. Zudem diagnostiziert er den Bruch mit der kirchlichen Lehrtradition und eine Öffnung zur Situationsethik.

Nach Nachrichtenagentur kath.net meldet:

Es sei jetzt schon eine „Verunsicherung und Verwirrung von den Bischofskonferenzen bis zum kleinen Pfarrer im Urwald“ abzusehen. „Nach den entsprechenden Textstellen von `amoris laetitia´ … (könnten) bei … nicht weiter definierten `mildernden Umständen´ nicht nur die Wiederverheiratet Geschiedenen, sondern alle, die in irgendeiner `irregulären Situation´ leben, ohne das Bemühen ihre sexuellen Verhaltensweisen hinter sich zu lassen, d.h. ohne Beichte und Umkehr, zur Beichte andrer Sünden und zur Kommunion zugelassen werden“. Bischöfe und Priester, die sich an die bisher geltende Sakramentenordnung hielten, könnten gar nicht erst ernannt oder unter Druck gesetzt werden. Durch mangelnde Eindeutigkeit im Bereich Glaube und Moral sei mit einem „Säkularisierungsschub und Rückgang der Priesterzahlen in weiten Teilen der Welt“ zu rechnen. Kardinälen, Bischöfen und Priestern empfiehlt Spaemann in ihrem „Zuständigkeitsbereich die katholische Sakramentenordnung aufrecht zu erhalten und sich öffentlich zu ihr zu bekennen“. „Falls der Papst nicht dazu bereit … (sei) Korrekturen vorzunehmen, … (bleibe) es einem späteren Pontifikat vorbehalten, die Dinge offiziell wieder ins Lot zu bringen“.

Mehr: kath.net.

Inklusionspastoral

Die FAZ bedenkt heute das päpstliche Schreiben „Amoris Laetitia“ (dt. Freude der Liebe), das bereits in einer deutschen Übersetzung hier eingesehen werden kann, gleich mit drei Beiträgen. Ich habe das nachsynodale Schreiben bisher nur grob überflogen und dabei viel Gutes gefunden. Erkennbar wird – freilich nicht überraschend – eine hohe Sicht von Ehe, Geschlechtlichkeit und Familie. Papst Franziskus warnt völlig zurecht vor dem Druck, den einige westliche Länder und Hilfsorganisationen in den Fragen der Ethik auf ärmeren Staaten ausüben (S. 222–223):

»Was die Pläne betrifft, die Verbindungen zwischen homosexuellen Personen der Ehe gleichzustellen, gibt es keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensge- meinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.« Es ist unannehmbar, » dass auf die Ortskirchen in dieser Frage Druck ausgeübt wird und dass die internationalen Organisationen Finanzhilfen für arme Länder von einer Einführung der „Ehe“ unter Personen des gleichen Geschlechts in ihrer Gesetzgebung abhängig machen«.

Wenn Franziskus jedoch der kalten oder leblosen Lehre bzw. Schreibtisch-Moral die barmherzige Liebe gegenüberstellt, dann handelt es sich um einen rhetorischen Schachzug. Christian Geyer schreibt zurecht: „Ist die Norm erst einmal als „kalt“ diffamiert, kann jede Berufung auf sie schnell als „kleinlich“ gelten. Kalt und kleinlich gehören denn auch zu den Suggestivbegriffen, mit denen das Dokument einen Reformgeist vorspiegelt, den es nicht einlöst“ (FAZ vom 09.04.2016, Nr. 83, S. 13).

Großartig ebenfalls, wie Geyer auf ein Grundsatzproblem einer alles umarmenden Inklusionspastoral hinweist (ebd.):

Mit dem Refrain „unterscheide!, unterscheide!, unterscheide!“ gerät die Unterscheidung der Tatbestandsmerkmale derart zu einem Supergebot …, dass nichts mehr zu urteilen übrig bleibt. Die Materie, die zu beurteilen wäre, hat sich schlichtweg in ihre Atome aufgelöst (ohnehin scheint „urteilen“ im päpstlichen Text mit ‚„verurteilen“ assoziationspsychologisch verbunden zu sein, was ja begrifflich von Haus aus gar nicht geboten ist).

Man mache nur einmal die Gegenprobe: Ist nach Lektüre des Schreibens irgendein „Fall“ denkbar, der nach gebotener pastoraler Unterscheidungsarbeit noch einer kirchlichen Exklusion zur Verfügung steht? Nein, jeder Fall ist eingemeindet. Zugespitzt gesagt: Der Atheist, der darauf Wert legt, Atheist zu sein, hat vor der kirchlichen Inklusionspastoral keine Chance, als Atheist draußen bleiben zu können. Ein Sünder, der sich seiner Verfehlungen wegen nicht imstande sieht, zur Kommunion zu gehen, aber auch die Beichte scheut und darob eine kirchliche Auszeit anpeilt (statt zu sagen: Ich bin okay, Gott ist okay), versteht plötzlich seine Bedenken nicht mehr, gerät er erst einmal unter den exzessiven Unterscheidungsimperativ, mit dem man ihn beinahe schon penetrant zum „differenzierten Blick“ auf „unterschiedliche Situationen“ anhält.

Man möge bitte verstehen, schreibt Franziskus, „dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte“. Eben dies hat aber niemand erwartet: weder die Reformer noch die Beharrer. Man hätte einfach nur gerne gewusst, was gelten soll. Um dann selbst entscheiden zu können, ob und unter welchen Bedingungen man sich daran halten möchte oder nicht.

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