Matthew Barrett

Retrievalismus und das Evangelium

Kürzlich hat Owen Strachen einen Essay zur Bewegung des „Retrievalismus“ auf der Plattform Substack veröffentlicht. Anlass gab der Konfessionswechel von Matthew Barrett (vgl. hier). Mit seiner freundlichen Genehmigung gebe ich den Text nachfolgend in deutscher Sprache wieder. Nicht jeden einzelnen Punkte sehe ich so wie der Autor. Doch insgesamt halte ich das Essay für einen hilfreichen Diskussionsbeitrag. 

Die Welt neu verzaubern

„Es war wirklich schwer für mich, protestantisch zu bleiben“: Über „Retrievalismus“ und das Evangelium

Erst letzte Woche gab der Theologe Matthew Barrett bekannt, dass er nun anglikanisch ist. Barrett, der als Baptist bekannt geworden ist, hat sich der anglikanischen Lehre und Ekklesiologie angeschlossen. Sein Austritt aus der Southern Baptist Convention ist bemerkenswert, da Barrett in den letzten Jahren ein ausgesprochener Verfechter einer theologischen Strömung war: dem „Retrievalismus“.

Im folgenden Essay möchte ich eine damit zusammenhängende – und bemerkenswerte – Angelegenheit schildern. Es handelt sich um eine bisher unbekannte Geschichte (zumindest unter Baptisten und Evangelikalen) eines jungen Seminaristen, der das Seminar besuchte, an dem Barrett lehrte, in einem Theologiekurs mit der Patristik in Berührung kam und schließlich zum römischen Katholizismus konvertierte. Diese Geschichte veranlasst uns meiner Meinung nach, kritische Fragen zum Retrievalismus-Paradigma zu stellen.

Hier ist eine, die wir stellen müssen: Führt das System des Retrievalismus dazu, dass einige baptistische und evangelikale Studenten die baptistische und evangelikale Bewegung verlassen? Nur wenige haben in letzter Zeit eine solche Frage gestellt, obwohl der Retrievalismus unter Baptisten und Evangelikalen weit verbreitet ist und enthusiastisch gefördert wird. Doch dieser besondere Moment zwingt uns, diese Frage zu stellen, und zwar mit Dringlichkeit.

Ich möchte vorab einige Dinge klarstellen: 1) Ich wünsche Matthew Barrett alles Gute und bete für ihn und für den Studenten, der zum römischen Katholizismus konvertiert ist. 2) Ich habe keinen Streit mit vielen gottesfürchtigen Angestellten und Fakultätsmitgliedern meines früheren Seminars in Kansas City, einer Schule, für die ich Gott dankbar bin. 3) Ich habe auch keinen Streit mit dem Anglikanismus oder der Anglican Church in North America (ACNA), da ich persönlich in vielerlei Hinsicht von der anglikanischen Bewegung profitiert und im Laufe der Jahre viel von Persönlichkeiten wie J.I. Packer, John Stott, J.C. Ryle und vielen anderen gelernt habe. 4) Wie bereits erwähnt, ist es nicht meine Absicht, mit einer bestimmten Person zu streiten, sondern öffentlich über Fragen der öffentlichen Lehre und der öffentlichen Meinungsbildung nachzudenken.

Was ist Retrievalismus?

Ich möchte nun unsere Aufmerksamkeit auf den sogenannten „Retrievalismus” richten. In diesem System „gewinnt” man die Weisheit der christlichen Vergangenheit zurück, indem man sich auf die Hermeneutik und Lehre vergangener Generationen konzentriert. Dies bedeutet in der Regel eine Betonung der frühen Kirche und der mittelalterlichen Kirche, die in evangelikalen Kreisen als zu wenig erforscht und zu wenig gewürdigt angesehen werden.

In Wirklichkeit geht es in dieser Diskussion um mehr, als es den Anschein hat. Die Rolle der historischen Theologie in der Lehr- und Glaubensbildung steht im Mittelpunkt der retrievalistischen Argumentation. Zu diesem Thema gibt es meiner Meinung nach mindestens vier lose miteinander verbundene Positionen. Hier sind sie:

Historische Theologie ist unwichtig: Dies würde zum Lager „No Creed But the Bible“ passen, obwohl diese Gruppe heutzutage nur noch sehr klein ist. Sie betont, dass Glaubensbekenntnisse und Bekenntnisschriften kein bedeutender Teil der christlichen Bildung sind; darüber hinaus ist die Kirchengeschichte selbst weitgehend ignorierbar, abgesehen von den wenigen Persönlichkeiten oder Kirchen, die mit der eigenen Lehre übereinstimmen.

Historische Theologie ist wichtig und wertvoll: Die Anhänger dieser Position schätzen die Ansichten und die Weisheit der Kirche sehr. Im Seminarunterricht und in der kirchlichen Lehre würdigen sie die Erkenntnisse der Glaubensbekenntnisse und Bekenntnisschriften und messen insbesondere den konziliaren Vorgaben der vier ökumenischen Konzilien einen hohen Stellenwert bei. Sie lesen Theologen verschiedener Konfessionen und Epochen und finden eine sinnvolle Einheit mit allen, die das Wort und das Evangelium lieben.

Sie betrachten jedoch die Glaubensbekenntnisse und Bekenntnisse der Kirche nicht als unfehlbar, sie haben gelegentlich Meinungsverschiedenheiten mit bestimmten Formulierungen in der historischen Theologie und betonen die Notwendigkeit der biblischen Genugsamkeit in der theologischen Methode. Die historische Theologie ist somit ein wertvoller Lehrbildner, Gesprächspartner und Zeuge. Im geistlichen Leben und in der Glaubensbildung ist die historische Theologie jedoch ein Diener (ein äußerst wertvoller), aber niemals unser Herr.

