Januar 2013

Christentum und säkularer Staat

Nachfolgend eine Rezension zum Buch:

rhonheimerDer säkulare Staat scheint sich gegenüber den christlichen Kirchen zunehmend auf Konfrontationskurs zu befinden. Aber ging das moderne Staatsverständnis nicht gerade aus der Scheidung von Politik und Religion hervor, die das Christentum als Novum in die Geschichte einführte? In mancherlei Hinsicht ist das moderne Staatengebilde zwar eine Antwort auf den christlichen Glauben und damit das Produkt der Emanzipation des Weltlichen vom Geistlichen. Gleichwohl ist ein modernes Europa ohne Christentum undenkbar, ja das moderne Staatsverständnis, einschließlich der Trennung von weltlicher und geistlicher Macht, hat selbst christliche Wurzeln.

Der Rechtsphilosoph und ehemalige Verfassungsrichter Böckenförde hat es einmal prägnant formuliert: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ (E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, S. 60). Der katholische Gelehrte Martin Rhonheimer geht in einer sorgfältig angelegten Untersuchung der Frage nach, ob Aufklärung und Moderne auf dem Humus einer vom christlichen Glauben geprägten Zivilisation erwachsen sind. Als Einstieg projiziert er dabei ein eindrückliches Bild: „Stellen wir uns vor: Wir sitzen auf der Spitze eines Baumes mit wunderbaren Ästen und Früchten, genießen den Blick in die Weite. Dann wandert unser Blick hinab. Wir sehen andere, wunderbare und auch weniger wunderbare Äste, die dem Stamm entsprießen. Der Blick nach unten ist ein Blick in die Geschichte des Baumes. Wir erblicken da auch eine Menge knorriges, verwachsenes Geäst und am Boden einige herabgefallene, bereits angefaulte Früchte. Und nun – so stellen wir uns vor – rufen wir empört: ‚Was doch dieser Stamm nicht alles an Unrat hervorgebracht hat! Er taugt zu nichts mehr und muss umgehauen werden!‘“ (S. 15).

So ein Vorhaben wäre sehr töricht. Und doch – so der in der Schweiz geborene Philosoph Rhonheimer – finden wir derzeit eine Torheit, die den Sturz aus der Höhe provoziert: „Sie ist Menschen eigen, die ein demokratisches, pluralistisches, säkulares Europa wollen, in dem die Freiheit eines jeden anerkannt wird, seiner religiösen und moralischen Überzeugung gemäß zu leben, ein Europa, in dem Frieden, Rechtssicherheit und Wohlstand herrschen, in dem die Wissenschaft blüht, das sozial und zukunftsorientiert ist“ (S. 15). Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt. Ergänzt wird es durch einen Anhang zum Thema Menschenrechte und ein Postskriptum zur Rede des Papstes vor dem Bundestag im Jahre 2011. Im ersten geschichtlichen Teil erzählt der Autor die Entwicklung des politisch-theologischen Dualismus nach. Er distanziert sich dabei sowohl von einem kirchenfeindlichen Laizismus als auch von einigen Formen der katholischen Apologetik. Rhonheimer greift auf anerkannte geschichtswissenschaftliche Forschungsergebnisse zurück, ohne dabei sein theologisches Vorverständnis an den Nagel zu hängen. „Wie ich es sehe, besteht zwischen der modernen Idee der Laizität (Trennung von Religion und politischer Macht, von Religion und weltlichem Rechtssystem, Gewissens-, Kult-, Religionsfreiheit usw.) und dem Wesen des Christentums nicht nur das Band des gemeinsamen Ursprungs und eine nicht geringe Geistesverwandtschaft, sondern auch eine Divergenz und prinzipielle Spannung, die ihrer Natur nach letztlich unüberwindbar sind. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich dabei jedoch um notwendige, schöpferische und fruchtbare Spannungen und Divergenzen. Sie schwächen keineswegs notwendigerweise die Laizität des säkularen demokratischen Verfassungsstaates, können diese sogar stärken. Diese grundlegende Divergenz ergibt sich gerade aus dem Wesen des Christentums selbst, daraus, was ich– da mir kein treffenderer Ausdruck in den Sinn kommt – das ‚christliche Paradox‘ oder ‚Paradox des Christentums‘ nennen möchte“ (S 34–35).

