Was Martin Luther vor rund 500 Jahren über die Verwüstung der Kirche geschrieben hat, trifft die Kirche, die katholische wie die evangelische, heute mehr als damals. Gerhard Ebeling schreibt zur Klage des Reformators (Luthers Seelsorge an seinen Briefen dargestellt, 1999, S. 226–228):
[Die] geistliche antichristliche Verwüstung der Kirche ist in Christi natürlichem Leib präfiguriert, was in Ps 89 (88),39–46 unverhüllt vorausgesagt ist. Von dort aus rückblendend auf Ps 22 (21) wird nun geradezu lawinenartig die geistliche Verwüstung der Kirche vorgeführt.
Ohne die Bezüge zum Psalmtext jetzt im einzelnen hervorzuheben, sei in Kürze nur die Fülle kirchlicher Mißstände angedeutet, die Luther hier beklagt. Die Kirche sei trotz des Übermaßes an religiösen Aktivitäten glaubensverlassen (im Sinne von „Gott-verlassen“), bei allem christlichen Anschein ohne Glaube und Liebe. Glaube und Christus seien zum Gespött geworden. Nicht der gelte als Christ, der an Christus glaubt, sondern wer dem Papst gehorcht. Unter der Herrschaft des vicarius Christi sei es mit der res Christiana aus. Die Bischöfe, unter deren Druck die Kirche steht, seien weder Priester noch Fürsten, sondern Monstren, etwas Widernatürliches, nur geschminkt nach dem Aussehen beider Stände. Die auf Christus getauften und durch sein Blut erlösten Seelen werden geringgeachtet wie verschüttetes Wasser. Mit dem Evangelium gehe man aufs nachlässigste um. So sei die Kirche in des Todes Staub gelegt, das heißt: zu Grabe getragen. Welch ein grauenhafter Anblick!
Indem Luther, dem Psalmtext folgend, das Schreckensbild der Kirche entwirft, gelangt er schließlich zu v. 19, dem anscheinend Geringfügigsten, dem Umgang der Kriegsknechte mit Christi Kleidern. Unter ekklesiologischem Aspekt vollzieht sich nun jedoch im Gegenteil eine Steigerung. Wenn alles, was Wort und Glaube betrifft, in der Kirche öffentlich unterdrückt wird, dann bleibe nur eines übrig, was noch an Christus erinnert: die heilige Schrift. In ihr ist die Wahrheit des Glaubens eingehüllt wie Christus in seinen Kleidern. Deshalb widerfährt der Kirche der äußerste Schade, wenn mit der heiligen Schrift leichtfertig umgegangen, sie in einen vierfachen Sinn zerteilt und wie im Würfelspiel aufs Geratewohl hin ausgelegt wird.
Warum schrieb Luther eigentlich diese scharfen Worte?
Darauf sind wir aus, daß wir untersuchen, was der freie Wille vermag …, wie er sich zur Gnade Gottes verhält. Wenn wir das nicht wissen, wissen wir rein gar nichts von den Angelegenheiten der Christen und werden schlimmer sein als alle Heiden. … Denn wenn ich nicht weiß, was, wieweit und wieviel ich in bezug auf Gott kann und zu tun vermag, so wird es mir ebenso ungewiß und unbekannt sein, was, wieweit und wieviel Gott in bezug auf mich vermag, da Gott doch alles in allem wirkt. Wenn ich aber die Werke und die Wirkungsmacht Gottes nicht kenne, so kenne ich Gott selbst nicht. Kenne ich Gott nicht, so kann ich ihn auch nicht verehren, preisen, ihm Dank sagen und ihm dienen …
Nun, Luther schrieb betroffen und besorgt, da sein Freund Erasmus von Rotterdam und andere dem menschlichen Willen die Vollmacht zugeschrieben haben, sich Gott zu nähern oder sich von ihm abzuwenden. Es geht bei der Frage um den „unfreien Willen“ also für Luther um nicht weniger als den „Kern der Sache“. Fragen über das Papsttum, das Fegefeuer, den Ablass usw. sind im Vergleich dazu mehr oder weniger Lappalien. Berührt wird nämlich hier die Frage der Glaubensgerechtigkeit.
