Heinrich Bullinger schreibt über die Liebe und die Werke der Barmherzigkeit (Schriften III, 2006, S. 216–217):
Nun will ich noch einige Schriftzeugnisse hinzufugen, aus denen sich die Beschaffenheit der Liebe besser erkennen lässt, falls das, was bisher angeführt worden ist, etwas offen lassen sollte. Paulus schreibt Folgendes an die Korinther [1 Kor 13,4–7]: »Die Liebe ist langmütig, sie ist gütig; die Liebe eifert nicht, die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie tut nichts Unschickliches, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht an; sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber mit der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.« Und im Römerbrief schreibt der Apostel Paulus [vgl. Röm 12,10.13–16]: »Die Liebe schätzt den andern höher, sie nimmt sich der Bedürfnisse der Heiligen an, sie pflegt die Gastfreundschaft. Sie segnet, die sie verfolgen, und wünscht kein Unheil auf sie herab, sie freut sich mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden und lässt sich in die Gemeinschaft mit den Niedriggestellten hineinziehen.« Auch heißt es [Röm 13,8–10]: »Seid niemandem etwas etwas schuldig, außer dass ihr einander liebet. Denn wer den anderen liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn das Gebot: »Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren«, und wenn es irgendein anderes Gebot gibt, ist in diesem Wort zusammengefasst, in dem: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!« Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu; so ist nun die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.«
Hierher gehören auch die Werke der Barmherzigkeit, die so, wie sie aus der Liebe hervorgehen, auch vom Herrn im Matthäusevangelium aufgezählt werden. Es sind vor allem: die Hungernden sättigen, den Dürstenden zu trinken geben, die Heimatlosen und Fremden aufnehmen, die Nackten bedecken und bekleiden und die Kranken und Gefangenen besuchen und trösten [vgl. Mt 25,3 5f.]. Im Hinblick darauf sagt Laktanz in seinen »Göttlichen Unterweisungen«, Buch 6, Kapitel 12,191 »Eine besonders vornehme Tugend ist die Gastfreundschaft und das Speisen von Bedürftigen. Auch der Loskauf von Gefangenen ist ein großes und lobenswertes Werk der Gerechtigkeit. Ein nicht minder großes Werk der Gerechtigkeit ist es, Waisen und Witwen zu beschützen und zu verteidigen, wie es das Gesetz Gottes überall vorschreibt. Auch Kranke, die niemanden mehr haben, der sich um sie kümmert, zu pflegen und zu unterstützen, ist ein großes Werk und entspricht höchster Menschlichkeit. Die letzte und höchste Aufgabe der Barmherzigkeit ist es, die Fremden und die Armen zu begraben.« So viel sei zu den Werken der Menschlichkeit gesagt, welche die wahre Nächstenliebe fordert.