Zeitgeist

Der heterosexuelle Mann als Spielzeug

Wer sich heute dazu bekennt, kein Feminist zu sein, muss damit rechnen, in die rechte Ecke gestellt zu werden (vgl. hier u. hier). Schließlich können, so denken jedenfalls viele, nur Feministen demokratisch sein. Dabei hat der Feminismus den Mann inzwischen dermaßen dekonstruiert, dass es eigentlich progressiv wäre, für den Maskulismus einzutreten. 

Was meine ich damit?

Der alte Feminismus, obwohl ideologisch, vertrat meines Erachtens etliche schätzenswerte Anliegen, z.B. den Zugang zu Bildung oder das Wahlrecht für Frauen. Er wendete sich auch gegen die Verzweckung von Frauen. Die besten kritischen Bücher zum Thema Pornographie, die ich gelesen habe, stammen von Feministinnen.

Damals war der Mann noch nicht das Problem, sondern ein Gegenüber, mit dem sich Frauen auseinandersetzten.

Der Feminismus der sogenannten „dritten Welle“ ist hingegen intersektional, dekonstruktiv und queer. Es geht weniger um Gleichberechtigung als um Empowerment (also mehr Selbstbestimmung, Ermächtigung etc.). Dieser Feminismus begann, den Mann zu demontieren und zu bekämpfen. Und heute sind wir soweit, dass die Männer scheinbar nur noch als Spielzeuge zu gebrauchen sind. Das Model Emily Ratajkowski erklärte am 19. Juni 2025 etwa der Zeitschrift ELLE:

„Ich mag Männer immer noch“, fügt sie hinzu. „Ich habe nur keine heterosexuellen Männer in meinem Leben, es sei denn, sie sind romantisch interessant. In der Hierarchie der Bedürfnisse steht das ganz oben auf der Pyramide, was schön ist. [Männer sind] Vergnügen und Spaß, aber nicht Teil meines Kernlebens. Der Rest meines Lebens besteht aus der Gemeinschaft mit anderen Frauen und queeren Menschen und dem Muttersein.“ Mit diesen Frauen – darunter das Model und die Schauspielerin Adwoa Aboah – zu Abend zu essen und etwas zu trinken, gehört zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. „Es macht so viel Spaß, mit meinen Freundinnen zu quatschen“, sagt sie lachend. Die beiden fahren diesen Sommer zusammen in den Urlaub, und ja, „es wird brat“ [spöttische Bezeichnung für ein unartiges oder freches Kind]. 

Mirna Funk zeigt in ihrem sehr lesenswerten Artikel „Der heterosexuelle Mann als Fehler“, dass dieser Feminismus allerdings gar nicht den Sehnsüchten der meisten Frauen entspricht. Zitat:

Während medial Männerbashing als Empowerment gilt, wächst gleichzeitig das Interesse vieler junger Frauen an traditionellen Lebensmodellen. Laut einer Umfrage von 2021 wünschen sich 62 Prozent der Frauen unter 30 ein „klassisches Familienmodell“ mit einem Hauptverdiener und einer daheimbleibenden Mutter. In den USA zeigt eine Pew-Studie von 2022, dass fast die Hälfte aller jungen Frauen angibt, sich in Zukunft mehr um Kinder als um Karriere kümmern zu wollen. Ein Beweis dafür, dass weder die zweite noch die dritte Welle zu den gewünschten Ergebnissen geführt hat. Denn emanzipiert ist eben nicht, wer Männer ausschließt. Emanzipiert ist, wer mit ihnen auf Augenhöhe leben kann. Wer nicht von der Unterwürfigkeit in die Überheblichkeit kippt. Von unterdrückt zu überlegen. Von Anpassung zu Arroganz. Wer denkt, Emanzipation bedeute die Machtverschiebung zugunsten der Frau, hat sie nicht verstanden. Wahre Gleichheit entsteht nicht im Machtkampf, sondern in der Beziehung. In der Verantwortung. In der Koexistenz.

