Oktober 2016

Lasst uns froh und Luther sein

Es ist schwerverdaulich, was in diesen Tagen über die Reformation zu hören und zu lesen ist. Es wimmelt nur so von schwachsinnigen Gegenwartsbezügen. Im Radio vernahm ich gerade einen Gottesdienstmitschnitt zum Thema „Luther und die Inklusion“: Wir wollen feiern, dass wir alle Kinder Gottes sind.

Aber es gibt Ausnahmen! Jürgen Kaube hat in der FAZ einen wunderbaren Kommentar mit dem Titel „Lasst uns froh und Luther sein“ veröffentlicht. Die evangelische Kirche macht – so Kaube das Reformationsjubiläum zu einem Festival des Banalen. Martin Luther wird fürs „Liebsein“ in Dienst genommen. Was er wollte und bewirkte, scheint vergessen.

Es steht „Luther“ drauf, aber es ist kein Luther drin. Um das zu sehen, bedarf es nur der Lektüre prominenter Mitteilungen des evangelischen Führungspersonals. Es ist die Litanei der Wertbekräftigung, die hier die Predigten durchzieht. Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld sowie Vergebung sind gut, lässt uns etwa Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), wissen. Hass hingegen ist nicht gut. Deswegen müsse „jetzt, wo sich Angst und Unsicherheit auszubreiten droht(!)“, das Singen wieder gelernt werden. Andernorts ist es nicht der Hass, von dem Bedford-Strohm die Sanftmut unterscheidet, sondern „ein Leben mit Ellenbogen und Rücksichtslosigkeit“. Dass Gott zugleich „über allen, durch alle und in allen“ sei, wie es in derselben Predigt heißt, legte zwar die Implikation nahe, dass er auch in Investmentbankern und Waffenhändlern wirkt, aber so weit will Bedford-Strohm offenbar nicht gehen. Was gehen ihn seine Nichtgedanken von vor zwei Sätzen an?

Der amtliche Protestantismus der Reformationsfeiern protestiert vorzugsweise gegen das, wogegen aus verständlichen Gründen so gut wie alle protestieren, die bei Verstand sind. Ein Risiko liegt darin nicht, mit Theologie hat es nichts zu tun. Wer Luther, der aus theologischen Gründen keinem Risiko auswich, für diese Gegenwart beansprucht, hat ihn darum vermutlich länger nicht gelesen.

Unbedingt reinschauen: www.faz.net.

Das Deutschlandradio hat außerdem mit dem Historiker Thomas Kaufmann über den Ausbruch der Reformation gesprochen. Kaufmann, Experte für Reformationsgeschichte in Göttingen, hat ein beachtetes Buch über die Reformation herausgegeben und grenzt sich wohltuend von dem Kitsch, der sonst über Luther und die Reformation zu lesen ist, ab.

Hier das Gespräch mit Professor Kaufmann:

 

Evangelium21 lässt anlässlich des Reformationstages Luther selbst zu Wort kommen. In seiner Römerbriefvorlesung von 1515/16 sagte Martin Luther zu Römer 1,16:

Wer dem Evangelium glaubt, muss schwach und töricht werden vor den Menschen, dass er stark und weise sei in der Kraft und Weisheit Gottes. Denn in 1Kor 1,27.25 heißt es: „Was schwach und töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er, was stark und weise ist, zuschanden mache. Die göttliche Schwachheit ist stärker denn die Menschen sind und die göttliche Torheit ist weiser denn die Menschen sind.“ Wenn du also vernimmst, dass die Kraft Gottes alsbald verworfen wird, so erkenne darin die Kraft des Menschen oder der Welt und des Fleisches. (Also muss alle Kraft, Weisheit und Gerechtigkeit verborgen, begraben werden, sie darf nicht sichtbar werden, ganz und gar nach dem Bild und Gleichnis Christi, der sich selbst entäußerte, so, dass er die Macht, Weisheit und Güte ganz und gar verbarg und lieber Ohnmacht, Torheit und Härte an den Tag legte. In gleicher Weise muss, wer mächtig, weise, anziehend ist, dies so haben, als hätte er’s nicht. Darum ist das Leben der Fürsten dieser Welt und der Rechtsgelehrten sowie derer, die sich durch Macht und Weisheit behaupten müssen, von größten Gefahren bedroht. Denn wenn diese Vorzüge nicht in die Augen fallen und auch nur im geringsten Maße verhüllt sind, dann gelten sie selbst ganz und gar nichts mehr. Sind sie aber vorhanden, siehe, dann steckt „der Tod im Topf“ (vgl. 2Kön 4,40), besonders, wenn man im Herzen daran Gefallen findet, dass sie den Menschen in die Augen fallen und von ihnen geschätzt werden. Denn es ist schwer, das vor seinem eigenen Herzen zu verbergen und geringzuachten, was allen offenbar ist und hochgeschätzt wird.

