Heinrich Bullinger

Kirche und Staat in Zürich und Genf

Andreas Mühling beschreibt in Caspar Olevian die Unterschiede in der Kirchenpolitik zwischen Zürich und Genf. Während Zürich eng mit der weltichen Obrigkeit kooperierte, suchte Genf unter der Leitung von Calvin die möglichst große Unabhängigkeit von weltlichen Einflüssen.

Mühling schreibt (Caspar Olevian, 2008, S. 67-70): 

Durch die Ereignisse des Reichstages von 1566 – auf diesem Reichstag wurde nach heftigem politischen Ringen der Kurpfalz der Status eines Augsburger Konfessionsverwandten zugesprochen und damit der Makel des Ketzertums von ihr genommen – war die Kurpfalz tatsächlich politisch so weit stabilisiert, dass nun die Probleme im Inneren angegangen werden konnten. Es stand die kirchenpolitische Verhältnisbestimmung zwischen Zürich und Genf bevor. In der Zeit ihrer ersten Hinwendung zur reformierten Lehre hatten Anhänger Zwinglis wie Calvins in der Kurpfalz gleichermaßen Gehör gefunden. Nicht zuletzt auch durch die politische Orientierung der Kurpfalz nach Westeuropa, die Übernahme politischer Mitverantwortung für die Reformierten in Frankreich und den Niederlanden sowie durch die Aufnahme einiger um ihres Glaubens willen verfolgter Reformierter gelangte die Genfer Richtung dort nun zu immer stärkerem Einfluss. Die kirchenpolitische Verbindung der Kurpfalz mit Zürich drohte schwächer zu werden. Die Position der Zürcher schien gefährdet zu sein. Der Punkt, an dem der Streit zum Ausbruch kam, war die Frage nach der Einführung einer Kirchenzucht nach Genfer Vorbild. An diesem Problem wurden die bislang nur unterschwellig vorhandenen Konflikte offenbar. An der Beantwortung dieser Frage entschied sich die zukünftige Gestaltung der Pfälzer Kirche.

Worum ging es bei dieser Frage? In Zürich und Genf existierten unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie das Verhältnis von Kirche und Staat auf theologischer und politischer Ebene konkret ausgestaltet werden sollte. So existierten auch über die Einflussmöglichkeiten der Obrigkeit verschiedene Ansichten.

Die Zürcher Reformation zeichnete sich seit 1523 durch die enge Verbindung kirchlicher und obrigkeitlicher Ziele aus. Die Reformation der Kirche gestaltete sich hier von Anfang an als ein städtisches Ereignis. Zwinglis reformatorische Impulse wurden vom Zürcher Rat aufgenommen, geprüft, modifiziert und schließlich in konkrete Politik umgesetzt. Ehemals kirchliche Aufgabenfelder wie Diakonie und Bildung, aber auch die Verwaltung kirchlicher Liegenschaften wurden ebenso in die Verantwortung des Rates übernommen wie die der Liturgie und der Ausstattung der Kirchenräume. Die Kirchenzucht, meist vollzogen als zeitweiliger Ausschluss der Gläubigen vom Gottesdienst oder Abendmahl, wurde in gemeinsamer Verantwortung von Kirche und Obrigkeit umgesetzt. Seit 1527 legten die Zürcher Prediger zudem einen Eid auf ihre Obrigkeit ab und versprachen, ihr die Treue zu halten. Doch wenn die Zürcher Obrigkeit insbesondere nach der Katastrophe von Kappel 1531 glaubte, die Prediger zugunsten obrigkeitlicher Ziele willfährig machen zu können, so hatte sie sich in ihnen getäuscht. In der Zürcher Kirchenordnung von 1532 wurde zwar von Seiten der Kirche ausdrücklich auf politische Voten verzichtet, doch zugleich ein „Wächteramt“ der Kirche eingefordert. Die Kirche, so betonten die Zürcher Prediger unter der Führung des jungen Bullingers ausdrücklich, werde immer dann Missstände offen benennen, wenn die Obrigkeit in ihrem Handeln gegen die biblischen Schriften verstoße.