Es ist anstrengender, mit Männern zu arbeiten, zu streiten, zu sprechen, als sie einfach auszuschließen. Es ist anstrengender, sich gegenseitig ernst zu nehmen, als sich gegenseitig zu canceln. Aber es ist genau diese Anstrengung, die Gesellschaft ausmacht. Alles andere ist Lifestyle. Und der kann noch so laut „Feminismus“ rufen. Er bleibt Eskapismus [d.h. die bewusste oder unbewusste Flucht aus der Realität] und vor allem Verweigerung. Die Verweigerung, sich ebenbürtig am gesellschaftlichen Geschehen zu beteiligen.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

„Konversionsmaßnahmen-Schutz-Gesetz“

Das in Österreich geplante „Konversionsmaßnahmen-Schutz-Gesetz“ zeigt die Konturen eines staatlich-totalitärer Eingriffs in Elternrechte sowie in Therapie- und Gewissensfreiheit. DIE TAGESPOST schreibt: 

Ein brisantes Gesetzesvorhaben der österreichischen Regierung ist an die Öffentlichkeit gelangt: Das geplante „Konversionsmaßnahmen-Schutz-Gesetz“ präsentiert sich als Schutzmaßnahme, entpuppt sich jedoch als staatlich-totalitärer Eingriff in Elternrechte, Therapie- und Gewissensfreiheit. Das Gesetz erfasst Minderjährige, die sich als „transgender“ empfinden. Es untersagt jede kritische Hinterfragung des Geschlechtsumwandlungswunsches bei Jugendlichen, sei es durch Ärzte oder Eltern. Solche Gespräche würden bereits als strafbare „Konversionsmaßnahme“ gelten. Medizinern, Therapeuten, Seelsorgern und Eltern drohen bis zu einem Jahr Gefängnis oder Geldstrafen bis 30 000 Euro. Erziehungsberechtigte riskieren den Verlust des Sorgerechts. So ein Gesetz ist unnötig und gefährlich.

Die Statistiken aus Österreich sind alarmierend: Zwischen 2004 und 2013 wurden 77 Mastektomien durchgeführt, von 2014 bis 2023 über 1 100 Brustamputationen bei jungen Frauen im Zuge „affirmativer Therapien“. Das Paradox: Eine 15-Jährige kann einfordern, sich die Brüste entfernen zu lassen, weil sie sich als Junge fühlt. Aber weder Eltern noch Ärzte dürften den Gründen nachgehen.

Mehr: www.die-tagespost.de.

Faika El-Nagashi: Die intellektuelle Faulheit der Progressiven

Auch weil sie das Mantra „Transfrauen sind Frauen“ ablehnt, hat die Feministin Faika El-Nagashi in ihrem linken Umfeld einen „Rufmord“ erlebt. Die kürzlich aus den österreichischen Grünen ausgetretene Politikerin attestiert den Aktivisten des Queer-Feminismus einen inhaltsarmen Dogmatismus.

Im Interview sagt sie:

Die Grünen haben zunehmend eine dogmatische Haltung eingenommen. Früher waren sie dafür bekannt – sogar verrufen – mit vielen Stimmen im Austausch zu stehen und sich auch untereinander öffentlich zu widersprechen. Das ist verloren gegangen.

Besonders sehe ich das beim Gender-Thema. Wenn ich mich wie die Grünen auf eine einzelne feministische Strömung – den Queer-Feminismus – fixiere, führe ich keine echte Auseinandersetzung mehr. Themen wie Prostitution, Migration, Frauenhandel, Armut, soziale Benachteiligung oder alleinerziehende Mütter werden schlicht nicht beachtet. Es geht nur noch um eine symbolische Ebene, keine lebensnahe.

