Calvinismus

Der Calvinismus kehrt zurück

20090323_107.jpgWelche Ideen verändern die Welt von heute? Das Nachrichtenmagazin Time nennt in der aktuellen Ausgabe zehn innovative Ansätze. An dritter Stelle steht der ›Neue Calvinismus‹.

»A lot of young people grew up in a culture of brokenness, divorce, drugs or sexual temptation,« says Collin Hansen, author of Young, Restless, Reformed: A Journalist’s Journey with the New Calvinists. »They have plenty of friends: what they need is a God.« Mohler says, »The moment someone begins to define God’s [being or actions] biblically, that person is drawn to conclusions that are traditionally classified as Calvinist.«

Hier der Beitrag: www.time.com.

VD: MD

Calvin als Bibelausleger

Bei Johannes Calvin bestimmte die Auslegung der Heiligen Schrift die Dogmatik, nicht umgekehrt die Dogmatik die Exegese, wie Peter Opitz in seiner Untersuchung über Calvins theologische Hermeneutik zeigt. Opitz hebt schon in seiner Einführung Calvins fundierten Umgang mit den biblischen Texten hervor (Neukirchener Verlag, 1994, S. 1):

Calvin hat während der ganzen Zeit seiner kirchlichen Tätigkeit, in Predigten und Vorlesungen, in der Congregation und in Form von schriftlichen Kommentaren, die Schrift ausgelegt. Sein exegetisches Werk nimmt, verglichen mit seinen dogmatischen und polemischen Schriften, den weitaus größten Raum ein. Dabei ist er bestrebt, die Aussagen der Texte mit Hilfe des besten verfügbaren Instrumentariums seiner Zeit zur Geltung zu bringen. Gerade im Dienst dieser Konzentration auf den Schrifttext steht Calvins äußere Trennung von Dogmatik und Exegese, von Institutio und Kommentaren. Immer geht es Calvin aber in der Schriftauslegung darum, in den biblischen Schriften Gottes gegenwärtiges Wort zu vernehmen.

Calvin: Tiefeingefressene Vorurteile

Hier ein Zitat von Thomas Schirrmacher aus der Einleitung zur Institutio von 1536 (RVB):

Walter Kreck schrieb bereits 1960: »Der Zugang zu Calvin ist uns nicht
leicht gemacht. Tiefeingefressene Vorurteile versperren uns oft den
Weg.« Während Luther schon lange von vielen studiert und Bucer
schlicht und einfach weitgehend vergessen wurde, bestimme immer
noch das polemische Calvinbild der Gegner die meisten Leser Calvins.

Robert L. Reymond benennt die wichtigsten verheerenden Calvinbiografien
der Geschichte von Bolsec bis Stefan Zweig, die allesamt nicht auf
Forschung beruhten, sondern billige Polemik lieferten. 1577 erschien
als erste dieser Art eine Biografie Calvins von dessen persönlichem Feind
Jérome-Hermès Bolsec. Der Karmelit wurde zunächst Protestant, stritt
dann mit Calvin über die Prädestinationslehre und kehrte dann zur
katholischen Kirche zurück. Er schildert Calvin als arrogant, grausam
und dumm und behauptet, Calvin sei bisexuell gewesen und habe viele
wechselnde sexuelle Beziehungen zu Frauen und Männern gehabt.

Der scharfzüngige französische Religionskritiker Voltaire (1694–1778,
eigentlich François Marie Arouet) schoss sich, um auf den eineinhalb
Jahrhunderte zuvor lebenden Calvin, der das Frankreich des 18 Jh. nicht
beeinflusste, schärfer ein, als auf die zeitgenössische katholische Kirche
seines Landes, wie überhaupt Calvin zum Inbegriff nicht nur alles
Bösen am Protestantismus, sondern alles Bösen am Christentum überhaupt
wurde. Und manch ein Deutscher auf der Straße weiß nichts
über die Reformation, aber dass Calvin ein grausamer und eiskalter Politiker
war, ist ihm selbstverständlich.