Worin besteht nun das christliche Paradox? Rhonheimer bringt den Widerspruch sehr schön auf den Punkt: „Dieses christliche Paradox besteht darin, dass das Christentum auf der einen Seite von den irdischen, der Schöpfungsordnung angehörenden Wirklichkeiten behauptet, sie seien in sich gut und vernünftig und deshalb weder erkenntnislogisch noch ontologisch noch in praktischer Hinsicht der religiösen Sphäre untergeordnet; sie könnten aus sich selbst heraus erkannt werden und besäßen eine eigene, ihnen innewohnende Konsistenz und Logik; als solche würden sie – wie etwa das Naturrecht – aus sich heraus, ohne Rekurs auf übernatürliche Offenbarung, erkennbar sein und bereits praktische Orientierung bieten. Andererseits ist jedoch nun für das Christentum gleichzeitig auch die Aussage wesentlich – und das genau führt zum ‚christlichen Paradox‘ –, dieselben irdischen Wirklichkeiten bedürften, um ihren eigentlichen und letzten Sinn zu verwirklichen, des Lichtes einer höheren Wahrheit und der übernatürlichen, erlösenden Gnade. Diese Verknüpfung einer Anerkennung von Autonomie auf der Ebene der Schöpfungsordnung mit der Behauptung gleichzeitiger Abhängigkeit auf der Ebene der Heilsordnung ist der Hauptgrund für die Komplexität, die Ambivalenz und die Konflikte auf theoretischer und praktischer Ebene, welche die Beziehungen zwischen ‚weltlicher‘ und ‚geistlicher Gewalt‘, wie sie traditionellerweise genannt werden, kennzeichnen“ (S. 35). Der Autor erörtert die Entwicklung der politisch-theologischen Struktur des christlichen Dualismus anhand bedeutender Vorgänge – von Augustinus bis zu Johannes Paul II. Die Reformation wird nur am Rande erwähnt (vgl. S. 116ff), obwohl sie erheblich zur Emanzipation des Politischen beigetragen hat. Der Bruch der Einheit des christlichen Europa ließ politische Lösungen zugunsten eines Ausgleichs konkurrierender Wahrheitsansprüche dringlich werden. „Das sich allmähliche Herausbilden eines klaren Bewusstseins der Notwendigkeit eines friedensstiftenden Primats der Politik über die Religion ist die Folge einer langen Reihe von Konflikten und blutigen Kriegen, der frühneuzeitlichen Erfahrung der Unfähigkeit friedlichen Zusammenlebens unter Bedingungen religiöser Uneinigkeit und tiefgreifender weltanschaulicher Divergenzen. Die Erfahrung des religiösen und ideologischen Pluralismus förderte damit die Entstehung moderner Territorialherrschaft“ (S. 116). Später erklärt Rhonheimer treffend: „Nicht zu bestreiten ist aber auch, dass manch für die politische Entwicklung entscheidendes christliches Ferment in der Neuzeit mehr durch das nichtkatholische Christentum gefördert wurde, so etwas das demokratische Prinzip durch Aspekte des angelsächsischen, vor allem nordamerikanischen Calvinismus, …“ (S. 317). Der zweite Teil ist dem Verhältnis von Christentum und säkularem Staat in der Gegenwart gewidmet.