Und was sagte Erasmus über den Willen des Menschen?
Weiter verstehen wir an dieser Stelle unter dem freien Willen die Kraft des menschlichen Willens, mit der der Mensch sich zu dem hinwenden kann, was zum ewigen Heil führt, oder sich davon abwenden kann.
Wer sich die Mühe macht, das Buch War Augustinus der erste Calvinist? durchzulesen (vgl. dazu hier), wird schnell erkennen, dass der Autor Ken Wilson im Geiste von Erasmus schreibt. Anders ausgedrückt: Das Buch richtet sich nicht gegen Calvinisten, sondern gegen alle Anhänger der Reformation. Wie sagte doch der große Lutheraner H.J. Iwand: „Wer diese Schrift [gemeint ist Luthers Werk Vom unfreien Willen] nicht aus der Hand legt mit der Erkenntnis, daß die evangelische Theologie mit dieser Lehre vom unfreien Willen steht und fällt, der hat sie umsonst gelesen.“
Das und sehr viel mehr kann man nachlesen in dem allgemeinverständlichen Buch Typisch evangelisch von Siegfried Kettling. Ich empfehle zum Thema insbesondere die Lektüre des dritten Kapitels. Zwar ist das Buch vergriffen, erfreulicherweise gibt es aber die Möglichkeit, es hier herunterzuladen: Typisch_Evangelisch_1992.pdf.
Martin Luthers Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“, das in der Zeit einer Pest in Wittenberg Rat und Hilfe bieten sollte, erlangt im Angesicht der Coronakrise unerwartete Aktualität. Die Schrift gibt es bei der Glaubensstimme online und bei Sola Gratia Medien als Taschenbuch für 2,90 Euro.
Robert Kolb ist wahrscheinlich einer der besten Luther-Kenner jenseits des deutschsprachigen Sprachraums. Matthew Barrett vom CREDO MAGAZIN hat kürzlich mit ihm gesprochen. Es geht um Fragen: Welche Art von Hermeneutik hat Martin Luther auf die Schrift angewandt? Warum glaubte Luther, dass die Gegenwart Gottes für eine richtige Auslegung der Schrift so wichtig sei? Welche Beziehung besteht für Luther zwischen dem Kreuz und dem Kanon? Was versteht Luther unter sola scriptura und welchen Platz hat die Vernunft in der Bibelauslegung? Hat die Neo-Orthodoxie Luthers Sicht von Christus und der Bibel richtig verstanden? Was haben wir von Luthers berüchtigten Äußerungen zum Jakobusbrief zu halten.
Gudrun Neebe schreibt über den wahren Gottesdienst nach Luther (Apostolische Kirche, 1997, S. 118–119):
Nachdem Luther das entscheidende Kriterium für die Differenzierung zwischen wahrem und falschem Gottesdienst bereits benannt hat, geht er dann an den Zehn Geboten entlang und konkretisiert und detailliert anhand dieser jenes Kriterium noch, weil s.E. in den Zehn Geboten zusammengefaßt ist, was es heißt, Gott zu dienen, so daß allein derjenige Gott dient, der Gottes Gebote hält.
Luther bezeichnet mit dem Terminus Gottesdienst folglich nicht ausschließlich die Versammlung und Feier der Christen im Gotteshaus, sondern das gesamte Leben des Menschen vor dem Angesicht Gottes, wie seine Bezugnahme auf die Zehn Gebote deutlich macht.
Gott recht zu dienen, heißt nach der Auffassung Luthers:
1. Gott alle Zeit zu ehren und von ganzem Herzen zu lieben, sowie alle Zuversicht und alles Vertrauen auf ihn zu setzen. (Dies ist der Hauptgottesdienst und das höchste Stück.)