Es sind vor allem katholische und säkulare Forscher aus Frankreich
gewesen, die das Calvinbild aufgrund historischer Forschungen grundlegend
revidiert und gezeigt haben, dass die meisten der Anklagen gegen
Calvin aus heutiger Sicht falsche Gerüchte waren.

Trotzdem halten sich bis heute viele dieser Gerüchte und charakterlichen
Fehleinschätzung nicht nur bei den innerprotestantischen Gegnern
(z.B. Lutheraner oder Täufer), sondern selbst im evangelikalen und
reformierten Bereich …

Die »Institutio«, gleich zweimal

Glaubenslehre.jpgDie Neukirchener Verlagsgesellschaft veröffentlicht zum Calvinjahr 2009 eine Reihe interessanter Bücher. Auch das seit langem vergriffene Hauptwerk von Johannes Calvin, die Institutio Christianae Religionis, wird anlässlich des Jubiläums in der Übersetzung von Otto Weber neu aufgelegt. Nicht nur jüngere Leser werden sich darüber freuen, dass das Buch diesmal in lateinischer Schrift besonders leserfreundlich gesetzt wird.

Wer nicht warten (und Geld sparen) möchte, kann die vom Verlag RVB soeben herausgegebene erste Auflage der Institutio von 1536 erwerben. Diese kürzeste Auflage erschien erst 1887 in deutscher Sprache in der Übersetzung von Bernhard Spiess. Für die Neuauflage wurde die Übersetzung von Spiess von Mitarbeitern und Studenten des Martin Bucer Seminars sprachlich und orthographisch modernisiert. Zudem wurden die Abkürzungen und Verweise gleichgeschaltet, die biblischen Belegstellen überprüft und neue Zwischenüberschriften zur schnelleren Orientierung eingefügt.

Das Buch kann hier bestellt werden: www.amazon.de. Außerdem gibt es eine kleine Leseprobe: calvin_leseprobe1.pdf.

Herman Bavinck: Christliche Weltanschauung

BavinckCov.jpgDer Niederländer Herman Bavinck (1854–1921) beschäftigte sich sein ganzes Leben lang mit dem Spannungsfeld von christlichem Glauben und moderner Kultur. Nach einer kurzen Tätigkeit als Pastor einer Gemeinde in Friesland wurde Herman Bavinck 1882 als Professor der Systematischen Theologie an die Theologische Hochschule nach Kampen berufen. 1902 wechselte er nach Amsterdam und lehrte dort als Professor der Theologie an der freien Universität. Heute gilt Bavinck zusammen mit Abraham Kuyper als Hauptvertreter der ersten Generation der neo-calvinistischen Theologie.

Eine im Jahre 1904 gehalten Rektoratsrede mit dem Titel »Christliche Weltanschauung« wurde jetzt in einer deutschen Ausgabe neu herausgegeben. Bavinck behandelt darin drei große Fragen der Philosophie: Wie verhalten sich Denken und Sein und wie Sein und Werden zueinander? Und: Welche Normen gibt es für rechtes Handeln? Bavinck trägt seine Ausführungen mit der Überzeugung vor, dass allein der christliche Glaube befriedigende Antworten auf diese Hauptthemen menschlichen Lebens anzubieten hat.

Vor über einhundert Jahren, als die Dichter und Gelehrten im deutschen Sprachraum noch mit der Verarbeitung des Nietzsche-Schocks beschäftigt waren, beschrieb der gläubige Theologe das gesellschaftliche Denkklima mit folgen Worten:

