Martyn Lloyd-Jones

Historische Theologie, Praktische Theologie

Martyn Lloyd-Jones und die Puritaner

Philip Eveson schreibt in der Studie „Der Heilige Geist in der Lehre und Erfahrung von D. Martyn Lloyd-Jones“, dass Martyn Lloyd-Jones die Puritner sehr schätze und zugleich bemerkte, dass sie kritisch reflektiert werden sollten – besonders im Blick auf ihre Predigtlehre (Baptised With Heavenly Power: The Holy Spirit in the Teaching and Experience of D. Martyn Lloyd-Jones, 2025, S. 64–65):

Wie bei jedem historischen Thema, über das Lloyd-Jones sprach und Vorträge hielt, ging es ihm immer darum, es pastoral anzuwenden. Er schätzte die Puritaner wegen ihrer biblischen Herangehensweise an jede Situation und ihrem Misstrauen gegenüber dem, was Martin Luther als „die alte Hexe, Lady Vernunft” bezeichnete. Lloyd-Jones wies darauf hin, dass es bei der Kontroverse zwischen den Puritanern und der anglikanischen Kirche in hohem Maße um den Stellenwert der Vernunft ging. Weder die Vernunft noch die Tradition durften mit der Heiligen Schrift gleichgesetzt werden. Dennoch folgte Lloyd-Jones den Puritanern nicht sklavisch. Im Rahmen einer Vorlesung über Predigen am Westminster Seminary im Jahr 1967 zeigte er, wie sehr er die Puritaner bewunderte, und fügte diese persönliche Anmerkung hinzu: „In gewisser Weise bin ich vielleicht dafür verantwortlich, dass das Interesse an ihnen in Großbritannien wiederbelebt wurde.” Doch im nächsten Atemzug gab er folgende Warnung: „Die Puritaner können aus der Sicht der Predigt sehr gefährlich sein.“ Seiner Meinung nach waren sie „in erster Linie Lehrer … und keine Prediger“. Diese Aussage stand in klarem Widerspruch zu dem, was er einige Jahre später am selben Seminar sagte, wie im vorigen Absatz erwähnt, nämlich dass die Puritaner „praktische, experimentelle Prediger“ waren! Hier muss bei jeder Bewertung der Ansichten von Lloyd-Jones, insbesondere seiner kontroverseren Aussagen, der Kontext berücksichtigt werden, in dem er gesprochen hat. Was den Aufbau ihrer Predigten angeht, waren die Puritaner nicht dafür bekannt, schön abgerundete Predigten zu halten, die eine Botschaft eindringlich vermittelten, und in diesem Sinne waren sie eher Lehrer als Prediger. Dennoch hatten sie durch die Auslegung des Textes, die Hervorhebung seiner kostbaren Wahrheiten und die Bereitstellung einer durchdachten Anwendung etwas Wichtiges zu sagen, und sie sagten es mit einer Überzeugung und Autorität, die von der Kraft Gottes zeugte. Er sah in den Puritanern das „lebendige Element”, das die Verkündigung des Wortes Gottes durch die Jahrhunderte begleitet hatte, von der apostolischen Predigt in der Apostelgeschichte bis hin zu den Führern der walisischen calvinistischen Methodisten.

Bücher, Calvinismus, Zitate

Martyn Lloyd-Jones – ein reformierter Prediger

Philip Eveson beschreibt in seiner hochinteresssanten Studie „Der Heilige Geist in der Lehre und Erfahrung von D. Martyn Lloyd-Jones“ die reformierten Glaubensüberzeugungen von Martyn Lloyd-Jones (Baptised With Heavenly Power: The Holy Spirit in the Teaching and Experience of D. Martyn Lloyd-Jones, 2025, S. 23–24):

Obwohl Lloyd-Jones kein Freund von Etiketten war, gehörte seine theologische Position eindeutig zu jener Richtung des Protestantismus, die als calvinistisch oder „reformiert” bekannt ist. Er bezeichnete sich selbst selten als Calvinisten und vermied solche Begriffe bewusst auf der Kanzel. Selbst bei Konferenzvorträgen zögerte er oft, Menschen als Calvinisten zu bezeichnen, und erklärte einmal: „Ich mag diese Etiketten nicht, aber da sie verwendet werden, muss ich sie auch verwenden.”