Historische Theologie ist sehr wichtig und entscheidend: Die Anhänger bekennen sich zu den großen Glaubensbekenntnissen und Bekenntnisschriften, die sie als Leitplanken für die Glaubenslehre betrachten – zwar als sekundäre, aber vertrauenswürdige Autorität. Wo die Konzile der Geschichte gesprochen haben, ist die Theologie der Kirche weitgehend festgelegt. Meinungsverschiedenheiten mit wichtigen Bekenntnisschriften sind möglich, werden aber sehr zurückhaltend behandelt.

Die oben genannten Bekenntnisschriften sind sehr eng mit der Identität der Gruppe verbunden, und die Identität der Gruppe wird oft anhand ihres Bekenntnisses beschrieben. In jüngerer Zeit hat die vierte Gruppe – die unten skizziert wird – einen erheblichen Einfluss auf die dritte Gruppe ausgeübt und sie dazu gedrängt, die retrievalistische Vision einer dogmatischen Synthese zwischen der frühen und der mittelalterlichen Kirche zu übernehmen. Es ist noch nicht klar, wie sich dieser Trend weiterentwickeln wird.

Die historische Theologie ist entscheidend für die Glaubensbildung: Dies ist die Position des Retrievalismus [also der „Wiederbelebungsbewegung“, Anm. R.K.]. Natürlich vertreten nicht alle Anhänger diese Position in gleicher Weise oder mit gleicher Intensität; einige sind großzügiger als andere. Dennoch argumentiert der starke Flügel dieses protestantischen Lagers, dass die ökumenischen Konzilien und Glaubensbekenntnisse zweifelsfrei maßgebend sind.

Dies ist eine auffallend ähnliche Sichtweise der Glaubensbekenntnisse und Konzilien wie die katholische Position. Für die stärksten Vertreter des protestantischen Retrievalismus sind keine Abweichungen von den Glaubensbekenntnissen zulässig. Wenn ein Konzil oder ein Glaubensbekenntnis sich zu Fragen wie dem Willen Gottes oder dem Abstieg Christi in die Hölle geäußert hat – Fragen, die einer sehr sorgfältigen Auslegung bedürfen –, ist die Position geklärt.

Einige Retrievalisten – wenn auch nicht alle – gehen sogar noch weiter. Sie behaupten, dass Glaubensbekenntnisse als unfehlbar behandelt werden sollten. Dies ist freilich ein Fehler, und zwar ein folgenschwerer: Während viele Dokumente fehlerfrei sind, hängt die Unfehlbarkeit von der Ontologie ab. Die Heilige Schrift ist gemäß 2. Timotheus 3,16 das einzige von Gott inspirierte Buch oder Dokument, und daher sind nur die Autographen der Heiligen Schrift unfehlbar.

So gibt es auch eine glorreiche Synthese zwischen der frühen und der mittelalterlichen Kirche. Diese Synthese umfasst die Glaubensbekenntnisse und theologischen Erkenntnisse von Athanasius, Augustinus, Anselm und Thomas von Aquin. Thomas von Aquin wird von vielen Retrievalisten als der par excellence Verfasser der Lehre angesehen. In seinen Schriften erreicht die Ausbeute der eigentlichen Theologie (und anderer loci der Lehre) über die Jahrhunderte hinweg ihren Höhepunkt.

In den letzten Jahren war es schon seltsam zu sehen, wie der führende Theologe der katholischen Tradition als der größte Theologe der protestantischen Tradition gepriesen wurde. Thomas von Aquin hat sich über eine Reihe von ethischen Bereichen in guter Weise Gedanken gemacht und kann in mancherlei Hinsicht mit Gewinn gelesen werden. Aber mit Aquinas sollte man sehr vorsichtig umgehen, denn wie ich an anderer Stelle geschrieben habe, ist er der wichtigste Normgeber der sakramentalen Theologie des Katholizismus, einem System der Soteriologie, das in unüberbrückbarem Widerspruch zur biblischen Rechtfertigung und biblischen Heiligung steht, wie sie von den Reformatoren wiederentdeckt wurden.

Die Debatte über den Retrievalismus ist eine Debatte über die Methode

Wie ich immer wieder betone, ist die Debatte über den Retrievalismus nicht einfach eine Debatte über die Lehre. Es ist in erster Linie eine Diskussion über die Methode. Die Bedeutung der Methode wird in Barretts Substack-Essay deutlich. Darin nennt Barrett seine Abneigung gegen die Politik der Southern Baptist Church, seine neu entdeckte Liebe zur anglikanischen Liturgie und die herzliche Gemeinschaft in seiner örtlichen anglikanischen Kirche als ausschlaggebende Faktoren für seine Konversion. Am meisten fiel mir jedoch seine Begründung für die Annahme der Kindertaufe auf:

Nachdem ich festgestellt hatte, dass dies nicht den gesamten Kanon erklären konnte, musste ich mich auch fragen: „Hat die gesamte Kirche eineinhalb Jahrtausende lang die Kinder von Gläubigen zu Unrecht getauft? Wurde die Gläubigentaufe von den Aposteln gelehrt, nur um dann unter der Aufsicht der größten Theologen der Kirche zu verschwinden und erst im 16. Jahrhundert wieder aufzutauchen?“ Für jemanden, der es mit der Katholizität ernst nimmt, war diese Pille zu bitter, um sie zu schlucken.