Gemeinsam aber … ist die Abkehr von dem allgemeinen, ungezweifelten christlichen Glauben. Worin man auch im einzelnen voneinander abweichen möge, es steht fest, dass die Zeit des historischen Christentums vorbei ist. Es passt nicht mehr zu unserer kopernikanischen Weltanschauung, zu unserer Kenntnis der Natur und ihrer unveränderlichen Gesetze. Es passt nicht mehr zu unserer modernen Kultur, zu der »Diesseitigkeit« unserer Lebensauffassung, zu unserer Wertschätzung der materiellen Güter. Die Gedankenwelt der Schrift lässt sich in den Zyklus unserer Vorstellungen nicht mehr einfügen. Das ganze Christentum mit seiner Trinität und Inkarnation, mit seiner Schöpfung und seinem Sündenfall, mit seiner Schuld und Versöhnung, mit seinem Himmel und seiner Hölle gehört in eine veraltete Weltanschauung und ist mit dieser endgültig abgetan. Es hat unserem Geschlecht nichts mehr zu sagen und ist durch eine tiefe Kluft von modernem Denken und Leben geschieden. Die Schlagwörter Gott, Seele, Unsterblichkeit, sagt Meyer-Benfey, haben ihren Sinn für uns verloren. Wer fühlt heute noch das Bedürfnis, über das Dasein Gottes zu disputieren? Wir brauchen Gott nicht mehr, für ihn ist auf unserer Welt kein Raum mehr. Möge der greise Einsiedler in seiner Klause sitzen und seinen Gott verehren. Wir, Jünger des Zarathustra, wir wissen, dass Gott tot ist und nicht mehr auferstehen wird.

Das Buch ist beziehbar als:

  • Herman Bavinck, Christliche Weltanschaung, neu hrsg. von Thomas K. Johnson u. Ron Kubsch, Bonn: VKW, 2008, ISBN: 978-3-938116-38-8, 91 S., Preis € 8,00.

Eine TULIP Renaissance?

Das amerikanische Journal Christianity Today teilt heute mit, dass innerhalb der Denomination der Südlichen Baptisten (SB) der Anteil der Kalvinisten steigt.

Nach der Einschätzung von Ken Walker sind derzeit nur 10 Prozent der Pastoren bei den SB Kalvinisten. Unter den Absolventen der theologischen Seminare wachse dagegen die Popularität der reformierten Theologie. Ungefähr 30 Prozent der zu den SB gehörenden Studienabgänger seien gegenwärtig reformiert.

Mehr hier: http://www.christianitytoday.com.

Von Gottes Gnade und des Menschen Elend

adolphzahn.jpgFür alle, die auf der Suche nach einem Buch sind, das die reformierte Gedankenwelt lebendig und auf hohem theologischen und schriftstellerischen Niveau vorträgt, gibt es eine gute Nachricht: Der in Bonn beheimatete Theologe Wolf Christian Jaeschke hat im Verlag für Kultur und Wissenschaft eine Sammlung mit Texten von Adolph Zahn nunmehr in einer zweiten Auflage herausgegeben. Das Buch kann derzeit bei der Buchhandlung GENiaLeBuecher.de als Sonderangebot für 35,80 € bezogen werden.

Adolph Zahn (* 28.09.1834 – † 27.02.1900), übrigens ein Vetter Adolf Schlatters, war reformierter Pfarrer in Halle (Domprediger von 1859-1875), Elberfeld (er amtierte als einer von zwei Pfarrern in der reformierten Gemeinde Kohlbrügges von 1876-1877) und Stuttgart (ab 1881).

Seinerzeit als der »klagende Jeremia auf den Trümmern der reformierten Kirche in Deutschland« bezeichnet (vgl. dazu S. 369f.), vereinte er als begnadeter und fleißiger Schriftsteller herausragende theologische Einsichten mit überzeugenden pastoralen Anliegen. Er war »ein Mann sprühenden Geistes, auf hoher Warte stehend und weit hinausblickend, eine Persönlichkeit schärfster Prägung« (Johannes Ninck).

Der Sammelband besteht aus zwei Teilen. Im ersten (S. 45–349) befindet sich eine gut gewählte und gründlich erläuterte Anthologie. Jaeschke entschied sich für Texte um die Schwerpunktthemen Pastorendienst, Schriftauslegung sowie Historische Theologie und bildet damit die Schaffensbreite von Zahns Wirken gut ab.