Ich werfe den progressiven Parteien vor, dass sie zu einer intellektuellen Faulheit übergegangen sind. Sie begnügen sich mit Stehsätzen, die für einen Influencer-Feminismus auf TikTok ausreichen, aber nicht, um eigene Positionen zu entwickeln. Eine lebensnahe feministische Auseinandersetzung ist viel härter und voller Widersprüche. Für mich sind Frauenrechte kein Nebenschauplatz – aber dazu werden sie, wenn man sich vor dieser Form von Auseinandersetzung scheut.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Die Wirkungen der elterlichen Bildschirmzeit

Welche Auswirkungen hat die elterliche Handynutzung in Anwesenheit der Kinder? Empirische Studien, an denen fast 15.000 Kinder aus zehn Ländern teilgenommen haben, geben eine klare Antwort: Die Effekte sind verheerend – und dauerhaft. DIE WELT berichtet: 

Die Ergebnisse sind eindeutig: Elterliche Bildschirmzeit hat negative Effekte auf die kognitive Entwicklung, allen voran bei der Sprache, und auf das soziale Verhalten der Kinder und führt zu einer geringeren Bindung zwischen Eltern und Kind sowie zu vermehrten Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern. Der (regelmäßige) elterliche Blick auf das Handy führt die Aufmerksamkeit weg vom Kind, unterbricht, verlangsamt oder verhindert sogar im schlimmsten Fall die Eltern-Kind-Interaktion und hat einen Bindungsverlust zur Folge. Zudem sind die Kinder einer Vorbildwirkung der Eltern ausgesetzt, die das eigene Verhalten negativ prägt. Mentale Stimulation, soziale Resonanz und Selbstwirksamkeit fehlen dann dem Kind und hinterlassen auf Dauer schädliche Spuren in der Persönlichkeitsentfaltung.

Mit diesen Ergebnissen wird nicht nur die Erziehungsverantwortung der Eltern deutlich, die auch in Artikel 6 des Grundgesetzes im Wortlaut als Pflicht verankert ist, sondern auch eine Schieflage in der aktuellen Debatte, die vor allem die Kinder selbst an den Pranger stellt: Die Gen Z oder Gen Alpha, wie sie genannt wird, sei abgelenkt, überfordert, gestresst, körperlich in einem miserablen Zustand und nicht in der Lage, sich zu konzentrieren. So richtig all das ist, die Ursache liegt aber nicht nur bei den Kindern. Denn die Kinder sind immer Kinder ihrer Zeit. Sie können vielfach nicht anders, weil sie abhängig vom Erziehungsverständnis ihrer Familien und der Gesellschaft sind.

Hier ist aktuell zu beobachten, dass es offensichtlich die Eltern immer schlechter hinbekommen, ihre Kinder auf den Bildungsweg zu unterstützen, geschweige denn auf die Herausforderungen der Zeit vorzubereiten. Denn häufig ist es das Verhalten der Eltern selbst, dass Erziehungsprozesse nicht nur verhindert, sondern sogar den Bildungsprozess der eigenen Kinder schädigt.

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Die Studenten glauben zum Teil alles

Zu viele Studenten seien an den Hochschulen fehl am Platz, sagt Michael Sommer, Geschichtsprofessor an der Uni Oldenburg. Schon das Lesen von mittelschweren Texten bereite einem Großteil Schwierigkeiten. Er warnt vor einer „Gesellschaft von strukturellen Analphabeten“.

Zitat: 

Die Gründe sind vielfältig und ziehen sich meiner Beobachtung nach durch die ganze Lernbiografie. Das fängt bei den Elternhäusern an, in denen im frühkindlichen Bereich oftmals nicht mehr vorgelesen wird. Wo es kaum Bücher gibt, wo Texte kaum eine Rolle spielen. Später in den Schulen gibt es dann als Feedback sinngemäß vor allem: Ja, ihr seid super, mit euch ist nichts falsch. Und dann ist es auch die Gesellschaft, die leistungsorientiertes Verhalten unter Generalverdacht stellt: Wer gut ist, wer sich streckt und viel arbeitet, der ist ein Streber. Die anderen Faktoren lassen sich auch international beobachten, aber diese Leistungsfeindlichkeit ist ein deutscher Spezialfall. In fast allen Ländern sind die Leistungsstarken die ‚Cool Kids‘. Bei uns sind an den Schulen die Leistungsschwachen und Faulen die ‚Cool Kids‘.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Kathleen Stock rehabilitiert

Sie wurde an ihrer Universität gemobbt, weil sie an ihrem biologischen Geschlecht festhielt. Schließlich kündigte Kathleen Stock ihren Job (vgl. hier). Jetzt profitiert die britische Feministin von einer neuen Behörde, die sich für Meinungsfreiheit einsetzt. Eine gute Entwicklung, über die die NZZ berichtet.