2. Gott in Not anzurufen und sich jederzeit öffentlich zu ihm zu bekennen.
3. Bereit zu sein, für dieses Bekenntnis zu Gott, Leid und Verfolgung auf sich zu nehmen.
Glauben, Bekennen und Leiden fordere die erste Tafel der Gebote. Auf diese Weise werde der Welt und diesem Leben entsagt und allein Gott gelebt. Gott recht zu dienen, heißt nach der zweiten Tafel der Gebote:
4. Vater und Mutter gehorsam zu sein, sie zu ehren und ihnen zu helfen.
5. Niemandem Schaden zuzufügen und statt dessen jedermann wohl zu tun.
6. Keusch und gemäßigt zu leben.
7. Niemanden zu betrügen und zu übervorteilen, sondern jedermann auszuhelfen und vor Schaden zu bewahren.
8. Keinen Menschen durch Worte zu verletzen und jeden zu schonen und zu entschuldigen.
9. u. 10. Niemandes Weib noch Gut zu begehren.
Ausschließlich dies verlange Gott, so daß überall dort, wo mehr oder anderes gefordert werde, Gott nicht recht gedient, sondern ein falscher Gottesdienst erfunden werde, so meint Luther.
Lucas Cranach der Ältere – Marie-Lan Nguyen (2012), Gemeinfrei.
Die Heidelberger Disputation (Disputatio Heidelbergensis) war ein von Johann von Staupitz an der Heidelberger Universität einberufenes Generalkonvent für den Zeitraum vom 25. bis zum 27. April 1518. Es fand also vor 500 Jahren statt. Luther gewann damals etliche Anhänger unter den Studenten und Magistern der Artistenfakultät. Spätere Reformatoren wie Martin Bucer oder Johannes Brenz waren unter den Zuhörern und ließen sich für die Anliegen der reformatorischen Theologie begeistern.
Die Disputation ist stark mit der Theologie des Kreuzes verbunden. Bei Luther tritt der Begriff zwar nur vereinzelt auf. Bei den Erörterungen 1518 verwendet der junge Reformator die Formulierung allerdings in einer sehr grundlegenden und bahnbrechenden Weise. Er stellt die sogenannte „Herrlichkeitstheologie“ (theologia gloriae) der „Kreuzestheologie“ (theologia crucis) gegenüber.
Der Theologe der Herrlichkeit findet Gott durch die Schöpfung. Der Aufbau der Summe der Theologie des großen Thomas von Aquin (1225–1274) kann beispielsweise auf die Formel „Von Gott durch die Welt zu Gott in Christus – dem Gekreuzigten“ gebracht werden.
Luther wendet sich nun nachdrücklich gegen eine Theologie, die unter dem Eindruck der griechischen Philosophie (bes. Aristoteles) vorgibt, vernünftige Wege zu Gott gefunden zu haben. Luther verurteilte sie in seiner 19. These mit den Worten, dass der nicht wert sei, „ein Theologe zu heißen, der Gottes ‚unsichtbares Wesen durch das Geschaffene erkennt und erblickt‘ (Röm 1,20)“. Die Theologie der Herrlichkeit verzwecke Gott und raube ihm die Ehre. Sie „bläht auf, macht blind und verstockt“, heißt es in der 22. These. „Das (dem Menschen) zugewandte und sichtbare Wesen Gottes ist das Gegenteil des Unsichtbaren, nämlich: seine Menschheit, Schwachheit, Torheit“ (20. These). Gott will im Leiden erkannt sein. Und so formuliert Luther in der 20. These:
So genügt oder nützt es keinem schon, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schande des Kreuzes erkennt … Also liegt in Christus dem Gekreuzigten die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes. Und [in] Joh. 14, 6 heißt es: ‚Niemand kommt zum Vater, denn durch mich …
In letzter Analyse setzt nach Luther die Theologie der Herrlichkeit das Vertrauen auf die Werke und führt deshalb zur Verherrlichung des Menschen. Sie beschönigt das desolate Sündersein, das sogar die Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung missbraucht. Allein die Kreuzestheologie lässt Gott dem ihm geschuldeten Ruhm zukommen, da sie alles von Christus erwartet. Wir finden nur durch Christus zu Gott (und in einem gewissen Sinn auch zur Welt). Es gibt keine wahre Theologie ohne Kreuz.