Versteckt in einem einzigen Absatz über die Taufe, ist dies eine äußerst wichtige Aussage. Kurz gesagt ist dies ein zentrales Argument der Katholiken gegen den Protestantismus. Es handelt sich nicht um eine kleine oder beiläufige Anschuldigung. Noch bevor die Tinte auf Luthers berühmten Thesen, Calvins Institutio und Zwinglis eigenen Thesen getrocknet war, hatten katholische Theologen ihre schwerwiegendste Anschuldigung gegen die Reformatoren erhoben: Ihre Lehre sei neuartig.

Wir sollten das Gewicht dieser Herangehensweise an die Lehre nicht unterschätzen. Die katholische Kirche setzte diese Waffe der Anklage gegen die reformatorische Wiederherstellung der Autorität der Schrift und die rechtliche und von Gott verordnete Natur der Rechtfertigung allein durch den Glauben ein. Die Kirche hatte über etwa 1500 Jahre hinweg einen Konsens geschmiedet; wie konnte ein einzelner Mensch mit einer so eisernen Einheit des Denkens brechen?

In Barretts Essay taucht dieses äußerst katholische Argument – seltsamerweise – erneut auf. In Wahrheit hatten die Reformatoren in vielerlei Hinsicht Recht, mit Rom zu brechen. Sie lehnten die mittelalterliche Soteriologie, die mittelalterliche Bibliologie und verschiedene Elemente der mittelalterlichen Ekklesiologie ab (ganz zu schweigen von zahlreichen anderen Bereichen). Der grundlegende Bruch erfolgte jedoch bereits vor diesen Entwicklungen. Die Reformatoren brachen mit Rom wegen der Methode.

Es reichte nicht aus, einen historischen Konsens zu haben und diesen zu überwachen. Die Reformatoren erkannten, dass Rom keine Autorität über den Verstand und das Gewissen hatte. Allein das Wort Christi hatte Autorität über den Verstand und das Gewissen. Das bedeutete nicht, dass der historische Konsens für die Reformatoren keine Rolle spielte; es bedeutete jedoch, dass die historische Theologie bei der Glaubensbildung nicht gleichrangig mit der Heiligen Schrift behadelt wurde. Aus dieser hermeneutischen und methodologischen Überzeugung entstand die Bewegung, die wir Protestantismus nennen.

Das Zeugnis eines Studenten: „Es war wirklich schwer für mich, protestantisch zu bleiben.“

Springen wir nun in die Gegenwart. Wie von einigen befürwortet, hat der Retrievalismus die klaren Grenzen, die von den Reformatoren gezogen wurden, verwischt. Dies geschah jedoch nicht nur in theoretischer Hinsicht, in einigen Debatten im Klassenzimmer. Der Retrievalismus ist in die Tat umgesetzt worden. Das ist unvermeidlich, denn Ideen bleiben schließlich nicht lange theoretisch. Was im Unterricht gelehrt wird, findet irgendwann Eingang in den Alltag.

Während einige Studenten sich mit den Ideen und Quellen des Retrievalismus auseinandersetzen, fühlen sie sich zur Hochkirche hingezogen – und sogar zum römischen Katholizismus selbst. Im Folgenden werde ich ein solches Beispiel aus dem wirklichen Leben nachzeichnen. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes namens Jeremiah Zimmerman. Aufgewachsen in der Assemblies of God, trat er im Sommer 2021 in das Priesterseminar ein und veröffentlichte dieses Foto auf seinem Instagram-Account.

Zu diesem Zeitpunkt bekundete Zimmerman noch klare evangelikale Überzeugungen. Sein Instagram-Account lässt daran keinen Zweifel. Weniger als zwei Jahre später wurde Zimmerman jedoch – nach seinem eigenen öffentlichen Bekenntnis – in die katholische Kirche aufgenommen. Hier ist das Foto, das er von diesem Ereignis gepostet hat.

Zimmermans Wandel war keine Kleinigkeit. Er wurde von der katholischen Zeitschrift Southern Nebraska Register über seine neu gefundenen katholischen Überzeugungen interviewt. In dem Artikel über Zimmerman wird sein Wandel wie folgt beschrieben:

Er fand Trost in der biblischen Grundlage und der intellektuellen Tiefe des protestantischen Glaubens. Sein leidenschaftliches Interesse an der Heiligen Schrift und der Theologie veranlasste Freunde und Pastoren, ihn zu ermutigen, selbst Pastor zu werden.

Zimmermans spirituelle Reise nahm jedoch eine unerwartete Wendung, als er sich mit den Schriften der frühen Kirchenväter befasste. Die alten Texte enthielten tiefgründige Erkenntnisse, die sein bestehendes theologisches Weltbild in Frage stellten. Eine Persönlichkeit, die Zimmermans Aufmerksamkeit auf sich zog, war der heilige Athanasius, insbesondere seine Schriften über die Menschwerdung Gottes.

Während seines Studiums am Midwest Baptist Theological Seminary in Kansas City stellte Zimmerman seine protestantische Identität in Frage, als er sich tiefer in theologische Untersuchungen vertiefte.