Für ihn waren Calvinisten „Paulinisten”. Bedeutete das, dass es ihm peinlich war, solche Begriffe zu verwenden, oder dass er ein widerwilliger Calvinist war? Keineswegs! In seiner Rede vor der Jahresversammlung der Evangelical Library im Jahr 1963 bezog er sich mehrfach auf die reformierte Theologie. Angesichts des damals wachsenden Interesses an den Gaben des Heiligen Geistes war er besorgt, dass zwar einige Pfingstler „in ihrer Unzufriedenheit in Richtung reformierte Theologie blicken“, viele in den älteren Konfessionen jedoch „auf diese pfingstlerische Lehre“ und ihre unbiblischen ökumenischen Verbindungen schauen, anstatt auf die reformierte Lehre. Er war dankbar für diejenigen, die mit der Oberflächlichkeit des Lebens ihrer Kirchen unzufrieden waren und sich „direkt der reformierten Theologie und der Lehre, für die wir stehen, zuwandten”. Nur zehn Jahre vor seinem Tod erklärte Lloyd-Jones in einer Ansprache vor einer Konferenz der International Fellowship of Evangelical Students (IFES) unmissverständlich: „Ich bin Calvinist.”

Evangelikale

Menschen des Evangeliums

Holger Lahayne aus Litauen hat das neue Buch Menschen des Evangeliums von Michael Reeves besprochen:

In diesem Zusammenhang setzt Michael Reeves mit Menschen des Evangeliums nun einen notwendigen Akzent. Der britische Theologe und Autor erkennt wie Trueman die gegenwärtige Krise im Selbstverständnis des Evangelikalismus. Er bedauert, dass dieser „sowohl von anderen als auch von sich selbst durch andere Dinge definiert [wird] als durch das Evangelium“ (S. 8). Der Präsident der Union School of Theology in Oxford ist überzeugt: „Um wirklich Menschen des Evangeliums zu werden, müssen wir zu unserem Ausgangspunkt zurückkehren – zu dem Glauben, ‚der ein für alle Mal den Heiligen anvertraut ist‘ (Jud 3)“ (S. 8). Eine bloß soziologische oder „beschreibende Analyse“ genügt nicht; der Evangelikalismus muss laut Reeves in erster Linie „mithilfe des Evangeliums“, also „theologisch definiert werden“ (S. 9).

Reeves hält daran fest, dass den Kern der evangelikalen Identität eben doch „irgendwelche Glaubenssätze“ (Malessa) ausmachen. Damit steht er in der Tradition der großen britischen Evangelikalen wie John Stott oder Martyn Lloyd-Jones, die in Evangelical Truth (1999) bzw. What is an Evangelical? (1992) ebenfalls eine biblisch begründete und theologisch fundierte Definition vorlegten. Reeves zitiert daher auch mehrfach aus beiden Werken.

Drei essentielle Lehren

Anknüpfend an den Beginn des Römerbriefes stellt Reeves eingangs dar, dass für den Apostel Paulus das Evangelium folgende Eigenschaften besitzt: Das Evangelium ist …

„1. trinitarisch: Es ist die Frohe Botschaft des Vaters über den Sohn, der als Sohn Gottes eingesetzt ist in Kraft nach dem Heiligen Geist (vgl. Röm 1, 4).

  1. biblisch: Es wird in der Heiligen Schrift verkündet.
  2. christuszentriert: Es geht dabei um den Sohn Gottes.
  3. Geist-gewirkt: Der Sohn wird durch den Heiligen Geist offenbart.“ (S. 11)

Das Evangelium steht also „im Einklang mit der Heiligen Schrift“, es „dreht sich um Christus und sein Erlösungswerk“ und schafft als „Botschaft des persönlichen Heils“ neues Leben (S. 14). Reeves argumentiert,

„dass der wahre Evangelikalismus eine klare Theologie hat, in deren Zentrum drei essentielle Lehren verankert sind, aus denen sich alles Weitere ergibt:

  1. Die Offenbarung durch den Vater in der Bibel.
  2. Die Erlösung durch den Sohn im Evangelium.
  3. Die Wiedergeburt durch den Geist in unseren Herzen.“ (S. 16)

Eine trinitarische Struktur

Reeves erläutert das Evangelium demnach als ein Werk des dreieinen Gottes. Der Person des Vaters ordnet er die Offenbarung zu und erläutert in Kapitel 2 „Die Vorrangstellung der Heiligen Schrift“, „Die Inspiration der Heiligen Schrift“ und „Die Vertrauenswürdigkeit der Heiligen Schrift“. „Die Erlösung durch den Sohn“ (Kapitel 3) gliedert sich auf in „Die einzigartige Identität Christi“, „Das Werk Jesu“ und „Die Rechtfertigung durch Glauben allein“. In Kapitel 4 behandelt er das Wirken des Heiligen Geistes: „Die Wiedergeburt“, „Das neue Leben“ und „Das neue Volk“.