Nachfolgend einige Zitate aus den Disputationen (Luther, M. (2006). HEIDELBERGER DISPUTATION. In W. Härle, J. Schilling, & G. Wartenberg (Hrsg.), W. Härle (Übers.), Der Mensch vor Gott: Deutsche Texte (Bd. 1, S. 37–39). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, zitiert aus der digitalen Logos-Ausgabe).
III:
DIE WERKE DER MENSCHEN, WIE SCHÖN SIE AUCH IMMER SEIEN UND WIE GUT SIE ERSCHEINEN, SO GLAUBHAFT IST DOCH, DASS SIE TODSÜNDEN SIND.
Die Werke der Menschen erscheinen schön, aber innerlich sind sie hässlich, wie Christus von den Pharisäern Mt 23 sagt. Denn sie erscheinen ihnen und anderen gut und schön, aber Gott ist es, der nicht nach dem äußeren Ansehen urteilt, sondern die Nieren und Herzen erforscht. Aber ohne Gnade und Glauben ist es unmöglich, ein reines Herz zu haben. Apg 15: „Durch den Glauben reinigt er ihre Herzen.“
Die These wird deshalb [so] bewiesen: Wenn die Werke der gerechten Menschen Sünden sind, wie die These VII sagt, wie viel mehr der Menschen, die noch nicht gerecht sind. Aber die Gerechten sagen im Blick auf ihre Werke: „Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, Herr, denn vor dir wird kein Lebender gerechtfertigt werden.“ Ebenso der Apostel Gal 3: „Die aus den Werken des Gesetzes sind, sind unter dem Fluch.“ Aber Menschenwerke sind Gesetzeswerke. Und die Verfluchung wird nicht lässlichen [Sünden] zuteil, also sind sie Todsünden. Drittens Röm 2: „Der du lehrst, man solle nicht stehlen, stiehlst.“ Das erklärt der Selige Augustinus [so]: „Nach ihrem schuldigen Willen sind sie nämlich Diebe, auch wenn sie äußerlich andere Diebe verurteilen und belehren.“
XVI:
DER MENSCH, DER GLAUBT, ER WOLLE DADURCH ZUR GNADE GELANGEN, DASS ER TUT, WAS IN SEINEN KRÄFTEN STEHT, FÜGT SÜNDE ZUR SÜNDE HINZU, SO DASS ER DOPPELT SCHULDIG WIRD.
Denn aus dem Gesagten ist offenkundig: Indem er tut, was in seinen Kräften steht, sündigt er und sucht überhaupt das Seine. Aber wenn er glauben sollte, durch Sünde der Gnade würdig oder für die Gnade geeignet zu werden, fügt er sogleich hochmütige Vermessenheit hinzu und glaubt, dass Sünde nicht Sünde und Böses nicht Böses sei, was eine überaus große Sünde ist. So Jer 2: „Mein Volk hat eine zweifache Sünde begangen: Mich, die lebendige Quelle, haben sie verlassen und graben sich rissige Zisternen, die das Wasser nicht halten können.“ D. h.: Durch die Sünde sind sie weit weg von mir und maßen sich dennoch an, aus sich heraus Gutes zu tun.
Nun sagst du: Was sollen wir also tun? Sollen wir in Tatenlosigkeit verharren, weil wir nur Sünde tun [können]? Ich antworte: Nein, sondern, wenn du diese [Worte] gehört hast, dann knie nieder und bete um Gnade, setze deine Hoffnung auf Christus, in dem unser Heil, unser Leben und unsere Auferstehung ist. Denn dies wird deshalb gelehrt, deshalb macht das Gesetz die Sünde bekannt, damit, wenn die Sünde erkannt ist, die Gnade gesucht und erlangt wird. So, so gibt er den Demütigen Gnade, und so wird, wer sich demütigt, erhöht. Das Gesetz demütigt, die Gnade erhöht. Das Gesetz wirkt Furcht und Zorn, die Gnade Hoffnung und Erbarmen. Denn durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde, durch die Erkenntnis der Sünde aber die Demut, durch die Demut wird die Gnade erlangt. So führt Gottes fremdes Werk schließlich sein eigenes Werk herbei: indem es einen zum Sünder macht, um ihn zum Gerechten zu machen.