Der Autor diagnostiziert eine spannungsvolle Koexistenz und wünscht eine schöpferische Zusammengehörigkeit von Staat und Christentum. Obwohl das sittliche Naturgesetz die faktischen Möglichkeiten und Kräfte des Menschen übersteigt und seinem Streben nach Erfüllung und Glück im Weg zu stehen scheint, gehört die Verteidigung des Naturrechts zu einer vordringlichen Aufgabe der Kirche im öffentlichen Raum. Erlösung von Sünde heißt auch „Rettung und Wiederherstellung der natürlichen Würde des Menschen und seiner mitmenschlichen Beziehungen … Insofern tritt die Kirche durch ihre Verteidigung des Naturrechts für einen spezifisch christlichen Humanismus ein“ (S. 303). „Unter solchen Voraussetzungen sind die Stimme der Kirche und generell jene der christlichen Verkündigung, aber auch die Lebens- und Handlungsweise authentischer Christen notwendigerweise Stimmen des Widerspruchs, die mit den weltlichen Gewalten, insbesondere derjenigen des säkularen Staates, nicht prinzipiell, aber doch potentiell in Konflikt stehen“ (S. 303–304). Der Christ, der sich von einem durch die Wahrheit erleuchteten Gewissen leiten lässt, wird aber zugleich die demokratischen Verfahrensregeln befolgen und versuchen, „der pluralistischen Logik der modernen Gesellschaft gerecht zu werden“ (S. 305). Es kann den Glaubenden also nicht darum gehen, die Fundamente der Laizität zu zerstören. „Das den modernen demokratischen Verfassungsstaat und seine Säkularität prägende Ethos des Friedens, der Freiheit und der Gleichheit sind zivilisatorische und kulturelle Errungenschaften, die in einer erneut ‚christianisierten‘ Gesellschaft der Zukunft nicht nur zu erhalten, sondern in einer solchen Gesellschaft sogar von besonderer Wichtigkeit,  ja  von  zentraler  Bedeutung  wären. Sie sind  auch  dort unverzichtbar, damit gerade eine christliche Gesellschaft nicht der Versuchung erliegt, Religion und weltliche Zwangsgewalt erneut zu vereinen sowie die Freiheitsrechte der Bürger und legitimen gesellschaftlichen Pluralismus mit Füßen zu treten“ (S. 305–306). Das durch die historischen Erfahrungen geläuterte Christentum ist nach Rhonheimer „auch heute noch der natürliche Verbündete des säkularen Staates“ (S. 318). Im dritten Teil seiner Untersuchung widmet sich Rhonheimer zentralen Themen der Zukunft und damit der Moderne, dem Christentum und der Herausforderung des Islam. Die Moderne, die aus einer tiefen geistig-geistlichen Krise heraus geboren wurde und ihrerseits wieder eine moralische Krise provoziert hat, sieht Rhonheimer nicht nur, wie heute üblich, als Problem. Es stimme zwar, dass die Moderne mit ihrem Hang zum Subjektivismus in eine „Diktatur des Relativismus“ (so Kardinal Joseph Ratzinger kurz vor seiner Wahl zum Oberhaupt der Katholischen Kirche) geführt habe. Trotzdem sei diese verkürzte Selbstinterpretation der Moderne nicht aufrechtzuerhalten. „Denn auch wenn wir der Ansicht sind, Moderne und Aufklärung hätten die neuzeitliche religiöse und metaphysische Krise des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit nie wirklich zu überwinden vermocht, sie vielmehr nur verschleiert oder sogar verschärft, und habe deshalb zunehmend in einen Zustand der geistigen und metaphysischen Orientierungslosigkeit geführt, ja sogar wenn wir akzeptieren, dass es heute in mancher Hinsicht so etwas wie eine ‚Diktatur des Relativismus‘ tatsächlich gibt, so scheint mir die Diagnose doch in zwei wesentlichen Hinsichten nicht zuzutreffen: Sie trifft nicht zu auf die modernen Naturwissenschaften (inkl. Technik und Medizin) und auch nicht auf die moderne politischrechtliche Kultur des säkularen Staates in seiner Ausformung als freiheitlicher, demokratischer Verfassungsstaat“ (S. 322).