In einem Podcast-Interview mit Zimmerman über seine Konversion zum Katholizismus fiel mir auf, dass er die Frage der Taufe als „Auslöser” für seine neu gefundenen Überzeugungen nannte. Er verwies auch auf seine Lektüre als Tor zum Katholizismus:

An der Schule, die ich besuchte, dem baptistischen Seminar, lasen wir die patristischen Väter wie den heiligen Gregor von Nazianz, den heiligen Cyrill von Alexandrien, den heiligen Athanasius von Alexandrien und den heiligen Augustinus, und wir lasen Scholastiker wie den heiligen Anselm und den heiligen Thomas von Aquin, und je mehr ich las, desto schwieriger wurde es für mich, protestantisch zu bleiben. Da wusste ich, dass ich nicht mehr protestantisch sein konnte, denn wenn ich protestantisch geblieben wäre, hätte ich mich einer sehr, sehr spezifischen traditionellen Gruppe anschließen müssen, die so klein ist, dass sie sich in ihrer Katholizität selbst widerspricht …

Zimmermans Begegnung mit der Patristik „in meinem Theologiekurs am Baptisten-Seminar“ hatte eine wegweisende Wirkung auf ihn (er zitierte Athanasius‘ Werk über die Inkarnation als einen starken Einfluss). Aber nicht nur ihn. Zimmerman fuhr fort: „Ich bin nicht der Einzige aus dieser Schule, der konvertiert. Es gibt noch andere, die ebenfalls dabei sind, [zum Katholizismus] zu konvertieren“, an seiner ehemaligen Schule, eine Behauptung, die ich weder beweisen noch widerlegen kann.

Wie sollen wir mit diesen Entwicklungen umgehen?

Die vorangegangenen Gedanke führen mich zu acht Überlegungen. Ich werde sie hier in schneller Folge aufzählen.

Erstens sollten wir den Retrievalismus sorgfältig evaluieren. Es handelt sich nicht um ein narrensicheres System. Es ist durchaus möglich, die Methode des Retrievalismus anzunehmen und ihr bis zum anglikanischen Hochkirchentum oder nach Rom zu folgen. Es wird einmal mehr deutlich (wie schon in früheren Zeiten), dass der Retrievalismus verschiedene Menschen auf unterschiedliche Weise beeinflusst und einige dazu veranlasst, die baptistische Welt zu verlassen, während andere sich ganz vom Protestantismus abwenden.

Zweitens sollten wir die Studenten im Wort verankern. Anstatt die Studenten dazu zu erziehen, uns zu folgen und unserer bevorzugten Gruppe zu vertrauen, tun wir gut daran, sie dazu zu erziehen, der Stimme Gottes in der Schrift zu folgen (vgl. Ps 119,97). Das bedeutet, wie ich bereits gesagt habe, den Studenten eine wirklich exegetisch orientierte Methode vorzuleben. Eine genaue Auslegung der Schrift bildet unsere Theologie und führt zu biblisch-theologischen Schlussfolgerungen, systematischen Überzeugungen, einer biblischen Ethik und einer Weltanschauung, die auf dem Wort Gottes basiert.

Drittens sollten wir uns der historischen Theologie mit großer Sorgfalt nähern. Die historische Theologie ist von großem Wert. Ich sage das nicht nur so, sondern habe Bücher wie dieses veröffentlicht, die sich direkt mit historischer Theologie befassen. Ich habe zahlreiche Kurse in Kirchengeschichte und historischer Theologie unterrichtet, darunter die gesamte Kirchengeschichte, die Geschichte der Baptisten und die Geschichte der Neo-Evangelikalen. Dieser Bereich der Ausbildung ist von entscheidender Bedeutung.

Aber die historische Theologie muss der exegetischen Theologie als Königin der Disziplinen den Vortritt lassen. Dabei geht es nicht nur um die Lehre, die wir vertreten, sondern auch um unsere Methode (um noch einmal ganz klar zu sein). Wir bringen die historische Theologie und die Kirchengeschichte unbedingt mit in den Raum der Glaubensbildung.

Doch wir müssen in diesem Punkt ganz klar sein: Der Grund, warum wir eine bestimmte theologische Position vertreten, sollte nicht darin liegen, dass ein Glaubensbekenntnis sie vertritt. Der Grund, warum wir eine bestimmte theologische Position vertreten, sollte letztlich immer darin liegen, dass das Wort Gottes – so gut wir es nachvollziehen können – uns dazu zwingt, es so zu sehen. Gottes Wort allein bindet das Gewissen; Gottes Offenbarung allein lehrt uns die göttliche Wahrheit; Gottes Wort allein hat den Ehrenplatz in der theologischen und geistlichen Bildung.

Keine historische Quelle, keine Schule der historischen Theologie und kein geschätzter Theologe darf die Bibel von ihrer autoritativen Rolle als Regel unserer Lehre verdrängen. Das ist ganz einfach eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf.

Viertens sollten wir uns von [einer falsch verstandenen] Ökumene fernhalten und das Evangelium bewahren. Ich muss diese Frage nicht weiter ausführen, aber sie ist nicht verhandelbar. Wenn wir „das gute Vermächtnis“ (2Tim 1,13–14) nicht bewahren, werden alle unsere Bemühungen letztlich vergeblich sein. Können wir einige Theologen aus der katholischen Tradition lesen? In bestimmten Fragen können wir das. Aber sollten wir dabei immer vorsichtig sein? Ja, das sollten wir. Denn wenn wir zwar im Kern nicänisch sind, aber nicht sola fide auf der Grundlage von solus Christus lehren, werden wir weder das Evangelium bewahren noch den Gott ehren, der es uns zur Bewahrung gegeben hat.

Fünftens sollten wir Demut, Nächstenliebe und Ehre pflegen. Abgesehen von unserer Hermeneutik und formalen Lehre dürfen wir nicht den Fehler begehen, die Pflege eines gottgefälligen Charakters zu vernachlässigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Lehre nicht von der persönlichen Frömmigkeit (die wiederum nicht vom Evangelium und seinen Auswirkungen zu trennen ist) getrennt werden kann.

Wir mögen richtige Überzeugungen haben (oder auch nicht), aber der christliche Glaube endet nicht mit der Unterzeichnung eines Blattes Papier, auf dem Glaubenssätze niedergeschrieben sind. Der christliche Glaube legt Wert auf die Frucht des Geistes (vgl. Gal 5,22–23), denn die Lehre dient der Freude und die Suche nach der Wahrheit dient der Anbetung.