Mehr: www.evangelium21.net.

Wie vielerlei Gnade gibt es?

In der 35. Frage des Katechismus von Abraham Hellenbroek heißt es: „Wie vielerlei Gnade gibt es?“ Die Antwort lautet:

Sie ist entweder allgemein über allen. Damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist; denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über 55 Gerechte und Ungerechte (Mt 5,45). Oder sie ist besonders und seligmachend, allein über den Auserwählten. Und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist (Röm 3,24). Zu jener Zeit hob Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart (Mt 11,25). Noah aber fand Gnade in den Augen des HERRN (1. Mose 6,8). Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade bei Gott gefunden (Lk 1,30). Und die wieder vorkommende, einwirkende und verfolgende Gnade.

Quelle: Hermann Faukelius u. Abraham Hellenbroek, Katechismen, Rödingen u. Hamburg: Gruch u. RVB, 2004, S. 54–55.

„Wo früher das Kreuz hing, hängt heute das Rauchverbot“

Der Krebs hat den Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann für den Glauben neu sensibilisiert. Die Verweltlichung der Gesellschaft bereitet ihm Sorge. Dem TAGESANZEIGER hat Hürlimann ein beeindruckendes Interview gegeben. Hier ein Auszug:

Für heutige Theologen hat Religion im Kern mit Ethik zu tun.

Damit versuchen sie, uns vom Glauben an Gott zu dispensieren. Nichts gegen eine aufgeklärte Gesellschaft, die von der Selbstbestimmung des Subjekts ausgeht. Aber wir werden ja, trotz aller Bemühungen der Kirchen, nicht zu Agnostikern. Wir glauben weiter. Und da diese Glaubensbereitschaft einen Inhalt haben muss, formiert sich die Gesellschaft in einer Sekte, die sich selbst überwacht und terrorisiert. Der neue Katechismus heisst: Erstes Gebot: Du sollst den Abfall trennen! Zweites Gebot: Du sollst dich vegan ernähren! Drittes Gebot: Du sollst alles durchgendern! Viertes Gebot: Du sollst so tolerant sein wie Globi im neuesten Globi-Buch!

Die Kirchen haben nur noch eine innerweltliche Botschaft?

Genau wie Globi. Zum Reformations jubiläum wollen die Deutschen hauptsächlich Luthers Antisemitismus thematisieren – und aus Quotengründen seine Frau zur eigentlichen Reformatorin deklarieren. Wie lustig das wird, kann man sich vorstellen. Und dann wundern sie sich, dass ihre Kirchen leer sind. Die meisten Predigten heutzutage sind, mit Nietzsche gesprochen, «ein moralisches Grunzen».

Political Correctness als Ersatzreligion?

Ja genau, Pan wurde von der Political Correctness eliminiert. Es geht nur noch um soziale Verhaltensweisen, nicht mehr um Transzendenz. In der Moralschwemme ist das Geheimnis abge soffen. Wo früher das Kreuz hing, hängt heute das Rauchverbot.

Mehr: www.tagesanzeiger.ch.

VD: MG

Der Ablass

Mein Lieblingsmoderator bei BibelTV ist der katholische Priester Wolfgang Serverin. In einer Sendung mit Ulrich Nersinger (Mitglied der „Pontificia Accademia Cultorum Martyrum“) über den Ablass fuhr er kürzlich zur Bestform auf. Um was geht es? Papst Franziskus hat das Jahr 2016 als „Heiliges Jahr“ oder „Jubiläum der Barmherzigkeit“ ausgerufen. Gläubige, die gebeichtet haben und durch eine Heilige Pforte gehen, erhalten demnach einen Ablass für die Strafen ihrer lässlichen Sünden (Domradio hat das Anliegen des des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit anlässlich der Eröffnung hier beschrieben).