Jeder Themenschwerpunkt entpuppt sich dem Leser schnell als Schatzkammer. So werden nahezu alle, die selbst im Verkündigungsdienst stehen, von Zahns erstaunlichen seelsorgerlichen Einblicken profitieren, so wie sie im Aufsatz »Empfindungen eines Predigers« niedergeschrieben sind. Exegeten werden überrascht sein von der Tiefe und Qualität der Schriftauslegungen. Zahns Bemerkungen zur Inspirationslehre sind originell, erhellen aber auch, warum historisch-kritisch lehrende Zeitgenossen wie der Bonner Alttestamentler Kamphausen vom »leider unzurechnungsfähigen Adolph Zahn« sprachen.

Erfrischend und höchst beachtenswert sind die Texte aus dem Bereich der historischen Theologie. Obwohl die Beiträge über hundert Jahre alt sind, wird so mancher gelehrte Theologe Überraschungen erleben. Wußten Sie, daß dem Reformator Zwingli in der Nacht vor dem ersten »zwinglianischen« Abendmahl im Traum eine Gestalt erschien und den Predigttext für den darauffolgenden Sonntag offenbarte (nämlich Ex 12,11 – siehe S. 249f.)? All jene, die sich mit den Positionen der Charismatischen Bewegung auseinandersetzen, werden zweifellos gewinnbringend Zahns Aufsatz über »Das inwendige Wort« lesen. Interessant außerdem, daß der Altcalvinist Zahn sich nicht für den »optimistischen Amillenniarismus« Calvins, sondern den »pessimistischen« Luthers stark machte.

Aber damit nicht genug. So fesselnd der erste Teil des Buches ist, im zweiten (S. 373–589) – obwohl Anhang genannt, eigentlich viel mehr als das – erörtert der Herausgeber den kultur- und theologiegeschichtlichen Kontext, in dem Zahn wirkte, auf souveräne und überaus horizonterweiternde Weise. Dem Leser kommt es vor, als ob bei der Weitung des Blickes A. Zahn aus dem Fokus gerät und man ihn trotzdem – weil im Zusammenhang sehend – noch besser verstehen lernt.

Im Anhang A widmet sich Jaeschke den theologiegeschichtlichen Fronten, zwischen denen Zahn in der Hochzeit des Liberalismus stand. Als Grundlage dafür steht Zahns Abriss einer Geschichte der evangelischen Kirche auf dem europäischen Festlande im neunzehnten Jahrhundert, das, obwohl weitaus weniger bekannt als Karl Barths Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, durchaus mit diesem vergleichbar ist. Im Anhang B–F untersucht Jaeschke die Besonderheiten des »Zahnschen Calvinismus«. Der Leser wird hineingenommen in wichtige theologische Auseinandersetzungen, wie z.B. in die um die Lehre der Heiligen Schrift und der Rechtfertigung. Eingehend entfaltet der Autor die Lehrunterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten (S. 489–523). Die Erläuterungen zur Eschatologie Zahns fallen so umfangreich aus, daß man sie gut als kurze Einführung in christliche Endzeitmodelle lesen kann.

Abgeschlossen wird das Buch mit Quellennachweisen, einem Abkürzungsverzeichnis und einem Namensregister, das die Erschließung des Werkes erheblich vereinfacht.

Wolf Christian Jaeschke verfügt über profunde Kenntnisse der reformierten Theologie und kann diese auf packende und anregende Art vermitteln. Das Buch ist sicher teuer, gibt aber mehr als es verspricht. Es ragt weit aus der unüberschaubaren Masse der theologischen Publikationen heraus. An der Qualität dieses Sammelbandes sollten sich theologische Neuerscheinungen unserer Zeit messen lassen.

Adolph Zahn. Von Gottes Gnade und des Menschen Elend: Ein Querschnitt durch das Werk eines faszinierenden Verfechters einer vergessenen Theologie. Hrsg. von Wolf Christian Jaeschke. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 2001, Paperback, 603 S., 42,00 €. ISBN 3-932829-27-1.

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Die Rezension erschien in ähnlicher Form in: Bibel & Gemeinde, 2001/1.

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