Wissenschaft und Politik sind für Rhonheimer die beiden Bereiche, die die Krise der Neuzeit produktiv verwertet haben. Er geht sogar noch weiter und behauptet, dass ihre „Wurzeln vormodern und, auch wenn dies vielen nicht ins weltanschauliche Konzept passt, genuin christlicher Natur“ sind (S. 324). Obwohl der säkulare Staat um religiöse Neutralität bemüht ist, stehen nicht alle Religionen im gleichen Verhältnis zu ihm. „Zwischen der politischen Kultur des demokratischen Verfassungsstaates – dem säkularen, liberalen und demokratischen Rechtsstaat abendländischer Prägung – und dem Christentum besteht eine Ursprungsbeziehung, die für diese politische Kultur konstitutiv und prägend ist. Mit anderen, nichtchristlichen Religionen hingegen – dem Judentum als Wurzel, mehr noch: eigentlichem Stamm, auf den, wie Paulus im Römerbrief sagt, das Christentum aufgepfropft ist, kommt hier freilich eine Sonderstellung zu – existiert entweder keine innerliche Beziehung oder aber eine solche der fundamentalen Unvereinbarkeit. Eine solche Unvereinbarkeit ist genau dann gegeben, wenn eine Religion Elemente enthält, die für sie als Religion konstitutiv sind, sich aber mit politischen Wesensmerkmalen des säkularen demokratischen Verfassungsstaates westlicher Prägung nicht vereinbaren lassen, ja sogar zu diesen in direktem Gegensatz stehen“ (S. 328). Ohne in Klischees abzugleiten, beschreibt Rhonheimer den dominierenden Islam als eine Religion mit grundlegenden ideellen Divergenzen. „Der Islam ist seit seiner frühesten Ausprägung während Mohammeds Exil in Medina von seinem Wesen her mehr als einfach eine Religion; er ist ein politisch-religiöses Sozial-, Rechts- und Herrschaftssystem. Deshalb präsentiert er sich heute als eine – durchaus religiös begründete – Alternative zur säkularen und pluralistischen politischen Kultur des demokratischen Verfassungsstaates westlicher Prägung. Christentum und Islam teilen zwar einen Universalanspruch, sie unterscheiden sich aber dadurch, dass der Islam einen Totalitätsanspruch erhebt. Der Autor zitiert den melkitisch-katholischern Theologen Adel Th. Koury (Der Islam, 2001, S. 30):  „Dieser Totalitätsanspruch bedeutet, dass der Islam den gesetzlichen Rahmen festsetzt, in den sich das Leben der einzelnen Gläubigen einfügt, und die Ordnung erlässt, an der sich das Familienleben, die Gesellschaft, die Struktur des Staates und die internationalen Beziehungen dieses Staates zu orientieren haben. In diesem Sinne wird der Islam bekanntlich als ‚Religion und Staat‘ zugleich bezeichnet. Und in diesem Sinn weigert sich der Islam, eine Trennung zwischen Religion, Gesellschaftsordnung und Staat zuzulassen“ (S. 329–330). Rhonheimer sieht hier eine neuralgische Spannung: „Wer im Rahmen des säkularen demokratischen Verfassungsstaates westlicher Prägung als Muslim lebt und sich in dessen Kultur wirklich zu integrieren bemüht, muss notwendigerweise Abstriche an dem machen, was der Islam von seinem religiösen Wesen her ist“ (S. 341). „Nicht nur ‚extreme‘ oder ‚fundamentalistische‘ Versionen des Islam, wie er zumeist auch in westlichen, aus saudi-arabischen, wahhabitischen Quellen gesponserten Koranschulen gelehrt wird, sondern der Islam als solcher bildet seinem innersten Selbstverständnis gemäß eine radikale kulturelle und politische Alternative zur säkularen politischen Kultur des demokratischen Verfassungsstaates und zu den Gestaltungskräften der mehrtausendjährigen Geschichte, welche diesen hervorgebracht haben“ (S. 344).