Freiheit bei gleichzeitiger enger Bindung – dies kennzeichnete das Verhältnis von Kirche und Obrigkeit in Zürich. Möglich wurde diese Konstruktion, da die konkrete Gestalt der Kirche Jesu Christi in Zürich mit der „Res Publica“ von Zürich weitgehend deckungsgleich war. Kommunale Republik und kommunale Kirche stellten zwei unabhängige Größen dar, die dennoch eng aufeinander bezogen waren. Auf diese Weise wurde die Zürcher Kirche zu einem konstitutiven Element des städtischen Gemeinwesens.

Ein gänzlich anderes Modell als das Zürcher Staatskirchenwesen entwickelten hingegen die Genfer Theologen um Johannes Calvin. Von ihnen wurde eine Gemeindekonzeption entworfen, die auf die belastenden Anforderungen von Flüchtlings- und Minderheitengemeinden abgestimmt wurde. Nach dieser Konzeption sollte die Gemeinde unabhängig von obrigkeitlichen Einflüssen sein, sich eigenverantwortlich die notwendigen Regeln gemeindlichen Zusammenlebens geben und, legitimiert durch Gemeindewahlen, selbst leiten. Vier Ämter – Presbyter, Diakone, Pastoren und Doktoren – sollte es in der Gemeinde geben, die also die wichtigen kirchlichen Handlungsbereiche der Gemeindeleitung, Fürsorge, Gottesdienst sowie Bildungsarbeit abzudecken hatten. Absprache und gedanklicher Austausch der Gemeinden untereinander sollten auf übergemeindlichen Synoden erfolgen. Die Geister in Genf und Zürich hingegen schieden sich insbesondere bei der Frage der Kirchenzucht. Ein obrigkeitlicher Einfluss wurde von Genf strikt abgelehnt, die Anwendung der Kirchenzucht ausschließlich durch das von der Gemeinde gewählte Leitungsgremium, das Presbyterium, verantwortet.

Calvin forcierte diese Gemeindekonzeption, weil sie die Unabhängigkeit der Gemeinden, und damit auch ihre Überlebensfähigkeit in politischen Krisenzeiten, sicherstellte. Hier zeigt sich das Bemühen des französischen Flüchtlings, der Calvin ja gewesen war, seinen reformierten Landsleuten jene kirchlichen Strukturen an die Hand zu geben, die ihnen das Überleben in Aussicht stellten. Für verfolgte reformierte Gemeinden in den von Bürgerkrieg und politischer Bedrängung geprägten Krisen war die Genfer Gemeindekonzeption gegenüber dem Zürcher Staatskirchenwesen tatsächlich weitaus attraktiver.

Bullinger Digital

Aufgabe und Ziel der Plattform Bullinger Digital ist es, den umfangreichen Briefwechsel von Heinrich Bullinger (1504-1575) digital zu erschliessen und übers Internet öffentlich zugänglich zu machen.

Heinrich Bullinger war Nachfolger von Huldrych Zwingli in Zürich und ein wichtiger Multiplikator für die Ideen der Reformation in der Schweiz und in Europa. Sein Briefwechsel ist von grosser historischer Bedeutung, die Briefe geben Einblick in die politischen Ereignisse und theologischen Auseinandersetzungen der Zeit, aber auch in die wirtschaftlichen Verhältnisse und das Leben der Menschen in der Frühen Neuzeit.

Über das Online-Suchsystem erhalten Sie Zugriff auf die rund 10.000 Briefe an und 2.000 Briefe von Bullinger; Informationen zur Benutzung des Suchsystems finden Sie in der Hilfe. Das XML-Korpus sowie die maschinellen Übersetzungen der lateinischen Brieftexte auf Deutsch stehen als Download zur Verfügung.