Sechstens sollten wir die zahlreich vorhandenen Ironien des Retrievalist-Systems erkennen. Lassen Sie mich dazu kurz einige Beispiele im Zusammenhang mit der Betonung des „Retrievalismus” durch Barrett und andere aufzeigen.

A) Der Anglikanismus selbst ist als formale Bewegung erst etwa 500 Jahre alt. Das ist merkwürdig für jemanden, der in den Strom der alten und mittelalterlichen Kirche eintreten möchte. Wenn Ihre gesamte Hermeneutik auf der Kontinuität mit den ersten 1500 Jahren der Kirchengeschichte beruht, scheint es relevant zu sein, darauf hinzuweisen, dass der Anglikanismus als formale Bewegung in dieser Zeit nicht existierte.

B) Anglikanische Kirchen hatten echte Kämpfe mit der Lehre und der Ethik. Ich meine das nicht als Vorwurf, denn baptistische Kirchen haben ihre eigenen Probleme. Es ist jedoch einfach eine Tatsache, dass die anglikanische Ästhetik und Liturgie sowie die historische Verbundenheit die anglikanischen Kirchen nicht davor bewahrt haben, selbst bedeutende Lehrstreitigkeiten zu haben.

In der Begeisterung eines frisch Bekehrten scheint Barrett dies nicht zu sehen. Seine enthusiastische Würdigung der anglikanischen Liturgie als wesentlich für ein sinnvolles Christentum scheint zu übersehen, dass eine so schöne Liturgie zahlreiche Anglikaner nicht davon abgehalten hat, Christus nicht nachzufolgen. Auch hat die anglikanische Kirchenverfassung die Kirche nicht vor verschiedenen Prüfungen und Skandalen bewahrt.

Tatsächlich hat die Gemeinde, der Barrett beitritt, einen wichtigen anglikanischen Leiter, der seit mehreren Jahren in Kontroversen verwickelt ist. Dies ist bemerkenswert, da Barrett „das Amt des Bischofs, das für die Umsetzung der doktrinären Rechenschaftspflicht in der Kirche so wichtig ist“, als Symbol für die Gesundheit der anglikanischen Kirche beschreibt. Doch laut den Anglikanern selbst hat die ACNA genau auf dieser Ebene Probleme zu lösen.

C) Barrett hat sich feministischen Theologinnen angeschlossen, die nicht im Einklang mit der historischen Lehre stehen. Wenn Sie die Theologie der ersten anderthalb Jahrtausende der Kirchengeschichte inspiriert, sollte es Sie sicherlich sehr beunruhigen, dass eine Theologin namens Amy Peeler eine Vision von Gott als „Mutter” propagiert.

Dies hat Barrett jedoch nicht davon abgehalten, Peeler als Mitwirkende für sein kürzlich erschienenes Buch On Classical Trinitarianism über die Lehre von Gott zu gewinnen. Wenn „klassischer Trinitarismus“ Sie dazu veranlasst, sich mit egalitären Theologinnen zu verbünden, die Gott als „Mutter“ umdeuten – im Gegensatz zu Jesus, der seine Jünger in Matthäus 6,9 lehrte, ihre Gebete an „unseren Vater“ zu richten –, dann hat jeder bibelgläubige Christ ernsthafte Gründe, eine solche theologische Strömung mit großer Sorgfalt und Weisheit zu prüfen.

D) Die große Tradition ist bei weitem nicht so monolithisch, wie manche behaupten. Die „retrievalistische” Hermeneutik wird als großer Einiger turbulenter Stämme dargestellt. Durch eine gemeinsame Fokussierung auf Nicäa könnte beispielsweise ein gewisses Maß an Übereinstimmung erreicht werden. Aber wir dürfen dabei nicht übersehen, dass zwischen Katholiken und Anglikanern formal bereits eine Übereinstimmung im Sinne von Nicäa besteht, diese beiden Bewegungen jedoch keineswegs identisch sind.

Darüber hinaus ist der Retrievalismus keine Bewegung, die ohne Interpretation auskommt; jemand muss ihn standardisieren und leiten. Dies erinnert uns an einen wichtigen Punkt: Der Retrievalismus ist keineswegs frei von subjektiven Präferenzen. Er ist nicht als reines Gedankengut vom Himmel gefallen. Die Retrievalisten selbst wählen – genau wie die von ihnen kritisierten biblischen Personalisten – aus.

Siebtens gibt es einen unangenehmen Grund, warum die mittelalterliche Kirche einen so bemerkenswerten theologischen Konsens genoss. Dieser Grund ist, offen gesagt, nicht angenehm. Die katholische Kirche konnte die doktrinäre Einheit, die sie über Jahrhunderte hinweg genoss, zum Teil deshalb erreichen, weil sie im Mittelalter Andersdenkende innerhalb ihrer Theologie rücksichtslos verfolgte. Viele von ihnen – wie die Waldenser und Lollarden – bezahlten ihre Abweichung mit dem Tod.

Wir sollten dies im Hinterkopf behalten, wenn die Traditionalisten davon schwärmen, dass die Große Tradition in der Zeit vor der Reformation eine glorreiche Einheit besaß. Bei genauerer Betrachtung hat die katholische Kirche diese Einheit zu einem großen Teil auf altmodische Weise erreicht: mit dem Schwert. Wir tun gut daran, uns diese kalte, harte Wahrheit vor Augen zu halten, wenn die „Große Tradition” vor einem goldenen Hintergrund präsentiert wird.

