Politik

Jonathan Rauch: „Ganz vieles wurde ganz schnell schlechter“

Der jüdische, schwule und atheistische Jonathan Rauch hat lange den Niedergang des Christentums in Amerika gefeiert. Nun erkennt er, was der Preis dafür war: Einsamkeit und Radikalisierung. In einem Interview mit DER WELT erklärt er, warum er den Einfluss des christlichen Glaubens in Amerika vermisst:

Ein Auszug:

DIE WELT: Wie kommt ein schwuler jüdischer Atheist wie Sie dazu, ein Buch zu schreiben, in dem er das Christentum verteidigt?

Jonathan Rauch: Wie viele andere Amerikaner habe ich darüber nachgedacht, warum unser Land unregierbar geworden ist. Und mir wurde irgendwann klar: Das liegt unter anderem am Kollaps des Christentums, das eine tragende Wand unserer Demokratie war. Dieser Zusammenbruch hat das hinterlassen, was manche „das Loch in der Form Gottes“ nennen. Die Leute wenden sich falschen Göttern zu, sie machen die Politik zum Religionsersatz.

WELT: Was meinen Sie, bitte, mit „Zusammenbruch des Christentums“? Europäern fällt eher auf, welch große Rolle das Christentum im Leben der Vereinigten Staaten immer noch spielt: Hier gibt es Megakirchen, Fernsehpastoren, öffentlich betende Politiker …

Rauch: Wir hatten in den vergangenen 50 Jahren zwei große Wellen der Säkularisierung. Sie betraf zunächst die großen Kirchen – als ich in den Sechziger-, Siebzigerjahren aufwuchs, hatten sie enorme kulturelle Bedeutung, und sie verschwanden praktisch in der Bedeutungslosigkeit. In derselben Periode begann die Bewegung der weißen Evangelikalen zu wachsen, weil sie sich der Mehrheitskultur entgegenstemmte, weil sie härtere Kanten hatte, weil sie politischer war. Aber in den vergangenen 20 Jahren haben wir einen nie dagewesenen Prozess der Entkirchlichung erlebt. Vierzig Millionen Amerikaner haben schlicht aufgehört, in die Kirche zu gehen und religiös zu sein. Binnen 14 Jahren hat sich die Zahl der Amerikaner, die sich selber als Christen bezeichnen, von 78 Prozent auf 63 Prozent reduziert. Das ist ein Erdbeben!

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Die „sittliche Reife“ und das Lebensrecht

Ausgerechnet Olaf Scholz meint, in der Frage „sittlicher Reife“ Noten verteilen zu können. Wer mit größter Lockerheit den Schutz des Lebensrechtes der Ungeborenen in Frage stellt und noch kurz vor Toresschluss eine Parlamentsentscheidung durchsetzen möchte, sollte sich hüten, auf dem moralisch hohen Ross zu reiten, meint Sebastian Sasse. Sehe ich auch so: 

Scholz verfährt nach einer Taktik, die die Linke in den letzten 50 Jahren so sehr verinnerlicht hat, dass sie wahrscheinlich mittlerweile selbst für Wahrheit hält, was tatsächlich ein Kampagnentrick ist: Wir sind die Guten, denn wir sind auf der Seite des Fortschritts, haben also die Vernunft auf unserer Seite. Dieses Mantra, durch willige Medien parallel in den letzten fünf Jahrzehnten in die Öffentlichkeit posaunt, war die geistige Basis, auf der sich die linke Deutungshoheit aufgebaut hat. Die ist nun zwar mit dem Zusammenbruch der Ampel endgültig Geschichte, aber die Arroganz – siehe Scholz – bleibt. Das Gefühl, moralische Avantgarde zu sein, ist der Klebekitt, der dieses Lager von links-liberal bis links-außen zusammenhält. Man braucht nur so etwas wie eine negative Projektionsfläche. Dazu dient auch der Vorstoß in Sachen 218. Das Narrativ dazu: „Die bösen, alten, reaktionären Männer beharren auf dem Alten, aber mit uns marschiert die neue Zeit, wir bringen das Patriarchat ins Wanken.“ 

Mehr: www.die-tagespost.de.

