Die Versklavung der eigenen Meinung

Norbert Bolz sucht in einem Beitrag für DIE WELT nach einer Erklärung für die schwindende Meinungsfreiheit und sieht eine Ursache für das Phänomen des Konformismus interessanterweise in der Aufklärung:

Dass die Menschen sich ihres eigenen Verstandes ohne Anleitung anderer bedienen würden, wenn man sie erst einmal von den Dogmen der Religion und den Vorurteilen der Tradition befreit hat, war der Trugschluss der Aufklärung. Gerade der moderne Konformismus des Denkens ist eine Konsequenz der Entmythologisierung, der Entzauberung der Welt – also eine Nebenwirkung der Aufklärung. Wir sagen, was man sagt, weil wir uns nicht mehr vom Gesetz, der Sitte und der Tradition getragen fühlen.

Diese modernitätsspezifische Anomie [bezeichnet in der Soziologie den Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen, Regeln und Ordnungen; Anm. R.K.] führt also geradewegs zum Konformismus: Die Emanzipation der Vernunft hat uns der öffentlichen Meinung versklavt. Und es ist vor allem die Emanzipation der Vernunft von der Tradition, die ein Orientierungsvakuum geschaffen hat, das die Gewalt der öffentlichen Meinung unwiderstehlich macht. Alle reden von Individualität, Diversität und Selbstverwirklichung – und alle denken dasselbe. So entsteht der Konformismus des Andersseins. Sie alle sind Schauspieler des Nonkonformismus auf der Bühne des Konformismus.

Mehr (allerdings hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

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