Kirchlichen Unfehlbarkeit ohne historische und theologische Grundlage
Gavin Ortlund geht in einem neuen Video ausführlich auf Argumente ein, die die Unfehlbarkeit der Kirche verteidigen (leider nur in englischer Sprache).
Gavin Ortlund geht in einem neuen Video ausführlich auf Argumente ein, die die Unfehlbarkeit der Kirche verteidigen (leider nur in englischer Sprache).
Alle zehn Jahre untersucht die evangelische Kirche, was ihre Mitglieder über Religion und Kirche denken. Erstmals wurden dabei auch Katholiken befragt. Der aktuelle Befund der KMU 6 dokument die voranschreitende Säkularisierung innerhalb der beiden Großkirchen.
Reinhard Bingener schreibt für die FAZ:
Wenn Soziologen über Seismographen verfügten, kämen sie wohl aus ihren Büros gelaufen und würden „Achtung, Erdbeben!“ rufen. Denn die Ergebnisse der neuen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung legen nahe, dass sich gegenwärtig eine historische Transformation vollzieht. Religion erodiert in rapider Geschwindigkeit und beide große Kirchen, so schreiben die Autoren, scheinen an einem „Kipppunkt“ angelangt zu sein, der schon in den nächsten Jahren zu „disruptiven Abbrüchen“ führen könne.
Die methodische Basis dieses Befunds könnte kaum breiter sein. Seit fünfzig Jahren beauftragt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) einmal im Jahrzehnt eine große Untersuchung über die Kirchenmitgliedschaft. Für die nunmehr sechste Folge wurden insgesamt 592 Fragen für 5282 Teilnehmer entwickelt.
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Was bei den beiden großen Kirchen in Deutschland ganz weit oben steht, signalisiert auch die Verleihung des Ökumenischen Predigtpreises 2023. Für ihren jeweiligen Einsatz beim Christopher Street Day und für den Klimaschutz geht der Preis an Nathalie Schuler und die Klimaaktivistin Luisa Neubauer.
Die Evangelische Zeitung berichtet:
Die 27-jährige Klima-Aktivistin Luisa Neubauer habe innerhalb weniger Jahre im deutschen Sprachraum das Bewusstsein von der gesellschaftlichen Aufgabe der Bewahrung der Schöpfung maßgeblich mitgeprägt. Bei genauerem Blick erweist sich nach Auffassung der Jury: Neubauers Reden und Denken enthält mehrere zu religiösen Kontexten wie existentiellen Fragestellungen strukturanaloge Leitmotive. Darin liegt seinerseits ein wichtiger Beitrag für die Predigtkultur der Gegenwart in der globalen Klimakrise.
An der Predigt von Nathalie Schuler in einem Gottesdienst zum Christopher Street Day 2023 hat die Jury die „theologisch begründete, sachlich differenzierte und rhetorisch gekonnte Kommunikation“ überzeugt. Am Vorabend des Johannistages werden Anfragen im biblischen Text an die Identität von Johannes dem Täufer samt dessen Antworten verwoben mit den Erfahrungen der anwesenden Gemeinde, wenn ihre Identitäten infrage gestellt werden. Grundvertrauen, Selbstrelativierung und Teilhabe an Gottes Zukunftswegen werden als christliche Glaubensdynamiken begreifbar.
Der Predigtpreis für Luisa Neubauer wurde übrigens in der Kategorie „Lebenswerk“ vergeben. Die Aktivistin wurde 1996 in Hamburg geboren und studiert Geographie in Göttingen. So schnell geht das heute mit einem Preis für das „Lebenswerk“. Sie kann ja noch Charakter zeigen und die Auszeichnung ablehnen.