Selbstbestimmungsgesetz: „Durchgepeitschtes Ideologieprojekt“

Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär, hat das am 1. November in Kraft tretende Selbstbestimmungsgesetz scharf kritisiert. Es ermöglicht künftig einmal im Jahr die Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens durch Erklärung gegenüber dem Standesamt.

IDEA schreibt

Mit dem Gesetz habe die Bundesregierung „ein weiteres Ideologieprojekt rücksichtslos durchgepeitscht“, erklärte Bär gegenüber der „Rheinischen Post“. Insbesondere mit Blick auf den Kinder- und Jugendschutz sei das unverantwortlich. Hintergrund: Das Gesetz ermöglicht die Änderung des Geschlechtseintrages auch für Minderjährige. Für unter 14-Jährige kann nur der gesetzliche Vertreter die Erklärung abgeben, über 14-Jährige können dies mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters selbst tun. Sollte dieser nicht zustimmen, kann das Familiengericht die Zustimmung ersetzen, „wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht“, so das Gesetz.

Nach Ansicht von Kritikern können Kinder und Jugendliche die Tragweite der Entscheidung für einen Geschlechtswechsel nicht überblicken.

Bär sagte weiter, die Ampelkoalition habe „versäumt, einen verlässlichen Rechtsrahmen für die wenigen Tausend Menschen zu schaffen, die mit ihrer sexuellen Identität ringen und mit staatlichen Vorgaben in Konflikt stehen“. Stattdessen sei sie „mit diesem hanebüchenen Gesetz vollkommen über das Ziel hinausgeschossen“.

Spannend ist auch (gerade für Pastoren),  was Jugendliche über das Gesetz denken. Die AUGSBURGER ALLGEMEINE berichtet

Das Meinungsforschungsinstitut YouGov befragte vom 25. bis 27. Oktober mehr als 2.000 volljährige Menschen online. Dabei war der Zuspruch unter den Frauen mit 51 Prozent größer, wie das Institut mitteilte. Unter den Männern sprachen sich demnach 43 Prozent für das Gesetz aus.

Darüber hinaus ging aus der Umfrage hervor, dass jüngere Menschen das Selbstbestimmungsgesetz häufiger befürworten als ältere. So seien es bei den 18- bis 24-Jährigen 56 Prozent und bei den 25- bis 34-Jährigen 63 Prozent gewesen. Den geringsten Zuspruch gab es mit 39 Prozent aus der Gruppe der 45- bis 54-Jährigen.

 

 

 

Nietzsche – kein guter politischer Lehrmeister

Pete Nicholas warnt vor einer Politik, die einzig auf Macht ausgerichtet ist – und stellt dieser ein augustinisches Konzept gegenüber:

Nietzsche lehrte eine Hermeneutik (Weltanschauung), die von der Macht ausgeht: „Meine Vorstellung ist, daß jeder spezifische Körper darnach strebt, über den ganze Raum Herr zu werden und seine Kraft auszudehnen (— sein Wille zur Macht:) und Alles das zurückzustoßen, was seiner Ausdehnung widerstrebt“ (eKGWB/NF-1888,14[186] —Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1888).

Die politische Linke sieht die Welt zunehmend auf diese Weise. Sie ist sehr darauf bedacht, Machtungleichgewichte auszugleichen und die Freiheit zu fördern, indem sie gesellschaftliche Gruppen, denen es an Macht mangelt, von entsprechenden Hindernissen befreit. Diese Ziele mögen bewundernswert sein, aber daneben sind Theorien entstanden, die in der Philosophie von Nietzsche und Marx verankert sind und die Menschen durch die Schnittpunkte der Macht betrachten und für eine Umkehrung der gesellschaftlichen Machtdynamik eintreten.