Bullinger Digital ist eine phantastische Quelle für Recherchen zur Reformation. Ein Brief, den der Reformator Martin Bucer am 23. April an Bullinger schrieb, wird etwa wie folgt zusammengefasst:

Verteidigt Luther, dessen Verdienste um die Ausbreitung des Evangeliums von Oekolampad anerkannt worden sind und mit dem theologisch übereinzustimmen auch Zwingli bekannt hat. Abgesehen von der Frage des Abendmahls läßt Luthers Theologie doch nichts zu wünschen übrig. Diese Übereinstimmung beweisen auch die Unterschriften unter den Marburger Artikeln. Auch Bucer schätzt Luthers kämpferische Art nicht, aber was dieser lehrt, wird Bullinger jederzeit lobend aufnehmen, wenn er es nur richtig betrachtet. Bullingers im Affekt verfaßtes Schreiben veranlaßt Bucer zur Mahnung, ohne wirkliche Kenntnis Luther nicht zu verurteilen. Erasmus, den Bullinger so rühmt, hat sich noch ruchloser als Luther gegenüber den Oberländern verhalten. Capitos Krankheit. Kriegsvorbereitungen. Bucer drückt seine Zuneigung aus und wünscht bessere Übereinstimmung der evangelischen Kirchenvorsteher untereinander.

Wer mehr wissen möchte, kann das Faksimile des Briefs und eine digitale Fassung des lateinischen Textes einsehen. Bei Bedarf kann man dort sogar auf eine maschinelle Übersetzung in die deutsche Sprache zurückgreifen.

Bullinger: So groß ist die Liebe Gottes zum Menschen

Heinrich Bullinger über Christus, der sein eigenes Kreuz trägt (Schriften I, 2006, S. 159): 

Über all dies hinaus nimmt er auch noch sein eigenes Kreuz auf die Schultern und trägt es hinaus zur Richtstätte. Hier wird er unter größten Schmerzen ans Kreuz genagelt, aufgerichtet und, während seine Kräfte schwinden, den schwersten Todesqualen überlassen. Nackt und bloß hängt er etwa drei Stunden bei lebendigem Leib unter den heftigsten Schmerzen da [vgl. Joh 19,17–29]. Dies soll sich der Kranke in seinen Nöten und Schmerzen vor Augen halten. Und weil der Sohn Gottes diese Folter um des Menschen willen erlitten hat, soll der Kranke auch daran denken, dass die Liebe Gottes zum Menschen groß und dieses Opfer, die Wiedergutmachung unserer Sünden, vollkommen ist.

Bullinger: Es droht ein hartes Gericht

Heinrich Bullinger schreibt über die Missachtung göttlicher Gerichtsandrohungen (Schriften II, 2006, S. 21): 

Wir lesen im Evangelium, dass unser Herr Jesus Christus beredt gegen sein Volk vorgebracht bat [Mt 12,41f.]: »Die Männer von Ninive werden im Gericht gegen dieses Geschlecht auftreten und es verurteilen; denn sie taten Buße auf die Predigt des Jona hin, und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin aus dem Süden wird im Gericht gegen dieses Geschlecht auftreten und es verurteilen, kam sie doch von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören, und siehe, hier ist mehr als Salomos.« Und während wir diese Urteile unseres Erlösers durchaus kennen, schätzen sie doch nur wenige von uns mit gläubiger Einsicht richtig ein und erkennen, was für ein hartes Gericht unserer Zeit droht. Denn obwohl es unzählige Beispiele der Vorfahren gibt, die zur Verteidigung des Gesetzes unseres Gottes hätten anspornen können, werden alle diese Beispiele von uns missachtet, und wir verfaulen entweder in tiefstem Müßiggang oder geben uns ganz Lappalien, nichtigen Streitereien und unserer Neugierde hin. Indes wird das Wort Gottes bekämpft, gefangen gesetzt und äußerst schändlich behandelt.

Bullinger: Ein Lob auf die Ehe

Heinrich Bullinger lobt die Institution der Ehe in den höchsten Tönen (Schriften, Bd. 3, 418):

[Der Apostel Paulus mahnt], die Ehe stehe bei allen, nämlich: allen Völkern, in Ehren. Man findet nämlich nur ganz wenige Völker, die die Ehe nicht überaus gelobt haben. Xenophon ist der Meinung, dass sich unter allen Einrichtungen Gottes kaum eine schönere und nützlichere als die Ehe finden lasse. Musonius, Hierokles und andere Weise des Altertums halten die Ehe für so notwendig für ein gutes und angenehmes Leben, dass das menschliche Leben außerhalb der Ehe mangelhaft zu sein scheint. Sie sind der Meinung, dass das Böse und Beschwerliche in der Ehe nicht aus der Ehe selbst, sondern von den Eheleuten komme.