Auf Seite 17 ist diese Struktur des Buches in einem Kreisdiagramm anschaulich dargestellt. In der Mitte steht „Die Dreieinigkeit“, also Gott selbst. Diese Betonung ist nur zu begrüßen, denn so wird eins klar: Es geht nicht in erster Linie um Menschen, die eine Bekehrung erfahren haben; um Menschen, die in Mission und Diakonie aktiv sind; oder um Menschen und ihre Mission. Vielmehr steht im Mittelpunkt des Evangelikalismus niemand anders als Gott, der durch sein Evangelium Wahrheit mitgeteilt, Erlösung geschenkt und neues Leben geschaffen hat.

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Theologie, Zitate

Martyn Lloyd-Jones: Wie kann Gott Gottlose rechtfertigen?

Martyn Lloyd-Jones predigte in seiner Reihe zum Römerbrief über das Kreuz (Romans 3:20-4:25, 1970):

Das Kreuz zeigt nicht nur die Liebe Gottes herrlicher als alles andere, es zeigt seine Rechtschaffenheit, seine Gerechtigkeit, seine Heiligkeit und die ganze Herrlichkeit seiner ewigen Eigenschaften. Sie alle sind dort zusammen hell leuchtend zu sehen. Wenn man sie nicht alle sieht, hat man das Kreuz nicht gesehen. Deshalb müssen wir die so genannte „Moralisches Beispiel“-Theorie des Sühneopfers, die besagt, dass alles, was das Kreuz tun muss, ist, unsere Herzen zu zerreißen und uns dazu zu bringen, die Liebe Gottes zu sehen, strikt ablehnen.

Paulus geht darüber hinaus, indem er sagt: „Er verkündigt seine Gerechtigkeit zur Vergebung der vergangenen Sünden“. Warum das, wenn es nur eine Erklärung seiner Liebe ist? Nein, sagt Paulus, es ist mehr als das. Wenn es nur seine Vergebung verkünden würde, hätten wir das Recht zu fragen, ob wir uns auf Gottes Wort verlassen können, und ob er gerecht und fair ist. Es wäre eine berechtigte Frage, denn Gott hat im Alten Testament wiederholt erklärt, dass er die Sünde hasst und dass er die Sünde bestrafen wird, und dass der Lohn der Sünde der Tod ist.

Es geht um den Charakter Gottes. Gott ist nicht wie wir Menschen. Wir denken manchmal, dass es wunderbar ist, wenn Menschen eine Sache sagen und dann etwas anderes tun. Die Eltern sagen zu ihrem Kind: „Wenn du das tust, bekommst du den Euro nicht, um deine Süßigkeiten zu kaufen. Dann tut der Junge diese Sache, aber der Vater sagt: „Nun, es ist in Ordnung“, und gibt ihm den Euro. Das, so denken wir, ist Liebe und wahre Vergebung. Aber Gott verhält sich nicht auf diese Weise. Gott, wenn ich es so ausdrücken darf, ist ewig mit sich selbst im Einklang. Es gibt niemals einen Widerspruch in ihm. Er ist „der Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist und kein Schatten der Veränderung“. All diese herrlichen Attribute sind in seinem ewigen Charakter wie Diamanten, die leuchten, zu sehen. Und sie müssen alle offenbart werden. Im Kreuz sind sie alle manifestiert.

Wie kann Gott gerecht sein und zugleich die Gottlosen rechtfertigen? Die Antwort ist, dass er es kann, weil er die Sünden der gottlosen Sünder in seinem eigenen Sohn bestraft hat. Er hat seinen Zorn über ihn ausgegossen. „Er trug unsere Strafe. Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Gott hat getan, was er angekündigt hat: Er hat die Sünde bestraft. Er hat dies durch das Alte Testament überall verkündet; und er hat getan, was er sagte, dass er es tun würde. Er hat gezeigt, dass er rechtschaffen ist. Er hat eine öffentliche Erklärung darüber abgelegt. Er ist gerecht und kann rechtfertigen, denn nachdem er einen anderen an unserer Stelle bestraft hat, kann er uns frei vergeben. Und das tut er auch. Das ist die Botschaft von Vers 24: „Und werden ohne Verdienst gerechtfertigt (als gerecht angesehen, erklärt, für gerecht erklärt) aus seiner Gnade durch die Erlösung (das Lösegeld), die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt zur Sühne in seinem Blut.“

Theologie

Mark Dever im Gespräch mit J.I. Packer

Im Jahr 1999 sprach Mark Dever in der Hill Baptist Church, in Washington D. C. (USA), mit dem kürzlich verstorbenen Theologen J.I. Packer. Das etwa einstündige Gespräch wurde aufgezeichnet und kann hier nachgehört werden, freilich nur englischer Sprache.