Die politische Rechte mag sich zwar in Opposition zu einem solchen Ansatz sehen, doch der Aufstieg des Populismus spricht dagegen. Für Nietzsche war die Verkörperung des Willens zur Macht der Übermensch, der die Ideale verkörperte, die wir heute in populistischen Führern wiederfinden.

Der Populismus stellt „das Volk“ (Populus) als geschwächt durch korrupte Mächte – „Eliten“ an der Spitze der Gesellschaft – und durch diejenigen dar, die von außen in das Volk eindringen. Komplexe gesellschaftliche Probleme werden in der Regel auf dieses Narrativ von Korruption und Schwächung reduziert, wobei der Übermensch die einzige Person ist, die „sagt, wie es ist“, und anbietet, die Dinge zu bereinigen und die Stärke des Volkes wiederherzustellen. Wenn Dir das bekannt vorkommt, dann ist das der Punkt.

Selbst wenn es einen gewissen Erklärungswert hat, kann die Betrachtung der Dinge durch die Brille der Macht keinen konstruktiven Weg nach vorne aufzeigen. Macht reduziert alles auf ein Nullsummenspiel. Wir täten gut daran, über die blutigen Regime des 20. Jahrhunderts nachzudenken, die, ob sie nun von Nietzsche oder Marx gestützt wurden, die Welt auf diese Weise sahen.

Wir täten gut daran, Augustins Warnung und Ermahnung zu beherzigen (ich zitiere ohne Auslasssungen aus De Civitate Dei, XII,1):

„Denn die einen verharren standhaft bei dem allen gemeinsamen Gut, das für sie Gott selber ist, und bei seiner Ewigkeit, Wahrheit und Liebe; die andern, von ihrer eigenen Macht berauscht, fielen, als könnten sie ihr eigenes Gut sein, von dem höheren, allen gemeinsamen, beseligenden Gute auf sich selbst zurück, tauschten dünkelhafte Selbstüberhebung ein für die hoch erhabene Ewigkeit, nichtsnutzige Schlauheit für gewisseste Wahrheit, parteiische für allgemeine Liebe und wurden hochmütig, trügerisch, neidisch. Gott anhangen, das ist für die einen Grund der Seligkeit, so ergibt sich als Grund der Unseligkeit der anderen das Gegenteil: Gott nicht anhangen.“

Mehr: www.thegospelcoalition.org.

Die Schiebereien beim Berliner Internationalen Literaturpreis

Minuziös stellen Juliane Liebert und Ronya Othmann das Prozedere bei einer Preisverleihung dar, die laut Eigendefinition allein nach der „Qualität des Buches“ entscheidet. Die Preisentscheidung wurde „klar politisch getroffen“, sagen Mitglieder der Jury. Paul Jandl fasst zusammen: 

In einem längeren, gemeinsam für die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ verfassten Text schreiben die beiden Jurorinnen: „Es ging um Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, um Politik und nicht um Literatur.“ Ein Juror wird mit dem Satz zitiert: „Sorry, ich liebe Literatur, aber Politik ist wichtiger.“

Minuziös stellen Liebert und Othmann das Prozedere bei einem Preis dar, der laut Eigendefinition allein nach der „Qualität des Buches“ vergeben wird. Und eben nicht nach politischen oder ethnischen Kriterien. Auf der Shortlist des Preises, der vom Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) und der privaten Stiftung Elementarteilchen vergeben wird, standen: ein senegalesischer Autor, der auf Französisch schreibt, eine südkoreanische Autorin, die in den USA ihre Heimat hat, und eine Russin, die in Berlin im Exil lebt. Ausserdem eine weissrussische, eine mexikanische und eine französische Autorin.