Die Bewegung der Woken setzte Kathleen Stock einst schwer zu. Weil die englische Professorin auf dem biologischen Unterschied der Geschlechter bestand und das Konzept einer von der Anatomie unabhängigen Gender-Identität zurückwies, kam es 2021 zu wütenden Protesten an der University of Sussex, an der Stock lehrte.

Die Gender-kritische Philosophieprofessorin musste jahrelang Mobbing und Schikanen wegen ihrer Ansichten ertragen. Nach einer, wie sie schrieb, „absolut schrecklichen Zeit“ für ihre Familie und sie selbst sah sich Stock schliesslich gezwungen, ihre Lehrstelle aufzugeben. Drei Jahre später aber diagnostizierte sie in der Londoner „Times“ das Schwächeln der Woke-Bewegung. Und nun gibt ihr auch die Regierung in einem bisher einzigartigen Verfahren recht, das den Gender-Wars eine neue Dynamik gibt.

Die Hochschulaufsichtsbehörde Office for Students (OfS) brummte der University of Sussex eine Geldstrafe in der Höhe von 585 000 Pfund auf – wegen Nichteinhaltung der Redefreiheit. Die OfS, 2024 gegründet, soll sich um Meinungs- und akademische Freiheit kümmern.Als OfS-Direktor fungiert Arif Ahmed, ein Wittgenstein-Experte und Philosophieprofessor an der Universität Cambridge. Ahmed sah sich gezwungen, die Untersuchung und ihre Ergebnisse im Fall Stock gegen die heftige Kritik der Vizekanzlerin der Universität Sussex, Sasha Roseneil, zu verteidigen, die diese als „ungeheuerlich und zusammengebastelt“ bezeichnete.

Mehr: www.nzz.ch.

Ist Ihr Baby heterosexuell oder schwul?

Krankenhäuser in South Jersey (USA) verteilen Formulare, in denen schwangere und frisch entbundene Mütter nach der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung ihrer Babys gefragt werden, so eine Patientin aus South Jersey. Das meldet NJ.COM, ein Anbieter lokaler Nachrichten. Zitat: 

„Welches Geschlecht wurde Ihrem Baby bei der Geburt zugewiesen?“

„Welche der folgenden Aussagen beschreibt Ihr Baby am besten? Lesbisch oder schwul; heterosexuell, bisexuell, fragend/unsicher, möchte lieber nicht antworten.“

Das Formular von Inspira Health erklärt, dass die Fragen nach staatlichem Recht erforderlich sind und dem Krankenhaus dabei helfen sollen, seinen Auftrag zu erfüllen, „eine sichere und mitfühlende Erfahrung zu bieten“. Das Gesetz von 2021 verpflichtet medizinisches Fachpersonal, Patienten nicht nur nach ihrer Rasse und ethnischen Zugehörigkeit, sondern auch nach ihrer Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung zu fragen. Die Teilnahme der Patienten ist freiwillig. 

Lillie Mingle sagte, als sie das Formular in einem Paket vom Krankenhaus erhielt: „Ich war schockiert, und dann überkam mich Ekel. Unabhängig von meinen persönlichen Überzeugungen war allein die verwendete Sprache sehr beunruhigend.“ Mingle veröffentlichte das Formular in den sozialen Medien, woraufhin sie Antworten von anderen Müttern erhielt, die angaben, in anderen Krankenhäusern, die nicht mit Inspira verbunden sind, einen ähnlichen Fragebogen erhalten zu haben. Die Senatorin des Bundesstaats, Holly Schepisi, R-Bergen, bekam Wind von dem Gerede und stellte Nachforschungen an. Am Freitag sagte sie, sie arbeite an einem Gesetzesentwurf, der das Gesetz ändern und etwas „gesunden Menschenverstand“ einführen würde.

Hier: www.nj.com.