Die Ehe ist nämlich gut, aber viele gehen mit diesem Gut nicht recht um und erleiden deshalb die verdiente Strafe für ihren Missbrauch. Wer wüsste nicht, dass das Böse, das aus Trunkenheit entsteht, nicht auf den Wein zurückzuführen ist, der eine zuträgliche Schöpfung Gottes ist, sondern vielmehr auf das übermäßige Trinken und die böse Begierde des Menschen, der diese gute Schöpfung Gottes missbraucht? Der Herr sagt im Evangelium [Mt 15,11.18]: „Was aus dem Herzen des Menschen herauskommt, verunreinigt ihn, nicht was in den Mund hineinkommt.“ Hierauf zielt auch Paulus, der Apostel Christi, ab, wenn er der Ehe heilende Wirkung zuschreibt.

Bullinger Digital

Der erhaltene Bullinger-Briefwechsel erstreckt sich von 1523 bis 1575 und gilt mit 12.000 überlieferten Briefen als einer der umfangreichsten Briefwechsel des 16. Jahrhunderts. Bullinger stand mit über 1.000 Personen in Kontakt, die Briefe behandeln ein breites Spektrum an Themen von theologischen Fragen über politische Ereignisse bis zu alltäglichen Begebenheiten. 

Die handschriftlichen Originale liegen mehrheitlich im Staatsarchiv Zürich und in der Zentralbibliothek Zürich und werden von diesen beiden Gedächtnisinstitutionen für Bullinger Digital restauriert und gescannt.

3.100 Briefe aus den Jahren 1523 bis 1547 wurden von der Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition (HBBW), die am Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte (IRG) angesiedelt ist, wurden bereits bearbeitet. Zu allen übrigen überlieferten Briefen hat das IRG die relevanten Metadaten wie Absender, Empfänger, Empfangsort, Briefdatum sowie Standort und Signatur des Originaldokuments auf Karteikarten erfasst. 

Hier geht es zum faszinierenden Portal Bullinger Digital: www.bullinger-digital.ch.

Bullinger: Wortlaut der Vulgata muss an Ursprachen geprüft werden

Das Konzil von Trient stellte 1546 im sogenannten Dekret über die Vulgata-Ausgabe der Bibel klar, dass die lateinische Übersetzung als authentisch zu gelten hat. Wörtlich heißt es in dem Erlaß (DH, 1506–1507):

Erwägend, daß der Kirche Gottes nicht wenig an Nutzen zuteil werden könne, wenn bekannt wird, welche von allen lateinischen Ausgaben, die von den heiligen Büchern im Umlauf sind, für authentisch zu halten ist, beschließt und erklärt dasselbe hochheilige Konzil überdies, daß diese alte Vulgata-Ausgabe, die durch den langen Gebrauch so vieler Jahrhunderte in der Kirche anerkannt ist, bei öffentlichen Lesungen, Disputationen, Predigten und Auslegungen als authentisch gelten soll, und daß niemand wagen oder sich unterstehen soll, diese unter irgendeinem Vorwand zu verwerfen. Außerdem beschließt es, um leichtfertige Geister zu zügeln, daß niemand wagen soll, auf eigene Klugheit gestützt in Fragen des Glaubens und der Sitten, soweit sie zum Gebäude christlicher Lehre gehören, die heilige Schrift nach den eigenen Ansichten zu verdrehen und diese selbe heilige Schrift gegen jenen Sinn, den die heilige Mutter Kirche festgehalten hat und festhält, deren Aufgabe es ist, über den wahren Sinn und die Auslegung der heiligen Schriften zu urteilen, oder auch gegen die einmütige Übereinstimmung der Väter auszulegen, auch wenn diese Auslegungen zu gar keiner Zeit für die Veröffentlichung bestimmt sein sollten.