Minuziös stellen Liebert und Othmann das Prozedere bei einem Preis dar, der laut Eigendefinition allein nach der „Qualität des Buches“ vergeben wird. Und eben nicht nach politischen oder ethnischen Kriterien. Auf der Shortlist des Preises, der vom Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) und der privaten Stiftung Elementarteilchen vergeben wird, standen: ein senegalesischer Autor, der auf Französisch schreibt, eine südkoreanische Autorin, die in den USA ihre Heimat hat, und eine Russin, die in Berlin im Exil lebt. Ausserdem eine weissrussische, eine mexikanische und eine französische Autorin. Die Französin Mariette Navarro gehörte in den Vorgesprächen aufgrund der literarischen Qualität ihres Buches „Über die See“ zu den Favoritinnen, allerdings zogen einige Juroren ihre Voten zurück, als klarwurde, dass es drei schwarze Autorinnen nicht auf die Shortlist geschafft hatten. „Eine weisse Französin“, also offenbar der Inbegriff der Privilegiertheit, das gehe nicht. Mit den drei schwarzen Autorinnen war indessen auch Péter Nádas mit seinem Roman „Schauergeschichten“ wieder ins Spiel gekommen. Beim berühmten Ungarn Nádas soll für die Jury-Mehrheit das gleiche Verdikt gegolten haben wie für Mariette Navarro. Zu weiss, zu privilegiert. Ausserdem auch noch von den Feuilletons geliebt. 

Mehr: www.nzz.ch.

„Green Culture“

Claudia Roth will Kreative stärker auf Nachhaltigkeit einschwören. Kunst und Kultur sollen inhaltlich Einfluss auf die Klima-Debatte nehmen. Es erinnert irgendwie an den Sozialismus, wenn die Politik dem Kunstbetrieb vorschreibt, was zu tun ist. Künstler sind in der Regel allerdings Leute, die sich nicht vor einen Karren spannen lassen wollen. Ich hoffe, das Ansinnen geht nach hinten los und wenigstens einige „Kulturschaffende“ decken auf, dass sie verzweckt werden sollen, indem sie einen bestimmten Narrativ unters Volk bringen. 

Thomas Schmid schreibt für DIE WELT: 

Was bringt „Green Culture“ für die Kultur? Schnell merkt man, dass es nicht nur um Nachhaltigkeit, sondern mindestens ebenso um Politik, um Einflussnahme geht. Die Kultur soll vor den Wagen der ökologischen Transformation gespannt werden. Die Frage, was dieser Staatsinterventionismus der Kultur nützen könne, wird nicht einmal gestellt.

Claudia Roth hat es präzise formuliert: „Wir müssen das Leben auf unserem Planeten sichern – und der Kultur kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Nicht nur, indem sie ihren eigenen ökologischen Fußabdruck deutlich reduziert, sondern auch, indem sie mit Mitteln der Kunst dabei hilft, gesellschaftliche Entwicklungen und Perspektiven in ihrer Komplexität zu reflektieren und sichtbar zu machen.“

Was Roth hier vergleichsweise vorsichtig formuliert, hört sich im Programm einer der „Green Culture“-Konferenzen schon entschiedener an. Da wird der „Kultur- und Kreativwirtschaft“, die sogleich das Kürzel „KKW“ verpasst bekommt, eine explizit politische Aufgabe zugeschrieben: „Die Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) kann Einfluss darauf nehmen, wie die Geschichte der Klimakrise erzählt wird. Die KKW übernimmt hier die Rolle des Übersetzers der Wissenschaft, trägt die Erzählung in die Welt hinaus und kann der Geschichte einen Hoffnungsschimmer verleihen.“ Sorgt also dafür, dass korrekt erzählt wird, dass die Botschaft der Wissenschaft korrekt ins Allgemeinverständliche übersetzt wird.