Achtens sollten wir die „theologische Triage” wiederbeleben. Wie ich bereits ausführlich dargelegt habe, argumentiert der radikalere Flügel der Retrievalisten, dass alle Fragen, zu denen Glaubensbekenntnisse und Konzile Stellung genommen haben – beispielsweise die Frage nach dem „Willen” Gottes oder die scheinbare Höllefahrt Christi –, endgültig geklärt sind.

Um es milde auszudrücken: Dies ist eine andere Auffassung von theologischer Bildung und Debatte als die, die frühere Generationen evangelikaler Theologen vertreten haben. Wir bezeichnen die von evangelikalen Theologen – allen voran Carl Henry – entwickelte Methode als „theologische Triage“. Christliche Theologen, die dieses Raster verwenden, präsentieren ihre jeweilige Lehrmeinung nicht als die einzig akzeptable.

Stattdessen verfolgen sie ein ganz anderes Schema als das der „reinen Lehre“. In der Theologie gibt es zwar einige Fragen, die in erster Linie für den Glauben wesentlich sind und von allen bekannt werden müssen. Andere Fragen sind jedoch zweitrangig, wichtig, aber nicht erlösungsrelevant, und wieder andere sind drittrangig, zwar von Bedeutung, aber unterschiedlich interpretierbar. Viele evangelikale Christen haben sich sehr dafür eingesetzt, Meinungsverschiedenheiten sowohl in zweitrangigen als auch in drittrangigen Fragen zu respektieren.

In dieser Hinsicht ist es nicht übertrieben zu folgern, dass die „theologische Triage“ die Partnerschaft im Evangelium weit über das Maß hinausgebracht hat, das frühere Generationen erreicht hatten. Nur ein Beispiel: Die Reformatoren hatten viel gemeinsam, scheiterten jedoch an ihrer Uneinigkeit über das Abendmahl. Dies erinnert uns daran, dass es oft Zeit braucht, bis die Kirche Christi die reiche Ernte der Wahrheit in der Schrift einbringen kann.

In den letzten 200 Jahren der reformierten Geschichte haben beispielsweise die Disziplinen der exegetischen Auslegung, der biblischen Theologie, der biblischen Seelsorge, der biblischen Ethik und der biblischen Weltanschauung eine nie dagewesene Blüte erlebt. In tribalistischen Zeiten wie den unseren tun wir vielleicht gut daran, neu über die Wiederbelebung der „theologischen Triage“ nachzudenken und zu hinterfragen, ob der rücksichtslose neo-fundamentalistische Ansatz der „reinen Lehre“ der Kirche hilft oder schadet.

Fazit

Als Theologen, die schreiben und lehren, müssen wir uns gut um unsere Studenten kümmern und ihnen vermitteln, dass der Protestantismus aus einem echten Bruch mit der Lehre, der Ekklesiologie und der Methode Roms hervorgegangen ist. Sola scriptura ist kein Markenzeichen, sondern spiegelt sowohl die Auffassung der Bibel von sich selbst als auch unser eigenes Programm zu ihrer Auslegung wider.

In unserer Zeit sollten wir diese Frage sorgfältig prüfen: Stört die Annahme des Retrievalismus – in seiner kompromisslosesten Form – manchmal die Überzeugungen der Baptisten und Evangelikalen? Die Antwort lautet ganz einfach: Ja. Diese Tatsache sollte uns ernüchternd wirken, uns zu Demut und Buße bewegen und zu einer klaren Bewertung des Retrievalismus unter den Christen anregen. Wir spielen hier nicht mit Monopoly-Geld; das Wohlergehen der Seelen, nichts weniger als ihr ewiges Schicksal, hängt von solchen Bemühungen ab.

Die Reformatoren durch Manipulation ihrer Botschaft rekatholisieren?

Ich bin etwas überrascht, dass mein kurzer Beitrag zu Matthew Barrett so viel Aufmerksamkeit erhält. Zugleich bin ich erfreut, dass sich so viele Leute mit dem Thema „Kontinuität der Reformation“ beschäftigen. 

Ergänzend zu meinen vorsichtig kritischen Anmerkungen zu Barretts Sicht auf die Reformation möchte ich daher noch auf einen Vortrag von Peter Opitz hinweisen, in dem er Barretts The Reformation as Renewal: Retrieving the One, Holy, Catholic, and Apostolic Church beleuchtet.

Opitz, einer der besten Kenner der Schweizerischen Reformation, ist davon überzeugt, dass Barrett im Umgang mit den historischen Quellen sehr interessengeleitet gearbeitet hat.

Hier der Vortrag: “Reformation As Renewal:” Recatholicizing The Reformers By Manipulating Their Message? von Peter Opitz.

Matthew Barrett ist jetzt Anglikaner

Der Theologe Matthew Barrett, der acht Jahre lang am Midwestern Baptist Theological Seminary unterrichtet hat, ist in die Anglikanische Kirche eingetreten und hat in diesem Zuge auch seine Taufposition revidiert. Er schreibt

Was ist also passiert? Wir wurden von einem Sturm heimgesucht, eigentlich sogar von einem Tornado. Wir hatten keine Ahnung, dass der Tornado kommen würde, und lange Zeit haben wir uns eingeredet, dass das unmöglich sein könne. Aber unter großen Schmerzen haben wir erkannt, dass der Herr selbst diesen Tornado gesandt hat. Tatsächlich haben wir seitdem erfahren, dass der Herr selbst in diesem Tornado war und eine Säule nach der anderen unseres SBC-Hauses zum Einsturz gebracht hat.