Renaissance der Männlichkeit ist überfällig

Lange galt der westliche Mann als Auslaufmodell, wurde als gestrig oder gar „toxisch“ gescholten. Jetzt erleben alte Muster eine Renaissance. Das hat auch mit einer bestimmten Zukunftsangst zu tun – und weltanschaulicher Grenzenlosigkeit, meint Matthias Politycki. Er schreibt:

Dreißig, vierzig Jahre lang hatten die Befürworter einer neuen, differenzierten, emanzipierten – man möchte fast sagen: einer feministisch verstandenen – Männlichkeit alle guten Argumente auf ihrer Seite. Männer, die sich nicht als „neue“, sondern als herkömmliche Männer begreifen wollten, hatten es „noch immer nicht begriffen“, man unterstellte ihnen, daß sie „abgehängt“ waren und sich deshalb „in patriarchale Ersatzklischees flüchten“ mußten. Selbstredend galten sie als misogyn, sprich, als erledigt. Und wer es anders sah, war gut beraten, den Mund zu halten – habe den Mut, dich deiner eigenen Feigheit zu besinnen.

So hat sich die Diskussion über Männlichkeit im Lauf der Jahre auf „toxische“ Männlichkeit fokussiert; die Beschäftigung mit „herkömmlicher“ Männlichkeit (in all ihrer Ambivalenz) ist hingegen fast ganz aus dem öffentlichen Gespräch verschwunden. „Man darf nicht einmal das Wort Männlichkeit verwenden, ohne als Faschist zu gelten“, sagte der französische Philosoph Michel Onfray vor gar nicht so langer Zeit im Interview.

Doch das ändert sich gerade. Angesichts der Kriege, die gefährlich nah an unseren Alltag herangerückt sind, und einer immer häufiger sichtbaren maskulinen Gewalt im Inneren wankt der ideologische Überbau, den sich der Westen auf zunehmend selbstzerstörerische Weise verordnet hat, lösen sich jahrzehntelang dekretierte Selbstverständlichkeiten wie von selbst auf.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Universitäten als „Safe Spaces“?

Mit einem „Hochschulsicherheitsgesetz“ will Nordrhein-Westfalen unter einer schwarz-grünen Regierung Hochschulangehörige vor Diskriminierung schützen. Keine gute Idee! 

Maria-Sibylla Lotter schreibt in der NZZ: 

Bei der Vision der Hochschule als „Safe Space“ scheint das Ministerium eines vergessen zu haben: Menschen können nicht nur Opfer von Übergriffen, sondern auch von Falschbeschuldigungen oder übertriebenen Empfindlichkeiten werden. Und Machtmissbrauch gibt es nicht nur von Autoritäten gegenüber Abhängigen. Macht kann heute über die Opferrolle sehr effektiv ausgeübt werden. Die Berliner Grünen haben das gerade vorgeführt. Die Verfassungsjuristen fürchten, dass das Gesetz im politischen Meinungskampf instrumentalisiert wird.

Viele Formulierungen im Gesetzesentwurf sind vage, missverständlich und laden geradezu zum Missbrauch ein. Garantiert werden soll nicht nur der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, sondern auch der „soziale Geltungsanspruch“ und die freie „persönliche Lebensgestaltung“. Das mag gut klingen. Aber wann wird eine kritische Auseinandersetzung zur „Anfeindung“, zur „Infragestellung des sozialen Geltungsanspruchs“ oder zur Abwertung der „persönlichen Lebensgestaltung“? Und wer entscheidet darüber?

Es kommt oft vor, dass ein Thema oder ein Gedankenexperiment Studierende irritiert. Solche Irritationen können produktive Diskussionen und Lerneffekte auslösen. Wenn man sich als Gesprächspartner gegenseitig ernst nimmt, werden solche Diskussionen vielleicht auch hitzig und führen zu Kritik an persönlichen Haltungen. Ist es in Zukunft eine «Infragestellung des sozialen Geltungsanspruchs», wenn eine Studierende einer anderen «Überempfindlichkeit» oder «Fanatismus» vorwirft? Die Gefahr besteht. Und dann wird es solche Diskussionen nicht mehr geben.