Der fast heilsgeschichtliche Ton solcher Zeilen kann nicht verbergen, dass hier beinharte Geschaftlhuber und Netzwerker am Werk sind. Dass hier ein politisches Projekt geplant wird, das – wie viele andere Initiativen zur Hebung des allgemeinen moralisch-politischen Niveaus – in eine Menge neuer Planstellen und Arbeitsplätze münden wird. Auch wenn das schamhaft beschwiegen wird: Das Ganze ist auch ein Geschäft.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Bullinger: Vom Leiden unter einer gottlosen Obrigkeit

Heinrich Bullinger gibt Christen, die unter einer gottlosen Regierung leiden, folgende Ratschläge (H. Bullinger, Schriften III, S. 336–338):

Welche Gesinnung aber die Untertanen gegenüber solchen harten und grausamen Regenten oder Tyrannen hegen sollen, entnehmen wir einesteils den Lehren Davids, andernteils den Lehren Jeremias und der Apostel. David wusste genau, was für ein Mensch Saul war, ein gottloser und grausamer Räuber, doch floh er. Obschon sich mehrfach die Gelegenheit ergab, ihn zu töten, tötete er ihn nicht, sondern schonte den Tyrannen und ehrte ihn gar wie einen Vater [vgl. 1Sam 24; 26]. Jeremia betete für Jojakim und Zedekia, die nichtsnutzige Könige waren, und gehorchte ihnen, solange es nicht den Glauben betraf [vgl. Jer 32,16–25; 37,3; 42,2–4]. Als ich darüber sprach, dass man die Eltern ehren solle, habe ich mit der Schrift belegt, dass man gottlosen Geboten gottloser Menschen nicht gehorchen darf. Ebenso wenig steht es einer Obrigkeit zu, gegen das Gesetz der Natur und Gottes zu verstoßen und zu handeln. Die Apostelgeschichte lehrt, wie sich die Apostel gegen eine tyrannische Obrigkeit verhalten haben [vgl. Apg 4,18-21; 5,29-33].

Denen, die unter einer Tyrannenherrschaft leiden oder durch eine gottlose und verbrecherische Obrigkeit gegen jedes Recht und jede Ordnung verfolgt werden, möchte ich den folgenden Rat geben: Zuerst sollen sie bedenken, welcherart und wie groß ihre Sünden des Götzendienstes und der Unreinheit sind, die den strafenden Zorn Gottes wohl verdient haben. Danach sollen sie bedenken, dass Gott seine Geißel nicht zurückziehen wird, bevor die falschen Gottesdienste abgestellt und die verdorbenen Sitten gebessert worden sind. Vor allem muss also eine wahrhaftige Erneuerung des Glaubens sowie eine gewissenhafte Besserung der Lebensweise veranlasst und vollzogen werden. Außerdem gilt es, unablässig zu beten, dass Gott die Unterdrückten retten und dem Schmutz des Bösen entreißen wolle [vgl. Ps 40,3]. Denn dies rät den Unterdrückten der Herr selbst in Lukas, Kapitel 18, indem er ihnen verlässliche Hilfe und sofortige Befreiung verheißt [vgl. Lk 18,1–8]. Was aber und wie die Unterdrückten beten sollen, zeigen die Gebetsworte bei Daniel in Kapitel 9 und in der Apostelgeschichte, Kapitel 4 [vgl. Dan 9,4–19; Apg 4,23–31]. Den belasteten Seelen vermag auch zu helfen, was die ersten unter den Aposteln, Petrus und Paulus, gelehrt haben. Jener sagt [vgl. 2Petr 2,9.7]: »Es weiß der Herr die Seinen aus der Versuchung zu erretten, wie er auch Lot errettet hat.« Dieser spricht [vgl. 1Kor 10,13]: »Gott ist getreu. Er wird nicht zulassen, dass die Seinen mehr versucht werden, als sie es ertragen können, sondern lässt die Versuchung glücklich enden.« Es sollte einem auch die Gefangenschaft des Gottesvolkes in den Sinn kommen, das in Babylon während siebzig Jahren zurückgehalten wurde, und die wunderschöne Trostrede an die Gefangenen, die Jesaja in den Kapiteln 40 bis 49 verfasst hat. Wir 61′ sollen daran denken, dass Gott gut, gnädig und allmächtig ist und es ihm deshalb ein Leichtes ist, uns zu erlösen. Er hat verschiedene Mittel, uns zu befreien. Wir müssen nur darauf achten, dass wir die Tyrannen nicht durch unser sträfliches, schimpfliches und gottloses Leben stärken. Der Herr vermag die Herzen der Fürsten ganz plötzlich zu verändern – »Das Herz des Königs gleicht Wasserbächen in der Hand des Herrn, die er leitet, wohin er will« [Spr 21,1] –, so dass die, welche bis dahin äußerst grausam gegen uns waren, fortan gütig und mild sind, und die, welche bis dahin den wahren Glauben in grausamster Weise verfolgten, ihn nun aufs Glühendste lieben und mit großer Umsicht fördern.