Aber war nicht der Ablass ein großen Thema beim Ausbruch der Reformation? Solche und andere Fragen bespricht Severin mit dem klugen und sachverständigen Ulrich Nersinger in wirklich aufrichtiger Atmosphäre. Wäre ich Katholik, würde ich mich am Ende der Sendung über die Schriftbezogenheit, Einfachheit und Kraft des reformatorischen Glaubens freuen.

Hier der Mitschnitt:

Die performative Theorie der Versammlung

410eSRcIToL SX299 BO1 204 203 200Judith Butler hat ein Buch über die performative Theorie der Versammlung geschrieben. Gregor Quack hat mit ihr darüber gesprochen. In einer Rezension schreibt Hannah Bethke (FAZ vom 25.11.2016, Nr. 249, S. 10):

Was genau ist die zentrale Botschaft? Welchen politischen und theoretischen Mehrwert haben wir von der normativen „Konstruktion des Menschlichen“, von Wortschöpfungen wie „vordiskursiv“, „resignifizieren“ oder „chiasmisch“, noch dazu „innerhalb des von gegenhegemonialen Erkenntnisformen erschlossenen epistemischen Feldes“? „Ich bin selbst eine Allianz“, lernen wir von Butler. Wie bitte? „Denn wenn ich hier und dort bin“, fährt die Autorin fort, „bin ich auch nie vollständig dort, und selbst wenn ich hier bin, bin ich doch immer mehr als vollständig hier.“ Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort, möchte man mit Hannes Wader fröhlich kapitulierend weitersingen.

Wenn wir uns die Annahme zu eigen machten, nach der Sprache die Welt nicht nur beschreibt, sondern sie hervorbringt: Wie sähe die Welt aus, wenn wir ihre Benennung ausschließlich den Poststrukturalisten überließen? Wären wir – die Normalsterblichen, die nicht zu den Groupies der performativen Theorie der Postmoderne gehören – in einer solchen Welt überhaupt lebensfähig? Nach der Lektüre ihres neuesten Werks sind daran erhebliche Zweifel angebracht.

Türkei: Gefährdung der Religionsfreiheit und der Sicherheit

Der gescheiterte Putschversuch vom 15. Juli 2016 und die darauf folgenden Maßnahmen der Regierung haben den türkischen Staat und die türkische Gesellschaft erschüttert. Der Putschversuch richtete sich gegen normale Bürger, die gewählte Regierung und Schlüsselinstitutionen der Demokratie, und wurde von den verschiedensten politischen Parteien scharf verurteilt. Sowohl der gescheiterte Putsch als auch die in der Folge getroffenen Maßnahmen haben langfristige Auswirkungen auf die verantwortungsvolle Staatsführung, Religionsfreiheit, Sicherheit und auf die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft.

Als Drahtzieher des Putsches wird die Gülen Bewegung gesehen, an deren Spitze der im selbstgewählten Exil lebende sunnitische Kleriker Fethullah Gülen steht. Die Regierung beschuldigt diese Bewegung, die Justiz, das Bildungssystem und mehrere Ministerien unterwandert zu haben. Der Putschversuch wird als der jüngste Versuch der Gülen Bewegung, die Kontrolle im Staat zu übernehmen, dargestellt. Bisheriger Höhepunkt der Spannungen zwischen der Regierungspartei AKP und der früher mit ihr verbündeten Gülen Bewegung waren die von Gülen im Dezember 2014 erhobenen Korruptionsvorwürfe gegen führende AKP Politiker, darunter Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Familie.