Der Reformator Heinrich Bullinger hat in seiner Fünften Dekade gezeigt, dass Augustinus anderer Auffassung gewesen ist. Der Kirchenvater bestand darauf, die Vulgata in Zweifelsfällen an den Ursprachen zu überprüfen. Der Antistes der Zürcher reformierten Kirche vertrat insgesamt eine ausgewogene Position. Die Vulgata ist seiner Meinung nach hilfreich. Aber „wir alle fordern dazu auf, an zweifelhaften, umstrittenen, unklar übersetzten oder verfälschten Stellen auf griechische oder hebräische Quellen zurückzugehen. Authentisch ist nämlich das Buch, das hebräisch und griechisch abgefasst ist, schrieben doch weder die Propheten noch die Apostel lateinisch, sondern die Apostel griechisch und die Propheten hebräisch.“

Hier das Zitat im Zusammenhang (Schriften, Bd. V, 2006, S. 20–22):

Was ferner die allgemein verbreitete lateinische Übersetzung der Bibel betrifft, so verdammt oder verwirft sie kein vernünftiger Mensch schlechthin. Aber wir alle fordern dazu auf, an zweifelhaften, umstrittenen, unklar übersetzten oder verfälschten Stellen auf griechische oder hebräische Quellen zurückzugehen. Authentisch ist nämlich das Buch, das hebräisch und griechisch abgefasst ist, schrieben doch weder die Propheten noch die Apostel lateinisch, sondern die Apostel griechisch und die Propheten hebräisch. Wir verlangen hier nichts Ungehöriges und nichts, was die Papisten früher nicht selbst erlaubt hätten. So ist im Decretum Gratani, Distinktion 9, folgende Bestimmung zu lesen: »Der zuverlässige Wortlaut der altestamentarischen Bücher muss anhand der hebräischen Schriften überprüft werden, ebenso verlangt der zuverlässige Wortlaut der neutestamentarischen Bibel, dass man sich nach der griechischen Fassung richtet.«

Das sind übrigens Worte, die einem Brief des heiligen Augustin an den heiligen Hieronymus entnommen sind. Augustin schreibt ferner im elften Buch seiner Abhandlung gegen den Manichäer Faustus, Kapitel 2: »Sollte es eine Frage geben bezüglich der Glaubwürdigkeit der einzelnen Handschriften – wie denn in einigen Fällen Unterschiede im Wortlaut der Sätze bestehen, die allerdings selten sind und denen bekannt, die sich dem Studium der Heiligen Schrift widmen –, so muss unser Zweifel entweder durch Abschriften aus den Gebieten ausgeräumt werden, aus denen unsere Lehre selbst herstammt, oder, falls sich auch dort die Handschriften voneinander unterscheiden sollten, die häufiger überlieferte der seltener überlieferten und die ältere der jüngeren Fassung vorgezogen werden. Sollte dann noch immer ein Unterschied im Wortlaut bestehen bleiben, so muss die ältere Sprache, aus welcher der Text übersetzt worden ist, zu Rate gezogen werden.« Ebenso schreibt er im zweiten Buch seines Werks über die christliche Lehre, Kapitel 11: »Die Menschen lateinischer Zunge bedürfen zweier weiterer Sprachen zum Verständnis der Heiligen Schrift, der hebräischen und der griechischen, damit sie auf die älteren Textfassungen zurückgreifen können, wenn die lateinische Übersetzung irgendeinen Zweifel aufkommen lässt.« Und weiter: »Die, welche die Heilige Schrift aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt haben, können einzeln aufgezählt werden, nicht aber die, welche sie ins Lateinische übersetzt haben. Denn wer auch immer in der Frühzeit unseres Glaubens eine griechische Handschrift in die Hände bekam und von sich glaubte, er habe ein wenig Talent in diesen beiden Sprachen, der wagte es, eine lateinische Übersetzung anzufertigen.« Ebenfalls im zweiten Buch, Kapitel 12, wo er über die Verschiedenheit der Übersetzungen spricht, bemerkt er noch: »Dies hat das Verständnis mehr gefördert als gehemmt, solange nur die Leser nicht nachlässig sind. Denn mit der prüfenden Durchsicht mehrerer Handschriften hat sich manch dunkle Stelle klären lassen.« Wenn nun die Väter des Konzils von Trient dies alles mit einem Dekret in Abrede stellen und uns gegen jede Vernunft die lateinische Übersetzung als die authentische Fassung aufdrängen, ohne das Alter der Übersetzungen und die Ansicht der Väter zu berücksichtigen, sehen wir wiederum ganz deutlich, wenn wir nicht mit Blindheit geschlagen sind, was wir von ihnen zu erwarten haben.