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Der katholische Gesellschaftsanalyst Georg Weigel hat kürzlich den Synodalen Weg der Katholischen Kirche in Deutschland scharf kritisiert. Ausgehend vom Zweiten Vatikanischen Konzil (hier besonders die Offenbarungslehre „Dei Verbum“) stellt er fest, dass die göttliche Offenbarung durch die Brille des Zeitgeistes gedeutet wird. Die Besonderheiten des Konzils sollen an dieser Stelle nicht verhandelt werden. Der Kritik Weigels am deutschen Sonderweg ist aus protestantischer Perspektive zuzustimmen. Er schreibt (Die Tagespost, 15.12.2022, S. 9):
„Dei Verbum“ lehrte auch, dass Gottes Offenbarung in Jesus Christus vollendet wurde. Katholiken ergründen kontinuierlich die Tiefen dieser Offenbarung und ihrer Bedeutung und so wächst unser christliches Verständnis. Doch jeder historische Moment wird von der Offenbarung bewertet. Die Offenbarung wird nicht von den „Zeichen der Zeit“ bewertet.
Oder, um die Dinge so einfach wie möglich darzustellen: Gott weiß besser als wir, was zum Glück, zum Gedeihen und schließlich zur Seligkeit des Menschen beiträgt. Die „Zeichen der Zeit“ mögen uns helfen, besser zu erfassen, was Gott in der Schrift und der Überlieferung gesagt hat. Doch wenn die „Zeichen der Zeit“ , zum Beispiel die Gender-Ideologie, dem widersprechen, was Gott über unsere Natur und unsere Bestimmung offenbart hat, dann liegen die „Zeichen der Zeit“ schief, nicht das Wort Gottes.
Die Dokumente des deutschen „Synodalen Wegs“ – oft in nervtötendem Soziologen-Kauderwelsch mit einem dünnen Überzug von religiöser Sprache formuliert – leugnen all dies im Wesentlichen. Das Fazit Weigels: „Der deutsche Synodale Weg erkennt ‚den überlieferten Glauben, der den Heiligen ein für allemal anvertraut ist‘ (Judasbrief 1,3) nicht an“.
US-Präsident Joe Biden, ein engagierter Kämpfer für die Abtreibung und die LTBGQ-Bewegung, sei laut Papst Franziskus ein guter Katholik und soll die Kommunion empfangen. Dabei will er die Abtreibungen bis zur Geburt erleichtern und sogar das Grundrecht auf Abtreibung einführen. Zu einer Kirche, die offiziell für den Lebensschutz eintritt, passt das nicht. Matthias Rüb schreibt für die FAZ:
Auf die Frage, ob in dem Gespräch mit dem Papst vom Freitag auch das Thema Abtreibung zur Sprache gekommen sei, antwortete Biden am Samstagmittag vor amerikanischen Journalisten: „Nein, es kam nicht zur Sprache. Wir haben nur darüber gesprochen, dass er froh darüber ist, dass ich ein guter Katholik bin und dass ich weiter die Kommunion empfangen soll.“
Nach dem Gottesdienst vom Samstagabend sagte Pater Joe Ciccone, Hauptzelebrant der Abendmesse und Spender der Sakramente für die Bidens: „Die Kommunion vereint uns in Gott, unserem Herrn. Keiner von uns ist rein und perfekt. Wir alle haben Kämpfe zu bestehen in unserem Leben. Wir sind Heilige und Sünder zugleich.“ Damit brachte Pater Ciccone genau die Haltung von Papst Franziskus im Streit um die Kommunion für katholische Politiker zum Ausdruck, die sich entgegen der Lehre ihrer Kirche für das Recht auf Abtreibung einsetzen. So wie Joe Biden und Nancy Pelosi etwa.
Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.
Vor einigen Tagen habe ich darüber berichtet, dass Papst Franziskus in einer Dokumentation die zivilrechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partner befürwortet hat und damit innerkirchlichen Diskussionen ein Steilvorlage gegeben hat (siehe hier). Der Vatikan hat sich inzwischen in die Auseinandersetzung um die richtige Deutung der zitierten Worte eingeschaltet. Er weist laut FAZ darauf hin, „dass es sich um aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen aus einem früheren Interview handele“. Die FAZ weiter:
Der Vatikan teilte den Bischöfen nun mit, es handle sich um zwei Aussagen aus einem früheren Interview des Papstes, das er 2019 mit dem mexikanischen Fernsehsender Televisa geführt habe. Die beiden Sätze stammten ursprünglich aus unterschiedlichen Zusammenhängen, seien in dem Dokumentarfilm jedoch zu einer Antwort zusammengefügt worden. Das habe Verwirrung gestiftet.