Es ist wirklich ein hilfreiches Gespräch und enthält zudem sehr lustige Momente. Besonders gefallen hat mir der Kurzbericht über einen kleinen „Zusammenstoß“, den er vor vielen Jahren mit Martyn Lloyd-Jones auf einer gemeinsam organisierten Puritaner-Konferenz hatte. Informativ allerdings auch der Teil, in dem kontrovers über die Initiative Evangelicals and Catholics Together (ECT) gesprochen wurde.

Historische Theologie

Interview mit Martyn Lloyd-Jones

Kurz nachdem Martyn Lloyd-Jones 1968 vom Predigerdienst der Westminster Chapel zurücktrat, führte er eine Reihe von Fernsehinterviews. Zwei davon haben überlebt. In diesem Interview wird er von dem berühmten walisischen Schriftsteller Aneirin Talfan Davies befragt.

VD: KV

Praktische Theologie, Zitate

Zeugnis als Erweisung des Geistes

Martyn Lloyd-Jones 1970 (Vollmacht, 1984, S. 96–97):

Ich bin überzeugt, daß [1. Korinther 2] für die evangelikale Christenheit unserer Tage in vieler Hinsicht das wichtigste Kapitel der ganzen Bibel ist. Schauen wir uns doch den Apostel Paulus an. Diese überragende Persönlichkeit, ein geistiger Riese. Er war einer der größten Geister, die die Erde je gekannt hat. Und doch sagt uns dieser Paulus, daß er nach Korinth in „Schwachheit, Furcht und großem Zittern“ gegangen ist. Er ist nicht leichtfüßig ans Rednerpult getreten, Selbstsicherheit und Überlegenheit ausstrahlend. Er fing nicht mit einigen guten Witzen an, um erst mal Atmosphäre zu schaffen. Er war nicht der gekonnte Beherrscher einer Versammlung, mit der er machen konnte, was er wollte: „Schwachheit, Furcht und großes Zittern!“ Warum? Paulus kannte seine eigenen Grenzen. Er wußte, was er nicht tun konnte. Er war von der Aussicht umgetrieben, mit seiner Persönlichkeit zwischen die Menschen mit der ungewöhnlichen Botschaft zu treten, die er zu verkündigen hatte. Er hat nichts aufgetragen, von dem er wußte, daß es die Menschen beeindrucken könnte. Er machte genau das Gegenteil. Er hatte sich entschlossen, „daß ich nichts wüßte unter euch, als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten“. Weiter sagt er: „Mein Wort und meine Predigt geschah nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, auf daß euer Glaube bestehe nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.“ Paulus nahm keine Rücksicht auf den öffentlichen Geschmack, sowohl was den Inhalt seiner Rede betraf, als auch die Art und Weise, wie er die Botschaft weitergab. Daher sagten manche von ihm, seine Rede sei verachtenswert. Dennoch war Kraft dahinter, so daß Männer und Frauen innerlich überführt und bekehrt und Glieder der christlichen Gemeinde wurden. Was war das Geheimnis? Es war diese Erweisung des Geistes und der Kraft. Es war die Vollmacht des Heiligen Geistes. In 1. Thessalonicher 1, 5 sagt Paulus: „Denn unsere Predigt des Evangeliums kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem Heiligen Geist und in großer Gewißheit.“ Ich bin gewiß, diese Gewißheit war nicht nur bei dem Apostel Paulus, sondern auch bei denen, die gläubig wurden. Es waren eben nicht nur Worte eines Menschen. Seine Hörer setzten sich nicht menschlicher Auslegungskunst aus. Paulus machte sie nicht mit einer seltsamen Philosophie bekannt. Es war das Wort Gottes, das „in Kraft und in dem Heiligen Geist und in großer Gewißheit“ zu ihnen kam.

Der Apostel Petrus sagt es ähnlich. Im 1. Petrusbrief 1,12 schreibt er von „dem, was euch verkündigt ist durch die, so euch das Evangelium verkündigt haben durch den Heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist — was auch die Engel gelüstet zu schauen.“ Es geschieht durch den Heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist, wenn das Evangelium überführend und überzeugend gesagt werden kann.