XXI:
DER THEOLOGE DER HERRLICHKEIT NENNT DAS ÜBEL GUT UND DAS GUTE EIN ÜBEL. DER THEOLOGE DES KREUZES SAGT, WAS DIE SACHE IST.
Das ist offenkundig; denn solange er Christus nicht kennt, kennt er den in den Leiden verborgenen Gott nicht. So zieht er die Werke den Leiden vor, die Herrlichkeit dem Kreuz, die Macht der Schwäche, die Weisheit der Torheit und insgesamt das Gute dem Übel. Das sind solche, die der Apostel ,Feinde des Kreuzes Christi‘ nennt, und das, weil sie das Kreuz und die Leiden hassen, dagegen die Werke und ihren Ruhm lieben und so das Gute des Kreuzes ein Übel nennen und das Übel des Werkes ein Gutes. Aber dass Gott nur gefunden wird in den Leiden und im Kreuz, ist schon gesagt.
So sagen die Freunde des Kreuzes, das Kreuz sei ein Gutes und die Werke [seien] ein Übel, weil durch das Kreuz die Werke zerstört werden und [der alte] Adam gekreuzigt wird, der durch die Werke vielmehr aufgebaut wird. Es ist nämlich unmöglich, dass der nicht durch seine guten Werke aufgebläht werde, der nicht vorher durch Leiden und Übel erniedrigt und zerstört worden ist, bis er weiß, dass er nichts sei und die Werke nicht seine, sondern Gottes sind.
Reinhold Rieger, Akademischer Oberrat und außerplanmäßiger Professor für Kirchengeschichte an der Ev.-Theologischen-Fakultät Tübingen, hat in akribischer Arbeit ein bemerkenswert hilfreiches Lehrbuch für die Lutherforschung geschaffen. Das Buch Martin Luthers theologische Grundbegriffe bietet eine Auswahl der wichtigsten Grundbegriffe Luthers und erklärt diese ausschließlich anhand von Aussagen des Reformators. Damit füllt das Werk die Lücke zwischen Konkordanzen und Systematischen Darstellungen der Theologie Luthers.
Luther hat in seinen Predigten und Schriften oft verschiedene Wörter benutzt, um ein und dieselbe Sache auszudrücken. Das ergibt sich schon allein dadurch, dass bei ihm lateinische und deutschsprachige Texte nebeneinander stehen. In mühevoller Kleinarbeit hat Reinhold Rieger diese bedeutungsverwandten Wörter, übrigens auch Antonyme und verschiedene Wortarten wie Substantive oder Adjektive, „auf den Begriff gebracht“.
Die aufgeführten Belegtexte sind keine genauen Übersetzungen aus dem Lateinischen oder Frühneuhochdeutschen, sondern eher Paraphrasen. Diese lassen allerdings das markante Lutherdeutsch noch erkennen und sind hervorragend lesbar. Die inhaltlichen Aussagen lassen sich auf diese Weise schnell erfassen.
Die verwendeten Quellentexte beziehen sich auf die Weimarer Werkausgabe (WA, WABr, DB). Ihre konsequente Nennung inklusive Zeilennummern macht es möglich, die Belegtexte im Originalwortlaut und Kontext vertiefend zu studieren (viele Bänder der WA sind übrigens hier einsehbar).
Die einzelnen Artikel setzen, wo gegeben, mit definitorischen Anmerkungen Luthers zum Schlagwort oder seinem Bedeutungsfeld ein. Im darauf folgenden Hauptartikel werden inhaltliche Aussagen sachlich gegliedert. Gelegentlich kommt dabei zutage, dass Luther seine Meinung geändert hat oder seine Stellungnahmen Widersprüche enthalten. Solche Begebenheiten werden nicht unterschlagen oder harmonisiert.