Die erste Säule begann vor einem Jahr zu bröckeln, als eine Gruppe von Southern Baptists vor der SBC stand und die Aufnahme des Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses in die „Baptist Faith and Message” forderte. Ich unterstüze diese Männer mit Beifall. Aber die Antworten sprachen Bände. Von „Keine Glaubensbekenntnisse außer der Bibel“ über „Der Zeitpunkt ist ungünstig“ bis hin zu allen anderen Ausreden, die man sich vorstellen kann. Als der Beschluss Monate später dem Exekutivkomitee vorgelegt wurde, lehnte das Komitee die Aufnahme des Glaubensbekenntnisses offiziell ab. Unabhängig vom Grund kann ich nicht in einer Konfession bleiben, in der das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis offiziell abgelehnt wurde und nach wie vor eklatant fehlt.

Ich werde natürlich dafür beten, dass die SBC ihre Meinung ändert. Aber ich habe erkannt, dass selbst wenn es aufgenommen würde, die Struktur der Konfession nicht so ist, dass sie das Glaubensbekenntnis mit der Autorität anderer Traditionen umsetzen könnte, die an Konzile und Synoden glauben und über die Strukturen verfügen, um diese glaubwürdig zu unterstützen. Aber noch wichtiger ist, dass die Kultur der SBC letztlich nicht diejenigen tragen kann, denen die Wiederbelebung und die Große Tradition am Herzen liegen. Wir schreiben das Jahr 2025, und an den Seminaren der Southern Baptist Convention wird immer noch die EFS (ewige funktionale Unterordnung des Sohnes unter den Vater) gelehrt. Irgendwann müssen wir für etwas einstehen. Sonst machen wir uns mitschuldig an unserer Selbstgefälligkeit.

Um ehrlich zu sein: Ich war von dieser Nachricht wenig überrascht. Seit Jahren verfolge ich die Entwicklung von Matthew Barrett und staune über seine Anläufe, Thomas von Aquin innerhalb reformatorischer Kreise zu rehabiliteren (manche Gründe für diese Rehablitierung halte ich für überzeugend, andere nicht). Ich bin in gewisser Weise froh, dass er nicht Francis J. Beckwith gefolgt ist, der 2007 zum Katholizismus konvertierte. 

Für die Bewertung seines Schrittes und der dafür angeführten Gründe empfehle ich, eine Stellungnahme von Denny Burk zu studieren. Ich denke, einige dort erläuterten Punkte sollte man gehört oder gelesen haben, um seine eigene Sicht entwickeln zu können. Da ist zum Beispiel die Sache mit dem „Nicäno-Konstantinopolitanum“. Burk schreibt:

Barrett behauptet, dass die Southern Baptist Convention das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis „offiziell abgelehnt” habe. Dies ist eine falsche Darstellung dessen, was bei einem kürzlich gescheiterten Versuch, das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis in die „Baptist Faith and Message” aufzunehmen, geschehen ist. Damals habe ich mich öffentlich gegen den Vorschlag ausgesprochen, aber nicht, weil ich das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis ablehne. Vielmehr war der Verfahrensweg falsch, und ich bin der Meinung, dass wir, wenn wir diesen Schritt gehen, alle drei ökumenischen Glaubensbekenntnisse bekräftigen sollten. Ich habe mich also gegen die Maßnahme ausgesprochen, aber nicht gegen das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis an sich. Tatsächlich bekennt sich meine eigene Southern Baptist Church jede Woche freudig zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, zum Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis und zum Athanasianischen Glaubensbekenntnis. Die Gegner dieses speziellen Vorschlags als „offizielle Ablehnung“ des Glaubensbekenntnisses zu bezeichnen, ist eine Verleumdung treuer Brüder und Schwestern in Christus. Außerdem wird dabei übersehen, dass die SBC erst letzten Monat eine Resolution verabschiedet hat, in der sie ihr langjähriges Bekenntnis zur nicänischen Orthodoxie bekräftigt hat.

Die Diskussion wird weitergehen. Ich habe solche „Konversionen“ oder „Wechsel“ schön häufiger „begleitet“ und mehrfach beobachtet: In der Onboarding-Phase setzen „Wechsler“ eine rosarote Brille auf. Sie spüren eine große seelische Entlastung und verbinden mit der neuen Heimat den „Himmel auf Erden“. Ich hoffe, dass er in der Anglikanische Kirche, die ja selbst in keiner einfache Lage steckt, zur Ruhe kommt und in Zukunft etwas weniger lärmend auftritt. 

Matthew Barrett: Die Reformation als Erneuerung

123393EBGestern ist das Buch The Reformation as Renewal: Retrieving the One, Holy, Catholic, and Apostolic Church (Grand Rapids, MI: Zondervan Academic, 2023) erschienen. Der Verlag schreibt über das Werk:

Das Buch ist eine frische, ganzheitliche und augenöffnende Einführung in einen der bedeutendsten Wendepunkte in der Geschichte der christlichen Kirche. Unter Berücksichtigung sowohl der historischen als auch der intellektuellen Ursprünge der Reformation im 16. Jahrhundert zeigt Matthew Barrett, dass die Reformation in ihrem Kern eine Erneuerung der evangelischen Katholizität war. Rom warf den Reformatoren Neuheit vor, als seien sie Ketzer, die von der katholischen (universalen) Kirche abwichen. Doch die Reformatoren glaubten, sie seien katholischer als Rom. In Abgrenzung zu den Radikalen waren die Reformatoren überzeugt, dass sie den Glauben ihrer patristischen und mittelalterlichen Väter wiederherstellen würden. Anstatt mit der Kirche zu brechen, sahen sich die Reformatoren als treue Verwalter der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche, die in der Geschichte bewahrt wurde. Während Rom sich auf Innovationen stützte, die ihren Ursprung im späten Mittelalter hatten, verbanden sich die Reformatoren mit der Kirche aller Epochen, der patristischen wie der mittelalterlichen, um den wahren Gottesdienst und die Erneuerung des Evangeliums in ihrer eigenen Zeit wiederherzustellen.