Schon vor Weihnachten 2024 veröffentlichten 46 Erstunterzeichner, vor allem Verfassungsrechtler, auf der Plattform Verfassungsblog.de Protestschreiben an Ministerin Ina Brandes, den Entwurf zurückzuziehen (vgl. hier). „Der Gesetzentwurf verlässt den Boden des verfassungsrechtlichen Schutzes der Wissenschaft und rechtsstaatlicher Verfahrensvorgaben“, heisst es darin.

Mehr: www.nzz.ch.

Das andere Geschlecht

Simone de Beauvoir schrieb 1949 (Das andere Geschlecht [#ad], 2018, S. 484–485):

Es ist nicht schwer, sich eine Welt vorzustellen, in der Männer und Frauen gleich wären, denn genau diese Welt hatte die russische Revolution versprochen: Die Frauen, in der gleichen Weise erzogen und ausgebildet wie die Männer, würden bei gleichem Lohn unter den gleichen Bedingungen arbeiten. Die erotische Freiheit wäre sittlich zugelassen, aber der Geschlechtsakt würde nicht mehr als ein „Dienst“ betrachtet, der sich auszahlt. Die Frau wäre gezwungen, sich einen anderen Broterwerb zu sichern. Die Ehe wäre ein freier Zusammenschluß, den beide Partner zu jedem beliebigen Zeitpunkt aufkündigen könnten. Auch die Mutterschaft wäre frei, daß heißt, Geburtenkontrolle und Abtreibung wären erlaubt, und umgekehrt würden allen Müttern – ob ledig oder verheiratet – und ihren Kindern unterschiedslos die gleichen Rechte zuerkannt. Der Schwangerschaftsurlaub würde von der Kollektivität bezahlt, und dieser fiele auch die Sorge für die Kinder zu, was nicht heißt, daß die Kinder den Eltern entzogen würden, sondern daß man sie ihnen nicht überließe.

Aber genügt es, die Gesetze, die Institutionen, die Sitten, die öffentliche Meinung und den ganzen gesellschaftlichen Kontext zu verändern, damit Frauen und Männer wirklich Gleiche unter Gleichen werden? „Frauen bleiben immer Frauen“, sagen die Skeptiker, und andere Hellseher prophezeien, daß es den Frauen, wenn sie ihre Weiblichkeit ablegen, nicht gelingen wird, sich in Männer zu verwandeln, und daß sie dann zu Ungeheuern werden. Das wiederum setzt die Annahme voraus, die Frau von heute sei eine Schöpfung der Natur. Es mus noch einmal wiederholt werden, dais es in der menschlichen Kollektivität nichts gibt, was natürlich wäre, und daß auch die Frau ein Produkt der Zivilisation ist. Das Eingreifen anderer in ihr Schicksal war von Anfang an da, und es würde, anders gelenkt, zu einem ganz anderen Ergebnis führen. Die Frau wird weder durch ihre Hormone noch durch geheimnisvolle Instinkte bestimmt, sondern durch die Art und Weise, wie sie ihren Körper und ihre Beziehung zur Welt über das fremde Bewußtsein der anderen wiedererfaßt. Der Abgrund, der zwischen dem jungen Mädchen und dem jungen Mann liegt, ist seit der frühesten Kindheit im allseitigen Einvernehmen gegraben worden. Später ist dann nicht mehr zu verhindern, daß die Frau das ist, wozu man sie gemacht hat. Ihr Leben lang wird sie diese Vergangenheit hinter sich her schleppen, und wenn man deren Gewicht ermißt, wird endgültig klar, daß das Schicksal der Frau nicht in Ewigkeit geschrieben stehen kann.

