Hier der Auszug einer Buchbesprechung, die vollstÀndig in der nÀchsten Ausgabe von Glaube und Denken heute erscheinen wird:
Ich lese Briefwechsel gern. Meist abends, wenn die Konzentration fĂŒr anspruchsvolle LektĂŒre fehlt. Das Studieren der Briefe lĂ€sst die Menschen hinter den groĂen Werken lebendig erscheinen. Die Briefe von Theologen etwa gewĂ€hren Einblick in die EntstehenszusammenhĂ€nge wichtiger Denkbewegungen. Nehmen wir Karl Barth. Wenn wir an den Schweizer Professor denken, sind wir sofort bei seiner kategorischen Absage an alle âAnknĂŒpfungspunkteâ zum Menschen unter der SĂŒnde. Von einer allgemeinen Gottesoffenbarung oder den Leistungen einer natĂŒrlichen Vernunft wollte Barth nicht viel wissen, was schlussendlich zum Zerbruch seiner Freundschaft mit Emil Brunner fĂŒhrte. Barths Briefwechsel mit Eduard Thurneysen ist freilich zu entnehmen, dass Barth noch 1923 mit dieser Frage rang. Er schrieb (Gesamtausgabe, Bd. 4, S. 211):
â⊠Puncto Vernunft und Offenbarung habe ich bei Peterson, bei dem ich Thomas v. Aquino höre, Erleuchtendes vernommen, was mir das I. Buch von Calvins Institutio erst verstĂ€ndlich macht. Es gibt eine ânatĂŒrliche Theologieâ, sogar die Gottesbeweise sind nicht ganz zu verachten, gerade von der Offenbarung aus muĂ eine relative und natĂŒrlich unvollkommene Erkenntnis Gottes vom Intellekt aus postuliert werden. Aber sag das noch niemand; ich muĂ erst noch eine Weile darĂŒber schlafen, bis es zur Promulgierung reif wird.â
Ich lese aber nicht nur Briefe von Theologen. Als ich kĂŒrzlich erfuhr, dass Martin Heideggers Briefwechsel mit seinen Eltern erschienen ist, hat das sofort mein Interesse geweckt. Heidegger ist zweifellos einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts. Wer sich mit der Geistesgeschichte Europas beschĂ€ftigt, kommt an Heidegger nicht vorbei, auch dann nicht, wenn er ihm â wie beispielsweise Karl Popper â zutiefst misstraut.
Die Heidegger-Gesamtausgabe ist auf 102 BĂ€nde angelegt und erscheint seit 1975 im Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann. Die Briefe werden von Alfred Denker und Holger Zaborowski im Freiburger Karl Alber Verlag herausgegeben. Geplant sind die Abteilungen âPrivate Korrespondenzâ, âWissenschaftliche Korrespondenzâ und âKorrespondenz mit Verlagen und Institutionenâ. Der Briefwechsel zwischen Heidegger und seinen Eltern sowie seiner Schwester ist als erster Band der Abteilung I erschienen.
Anliegen der Herausgeber ist es, die Briefwechsel von Heidegger in einer Edition zugĂ€nglich zu machen, die den AnsprĂŒchen einer wissenschaftlichen ErschlieĂung genĂŒgt. Entsprechend wurden sie durch Anmerkungen und ErklĂ€rungen ergĂ€nzt. Allerdings handelt es sich nicht um eine historisch-kritische Ausgabe, da nicht alle Briefe und BriefentwĂŒrfe enthalten sind. Der Anhang enthĂ€lt neben einem tabellarischen Lebenslauf allerlei Verzeichnisse, darunter auch ein Personenregister. Zudem wurden neun Bilder in den Band aufgenommen. Der Briefwechsel mit Heideggers Eltern beginnt 1907 und endet 1927 und enthĂ€lt 132 Dokumente. 100 Briefe stammen von Martin Heidegger, 22 von seiner Frau Elfriede und 4 von seiner Mutter. Die restlichen Briefe wurden von Familienangehörigen und Bekannten verfasst.