Bullinger: Ist eine schlechte Obrigkeit von Gott?

Heinrich Bullinger schreibt über die Herkunft einer schlechten Obrigkeit (H. Bullinger, Schriften III, S. 334–336):

Die meisten Autoren unterscheiden zwei Arten von Obrigkeiten, nämlich gute und schlechte. Gut ist eine Obrigkeit, wenn sie auf rechtmäßige Weise eingesetzt worden ist und rechtmäßig ihr Amt versieht. Schlecht ist sie, wenn sie ihre Herrschaft mit Übeln Machenschaften erlangt hat und willkürlich ausübt. Dabei stellt sich aber die Frage, ob eine schlechte, d. h. tyrannische Obrigkeit von Gott sei. Darauf antworte ich, dass Gott das Gute bewirkt, nicht das Böse. Gott ist von seinem Wesen her gut, und alles, was er einrichtet, ist gut und ist eingesetzt worden zum Wohl und Heil der Menschen, nicht zu ihrem Schaden. So ist die Obrigkeit als eine gute und heilsame Einrichtung ohne Zweifel von Gott, dem Urheber alles Guten. An dieser Stelle muss man aber das Amt und die Einrichtung Gottes von der Person unterscheiden, die nicht mit diesem guten Amt übereinstimmt. Wenn demnach an einer Obrigkeit Schlechtes gefunden wird statt des Guten, um dessentwillen sie eingerichtet wurde, sind andere Gründe dafür verantwortlich: Die Schuld liegt bei den Personen, den Menschen, die Gott missachten und eine gute Einrichtung verderben, nicht bei Gott oder der Einrichtung Gottes. Ein schlechter Herrscher, der vom Teufel verführt worden ist, verkehrt die Wege Gottes zum Schlechten. Er verletzt mit seiner Lasterhaftigkeit und seinem üblen Tun seine Pflicht, so dass er den Namen einer satanischen, nicht der göttlichen Macht verdient. Das lässt sich an der Obrigkeit von Jerusalem ersehen. Der Ursprung dieser Obrigkeit geht zwar bis auf Mose zurück, und sie kann sich damit auf Gott selbst als Gründer berufen; weil sie aber den Heiland gefangen genommen und im Garten Gethsemane gefesselt hat, bekommen ihre Diener zu hören [Lk 22,52f.]: »Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen mit Schwertern und Stöcken. Als ich täglich bei euch im Tempel war, habt ihr nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.« Er nennt also die rechtmäßige Obrigkeit, die jedoch ihre Macht missbraucht, eine teuflische Macht. Wie könnte man es klarer sagen? Der Tadel richtet sich gegen die Personen, nicht gegen das Amt.

So ist es wichtig, dass man niemals eine tyrannische Regierung verteidigt, als sei sie eine göttliche. Denn eine tyrannische Regierung ist teuflisch und nicht von Gott, und Tyrannen sind recht eigentlich des Teufels, nicht die Diener Gottes. Es kommt auch vor, dass es ein Volk mit seinem lasterhaften Leben verdient, einen Tyrannen anstatt eines Königs zu haben. Die Schuld fällt also wiederum auf den sündigen Menschen zurück. Manchmal gewährt der Herr zwar einen König, aber lässt einen Heuchler regieren. So kommt die schlechte Obrigkeit von Gott, wie auch Aufruhr und Krieg, Seuchen, Hagel, Kälte und andere Plagen der Menschen von Gott kommen als Strafen für die Sünden und Verbrechen, Strafen, die er ihnen auferlegt, der spricht [Jes 3,4.8]: »Ich will ihnen Knaben zu Fürsten geben, und Buben sollen über sie herrschen. Denn ihre Zunge und ihr Trachten ist wider den Herrn.«