Bullinger: Unzucht entheiligt den Tempel Gottes

Heinrich Bullinger über die Unzucht (gemeint ist die sexuelle Sünde, in: Schriften, Bd. 1, 2016, S. 488–489):

Die Unzucht zieht das Gemüt von Gott weg, macht, dass wir den Bund brechen, schmäht die Gnade Gottes und die Glieder Christi, sie raubt Gott das, was ihm gehört, entheiligt den Tempel Gottes und drückt uns mit Geist und Fleisch in den Dreck und allen Schmutz, macht viehische Menschen aus uns, befleckt Leib und Seele, bringt uns um all unsere Ehre und unser Hab und Gut, macht uns zu Schanden, verdirbt uns und führt uns mit Elend, Kummer und Not zur Hölle. Dagegen erlöst uns die Ehe ein für allemal von diesem ganzen Jammer. Und deshalb ist es eine Schande, dass man all das nicht erkennen will und sogar alte Leute findet, die Unzucht nicht für Sünde halten und so leichtfertig und übermütig vor jungen Leuten davon reden, dass diese in ihren bösen Absichten angestachelt werden und dadurch hartnäckig darin fortfahren.

Bullinger: Ist es der Obrigkeit erlaubt, Krieg zu führen?

Ist es der Obrigkeit erlaubt, in einen Krieg zu ziehen? Darf auch ein Christ das Schwert führen? Was, wenn die Obrigkeit einen unrechten Krieg führt? Der Reformator aus Zürich gibt in der 9. Predigt seiner Dekaden herausfordernde Antworten. Hier einige kurze Auszüge (Schriften, Bd. 3, S. 390 ff.):

Zu dem Recht, vom Schwert Gebrauch zu machen, das der Obrigkeit von Gott verliehen wurde, gehört auch das Recht, Krieg zu führen. In meiner letzten Predigt habe ich gezeigt, dass der Gebrauch des Schwertes in den Händen der Obrigkeit ein doppelter ist: Entweder bestraft sie Schuldige, oder sie schlägt einen Feind zurück, der angreift oder angreifen will, oder sie schlägt widerspenstige oder aufrührerische Bürger nieder.

Viele ziehen nun aber in Zweifel, ob es der Obrigkeit erlaubt sei, Krieg zu führen. Es ist erstaunlich, dass man in einer gar klaren Sache so blind sein kann. Wenn die Obrigkeit nämlich nach göttlichem Recht Schuldige straft, Räuber oder andere Straftäter, wobei es nichts zur Sache tut, ob es wenige oder viel sind – wie ich in meiner gestrigen Predigt ausgeführt habe –, so kann sie widerspenstige und aufständische Bürger auch nach demselben Recht wie einen von außen angreifenden Feind bekriegen, zurückschlagen und aufreiben, wenn er unter dem Vorwand eines Feldzuges das versucht, was die Straßenräuber heimlich zu tun pflegen.

