Hautfarbe, Geschlecht, Nation

Immer mehr linken Intellektuellen dämmert es, dass die neue Toleranz aggressive Formen der Intoleranz entwickelt. Am Donnerstag hat der Münchner Soziologe Armin Nassehi in der FAZ (Ausgabe vom 31.07.2017, Nr. 202, S. 13) einen bemerkenswerten Essay mit dem Titel „Hautfarbe, Geschlecht, Nation“ veröffentlicht. Zwei Dinge seien kurz herausgestellt.

Einmal bestätigt Nassehi, durchaus zufrieden, dass die so genannte „Ehe für alle“ ihren Weg in die Rechtsprechung gefunden hat, weil sie auf dem Feld der Sprache akzeptiert worden ist:

Dass eine gewisse Form der Sensibilität für verletzbare Gruppen wie etwa Homosexuelle oder Schwarze sich auch sprachlich niederschlägt, sollte selbstverständlich sein. Auch dass sich in der Sprache gesellschaftliche Erfahrungen niederschlagen, kann nicht wirklich beklagt werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die sogenannte Ehe für alle, die vom Bundestag beschlossen wurde, sich auch auf dem Feld der Sprache durchgesetzt hat. Sie wurde wohl auch deshalb so plausibel für diejenigen, für die sie lebens-weltlich kaum relevant ist, weil die „einge-tragene Lebenspartnerschaft“ und die „Verpartnerung“ schlicht sprachliche Ungetüme sind, die letztlich nur auf verdruckste Verhältnisse verweisen: Etwas, das sich de facto als fast identisch mit dem darstellt, was Ehe heißt, muss dann auch so heißen. All das kann niemanden nerven, der einigermaßen bei Trost ist.

Der zweite Punkt ist wichtiger. Nassehi verweist auf den originellen Linken Slavoj Žižek, der die „Vancouver Pride Parade“ mit einem gewissen Argwohn beobachtet hat. Denn der politisch korrekte Sprachgebrauch etablierte dort eine Norm mit neuen Ausgeschlossenen.

Die Parade hinterließ bei Žižek „(und auch vielen Lesbian-Gay-Bisexual-Transgender-Mitgliedern) einen bitteren Nachgeschmack. Hier waren mehrheitlich gut ausgebildete weiße, privilegierte Frauen und Männer unterwegs, die über hohen sozialen Status verfü-gen. Sogar die subtile Langweile und die bürokratische Sprache der TV-Kommentatoren von Vancouver mit ihrer politisch korrekten Vorhersehbarkeit (sie waren stets sorgsam darauf bedacht, den ideologischen Schirm der Parade als LGBT-Queer-Intersex-Asexual+ zu bezeichnen) erinnerten mich an den Jargon der Kommunisten, bei dem jegliche Form von Ironisierung unter Androhung von Strafe verboten war. Alle haben sich an die offizielle Sprachregelung zu halten, alle haben das angeblich subversive Potenzial alternativer, in Wahrheit jedoch privilegierter Lebensentwürfe zu loben und zu preisen. Am Ende wirkt der offizielle Sprachgebrauch selbst wie sein eigener ironischer Kommentar. Zensurierter Ernst schlägt um in unfreiwillige Komik – und geschieht nicht genau dies notwendigerweise mit der Political Correctness? Sie beansprucht mit den besten Absichten, niemanden zu verletzen, produziert aber neue Ausgeschlossene und etabliert eine neue Norm – bloß darf dies niemand mehr sagen, weil er dadurch die schöne neue Herrschaftsharmonie störte.“

Die Beobachtungen Žižeks bestätigen also, was ich hier im Blog schon mehrfach behauptet habe: Mit dem Anspruch, dass durch Sprache niemand „geächtet“ und „gekränkt“ werden darf, wird unter der Hand eine strenge Leitkultur als neue Moral etabliert. Der Verstoß gegen diese neue Moral kann kostspielig werden. Denn niemand soll den neuen Frieden (Herrschaftsharmonie) stören.

Hier der Essay von Armin Nassehi: www.faz.net.

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2 Kommentare
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Gast
7 Jahre zuvor

Schön und gut, aber was bzw. wo ist denn der jahrzehntelang funktionierende und tragende Gegenentwurf? Wenn man sich anschaut, wie einige regelmäßige Kommentatoren hier im Blog als Orthodoxie- und Sprachpolizei alles liebevollst zerreißen, was nicht in ihrem Sinne formuliert ist, ist es doch im konservativ-christlichen Bereich nicht anders, nur dass man konstruktionsbedingt den Balken im eigenen Auge meist weniger scharf sieht als den im Auge des anderen.

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