Entwicklungen seit dem Putschversuch

Seit dem 15. Juli wurden notwendige rechtliche und institutionelle demokratische Reformen verschoben. Die vom Staat ergriffenen Maßnahmen hatten eine negative Auswirkung auf die Religionsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit. Die Maßnahmen der Regierung, insbesondere im Rahmen des Ausnahmezustandes, haben den rechtlichen Rahmen zum Schutz der Menschenrechte in der Türkei beschädigt. Weitgehende Veränderungen im Justizsystem, die bereits vor dem Putschversuch eingesetzt haben, haben danach die religiös-nationalistische Position in gesellschaftlichen Fragen noch verstärkt.

Die von der türkischen Menschenrechtsstiftung und anderen Organisationen gesammelten Beweise für Misshandlungen in der Haft, insbesondere beim Vorgehen gegen die mutmaßlichen Putschisten in der ersten Phase nach den Ereignissen vom 15. Juli, bzw. generell im Südosten der Türkei, zeigen, dass eine unabhängige Überwachung der Umsetzung der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen durch die staatlichen Institutionen dringend erforderlich ist. Die vollen Auswirkungen der aufgrund von Notstandsverordnungen des Staates ergriffenen Maßnahmen, wie etwa der Absetzung von Richtern und sonstigen Personals des Staatsapparats, Schließung von Universitäten, Vereinigungen und Fernsehstationen und des Verbots von Zeitungen auf den Gesamtzustand der Demokratie sind noch nicht absehbar.

Durch diese Maßnahmen wird die Einhaltung der bindenden internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte durch den Staat weiter erschwert.

Diese Entwicklungen schaden der Sicherheit, sowohl des Staates, als auch der Gesellschaft  insgesamt, wie diese in den Verpflichtungen der Regierung im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) festgeschrieben sind. In der Charta von Paris für ein neues Europa heißt es: „Menschenrechte und Grundfreiheiten sind allen Menschen von Geburt an eigen; sie sind unveräußerlich und werden durch das Recht gewährleistet. Sie zu schützen und zu fördern ist vornehmste Pflicht jeder Regierung. Ihre Achtung ist wesentlicher Schutz gegen staatliche Übermacht. Ihre Einhaltung und uneingeschränkte Ausübung bilden die Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“.

Die Justiz

Es gibt schon seit längerer Zeit Anlass für Zweifel an der Fähigkeit der Justiz, Schutz gegen Verletzungen der Religionsfreiheit oder anderer Grundfreiheiten zu bieten. Die Politisierung der Justiz reicht viele Jahre in die Vergangenheit vor der Gründung der AKP im Jahr 2001. Seit 15. Juli 2016 behauptet die Regierung, eine Organisation namens FETÖ (Gulen „Terrororganisation“) hätte die Justiz unterwandert und nimmt dies zum Anlass, gerichtliche Entscheidungen aus der Vergangenheit anzuzweifeln. Seither wurden über 2.700 Richter abgesetzt und insgesamt ca. 80.000 Beamte aus allen Bereichen der Verwaltung entfernt. Diese Tatsache und das Vorgehen der Regierung bei der Ernennung neuer Richter wird zweifellos eine Auswirkung auf zukünftige Entscheidungen im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit und anderen Grundfreiheiten haben. Gerechtigkeit und Unabhängigkeit der Justiz bilden wesentliche Voraussetzungen für den Schutz der Grundfreiheiten.  Doch die Existenz einer gerechten und unabhängigen Justiz wird schon lange und in vielen Fällen in Zweifel gezogen, von Verfahren über die Rückgabe von Eigentum bis hin zu Mordprozessen.

Das außergewöhnlich lange verzögerte Verfahren im Fall der brutalen Morde an drei Christen in Malatya am 18. April 2007, ein Urteil erging erst am 28. September 2016, illustriert diese Problematik in drastischer Weise. Die fünf Angeklagten wurden des vorsätzlichen Mordes für schuldig befunden und zu je drei Mal lebenslänglich verurteilt. Doch alle fünf Mörder wären bis zur Berufungsverhandlung vor einem höheren Gericht lediglich unter routinemäßiger Überwachung auf freiem Fuß geblieben, hätte nicht die Staatsanwaltschaft Berufung wegen Fluchtgefahr ins Ausland eingelegt. Daher wurden die fünf am Abend nach der Urteilsverkündigung verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Weiters ergingen Schuldsprüche gegen zwei Gendarmen wegen Straftaten im Zusammenhang mit den Morden von Malatya. Allerdings wurde keiner der anderen Beamten verurteilt, gegen die starke Verdachtsmomente vorliegen, dass sie an der Anstiftung zu den Morden beteiligt waren. Das Gericht stellte fest, dass die fünf Mörder ihre Verbrechen nicht ohne fremde Hilfe hätten begehen können, war jedoch nicht in der Lage, die beteiligte Organisation zu benennen und ordnete „weitere Ermittlungen“ an.