Die veröffentlichten Dokumente sind fĂŒr die Forschung bedeutsam, da sie Heideggers einfache Herkunft und seinen Abschied vom Katholizismus belegen. Die Eltern waren schlichte Leute mit einem tiefen katholischen Glauben. Der Vater arbeitete als Fassbindermeister und Mesner in MeĂkirch. Er war âein groĂer Schweigerâ (S. 198). Die Mutter war lebensfroh und wusste sich auch in schwerer Zeit von Gott getragen. Fritz Heidegger, der Bruder des Philosophen, konnte von ihr sagen, dass sie im Stand der Gnade alles WiderwĂ€rtige des Lebens leicht zu ertragen vermochte (S. 198).
Heideggers VerhĂ€ltnis zu den Eltern war, den Briefen nach zu urteilen, herzlich. Er bedankt sich fĂŒr Lebensmittelgeschenke und berichtet von seinen Aufgaben als Privatdozent. Zu Spannungen fĂŒhrte, dass Heideggers GefĂ€hrtin Elfriede Petri eine Protestantin war und zögerte, dem Wunsch der Schwiegereltern entsprechend zum katholischen Glauben zu konvertieren. Um weiteren Verstimmungen aus dem Weg zu gehen, lieĂen sich Martin und Elfriede am 21. Februar 1917 unter Ausschluss der Ăffentlichkeit katholisch trauen. Zwei Tage spĂ€ter heirateten sie bei den Schwiegereltern in Wiesbaden evangelisch.
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Am 9. Dezember 1918 schreibt Heidegger einen schmerzbereitenden Brief an seine Eltern. Dies ist der bedeutsamste Brief des Bandes, da er Heideggers Abschied vom Katholizismus dokumentiert. Es kommt eine Zeit, âwo der Mensch selbstĂ€ndig wirdâ. Heidegger bittet um VerstĂ€ndnis dafĂŒr, dass er seine Ăberzeugungen âim ehrlichen Suchen und PrĂŒfen der Wahrheitâ bildet (S. 35). Er kann nicht mehr mit âinnerer Wahrhaftigkeitâ zur katholischen Konfession stehen.
âIch möchte Euch wiederholt innig bitten, nicht schnell zu urteilen und nun gar darĂŒber verzweifelt zu sein und zu meinen, daĂ ich ĂŒberhaupt nichts mehr glaube und so fort. Im Gegenteil, heute, wo ich in selbst errungener Ăberzeugung ohne die einengenden Schranken und unĂŒberwindlichen Schwierigkeiten des katholischen Glaubens Gott gegenĂŒberstehe, habe ich eine wahrhaft innere Ruhe und Freudigkeit, eine wirklich lebendige ReligiositĂ€t, wĂ€hrend ich frĂŒher durch Zweifel und Zwang innerlich zermĂŒrbt und leer war und alles nur noch mechanisch, ohne echte innere Beteiligung mitmachen konnteâ (S. 36).
Der Schluss des Briefes kann taktisch oder aufrichtig gedeutet werden:
âBetet bitte tĂ€glich fĂŒr mich, daĂ ich meinem Wege der inneren Wahrhaftigkeit und der Gottergebenheit treu bleibe und stark sei in den StĂŒrmen der inneren KĂ€mpfe. Und freut Euch mit uns an unserem GlĂŒck, das uns alle Gott verbinden soll in gegenseitiger Liebe und in unbedingtem Vertrauenâ (S. 37).
Von da an tritt der Glaube in der Korrespondenz spĂŒrbar zurĂŒck. Einige Tage spĂ€ter schreibt er anlĂ€sslich des Weihnachtsfestes noch: âIch stehe der katholischen Konfession nicht etwa feindlich gegenĂŒber, im Gegenteil, ich werde mir nie nehmen lassen, was sie an Wertvollem enthĂ€lt. Ebenso wenig kann ich mich fĂŒr eine bestimmte protestantische Richtung entscheidenâ (S. 38).