Gewiß, man darf nicht glauben, es reiche aus, die ökonomischen Bedingungen des Frauseins zu verändern, um eine Umwandlung der Frau herbeizuführen. Dieser Faktor war und bleibt zwar der wichtigste Motor ihrer Evolution, doch solange er nicht die ethischen, gesellschaftlichen, kulturellen und sonstigen Konsequenzen nach sich gezogen hat, auf die er verweist und die er verlangt, kann die neue Frau nicht in Erscheinung treten. Bis zum heutigen Tag sind diese Voraussetzungen nirgendwo verwirklicht, weder in der Sowjetunion noch in Frankreich, noch in den USA. Und darum ist die heutige Frau zwischen der Vergangenheit und der Zukunft hinund hergerissen. Meistens erscheint sie als eine „wahre Frau“ in Männerkleidung, und sie fühlt sich in ihrem weiblichen Fleisch ebenso unwohl wie in ihrer männlichen Aufmachung. Sie muß sich häuten und sich ihre eigenen Kleider schneidern. Dahin aber kann sie nur dank einer kollektiven Evolution gelangen. Kein einzelner Erzieher vermag heute einen „weiblichen Menschen“ zu formen, der eine genaue Entsprechung des „männlichen Menschen“ wäre.

Ein junges Mädchen, das wie ein Knabe aufgewachsen ist, empfindet sich als ungewöhnlich und erfährt dadurch eine neue Art der Spezifizierung. Stendhal hat dies sehr gut verstanden, als er sagte: „Man muß gleich einen ganzen Wald pflanzen.“ Wenn man aber umgekehrt eine Gesellschaft unterstellt, in der die Gleichheit der Geschlechter konkret realisiert wäre, müßte diese Gleichheit sich in jedem Individuum neu bestätigen.

Wenn man das heute liest, gewinnt man schnell den Eindruck, dass sich ihre Wünsche durchgesetzt haben. Die Ehe wird als Vertrag auf Zeit verstanden. Geburtenkontrolle und Abtreibung sind normal geworden. Den staatlich verbürgten Schwangerschaftsurlaub gibt es. Der Essentialismus, die Vorstellung also, dass Mann und Frau ein jeweils in bestimmten Bereichen unterschiedliches, inhärentes Wesen (o. Essenz) besitzten, ist eine Außenseiterposition.

Abigail Favale, deren Buch Die geleugnete Natur [#ad] ich hier vorgestellt habe, erläutert in einem Interview mit Public Discurs auf faire und interessante Weise die Anliegen von Das andere Geschlecht. So sagt sie: 

Man kann „Das andere Geschlecht“ nicht verstehen, ohne de Beauvoirs existenzialistisches Framework zu verstehen. Dieser Bezugsrahmen postuliert einen starken Kontrast zwischen Transzendenz und Immanenz. Für sie haben wir nicht wirklich eine Natur. Wir sind nicht von Natur aus Menschen. Wir müssen Menschen werden. Wir müssen uns aus unserem ursprünglichen Zustand erheben. Wir müssen unsere tierische Natur – unsere Immanenz, unsere Faktizität – transzendieren, indem wir unsere Freiheit in der Welt durch kreatives Handeln ausüben.

Für sie bedeutet das, zu transzendieren. Sie spielt hier nicht auf irgendeine Art von Gott an. Es geht nur darum, unsere Immanenz und unseren Status als Objekt zu transzendieren, um ein selbstverwirklichtes Subjekt in der Welt zu werden. In ihrem Rahmen verbindet sie Transzendenz mit dem, was wir als Männlichkeit betrachten. Sie verbindet Frauen mit Immanenz, weil sie biologische Prozesse nicht als fähig ansieht, Transzendenz zu erreichen.

Deshalb lehnt sie Mutterschaft so ab. Für sie bedeutet Mutterschaft einfach nur die Wiederholung der menschlichen Existenz. Sie zählt nicht als Transzendenz, weil die menschliche Existenz an sich nicht bedeutungsvoll ist. Sie muss bedeutungsvoll gemacht werden. Ein Baby zu bekommen, ist also nicht wirklich wichtig, denn so verwirklicht man nicht seine eigene Transzendenz. Und dieses Baby ist auch noch nicht wirklich menschlich. Er oder sie muss später im Leben die Initiative ergreifen, um menschlich zu werden. Für sie ist Fortpflanzung dieser sich wiederholende, fast vegetative Prozess.

Mehr hier: www.thepublicdiscourse.com.

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