Am 27. Mai 1564, also vor 450 Jahren, starb Johannes Calvin. Gern wird der Genfer Reformator als eiskalter Despot dargestellt. Das aber trifft sicher nicht zu. Calvin konnte hart sein und neigte, besonders wenn er gesundheitlich angeschlagen war, zum Jähzorn. Aber eigentlich war er ein zart besaiteter Gelehrter, dem die Politik eher schwer fiel. Kurz vor seinem Tod sagte er: „Ich habe inmitten von viel Streit gelebt. Abends wurde ich aus Spott mit 50 bis 60 Büchsenschüssen begrüßt. Was glaubt ihr, wie sehr mich das verängstigt hat, mich armen, schüchternen Gelehrten, so wie ich bin und so wie ich immer gewesen bin, was ich ehrlich zugebe?“ Calvin hatte viele Feinde. Als er einmal durch Genf ging, hetzte jemand die Hunde auf ihn und rief: „Packt ihn, packt ihn!“
Ich möchte nachfolgend zwei Belege für seine „weichen Seiten“ anbringen. Hermann Selderhuis schreibt (Johannes Calvin, 2009, S. 301):
Die Vorstellung, Calvinisten seien Menschen, die angesichts des Todes keine Emotionen zeigen und ihre Liebsten begraben, ohne eine Träne zu vergießen, um so zu demonstrieren, dass sie alles aus Gottes väterlicher Hand empfangen, ist jedenfalls nicht durch Calvin entstanden. Sicher, es war für ihn ein Trost, »dass selbst der Tod für einen Christenmenschen nicht unglücklich sein kann« (CO 6, 631). Zugleich sind seine Briefe jedoch voller Tränen über Menschen, die ihm nah gestanden hatten und die gestorben waren. Für Calvin stand die Trauer darüber nicht im Konflikt mit seiner Auffassung, dass Gott alles lenke. Als er von der Verfolgung der Waldenser hörte, schrieb er Farel: »Ich schreibe unter Tränen und erschöpft vor Trauer muss ich plötzlich so heulen, dass ich mit dem Schreiben aufhören muss« (CO 12, 76). Und als sein Freund Guillaume de Trie, der Herr von Varennes, gestorben war, wurde Calvin vor lauter Trauer krank. »Ich muss diesen Brief aus meinem Bett heraus diktieren, denn mein lieber Varennes wurde mir genommen« (CO 18, 6491).
Als Calvin im Sterben lag, war es ihm ein großes Anliegen, Vergebung für seine Schwächen zu erbitten (Johannes Calvin, 2009, S. 304–305):
Am 2. Februar 1564, einem Mittwoch, hielt Calvin seine letzte Vorlesung über einen Abschnitt aus dem Buch Ezechiel. Am darauf folgenden Sonntag hielt er seine letzte Predigt, zu der man ihn auf einem Bett zur Kanzel bringen musste. Zu Ostern, am zweiten April, trug man ihn noch einmal zur Kirche, um mit ihm ein letztes Mal das Abendmahl zu feiern. Danach machte er sein Sterbebett zur Kanzel, als er zuerst am 27. April den Kleinen Rat und dann am 28. April das Konsistorium zu einem letzten Gespräch einlud. Den Tod vor Augen, wollte er die Politiker und Amtsträger Genfs noch ein letztes Mal sehen und vor allem noch einmal mit ihnen reden. Und das tat er im Stil der Erzväter, jedoch ohne seine Sterbensworte zu inszenieren. Calvin war Advokat und kein Schauspieler, deshalb sprach er nicht dramatisch, sondern sachlich und pastoral. Er machte sich die Tatsache zunutze, dass er nicht plötzlich starb und dass er bis in seine letzten Tage bei klarem Verstand blieb, um noch einmal ein Zeugnis zu geben. So arbeitete er bis zu seinem letzten Atemzug. In beiden Gesprächen bat Calvin um Vergebung für seine Schwächen. Und man verzieh ihm auch. Beza schrieb, dass Calvins Krankheit diesen am Ende seines Lebens verdrießlich gemacht habe, und auch, dass Calvin dadurch manchmal ein schwieriger Umgang gewesen sei. Seiner Meinung nach habe Gott jedoch auch das zum Guten benutzt. Auch Colladon schrieb Calvins Jähzorn der göttlichen Vorsehung zu, da Gott von diesem Makel Calvins doch Gebrauch habe machen können. Calvin sprach ganz offen über seine Fehler. Seiner Meinung nach machte es auch wenig Sinn, diese zu verschweigen, da Gott und die Engel ohnehin darum wussten (CO 9, 890). Während seiner Anwesenheit in Genf, so Calvin, habe es viele Diskussionen und viel Streit gegeben und das sei nicht die Schuld der Ratsmitglieder gewesen, sondern vor allem seine eigene.