Praktische Theologie, Zitate

Gott verherrlicht sich durch den „Rest“

Martyn Lloyd-Jones 1970 (Vollmacht, 1984, S. 78–80):

Die Frage wird immer wieder gestellt: „Warum kommen wir nicht an die Massen heran, die außerhalb der Kirche leben? Wie können wir mit ihnen in Verbindung kommen? Wie können wir sie dazu bringen, auf uns zu hören? Was können wir tun, damit die Aussagen und Lehren der Kirche vollmächtig werden?“ Achten wir mal darauf, auf welche Art und Weise diese Fragen angegangen werden! „Das Hauptproblem ist“, so wird gesagt, „die Kirche hat nicht mit der Entwicklung Schritt gehalten. Sie verkauft sich nicht so, wie sie es eigentlich sollte. Große Firmen sind erfolgreich, weil sie gute Reklame betreiben.“ Deshalb haben die großen Kirchen damit angefangen, Abteilungen für die Öffentlichkeitsarbeit einzurichten. Diese Büros sorgen dafür, daß die entsprechenden Anzeigen regelmäßig in der Tagespresse erscheinen. „Bringt das unters Volk, und das Volk wird darauf hören!“, so heißt das Schlagwort. Sie klammern sich an die große Reklame, an die laute Stimme.

Andere sagen: „Nein, das ist nicht der Weg. Was wir brauchen, ist soziales Engagement. Die Menschen sind zuallererst an materiellen Dingen, an sozialen Problemen interessiert. Die Kirche muß daher deutlich zeigen, daß sie sich auch dafür interessiert. Sie muß somit häufiger Stellung zu sozialen und politischen Fragen nehmen. Dann werden die Menschen auch darauf hören, was in der Kirche gepredigt wird. Andere sind wiederum der Ansicht, der einzige Weg, den Einfluß zurückzugewinnen, gehe über Rundfunk und Fernsehen. »Das sind die Instrumente mächtiger Beeinflussung“, so sagen sie.

„Die Kirche muß diese Möglichkeiten auskaufen. Laßt uns dort das Geld hineinstecken. Laßt uns diese großen Medien für Reklame und Propagierung gebrauchen!“ Andere setzen ihr ganzes Vertrauen auf Schriften und Bücher.

Dem allen liegt selbstverständlich der hohe Stellenwert von Bildung und Wissen zugrunde. Folgende Überzeugung trifft man häufig an: Wenn wir nur den Eindruck hinterlassen könnten, daß der moderne Christ sich gut in der Wissenschaft auskennt, daß er kein Dummkopf ist und kein Träumer, daß er vernünftig und intellektuell ist, dann wird seine Umgebung bereit sein, auf ihn zu hören. Das sind auch so die gängigen Überlegungen, die hinter den vielen Büchern stecken, die Glauben und Wissenschaft harmonisieren wollen. Das sind die Hauptargumente. Aber die allerwichtigste Frage, so sagt man uns, ist die Frage nach der Einheit und einer einheitlich organisierten Weltkirche. Das eigentliche Problem ist, so sagt man, daß die Christenheit so gespalten ist. Die Welt ist eine Einheit, dagegen ist die Kirche in viele Fragmente gespalten. Darum ist es unmöglich, von Vollmacht zu reden, wenn solche unsicheren Fundamente da sind. Es gibt nur einen Weg, so sagt man uns: „Wir brauchen eine große Weltkirche. Wenn wir nur eine wären und so der Welt gegenübertreten könnten, dann müßte sie auf uns hören. Das ist das Geheimnis der Vollmacht.“

Mit dem Gesagten beschreibe ich nicht nur die Teile der Kirche, die nicht bibelgläubig sind. Leider rede ich auch vom evangelikalen Flügel. Es erscheint mir so, als ob wir in den gleichen Fehler verfallen sind. Wir zitieren zwar sehr oft: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr.“

In der praktischen Druchführung vertrauen wir dann doch dem „allmächtigen Dollar“, der Macht der Presse und der Reklame. Wir scheinen überzeugt zu sein: unser Einfluß hinge von der Technik ab, von den Programmen, die wir produzieren, von den großen Zahlen und den Massen. Wir haben vergessen, daß Gott in der Geschichte der Kirche seine Taten meistens durch den „Rest“ getan hat. Es sieht so aus, als ob wir die große Geschichte um Gideon vergessen haben. Wie Gott dort darauf bestanden hat, die Zahl der Krieger von 32000 auf 300 zu reduzieren, bevor er das Heer gebrauchen konnte. Wir sind fasziniert von der Idee der Größe, und wir sind überzeugt, wenn wir nur etwas Großes »aufziehen« (ja, das ist der richtige Ausdruck) könnten vor der Welt, dann würden wir sie erschüttern und eine große Erweckung wäre die Folge. Das ist das heutige Konzept für Vollmacht und Autorität.

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