Nicht nur die Mutter, auch die Schwester Maria machte sich Sorgen. Am 31. Mai 1918 erkundigt sie sich bei einem Studienfreund Heideggers nach dessen Glaubensleben:
âEs ist Ihnen vielleicht bekannt, daĂ meine lieben Eltern nur, auf Vermittlung des Herrn Dr. Krebs, und auf das Versprechen von Elfride, daĂ sie zur katholischen Kirch ĂŒbertreten werde, die Einwilligung zur Heirat gaben. Nun bin ich aber anlĂ€sslich meines Besuches in Freiburg ĂŒber das religiöse Leben von Martin und Elfride sehr enttĂ€uscht und erbittert. Besonders grĂ€men sich jetzt meine lieben Eltern furchtbar hierĂŒberâ (S. 161).
Die eilige Antwort muss beruhigend ausgefallen sein. Schon am 4. Juni erklÀrt Maria, dass sie den Eltern und ihr selbst viel Trost und Freude gebracht habe (S. 162).
Als Martin Heidegger 1921 seiner Schwester zur Hochzeit gratuliert, formuliert er betont fromm, dass Liebe darin bestehe, sich dafĂŒr einzusetzen, âdem anderen zu helfen und die Hindernisse aus dem Weg nimmt, vor Gott ein rechter Mensch zu werdenâ (S. 113). Seiner Mutter schreibt er aus Köln am 4. Dezember 1924, dass er tĂ€glich in der Nachfolge Christi von Thomas von Kempen lese. Die Mutter antwortet beseligt: âLöblich ist es ja, daĂ Du in der Nachfolge Christi liest, besonders wenn Du danach lebst. Also 3 Ave musst Du beten, wofĂŒr Dich Deine Mutter bittetâ (S. 72).
Bewegend ist der Abschiedsbrief, den er seiner schwer leidenden Mutter am 30. April 1927 ĂŒbersandte: âDu bist mir diesmal zu einem unvergesslichen Vorbild des Mutes und der Ausdauer und des unerschĂŒtterlichen Gottvertrauens geworden.â Weiter heiĂt es:
âWenn ich jetzt auch fern von Dir sein muĂ, so bin ich mit dem Herzen und dem Gedenken um so öfter bei Dir in Deiner mir jetzt vertrauten Krankenstube. Und tĂ€glich wĂŒnsche und bete ich fĂŒr Dich, daĂ diese schweren Tage fĂŒr Dich nicht allzu hart werden. âBleib brav, dieses Leben ist so bald vorbeiâ hast Du mir beim Abschied gesagt. Mutterworte bleiben unvergessen. âUnd es war doch ein schönes Leben, Mutterâ erwiderte ich Dir. Und da sagtest Du aus innerster Seele und mit einem freudig dankbaren Blick âja, Martin, es war schönâ. Dieses GesprĂ€ch bewahre ich in meinem Herzen, und wenn immer ich Deiner gedenke, soll es mir Dein immer frisches Bild verklĂ€renâ (S. 108).
Am 3. Mai ist Johanna Heidegger gestorben.
Auch wenn in den Briefen viel Belangloses zu lesen ist, hat sich die LektĂŒre gelohnt. Die Gottesfrage hat Heidegger trotz seiner Absage an den Katholizismus und den jĂŒdisch-christlichen Gott nie losgelassen. âOhne ⊠theologische Herkunft wĂ€re ich nie auf den Weg des Denkens gelangtâ, bekannte er 1953. Und schon 1948 hatte er gesagt: âMeine Philosophie ist ein Warten auf Gottâ (vgl. âWarten auf Gottâ, Der Spiegel, Nr. 20/1972, S. 146â149).
Aus einem Brief Barths ist ĂŒbrigens zu entnehmen, dass dieser in Marburg mit Heidegger zusammentraf. âDer Philosoph Heideggerâ â schreibt der Theologe â war âsehr zustimmend, es sei methodisch alles in Ordnung gewesen, keine Grenze ĂŒberschritten, aber mit der Frage nach unserem VerhĂ€ltnis zu Kant, den er zu Aristoteles rechne, von dem sich der junge Luther losgesagt habeâ (Gesamtausgabe, Bd. 4, S, 229).
Schade, dass Briefe heute eine RaritĂ€t sind. Sie werden zukĂŒnftigen Generationen fehlen.