Eine politische Gestaltung der Gesellschaft, die garantiert, dass Muslime in westlichen Gesellschaften in einer Minderheitsposition verbleiben, reiche – so der Autor – nicht aus. Es scheint nur einen Weg zu geben, der islamischen Herausforderung zu begegnen: „die der säkularen politischen Kultur des demokratischen Verfassungsstaates zugrundeliegenden Werte im Bewusstsein aller Bürger zu stärken und sowohl die islamische Welt als solche wie auch unsere muslimischen Mitbürger von ihrer kulturellen Überlegenheit zu überzeugen. Das wiederum ist jedoch nur möglich, wenn wir selbst von der Überlegenheit dieser Werte überzeugt sind und – ein Tabubruch? – den weit verbreiteten Kulturrelativismus aufgeben, wie ihn uns Philosophen des Kontextualismus, wie etwa Richard Rorty, nahezulegen suchen. Zudem kann dies nur gelingen, wenn wir verstehen, welchen Wurzeln diese Werte letztlich entspringen. Denn ohne diese Wurzeln und die Herkunft dieser Werte zu kennen, ist es unmöglich, sie in ihrer historischen Einmaligkeit zu verteidigen“ (S. 346). Die Zukunft, so schlägt Rhonheimer vor, sollte einem vertieften Verständnis von Laizität und Säkularität gehören. Die Religion habe sich der reinigenden Vernunft zu stellen und der säkulare Staat müsse seine eigenen Grenzen achten. Nur so können der Gefahr der Totalisierung begegnet werden. Rhonheimer schlägt für dieses tiefere Verständnis den Ausdruck „christliche Säkularität“ vor (S. 415). „Christen, die Säkularität und den damit verbundenen Pluralismus gerade als christliche Aufgabe verstehen und dadurch mit Nichtchristen in fruchtbare Kooperation treten. Das wiederum wird jedoch nur möglich sein, wenn auch Nichtchristen und Nichtgläubige anzuerkennen vermögen, dass die Fundamente der politischen Kultur des freiheitlichen säkularen Staates sich nur auf christlichem Humus entfalten konnten und deshalb in der mit dieser politischen Kultur versöhnten Religion trotz aller nötigen und heilsamen kritischen Distanz der beiden zueinander keinen Gegner, sondern einen Verbündeten sehen“ (S. 416).

Diese Einstellung kann die christliche Kirche gegenüber der Staatlichkeit entwickeln und fördern, weil sie einerseits in die Geschichte eingegangen ist, diese aber zugleich auch transzendiert. „Die Kirche lebt nicht aus der Hoffnung, in und durch die Geschichte zu ihrer Erfüllung oder vollen Ausgestaltung zu gelangen. Das Reich Gottes, wie es die Kirche erwartet, ist nicht Produkt der Geschichte, sondern wird an deren Ende, – bei dem sich die immer unter dem Kreuz Christi stehende Kirche keineswegs unbedingt als triumphierende präsentieren wird –, als Gabe Gottes gänzlich Neues in die menschliche Geschichte hereinbrechen und an deren Stelle treten“ (S. 414). Es gibt viele Gründe, dieses Buch zu lesen, „sich von seinen Thesen und Argumenten in Zustimmung und Kritik anregen und herausfordern zu lassen und ihm weite Verbreitung zu wünschen“, schreibt Ernst-Wolfgang Böckenförde in seinem Vorwort (S. 12–13). Dieser Auffassung kann ich mich nur anschließen. Es handelt sich um einen substantiellen katholischen Beitrag zum Thema Christentum und säkularer Staat aus der Feder eines herausragenden Gelehrten.

Ron Kubsch

Neue Spriritualität

Esoterische und fernöstliche Denkmuster prägen immer mehr unsere westliche Kultur und Religiosität. Schon lange üben fernöstliche Philosophien einen großen Einfluss auf die westliche Theologie aus.

In der Zeit vom 8.-10. Februar 2013 werden in Krelingen Studientage zum Thema „Neue Spiritualität“ veranstaltet. Der Religionsphilosoph Eugen Schmid (Freiburg) wird mit den Teilnehmern Texte von Anselm Grün, Marilyn Ferguson, Eugen Drewermann, Jürgen Moltmann, Karl Rahner u.a. analysieren und einer biblisch-theologischen Wertung unterziehen.

Hier weitere Informationen: JP-13-S32_33.pdf.