Der Satz über das Recht auf eine Familie bezieht sich laut vatikanischer Darstellung in seinem ursprünglichen Zusammenhang darauf, dass Homosexuelle von ihrer Familie nicht diskriminiert werden sollten. In diesem Sinne hatte sich Franziskus 2016 auch in seinem Schreiben „Amoris laetitia“ geäußert. Der Satz über die rechtliche Anerkennung fiel demnach in einem anderen Teil des Interviews, in dem es um die Ablehnung eines Gesetzes zur Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe 2010 in Argentinien ging. Der heutige Papst und damalige Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, hatte dieses Gesetz damals abgelehnt.
Hier der vollständige Artikel von Thomas Jansen: www.faz.net.
Der Papst Franziskus hat einen Preis für unklare Kommunikation verdient. Mit Aussagen, die er in einer am Mittwoch in Rom vorgestellten Dokumentation gemacht hat, setzt er die Katholische Kirche und die Welt allgemein in Erstaunen. Domradio meldet:
In einer Szene sagt er: „Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben.“ Sie seien Kinder Gottes. „Was wir benötigen, ist ein Gesetz, das eine zivile Partnerschaft ermöglicht.“ Betroffene sollten rechtlich abgesichert sein. Dafür habe er sich auch eingesetzt.
Während der Papst schon in früheren Aussagen eine Duldung eingetragener Partnerschaften für Homosexuelle signalisierte, spricht er sich dieses Mal ausdrücklich für eine solche rechtliche Form der Partnerschaft aus. Eine gleichgeschlechtliche Ehe hingegen lehnt er weiterhin ab.
Zuvor hatte er 2010 als Erzbischof von Buenos Aires anlässlich der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in seinem Heimatland Argentinien von einem „Schachzug des Teufels“ gesprochen. Die zuvor dort geltende eingetragene Partnerschaft duldete er hingegen.
Was meint Franziskus nun, wenn er von dem Recht spricht, in einer Familie zu leben? Will er damit auch das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partner einfordern? Was genau meint er mit: „Sie sind Kinder Gottes?“.
Klar ist bei allen offenen Fragen, dass sich der Papst von der Auffassung verabschiedet hat, die die von ihm geleiteten Kirche offiziell vertritt. In den „Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“ aus dem Jahr 2003 heißt es unter Punkt 11:
Nach der Lehre der Kirche kann die Achtung gegenüber homosexuellen Personen in keiner Weise zur Billigung des homosexuellen Verhaltens oder zur rechtlichen Anerkennung der homosexuellen Lebensgemeinschaften führen. Das Gemeinwohl verlangt, dass die Gesetze die eheliche Gemeinschaft als Fundament der Familie, der Grundzelle der Gesellschaft, anerkennen, fördern und schützen. Die rechtliche Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften oder deren Gleichsetzung mit der Ehe würde bedeuten, nicht nur ein abwegiges Verhalten zu billigen und zu einem Modell in der gegenwärtigen Gesellschaft zu machen, sondern auch grundlegende Werte zu verdunkeln, die zum gemeinsamen Erbe der Menschheit gehören. Die Kirche kann nicht anders, als diese Werte zu verteidigen, für das Wohl der Menschen und der ganzen Gesellschaft.
Ich gehe mal davon aus, dass in der Katholischen Kirche in den nächsten Wochen viel diskutiert wird.
Papst Franziskus hat mit der neuen Enzyklika „Fratelli tutti“ eine – theologisch eher blutleere – gesellschaftspolitische Utopie auf die Reise geschickt. Zum ersten Mal nennt ein Papst einen führenden Vertreter der islamischen Religion als Inspirationsquelle für seine Enzyklika: den Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo.
