Als ich vergangene Woche gelesen habe, dass die Evangelische Allianz in Deutschland Leitgedanken zu Ehe und Homosexualität verabschiedet hat, war ich zunächst erfreut und dachte, damit würde die Debatte um die Positionen der DEA zur Sexualethik endlich ein Ende finden. Als ich später die Leitgedanken durchsah, kamen mir Zweifel. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, in so einem heterogenen Hauptvorstand einen gemeinsamen Text zu verabschieden. Aber wenn ein Text herauskommt, der sehr unterschiedliche Deutungen zulässt, dann wird er nicht zur Klarheit beitragen, sondern ist nur Zeuge für die Meinungsvielfalt innerhalb der DEA.
Vier Dinge, die mir auf die Schnelle aufgefallen sind, möchte ich erläutern:
In der Einleitung wird davon gesprochen, dass die DEA ihre ethischen Bewertungen an Christus und seiner Verkündigung ausrichtet. Das klingt gut und ist auch gut. Dennoch: Könnte es sein, dass diese Formulierung aufgenommen wurde, weil dahinter etwas steckt, was den „Rote-Buchstaben-Christen“ wichtig ist? Der Name „Rote-Buchstaben-Christen“ bezieht sich auf Bibeln, die die von Jesus gesprochenen Worte in roter Farbe darstellen. Das, was Jesus sagt, gilt als Maßstab für die Bewertung dessen, was sonst noch in der Bibel zu finden ist. Auf diese Weise wird etwa Jesus gegen Paulus ausgespielt. Wichtiger sei das, was Jesus gesagt habe und im Zweifel müssten Paulus, Johannes, Jakobus oder AT-Texte den Worten Jesu weichen. Wie Wikipedia zutreffend schreibt, betätigen sich „Rote-Buchstaben-Christen“ bei „der Förderung des Friedens, Unterstützung von Familien, die Abschaffung von Armut und die Gleichberechtigung von Randgruppen, da dies die gesellschaftlichen Probleme seien, die für Jesus wichtig waren.“ Andere Dinge werden hingegen zurückgestellt, da sie angeblich Jesus nicht viel bedeutet hätten. So wird dann auch behauptet: Jesus sei die Sexualethik nicht sonderlich wichtig gewesen, er habe beispielsweise selbst gar nichts zur Homosexualität gesagt. Das stimmt natürlich nicht, denn Jesus hat das, was das Alte Testament über die Ehe sagt, vorausgesetzt und bestätigt. Das, was Paulus im Römerbrief über Homosexualität schreibt, ist zudem nicht weniger bedeutsam als das, was Jesus im Matthäusevangelium sagt. Die ganze Schrift ist uns von Gott gegeben – nicht nur jene Abschnitte, in denen Jesus persönlich spricht, kommen von ihm.
Dann ist unter Absatz 2 davon die Rede, dass die in der Bibel beschriebene homosexuelle Praxis „mit dem Willen Gottes und damit dem biblischen Ethos unvereinbar (3.Mose 18,22; 20,13; Römer 1,24–27; 1.Korinther 6,9; 1.Timotheus 1,10)“ ist. Ich befürchte, dass einige es so lesen und lesen wollen: Nur die in der Bibel beschriebene Praxis der Homosexualität ist mit dem Willen Gottes nicht vereinbar. Damals sei – so eine progressive Lesart – die homosexuelle Praxis ausbeuterisch und von Gewalt gezeichnet gewesen. Heute sei die homosexuelle Praxis von Liebe und Treue geprägt; sie beruhe auf Freiwilligkeit und habe mit dem, was in der Bibel beschrieben wird, nicht mehr viel zu tun.
Schließlich wird im Absatz 3 ausgesagt, dass Jesus Christus die vorbehaltlose Annahme aller Menschen fordert. Begründet wird das mit Titus 2,11: „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen …“ Mir erschließt sich nicht, inwieweit dieser Vers begründen soll, dass Jesus die vorbehaltlose Annahme aller Menschen fordert. Mir ist noch nicht einmal klar, was die „vorbehaltlose Annahme aller Menschen“ bedeuten soll. Interessant ist ja auch, wie der Text ab Vers 12 weitergeht: „… und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben.“ Kurz: Ich vermute, Absatz 3 wird die Grundlage dafür schaffen, dass praktizierende Homosexuelle vorbehaltlos in der Gemeinde mitarbeiten und leiten.
Schlussendlich heißt es dann: „Daraus ziehen wir die Schlussfolgerung, dass homosexuelle Partnerschaften der Ehe nicht gleichgestellt werden können.“ Da die rechtliche Gleichstellung ja bereits erfolgt ist, kann hier nur gemeint sein, dass innerhalb der Kirchen und Gemeinden die homosexuellen Partnerschaften der Ehe nicht gleichgestellt werden können. Das aber hält die Tür für Segnungen homosexueller Partnerschaften im Raum der Kirche offen.
Es wird, davon gehe ich aus, ein schwer erkämpftes Kompromisspapier sein. Die Leitgedanken sind das Ergebnis eines Prozesses, der über mehrere Jahre intensiv geführt wurde, heißt es in der Einleitung zu „Ehe als gute Stiftung Gottes“. Herausgekommen ist ein Papier, dass so viele Löcher hat wie ein Schweizer Käse. Eindeutigkeit ist nicht gewollt. Mit Unklarheit kann man nicht gut leiten. Ich kann nur hoffen, dass sich echte Klärungen anschließen. Meine Zuversicht schwindet an diesem Punkt allerdings mehr und mehr.