In der Historikerzunft nichts Neues

Der Historiker Thomas Weber hat in der FAZ einen Beitrag über die auflebende Hitler-Folklore in Deutschland veröffentlicht. Prägnant finde ich dabei Anmerkungen zur Struktur des Wissenschaftsbetriebs an den deutschen Universitäten:

Wichtiger sind strukturelle Gründe des deutschen Wissenschaftsbetriebs. In dem Moment, in dem Historiker Lehrstühle erklimmen, werden sie zu Wissenschaftsmanagern und haben nur sehr selten noch Gelegenheit, Archive zu besuchen und selbst zu forschen. Studenten, Doktoranden, Habilitanden und Privatdozenten hingegen gehen durch die hierarchische und langwierige Karrierestruktur deutscher Hochschulen ein großes Risiko ein, wenn sie den Status quo in einem so sensiblen Feld wie dem der NS-Forschung zu sehr in Frage stellen. Das Risiko ist insofern unüberschaubar, als es nicht reicht, einen Betreuer zu haben, der zu Widerspruch ermutigt: Die spätere Vergabe von Stellen erfolgt nach einem Verfahren, das auf dem Wohlwollen der gesamten Zunft basiert.

Kein Doktorand unter angloamerikanischen Historikern muss sich Sorgen machen, seinem Doktorvater auf den Schlips zu treten. Schließlich ist das Hinterfragen von Autorität auch auf den sensibelsten Feldern der deutschen Geschichte an britischen und amerikanischen Hochschulen nicht nur möglich, sondern erwünscht. Solches ständige Hinterfragen von Autorität, das einhergeht mit einer Abneigung gegen die Tendenz, die Assistenten als jüngeren Klon des Doktorvaters heranzuzüchten, könnte auch die Historischen Seminare deutscher Hochschulen revolutionieren, wenn endlich die richtigen wissenschaftlichen Strukturreformen durchgeführt würden.

Hier: www.faz.net.

Mursi in Berlin: Furcht vor unbequemen Fragen

In den von Demonstrationen und Protesten erschütterten ägyptischen Städten am Sueskanal machen Polizei und „Sicherheitskräfte“ in Zivil Jagd auf Journalisten und Personen, die die Gewalt der Polizei filmen wollen. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) berichtet, dass die Polizei systematisch Kameras und Camcorder zerstöre. Nach Angaben der IGFM versuchten die Behörden jeden festzunehmen, der die Übergriffe filmen wolle oder in den Krankenhäusern Todesopfer und ihre Verletzungen dokumentiere.

Der Zugang zu den Städten am Sueskanal ist streng überwacht und werde teilweise völlig unterbunden. Mehrere Krankenhäuser sind geschlossen worden, die Verletzten würden in manchen Fällen unter größtem persönlichem Risiko mit Privatwagen an den Checkpoints vorbei in andere Städte gebracht, um sie versorgen zu können. Vorübergehend wurden sogar die örtliche Telefonnetze und der Strom abgeschaltet. Auch die wenigen in ägyptischen Privatsender ausgestrahlten Filme seien unter größtem Risiko aus der Kanalregion geschmuggelt worden, so die IGFM. Die bedeutendsten Medien Ägyptens sind in staatlicher Hand und inzwischen unter der Kontrolle der Muslimbrüder.

Zwei Journalisten der IGFM, die sich für die Rede des ägyptischen Präsidenten am 30. Januar akkreditiert hatten, um kritische Fragen an Mohammed Mursi zu stellen, ist wenige Stunden vor der Veranstaltung mitgeteilt worden, dass für sie im Veranstaltungssaal kein Platz sei. Sie müssten sich in einen separaten Übertragungsraum zurückziehen. „Offenbar hat Mursi Angst davor, nach Folter, politischem Mord und seinen antijüdischen Ausfällen über ‚Affen und Schweine‘ befragt zu werden“, kommentierte der IGFM-Vorstandssprecher.

TGC-Konferenz: Jesus im Lukasevangelium

overview-banner.pngBei der diesjährigen Konferenz der „Gospel Coalition“ vom 8.–10. April in Orlando (USA) dreht sich sehr viel um das Thema„Jesus im Lukasevangelium“. Zu den Rednern gehören Don Carson, David Platt, John Piper, Stephen Um und andere. Wieder stehen enorm viele Workshops auf dem Programm. So spricht Tim Keller über eine „Theologie der Erweckung“ oder Claire Smith über „Frauen in der Kirche“. Ich selbst würde gern den Workshop „Sühne bei Lukas“ von Prof. Thomas Schreiner besuchen.