Bullinger: Die Obrigkeit schützt das Gute und bestraft das Böse

Heinrich Bullinger schreibt über die Aufgaben einer Obrigkeit (H. Bullinger, Schriften III, S. 334):

Deutlich folgt aus dem bisher Gesagten, dass die Obrigkeit von Gott eingesetzt wurde, um das Gute zu schützen und Böse zu strafen, also zum Wohl und zur Erhaltung der Menschen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass es, wie zu lesen ist, seit Beginn der Welt auf der Erde Obrigkeiten gab. Dahin deuten auch folgende Zeugnisse der Heiligen Schrift. Mose nennt im Gesetz die Richter Götter und sagt [Dtn 1,17]: »Das Gericht ist Gottes.« Davon leitet Josaphat ab, was er zu den Richtern sagt [2 Chr 19,6f.]: »Sehet zu, was ihr tut; denn nicht im Namen von Menschen habt ihr zu richten, sondern im Namen des Herrn, der bei euch ist, wenn ihr Recht sprecht. So sei nun die Furcht des Herrn auf euch« usw. Der heilige Petrus sagt, man müsse der Obrigkeit um des Herrn willen gehorchen, durch den jene gesetzt ist zur Belohnung der Guten und zur Bestrafung der Bösen [vgl. 1 Petr 2,i3f.]. So sagt auch Paulus, der Lehrer as Heiden [Röm 13,1—4]: »Es gibt keine Obrigkeit außer von Gott, die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt. Somit wider der, welcher sich der Obrigkeit widersetzt, der Anordnung Gottes; wer aber widersteht, empfängt für sich ein Urteil.

Bullinger: Die Notwendigkeit der Obrigkeit

Heinrich Bullinger schreibt über die Notwendigkeit einer Obrigkeit, egal ob sie demokratisch, monarchisch oder aristokratisch zustande gekommen ist (H. Bullinger, Schriften III, S. 332–333):

Doch wie dem auch sei, die Apostel Christi befehlen uns, der Obrigkeit zu gehorchen, ob sie nun ein König oder ein Rat der hervorragendsten Männer sei. Denn Paulus schreibt im Brief an Titus, Kapitel 3 [Tit 3,1]: »Erinnere sie, den Obrigkeiten und Gewalten untertan zu sein und den Amtleuten zu gehorchen.« Und den Römern schreibt er [Röm 13,1]: »Jedermann sei den Vorgesetzten Obrigkeiten untertan; denn es gibt keine Obrigkeit außer von Gott, die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt.« Auch zu Timotheus sagt er [1Tim 2,1f.]: »Ich ermahne euch, für Könige und alle, die in obrigkeitlicher Stellung sind, zu beten.« Wer in einem Königreich lebt, soll daher dem König gehorchen, und wer in einer Republik lebt, den Bürgermeistern, Schultheißen, Zunftmeistern und Ratsherren. Es ist nämlich wichtiger, der Anordnung Gottes zu gehorchen, als vorwitzig darüber zu diskutieren, welche dieser Regierungsformen die bessere sei. Die Menschen benötigen sehr wohl eine Obrigkeit, ja sie ist so nötig, dass ohne das Wirken einer Obrigkeit das Zusammenleben der Menschen keinen fruchtbaren Bestand haben kann.

Weil Gott die Menschen liebt und die Menschheit, die Ruhe und das menschliche Zusammenleben beschützen und erhalten will, hat er eine Abhilfe für die schweren menschlichen Krankheiten geschaffen und eben die Obrigkeit eingesetzt, die sich kraft des Rechts und der Gerechtigkeit zwischen die Streitenden stellt, sie richtet und trennt, Gewalt und Leidenschaften in ihre Schranken weist und die Unschuldigen schützt.

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