Religiöser Nationalismus

Die religiös-nationalistische Position der Regierung bezüglich gesellschaftlicher Fragen hat sich seit dem gescheiterten Putschversuch noch verstärkt. In der Nacht des Putschversuchs wies die direkt dem Büro des Premierministers unterstehende Religionsbehörde Diyanet alle 110.000 Imame des Landes an, die Menschen zur Verteidigung der Demokratie aufzurufen. Fast alle Teile der Gesellschaft sprachen sich gegen den Putschversuch aus, auch die nicht Religiösen, nicht-Muslime und Aleviten. AKP und Oppositionsparteien traten am 7. August in einer Kundgebung gemeinsam gegen den Putschversuch auf.

Doch trotz der fast einhelligen Ablehnung des Putschversuchs forciert die Regierung seither eine Kombination aus hanafitisch-sunnitischem Islam und türkischem Nationalismus. Das Eintreten für eine einheitliche türkische religiös-nationalistische Identität schafft schon lange Probleme für die Ausübung der Menschenrechte und lässt auch für die Zukunft wenig Gutes erwarten, wenn Präsident Erdogans Pläne zur Reform des Staatsapparats und des Bildungswesens, einschließlich des Religionsunterrichts, und der Diyanet verwirklicht werden, wodurch – in den Worten Erdogans – Missbräuche der Religion verhindert werden sollen. Auch von einer Registrierungspflicht für religiöse Gemeinschaften ist die Rede, insbesondere im Hinblick auf islamische Bruderschaften. Allerdings wurde in der Türkei bisher keiner Religionsgemeinschaft (einschließlich der islamischen) eine eigene Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht (Richtlinien der OSZE/Venediger Kommission für die rechtliche Stellung von Religionsgemeinschaften).

Die auf Zeiten lang vor dem Putschversuch zurückgehenden Probleme der Türkei im Zusammenhang mit Religionsfreiheit erfordern wesentliche Änderungen der Gesetze und der Praktiken des Staates. Dies umfasst auch die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffend die Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen; das Recht, seine Kinder in Übereinstimmung mit der eigenen religiösen oder philosophischen Überzeugung zu erziehen; das Recht, Gottesdienststätten zu errichten; das Verbot der Diskriminierung auf der Grundlage der Religion oder Überzeugung; und das Recht, die eigene Religionszugehörigkeit nicht offenzulegen.

Gefährdung der Sicherheit

Die Sicherheit vor Gewalt ist schon lange ein Problem für viele Religionsgemeinschaften. Der sogenannte „Islamische Staat“ bedroht seit 2015 Aleviten, Christen und Juden. Angeblich vom IS stammende Drohungen wurden per SMS an verschiedene Personen verschickt. Die Vereinigung protestantischer Kirchen forderte die Behörden im September des Vorjahres (2015) auf, auf etwa 100 Morddrohungen zu reagieren, die ihre Pastoren und andere per SMS oder über die sozialen Medien erhalten hatten. Im Zusammenhang mit diesen Drohungen kam es bisher zu zwei Strafverfahren und die Staatsanwaltschaft, die Kontakt mit einigen protestantischen Kirchen aufgenommen hat, ermittelt offensichtlich in weiteren Fällen. Am Ostersonntag und jüdischem Passa genossen Kirchen und Synagogen in den großen Städten sichtbaren Polizeischutz. Doch außerhalb besonderer Zeiten sind die Gemeinschaften auf sich selbst gestellt. Viele von ihnen können sich keine privaten Sicherheitsdienste leisten.

Bei einem verhafteten IS Verdächtigen fand man Fotos eines alevitischen Bethauses und er gab zu, dass er Teil einer Gruppe war, die einen Bombenanschlag auf diese Gebetsstätte geplant hatte.