Thomas Jansen meint:
Das Neue des Schreibens liegt ohnehin nicht in der Kapitalismus-Kritik oder den Willkommenskultur-Appellen. Bemerkenswert ist etwas Anderes: … Es hat große Symbolkraft, dass die Enzyklika in der Wiedergabe einer gemeinsamen Erklärung mündet, die der Papst und der führende sunnitische Gelehrte im Februar 2019 unterzeichnet haben. „Fratelli tutti“ könnte so ein Meilenstein im katholisch-islamischen Dialog werden – wenn die muslimische Seite reagiert.
Zugriff auf den päpstlichen Entwurf der Geschwisterlichkeit gibt es hier: www.vatican.va.
Immer mehr französische Kirchen zerfallen. Mit der Einführung des Gesetzes zur Trennung von Kirche und Staat im Jahr 1905 wurde die Katholische Kirche enteignet und 83 Kathedralen des Landes gingen in den Besitz des Staates über. Die etwa 45.000 katholischen Kirchen gehören nun den Kommunen. Viele von ihnen sind in Gefahr, da die Kassen leer sind und nur noch wenig Menschen die Gottesdienste besuchen.
Die Welt am Sonntag hat in dem Artikel „Feuer des Zweifels“ den Verfall der Katholischen Kirche in Frankreich beschrieben (06.09.2020, Nr. 36, S. 8). Deutlich wird, dass nicht nur das fehlende Geld für den Zerfall verantwortlich ist. Es gibt einen aktiven Vandalismus und zunehmende Glaubenslosigkeit. Martin Meister schreibt:
Jeden Tag werden in Frankreich durchschnittlich zwei katholische Kirchen
beschmiert, mutwillig zerstört oder entweiht. Messkelche werden gestohlen,
aber auch Gemälde, sogar Stühle. Das Innenministerium zählte 2018 mehr als 1000 „antichristliche Taten“ gegenüber 541 antisemitischen und 100 islamophoben. Die Motive sind unterschiedlich, in der Regel sind es Jugendliche, die sich langweilen, sagen Experten. In den seltensten Fällen seien die Taten politisch oder satanistisch motiviert.
Edouard de Lamaze, Vorsitzender der Organisation Observatorium für das
Religiöse Kulturerbe, sagt: „Jede zweite Woche eröffnet in Frankreich eine neue Moschee, während wir jedes Jahr 40 bis 50 katholische Kirchen verlieren, weil sie abgerissen, verkauft oder radikal umgebaut werden.“
Weiter fragt sie:
Wie steht es um den Glauben eines Landes, das sich lange Zeit stolz als „älteste
Tochter der katholischen Kirche“ bezeichnet hat? Frankreich ist vom Zweifel befallen. „Der Prozess der Ent-Christianisierung, der in den 60er-Jahren begonnen hat, steht kurz vor dem Abschluss“, konstatiert der Politloge und Meinungsforscher Jérôme Fourquet. Den Anteil praktizierender Katholiken schätzt Fourquet auf gerade noch sechs Prozent der Bevölkerung. „Die Matrix, die Frankreichs Gesellschaft über Generationen geprägt hat, löst sich endgültig auf.“
Es läuft wieder. Die Corona-Pandemie stärkt den Ablass. Laut NTV will die Katholische Kirche allen mit dem Coronavirus infizierten Gläubigen die Sünden erlassen. Ich vermute, theologisch korrekt ist die Formulierung nicht. Wahrscheinlich geht es eher um zeitliche Sündenstrafen. Aber interessant ist die Meldung allemal:
Die katholische Kirche will allen mit dem Coronavirus infizierten Gläubigen die Sünden erlassen – wenn sie zuvor einige Bedingungen erfüllen. Laut dem von einem vatikanischen Gericht veröffentlichten Erlass müssen die Betroffenen unter anderem an einer Reihe von Online übertragenen Gottesdiensten oder an anderen Andachtsformen teilnehmen, um ihren „Geist völlig von der Sünde gelöst“ zu haben. Auch die Bibellektüre kann demnach Sünden streichen, wenn sie „mindestens eine halbe Stunde“ umfasst.
Na dann.
VD: AG