Um den Aufbau der Artikel nachvollziehen zu können, seien exemplarisch die Gliederung und Hauptgedanken zum Begriff „Abgott“ aufgeführt. Die Eintragung ist nach folgendem Muster vorgenommen worden:
Wesen: Ein Idol oder Abgötterei ist nichts anderes als ein menschlicher Wahn und Gedanke, der vom Teufel unter dem Namen des wahren Gottes ins Herz eingebildet wird (16, 348, 22–24).
Es gibt zwei Arten von Götzendienst: äußeren und inneren. Der äußere geschieht, wenn der Mensch Holz, Steine, Tiere, Sterne anbetet. Dieser ist vom inneren Götzendienst bestimmt, durch den der Mensch aus Furcht vor Strafe oder aus Liebe die äußere Verehrung des Geschöpfes aufgibt, aber innerlich die Liebe und das Vertrauen zu ihm behält (1, 399, 11–17; vgl. 14, 593, 4; 16, 462, 18–463, 2).
Ursache: Allein das Trauen und Glauben des Herzens macht beide, Gott und Abgott (30I, 133, 4).
Der Götzendienst ist als solcher nur denen erkennbar, die an Christus glauben, da er den Schein der Heiligkeit hat (40II, 111, 20f.).
Beispiele für Götzendienst sind das Mönchsleben mit Fasten und Beten, das Priestertum der Papstkirche und die von ihm als Opfer verstandenen Messen (8, 417, 36–38; vgl. 6, 564, 28; 8, 489, 19; 30II, 307, 31–34; 38, 197, 23), erst recht die Privatmesse (40II, 111, 26f.).
Ergänzt werden die einzelnen Artikel durch Literaturhinweise. Darin verarbeitet wurden bewährte Beiträge aus der Lutherforschung sowie jüngere Veröffentlichungen. Ein Sachregister erleichtert die Arbeit mit dem Leitfaden, zumal Stichwörter, denen kein eigener Artikel gewidmet ist, dort eingearbeitet worden sind.
Das Buch Martin Luthers theologische Grundbegriffe ist alles in allem ein sehr gelungenes Lehrbuch, das für den Reformator wichtige Begriffe anhand von Zitaten darstellt und ordnet. Jeder Student, Lehrer oder Verkündiger, der sich mit Luthers Theologie vertraut machen muss oder möchte, erhält hier ein vorzügliches Hilfsmittel zum fairen Preis.
Gerhard Ebeling beschreibt in seiner Einführung zu Luther, wie dieser im Anschluss an die Zeit auf der Wartburg nach Wittenberg zurückkehrte, um das Wort zu predigen (Gerhard Ebeling, Luther: Einführung in sein Denken, Tübingen: Mohr Siebeck, 1965, S. 67):
In Wittenberg aber geht Luther auf die Kanzel, Tag für Tag, eine Woche lang, und hat durch das Wort dem rechten Gang der Reformation die Bahn gemacht, indem er klarstellte, daß das, was der Inhalt des Evangeliums ist, auch bestimmend sein muß für die Frage des reformatorischen Handelns, nämlich daß alles abzustellen ist auf Wort und Glauben: „Denn das Wort hat Himmel und Erde geschaffen und alle Dinge; das muß es tun und nicht wir armen Sünder. Summa Summarum: Predigen will ich’s, sagen will ich’s, schreiben will ich’s. Aber zwingen, dringen mit der Gewalt will ich niemand. Denn der Glaube will willig, ungenötigt angezogen werden. Nehmt ein Exempel von mir: Ich bin dem Ablaß und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt. Ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst hab ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich Wittenbergisch Bier mit meinem Philippus und Amsdorf getrunken habe, also viel getan, daß das Papsttum so schwach geworden ist, daß ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel Abbruch getan hat. Ich hab nichts getan, das Wort hat es alles getan und ausgerichtet.“
Gottfried Hermann fragt in seinem ausgezeichneten Artikel zur Reformation („Mehr als ein Kinderspiel“, Theologische Handreichung und Information, Nr. 4, 11/2017, S. 3–16, hier S. 15), woher der Martin Luther sein Gottvertrauen nahm? Die Antwort:
Es beruhte auf seinem unerschütterlichen Vertrauen in die Heilige Schrift als unverbrüchliches Wort Gottes. In diesem Wort fand er Halt in allen Anfechtungen. Denn in der Bibel redet Gott klar und verständlich zu uns Menschen. Das war es, was Luther 1525 dem großen Humanisten Erasmus entgegenhielt, der behauptet hatte, die Hl. Schrift enthalte viele dunkle (unverständliche) Stellen. Luther demonstrierte ihm das Gegenteil. Und er zeigte Erasmus gleichzeitig, dass der menschliche Wille zu nichts fähig ist, wenn es darum geht, vor Gott Heil und Gnade zu erlangen. Weil es in seiner Schrift „De servo arbitrio“ (Von geknechteten Willen) um diese beiden grundlegenden Themen ging, hielt Luther diese Schrift (neben dem Katechismus) für sein wichtigstes theologisches Werk.
