Die beiden Kessler-Zwillinge seien gemeinsam so selbstbestimmt aus dem Leben geschieden, dass dies gleich die Debatte über Sterbehilfe befeuert. Mittlerweile ist in den Niederlanden jeder zwanzigste Todesfall ein assistierter Suizid. Am Horizont erscheint bereits das Menschenrecht auf einen assistierten Suizid.
Daniel Deckers schreibt (FAZ, 22.11.2025, Nr. 272, S. 1):
Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe hielt nicht lange. Erst erkannte das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass der Staat nicht das Recht habe, einem Bürger in einer gesundheitlich ausweglosen Situation den Zugang zu einer todbringenden Substanz zu untersagen, dann wischte das Bundesverfassungsgericht alle Befürchtungen vor einer neuen Normalität, ja Normativität mit einem juristischen Federstrich beiseite: Freiverantwortlicher Suizid sei nichts weniger als die Aktualisierung jener „autonomen Selbstbestimmung“, die das Grundgesetz zur alles normierenden Norm erhoben habe.
Daher müsse jedermann zu jeder Zeit und ohne jede Prüfung der Beweggründe das Menschenrecht auf assistierten Suizid in Anspruch nehmen können – vorausgesetzt, die Entscheidung sei freiverantwortlich, also bei wachem Bewusstsein und ohne Druck von außen gefällt worden. Das sicherzustellen könne der Gesetzgeber mit einem „Schutzkonzept“ versuchen, müsse es aber nicht.
In der vergangenen Legislaturperiode ist der Bundestag an dieser Aufgabe gescheitert. Ob die Abgeordneten einen weiteren Versuch unternehmen, ist ungewiss. Im Koalitionsvertrag findet sich darüber kein Wort, genauso wenig wie über Suizidprävention. Dabei hätten die Deutschen längst von Österreich lernen können. Dort verwarf der Verfassungsgerichtshof 2020 das Verbot des assistierten Suizids und erlegte dem Parlament auf, das Recht auf den Tod von eigener Hand gesetzlich auszugestalten. Dem kamen die Abgeordneten umgehend nach – aber nicht, ohne die Exekutive im Bund und den Ländern sowie die Akteure im Gesundheitswesen zu verpflichten, die Palliativ- und Hospizversorgung zu verbessern. In Deutschland kann davon bis heute nicht die Rede sein.
Die öffentlich gestellte Frage Alice Kesslers „Wer möchte ins Heim oder ein Pflegefall werden?“ dürfte wohl immer seltener als (wichtige) Enttabuisierung von Suizidgedanken oder als Aufgabe an die Gesellschaft und die Politik gelesen werden, alles Menschenmögliche für Humanität im Alter zu tun, sondern als implizite Aufforderung, sich der Last des eigenen Lebens selbst zu entledigen, ehe es zu spät ist. In den Niederlanden ist mittlerweile jeder 20. Todesfall ein assistierter Suizid. Und es mehren sich die Fälle, in denen Ärzte und Angehörige nachhelfen, wenn der eigene Wille zu schwach oder gar nicht mehr da ist.