Ich habe schon mal reingeschaut und gelesen, was Barrett zur Debatte um die Sühnetheologie geschrieben hat.

Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts waren in ihrer Polemik mit dem Papsttum unnachgiebige Verteidiger des solus Christus. Die Rechtfertigung hing von einem Sühneopfer ab, mit dem Christus alles bezahlte. Christus setzte sich an die Stelle der Sünder und befriedigte den Zorn Gottes, den die Sünder verdient hatten. Allein durch den Glauben an Christus wird den Gottlosen nicht nur ein Teil, sondern das Ganze vergeben. Außerdem wird ihnen durch den Glauben auch die Gerechtigkeit Christi zugerechnet. Denn Christus hat nicht nur an der Stelle der Sünder gelitten, sondern auch für sie gelebt und das Gesetz bis zur Vollkommenheit befolgt, was die Sünder nicht geschafft haben. Sein makelloser Gehorsam wird den Gläubigen angerechnet und gibt allen, die an Christus glauben, die Gewissheit des ewigen Lebens.

Die mittelalterlichen Scholastiker stimmten nicht genau mit den Reformatoren überein, wenn es um die angewandte Erlösung geht, was deutlich wird, wenn man die mittelalterliche Behauptung der übertragenen Gerechtigkeit der reformatorischen Lehre von der angerechneten Gerechtigkeit gegenüberstellt. In Bezug auf die vollbrachte Erlösung – das objektive, geschichtliche Werk Christi als Mittler am Kreuz – stimmten die Reformatoren jedoch in einigen wichtigen Punkten mit namhaften Scholastikern überein. Diese Übereinstimmung mag nicht exakt gewesen sein (wie wir noch sehen werden), aber sie war bemerkenswert. Die Reformatoren standen auf einem Fundament, das nicht nur von den Kirchenvätern, sondern auch von den mittelalterlichen Scholastikern geebnet worden war. Dieses Fundament erklärt, warum die Reformatoren die Transsubstantiation anfechten konnten (siehe Kapitel 8), die ihrer Meinung nach die Hinlänglichkeit des Opfers Christi (solus Christus) verletzte. Die Reformatoren stellten jedoch die grundlegende und wesentliche Bestätigung des Kreuzes als Sühne, ja sogar als Genugtuung für die Sünde durch Rom nicht in Frage.

Die Ausgabe für die Bibelsoftware Logos gibt es hier: www.logos.com.

Reformation als Vorläufer des Säkularismus?

Nicht nur aus den Reihen der katholischen Apologetik hören wir, dass die Reformation die Säkularisierung angestoßen hat und somit für die spätmoderne Beliebigkeitskultur (auch in Glaubensfragen) mitverantwortlich ist. Historiker wie Brad S. Gregory zeigen ebenfalls, dass unter dem Einfluss der Reformation der christliche Glaube ein betont subjektives und therapeutisches Profil erhielt (vgl. The Unintended Reformation von von Brad S. Gregory).

Matthew Barrett würde Entwicklungen dieser Art nicht bestreiten. Doch insgesamt plädiert er dafür, besser zu verstehen, dass die Reformatoren in vielen Bereichen in Kontinuität zur historischen Kirche stehen, etwa bei der Formulierung der Dreieinigkeitslehre. Nur dort, wo diese Grundlagen vergessen oder verleugnet werden, kann sich der Subjektivismus durchsetzen. Sein Buch The Reformation as Renewal: Retrieving the One, Holy, Catholic, and Apostolic Church wird daher von vielen Theologen ungeduldig erwartet.

Wer nicht bis zur Veröffentlichung dieses Grundlagenwerkes warten möchte, bekommt durch den Podcast Should we blame the Reformation for secularism? die Möglichkeit, Barrett zuzuhören, wenn er über Metaphysik, Platon, Aristoteles, den Universalienstreit oder Luthers Kritik am Scholastizismus spricht.

Hier: UPDATED–2023_04_06_Parkison–2_mixdown–1.mp3.

Die Aufer­stehung verändert alles

Matthew Barrett schreibt über den Ostersonntag: 

Losgelöst von Christi Auferstehung haben wir keine Hoffnung für die Zukunft. Wie Paulus klar und deutlich schreibt: Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann „sind wir die elendesten unter allen Menschen“, weil unsere Hoffnung in Christus nicht über dieses Leben hinausgeht (1Kor 15,19). Doch da Christus auferstanden ist, können wir dem Tod ins Angesicht blicken und wissen, dass er nicht den letzten Sieg davontragen wird und dass sein Stachel nicht von Dauer ist (1Kor 15,54–55).

Ich liebe das Ende von 1. Korinther 15, wo Paulus abschließend schreibt: „Darum, meine geliebten Brüder, seid fest, unerschütterlich, nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn!“ (15,58). Weil Christus auferstanden ist, haben wir, wenn wir in Christus sind, alle Gewissheit, dass unsere Arbeit in der Verbreitung des Evangeliums vom auferstandenen Christus nicht sinnlos oder zwecklos ist, sondern für alle Ewigkeit zählt. Denk darum diese Ostern daran: Christi Auferstehung verändert alles! Ohne die Auferstehung haben wir kein Evangelium, keine Errettung, keine rettende Botschaft und definitiv keine Hoffnung für die Zukunft.

Mehr: www.evangelium21.net.

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