So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
in seinen „Thesen für fünf Disputationen über Römer 3,28 (1535–1537)“ (G. Wartenberg, W. Härle, & J. Schilling (Hrsg.), Christusglaube und Rechtfertigung: Deutsche Texte, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, Bd. 2, S. 403–405):
1. Glaube muss hier als wahrer Glaube und als Gabe des Heiligen Geistes verstanden werden. 2. Wenn Paulus so verstanden wird, dass er vom erworbenen oder historischen Glauben redet, dann müht er sich ganz vergeblich. 3. Denn sogar die Scholastiker, obwohl sie von diesen Dingen keine Ahnung haben, gestehen zu, dass ein solcher Glaube nicht rechtfertigt. 4. Sie lehren ja sogar, dass selbst der vom Heiligen Geist eingegossene Glaube nicht rechtfertigt, wenn er nicht durch die Liebe geformt ist. 5. Denn das bekräftigen sie öffentlich, dass der eingegossene Glaube zusammen mit einer Todsünde bestehen und dass er verdammt werden kann. 6. Hieraus folgt: Wenn man meint, Paulus rede von einem solchen Glauben, dann meint man, er verkündige einen untätigen und erträumten Christus. 7. Denn Christus hilft und nützt solchen Gläubigen nicht mehr als selbst den Dämonen und Verdammten. 8. Da aber Paulus wortreich dem Glauben die Rechtfertigung zuschreibt, ergibt sich zwingend, dass er nicht über solche Glaubensgestalten (um sie so zu nennen) redet, die man als erworbenen, eingegossenen, ungeformten, geformten, nicht entfalteten, entfalteten, allgemeinen oder besonderen Glauben bezeichnet. 9. Diesen erworbenen Glauben gestehen sie sogar den Dämonen und den allerbösesten Menschen zu. 10. [Paulus] muss also von einem anderen Glauben sprechen, der Christus in uns zur Wirkung bringt gegen Tod, Sünde und Gesetz, 11. und der uns nicht den Dämonen und den Menschen, die zur Hölle fahren, gleichen lässt, sondern uns den heiligen Engeln und den Kindern Gottes, die zum Himmel auffahren, gleich macht. 12. Das aber ist (wie wir ihn nennen) der Glaube, der Christus ergreift, der für unsere Sünden stirbt und um unserer Gerechtigkeit willen aufersteht, 13. das heißt, der nicht nur hört, was die Juden und Pilatus bei der Kreuzigung Christi getan haben oder was von seiner Auferstehung erzählt wird, 14. sondern der erkennt, dass die Liebe Gottes, des Vaters, dich durch Christus, der für deine Sünden hingegeben ist, erlösen und retten will. 15. Paulus verkündigt diesen Glauben, den der Heilige Geist auf die Evangeliumspredigt hin in den Herzen der Glaubenden bewirkt und erhält.