Nun sagte der göttliche Prophet, der über die Christen weissagte, unter anderem [Jes 2,4]: »Sie werden ih Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Sicheln umschmelzen.« Christen leben doch mit allen Menschen in Fried‘ und brauchen keine Waffen: Denn jeder verhält sich gegenüb dem anderen so, wie er es auch vom anderen erwartet. Weil aber nicht alle Menschen so gesinnt sind, sonde zahlreiche Störenfriede, verbrecherische Wegelagerer und Unterdrücker unter den ehrbaren und umgänglichen Bürgern leb wie wilde Tiere unter friedlichen Tieren, hat Gott der Obrigkeit vom Himmel das Schwert zum Schutz der Unschuldigen gegeben. Nirgends steht nämlich zu lesen, es sei verboten, Wölfe Eber, Bären und andere wilde Tiere dieser Art, die Mensch und Vieh anfallen, zu erlegen und zu töten. Warum soll es da untersagt sein, in einem Krieg, der zu Recht begonnen wurde, die unrechtmäßige Gewalt von Räubern abzuwehren? Unterscheiden sich doch Wegelagerer, Räuber, feindliche Soldat und aufständische Bürger nur wenig oder in nichts von wilden Tieren! Sie werden ja auch von der Heiligen Schrift nicht anders denn als Tiere bezeichnet. Dem entspricht auch das allgemeine menschliche Empfinden, und ebenso stimmt die Glaubenslehre damit überein. Der Apostel Paulus sagt [Röm 12,18f.]: »Ist möglich, soviel an euch liegt, haltet mit allen Menschen Fried rächt euch nicht selbst!« Siehe, er sagt: »Soviel es an euch liegt« und »ist es möglich«, anderswo ergänzt er [Röm 13,4]: »Die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst«; sie führt es nämlich all jener wegen, welche die Friedfertigen behelligen und alles verwirren.

Aus dem Gesagten schließe ich auch, dass die Untertanen das Recht auf ihrer Seite haben und keine Schuld auf sich laden, wenn sie in den Krieg ziehen und kämpfen, sofern sie es aus Anordnung der Obrigkeit tun. Wenn die Obrigkeit jedoch weiterginge und Unschuldige töten wollte, dann — das habe ich in früheren Predigten gezeigt – ist ihren gottlosen Anweisungen nicht zu gehorchen. Die Obrigkeit achte also darauf, das Rech nicht zu missbrauchen.

Obwohl es der Obrigkeit aus gerechtem und zwingenden Anlass erlaubt ist, Krieg zu führen, ist der Krieg doch etwas sehr Gefährliches, da er meist eine unsägliche Kette von Leid und Übeln nach sich zieht. Zwar werden auf diese Weise dem gerechten Urteil Gottes gemäß all jene bestraft, die keine väterliche Ermahnung beeinflussen konnte, aber vielfach werden auch Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen. Es kommt immer wieder vor, dass Soldaten ihr Recht missbrauchen und selbst den heftigen Zorn des Herrn auf sich ziehen. Beinahe alle Übel und alles Böse dieser Welt haben ihren Ort und Ursprung im Krieg. Aus dem Krieg entsteht sogleich eine allgemeine Teuerung und in der Folge eine todbringende Hungersnot. Verkehrswege werden belagert, Saaten niedergetreten, Häuser stehen in Flammen, Nahrungsmittel werden mutwillig verschleudert, alles Handwerk und Gewerbe kommt zum Erliegen, der Arme stirbt ebenso wie der Reiche. Gerade die Mutigsten fallen in der Schlacht, während die Furchtsamen an Flucht denken und dadurch lediglich erreichen, durch noch schwerere und grausamere Qualen zerfleischt zu werden. Denn die Übelsten werden erhöht, solche, die andere Menschen wie Vieh missbrauchen. Dann seufzen alle, Witwen und Waisen trauern, Reichtümer und Vermögen, die für künftige Notzeiten zusammengetragen worden sind, werden geplündert, Städte brennen zu Asche nieder, junge Frauen und Mädchen werden geschändet, jeder Scham wird Gewalt angetan, alte Männer werden misshandelt, Recht und Gesetz schweigen, Gottesfurcht und Wissenschaften hegen danieder, Gesetzesverächter und Frevler herrschen. Deshalb wird der Krieg in der Bibel als Geißel Gottes bezeichnet [vgl. Jes 10,26].