Das Programm, mehr Informationen und eine Anmeldemöglichkeit gibt es unter: thegospelcoalition.org. Wer – wie ich – sich die Reise in die USA nicht leisten kann, aber an ähnlichen Themen interessiert ist, sollte einen Blick auf die diesjährige Evangelium21-Konferenz in Hamburg werfen: www.evangelium21.net.

Hier noch ein kurzes Gespräch mit dem Neutestamentler Thomas Schreiner über die Konferenz in Orlando:

G. Rohrmoser: Was heißt Privatisierung des Glaubens?

Günter Rohrmoser schreibt in Die Wiederkehr der Geschichte (1995, S. 220):

Und was heißt Privatisierung des Christentums? Jeder kann es mit dem Christentum halten, wie er will. Seine Entscheidung ist völlig beliebig und ganz der privaten autonomen Wahlfreiheit unterworfen. Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß das Ende, das das Christentum auf diese Weise erleiden wird, anonym und lautlos sein wird. Das Christentum wird eines Tages verschwunden sein, ohne daß wir es überhaupt bemerkt haben. Das Besondere dieser Situation im Unterschied zu anderen Phasen der Krise des Christentums liegt nun darin, daß die größten Gefahren für das Christentum heute von den Hirten und von den Theologen selbst auszugehen scheinen.

Die Grünen: Höhenflug oder Absturz?

güllner.jpgProfessor Manfred Güllner, Gründer und Geschäftsführer von Forsa, einem der führenden deutschen Meinungsforschungsinstitute, hat ein Buch über „Die Grünen“ geschrieben.

  • Manfred Güldner: Die Grünen: Höhenflug oder Absturz?, Verlag Herder, 2012, 180 S.

Wolfgang Jäger hat es für die FAZ besprochen:

Die Mehrheitsmeinung der Sozialwissenschaftler, dass die Grünen aus den „neuen sozialen Bewegungen“ herauswuchsen, bestreitet Güldner. Stattdessen sieht er als Antrieb der neuen Partei die „Bewegung an sich“, die wie in der Weimarer Republik bei Teilen eines radikalisierten Bürgertums eine Revolte gegen die Moderne sein will, mit dem Ziel, das gesamte System zu verändern. Die gesellschaftstheoretisch zugespitzte These übersieht aber doch die große Bedeutung des sozialen Wurzelgrunds der grünen Bewegung. Sie ist ohne die massenhafte und bunte Bürgerinitiativen-Bewegung sowie die vor allem von Wühl und Brokdorf symbolisierte Anti-Kernkraft-Bewegung und die vom Nato-Doppelbeschluss ausgelöste Friedensbewegung nicht zu denken. Hier entstanden Netzwerke und die für eine erfolgreiche Parteigründung so wichtigen neuen Milieus.

Der Wert des Buches liegt in der Anatomie der grünen Wählerschaft. Ausführlich seziert der Verfasser die Grünen von ihrer Gründung bis heute als Klientelpartei der oberen Bildungsschichten und zunehmend auch der oberen Einkommensschichten. Die Grünen verfügen über ein recht großes Potential an Stammwählern. Waren sie zum Zeitpunkt ihrer Gründung mehrheitlich eine Partei der unter 35-Jährigen, so unterscheiden sie sich im Hinblick auf die jungen Anhänger heute nicht mehr von den etablierten Parteien. Sie laufen sogar Gefahr, zu einer „Ein-Generationen-Partei“ zu werden. Von Anfang an dominierten unter den grünen Wählern die Frauen. In Baden-Württemberg finden sich die höchsten Sympathien für die Grünen mit 40 Prozent bei den 30- bis 59-jährigen Frauen. Von Beginn an ordneten sich die Grünen im politischen Spektrum links ein – weiter links als die SPD.