Im Südosten der Türkei sind nach zweijährigem Waffenstillstand die Kämpfe mit kurdischen Gruppen wieder aufgeflammt. In Diyarbakir und Mardin wurden Moscheen und Kirchen beschädigt. Die Gläubigen konnten sich zeitweise wegen der Ausgangssperre bis August 2016 nicht versammeln. Wegen der Enteignung von etwa 80 % des Stadtbezirks Sur von Diyarbakir, in dem sich auch Kirchen befinden, im Zuge des Ausnahmezustandes, besteht Rechtsunsicherheit über die Möglichkeit, diese in Zukunft zu nützen. Bisher wurden sie nicht geschlossen. Renovierungsarbeiten haben begonnen.

Die Regierung entwickelt derzeit ihre Politik und Strategien für die Ära nach dem Putschversuch, die sich auch auf die Respektierung der Grundfreiheiten für alle auswirken werden. Daher ist die Einbindung der verschiedensten Gruppen der höchst vielfältigen Gesellschaft der Türkei in diesen Prozess von höchster Bedeutung. Wenn dies geschieht, ist eine Verbesserung der Demokratie und der Respektierung der Menschenrechte in der Türkei möglich.

Quelle: Forum 18, Oslo; Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz. Mehr Infos hier: www.ead.de.

Die Rettungsphantasien von ARD und ZDF

In einem Gutachten, dass das ZDF vorgelegt hat,  versuchen die Professoren Dieter Dörr, Bernd Holznagel und Arnold Picot, die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu unterstreichen und deuten die notwendige Ausweitung der Arbeit innerhalb des Internets an. Die FAZ schreibt:

Die Gutachter halten ARD und ZDF als Stützen der Demokratie und Garanten für eine integrierte Gesellschaft für unersetzlich und wichtiger denn je, weil die unüberschaubare Vielfalt des Internets zu Verflachung und Segmentierung führe, der Markt versage und es in der digitalen Welt zu einer „Vermachtung“ durch Großkonzerne komme. (Die Rolle der unabhängigen Presse wird nur am Rande gewürdigt.) Also müssten ARD und ZDF auch „non-linear“, jenseits ihrer bisherigen Programme, alles zu jederzeit im Netz abrufbar aufbieten können, in Mediatheken und auf Plattformen. Das lässt sich in einigen Punkten inhaltlich gut begründen, etwa wenn es um Angebote für Jüngere geht, stellt zugleich aber einen weiteren Hebel zur Expansion der Sender dar. Apropos Expansion: Um wie viel der monatliche Rundfunkbeitrag steigt, wenn der BIP-Index kommt, weiß die ARD-Vorsitzende Wille schon: von 17,50 Euro auf 18,28 Euro – im ersten Jahr.

Das durch solche Maßnahmen gerade die unabhängige Presse, die es ja wirtschaftlich nicht gerade leicht hat, geschwächt und die Meinungsvielfalt eingeschränkt wird, fällt da natürlich unter den Tisch. Schade! Wie wäre es denn mal mit einer Kritik an der „Vermachtung“ und „Verblödung“ durch den Staat?

Hier: www.faz.net.

Tim Keller: Making Sense of God: An Invitation to the Skeptical

Tim Keller hat kürzlich in einem Vortrag sein neues Buch Making Sense of God vorgestellt. Der Vortrag ist ein gutes Beispiel für gelungene Apologetik.

Hier der Mitschnitt (leider nur in englischer Sprache):

Evangelikale als Straßenkämpfer

Als ich gemeinsam mit meiner Frau am Samstagmorgen von München in das Studienzentrum Pforzheim fuhr, um dort eine Vorlesung über Apologetik zu halten, hörte ich im SWR2-Radio die Sendung: „Kampf um Kinderherzen: Kommunion, Konfirmation, Kirchenpädagogik“ von Hans-Volkmar Findeisen. Das Feature war insgesamt gut gemacht und zeigt u.a. anhand von Beispielen den Paradigmenwechsel in der Unterweisung der großen Kirchen. Das neue Paradigma heißt „Entschulung der Katechese“. Nicht mehr die Lerninhalte stehen im Vordergrund, sondern das gemeinsame Erleben und Feiern. Offiziell spricht die Evangelische Kirche deshalb nicht mehr von „Konfirmanden-Unterricht“, sondern von „Konfirmandenarbeit“. Endlich – so heißt es – ist Gott als Richter in der Religionspädagogik verschwunden.