Bullinger: Vom Leiden unter einer gottlosen Obrigkeit

Heinrich Bullinger gibt Christen, die unter einer gottlosen Regierung leiden, folgende Ratschläge (H. Bullinger, Schriften III, S. 336–338):

Welche Gesinnung aber die Untertanen gegenüber solchen harten und grausamen Regenten oder Tyrannen hegen sollen, entnehmen wir einesteils den Lehren Davids, andernteils den Lehren Jeremias und der Apostel. David wusste genau, was für ein Mensch Saul war, ein gottloser und grausamer Räuber, doch floh er. Obschon sich mehrfach die Gelegenheit ergab, ihn zu töten, tötete er ihn nicht, sondern schonte den Tyrannen und ehrte ihn gar wie einen Vater [vgl. 1Sam 24; 26]. Jeremia betete für Jojakim und Zedekia, die nichtsnutzige Könige waren, und gehorchte ihnen, solange es nicht den Glauben betraf [vgl. Jer 32,16–25; 37,3; 42,2–4]. Als ich darüber sprach, dass man die Eltern ehren solle, habe ich mit der Schrift belegt, dass man gottlosen Geboten gottloser Menschen nicht gehorchen darf. Ebenso wenig steht es einer Obrigkeit zu, gegen das Gesetz der Natur und Gottes zu verstoßen und zu handeln. Die Apostelgeschichte lehrt, wie sich die Apostel gegen eine tyrannische Obrigkeit verhalten haben [vgl. Apg 4,18-21; 5,29-33].

Denen, die unter einer Tyrannenherrschaft leiden oder durch eine gottlose und verbrecherische Obrigkeit gegen jedes Recht und jede Ordnung verfolgt werden, möchte ich den folgenden Rat geben: Zuerst sollen sie bedenken, welcherart und wie groß ihre Sünden des Götzendienstes und der Unreinheit sind, die den strafenden Zorn Gottes wohl verdient haben. Danach sollen sie bedenken, dass Gott seine Geißel nicht zurückziehen wird, bevor die falschen Gottesdienste abgestellt und die verdorbenen Sitten gebessert worden sind. Vor allem muss also eine wahrhaftige Erneuerung des Glaubens sowie eine gewissenhafte Besserung der Lebensweise veranlasst und vollzogen werden. Außerdem gilt es, unablässig zu beten, dass Gott die Unterdrückten retten und dem Schmutz des Bösen entreißen wolle [vgl. Ps 40,3]. Denn dies rät den Unterdrückten der Herr selbst in Lukas, Kapitel 18, indem er ihnen verlässliche Hilfe und sofortige Befreiung verheißt [vgl. Lk 18,1–8]. Was aber und wie die Unterdrückten beten sollen, zeigen die Gebetsworte bei Daniel in Kapitel 9 und in der Apostelgeschichte, Kapitel 4 [vgl. Dan 9,4–19; Apg 4,23–31]. Den belasteten Seelen vermag auch zu helfen, was die ersten unter den Aposteln, Petrus und Paulus, gelehrt haben. Jener sagt [vgl. 2Petr 2,9.7]: »Es weiß der Herr die Seinen aus der Versuchung zu erretten, wie er auch Lot errettet hat.« Dieser spricht [vgl. 1Kor 10,13]: »Gott ist getreu. Er wird nicht zulassen, dass die Seinen mehr versucht werden, als sie es ertragen können, sondern lässt die Versuchung glücklich enden.« Es sollte einem auch die Gefangenschaft des Gottesvolkes in den Sinn kommen, das in Babylon während siebzig Jahren zurückgehalten wurde, und die wunderschöne Trostrede an die Gefangenen, die Jesaja in den Kapiteln 40 bis 49 verfasst hat. Wir 61′ sollen daran denken, dass Gott gut, gnädig und allmächtig ist und es ihm deshalb ein Leichtes ist, uns zu erlösen. Er hat verschiedene Mittel, uns zu befreien. Wir müssen nur darauf achten, dass wir die Tyrannen nicht durch unser sträfliches, schimpfliches und gottloses Leben stärken. Der Herr vermag die Herzen der Fürsten ganz plötzlich zu verändern – »Das Herz des Königs gleicht Wasserbächen in der Hand des Herrn, die er leitet, wohin er will« [Spr 21,1] –, so dass die, welche bis dahin äußerst grausam gegen uns waren, fortan gütig und mild sind, und die, welche bis dahin den wahren Glauben in grausamster Weise verfolgten, ihn nun aufs Glühendste lieben und mit großer Umsicht fördern.

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