Insgesamt ist der Rezensent eher zurückhaltend: „Güllners These findet allerdings in der von ihm nur am Rande erwähnten Forschung über die Nichtwähler keinen Rückhalt, wie überhaupt der Autor die Literatur zur Parteien- und Demokratieforschung nur sehr sparsam nutzt. Das Buch lebt von der polemischen Zuspitzung.“

Andere sind begeistert. Empfehlen kann ich die Rezension von J. Schneidereit. Dort heißt es:

Manfred Güllners Analyse der Grünen nimmt eine Sonderstellung in der sich mit den Grünen beschäftigenden Publizistik ein durch einen nüchternen Blick auf eine, wie Güllner sagt, kaum in Politik und Gesellschaft kritisierte Partei. Wie man später erfahren kann, sehen sich 39 Prozent der deutschen Journalisten als Anhänger der Grünen; vielleicht ein Fingerzeig auf die oftmals verklärende und sehr wohlwollende Sicht auf die Partei.

Güllner geht zunächst von den messbaren Tatsachen aus, dass die deutschen und österreichischen Grünen zum einen europaweit die höchsten Zustimmungswerte bei Wahlen erhalten, zum anderen aber auch einen weit über ihre Wählerschaft hinausgehenden politischen Einfluss. Güllner geht der Frage nach, wie sich diese Erfolge erklären lassen und welcher Methoden sich die Grünen dabei so erfolgreich bedienen. Kurz gesagt: Die Grünen vermochten es, in Zusammenarbeit mit Unterstützern aus Wissenschaft, Bildungswesen, Medien und Verwaltung, ihre Partikularinteressen als allgemeine Interessen der Gesellschaft darzustellen, obwohl sie oft nur eine Minorität der deutschen Bildungs- und Einkommenselite vertreten.

Seine Analyse beginnt mit der Feststellung, dass die Grünen in den siebziger Jahren nicht, wie oft behauptet, auf neue Zeit-Erfordernisse reagierten oder auf Versäumnisse anderer Parteien, sondern dass die fünf z.T. sehr unterschiedlichen Milieus, aus denen die Grünen hervorgingen, geeint wurden durch ihre Gegnerschaft zur modernen Gesellschaft der bestehenden Bundesrepublik.

Das Buch verkauft sich derzeit übrigens ausgesprochen gut.

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US-Amerikaner demonstrieren gegen Abtreibung

Die meisten Medien haben das Großereignis komplett ausgeblendet: Am 25. Januar gingen in den USA viele Menschen auf die Straße, um ihren Unmut über die Abtreibungspolitik zum Ausdruck zu bringen. In Deutschland berichtete wenigstens die FAZ kurz (28.01.2012, Nr. 23, S. 6):

Rund 400 000 Demonstranten haben in Washington beim traditionellen „Marsch für das Leben“ gegen das Recht auf Abtreibung protestiert. Die Demonstranten erinnerten daran, dass seit der Legalisierung der Abtreibung durch das Oberste Gericht im Verfahren „Roe gegen Wade“ vom 22. Januar 1973 in den Vereinigten Staaten mehr als 55 Millionen Abtreibungen vorgenommen wurden …

Ob es wirklich 400.000 Teilnehmer waren? Die Thüringer Allgemeine, eine der wenigen deutschen Zeitungen, die überhaupt über die Demonstration berichtet, spricht unter Berufung auf AFP von zehntausenden Menschen. Der Observer nennt 650.000 Leute. Ein kurzer Bericht von FOX News zeigt jedenfalls, das auffällig viele junge Leute dabei gewesen sind.

Ernst Troeltsch (1865–1923)

Ernst Troeltsch (1865–1923), evangelischer Theologe und Kulturphilosoph, gilt als der Systematiker der sogenannten Religionsgeschichtlichen Schule, deren Vertreter für einen konsequenten Historismus in der theologischen Forschung eintraten. Troeltsch setzte sich dafür ein, die Substanz des Christentums zu bewahren, um sie mit der intellektuellen Form der Moderne zu versöhnen.

Das DLF-Gespräch gibt Einblicke in die religionsgeschichtliche Schule. Freilich fehlt die Kritik.

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