Die Redaktion meint, die Konfirmandenarbeit leiste heute einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Zivilgesellschaft. Aktuelle Studien erkennen ihre Bedeutung „als Vermittlungsinstanz von Werten wie Nächstenliebe, Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit“.

Am Ende der Sendung gibt es allerdings einen Dämpfer. Da sind nämlich noch die „Engstirnigen“ und die „Traditionalisten“, die das friedliche und tolerante Konzert der Großkirchen stören. Auf katholischer Seite sind das Migrantenfamilien aus Kroatien, Polen, Ghana, Sri Lanka oder Ecuador. Auf evangelischer Seite stammen die Fundamentalisten aus der ehemaligen Sowjetunion. Ihre Verbündeten sind die Evangelikalen.

Zitat:

Auch sie sehen sich der Segnungen einer ohnedies fremden Welt beraubt. Sie helfen mit, wie es heißt, „überholte“ und „weltfremde“ Vorstellungen von religiöser Erziehung und Intoleranz gegen sexuelle Minderheiten gegebenenfalls mit den Fäusten auf der Straße durchzusetzen. So geschehen etwa bei den Demonstrationen gegen den neuen baden-württembergischen Bildungsplan. Kein Zweifel: Solche Misstöne stören das Bild der Harmonie, das die moderne Gesellschaft und die Kirchen gerne von sich selber malen.

Hier werden also – am Ende der Sendung – die Traditionalisten in die Nähe intoleranter Zeitgenossen gerückt. Schlimmer noch: Sie setzen als unverbesserliche Minderheit ihre Interessen „gegebenenfalls mit den Fäusten auf der Straße“ durch. Als Beispiel wird die Demonstration gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg angeführt. Erweckt wird allerdings der Eindruck, als flögen die Fäuste der Frommen schon mal, wenn es darum gehe, ihre Überzeugungen durchzusetzen.

Wäre ich Polizist, würde ich mir nichts lieber wünschen als die harmlosen Frommen, die ein- oder zweimal im Jahr für das Lebensrecht oder eine angemessene Bildungspolitik demonstrieren. So schnell findet man keine pflegeleichteren Protestler. Soweit ich es mitbekommen habe, ging die Gewalt bei den Demonstrationen in Stuttgart auch gar nicht von den Gegnern des Bildungsplanes, sondern von einigen linken Gruppierungen aus, die den rot-grünen Bildungsplan stützen.

Ähnlich verzerrend hat kürzlich Stefan Behr für die Frankfurt Rundschau über den „A21 – Walk for Freedom“ berichtet. In Frankfurt hatten einige Leute für die Organisation der Hillsong-Pastorin Christine Caine friedlich gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel demonstriert. Behr zieht in seinem Artikel die Aktion ins Lächerliche und schreibt den Veranstaltern einen gewissen fundamentalistischen Ruf zu.

Das ist alles nicht so tragisch, aber eben auch wenig hilfreich. Ein Journalismus, der auf so unfeine Weise verfremdet und die Stimmung anheizt, braucht sich an andere Stelle nicht darüber beschweren, dass heute an den Stammtischen und in den Foren unselig viel gehetzt wird.

Den Audiomitschnitt und das Manuskript der Sendung „Kampf um Kinderherzen“ gibt es hier: www.swr.de.

Lutherbibel 2017

Die Deutsche Bibelgesellschaft erlaubt während der Buchmessen einen kostenlosen Download der Lutherbibel 2017 (als APP für Android und Apple iOS).

Ich habe die Bibel heute mal heruntergeladen und bin von der Übersetzung – nachdem ich mir Schlüsselstellen wie Jes 7,14 oder 1Tim 2 angeschaut habe – angenehm überrascht. Das genauere Studium steht freilich noch aus.

Hier mehr Infos: www.die-bibel.de.

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