Gott verherrlicht sich durch den „Rest“

Martyn Lloyd-Jones 1970 (Vollmacht, 1984, S. 78–80):

Die Frage wird immer wieder gestellt: „Warum kommen wir nicht an die Massen heran, die außerhalb der Kirche leben? Wie können wir mit ihnen in Verbindung kommen? Wie können wir sie dazu bringen, auf uns zu hören? Was können wir tun, damit die Aussagen und Lehren der Kirche vollmächtig werden?“ Achten wir mal darauf, auf welche Art und Weise diese Fragen angegangen werden! „Das Hauptproblem ist“, so wird gesagt, „die Kirche hat nicht mit der Entwicklung Schritt gehalten. Sie verkauft sich nicht so, wie sie es eigentlich sollte. Große Firmen sind erfolgreich, weil sie gute Reklame betreiben.“ Deshalb haben die großen Kirchen damit angefangen, Abteilungen für die Öffentlichkeitsarbeit einzurichten. Diese Büros sorgen dafür, daß die entsprechenden Anzeigen regelmäßig in der Tagespresse erscheinen. „Bringt das unters Volk, und das Volk wird darauf hören!“, so heißt das Schlagwort. Sie klammern sich an die große Reklame, an die laute Stimme.

Andere sagen: „Nein, das ist nicht der Weg. Was wir brauchen, ist soziales Engagement. Die Menschen sind zuallererst an materiellen Dingen, an sozialen Problemen interessiert. Die Kirche muß daher deutlich zeigen, daß sie sich auch dafür interessiert. Sie muß somit häufiger Stellung zu sozialen und politischen Fragen nehmen. Dann werden die Menschen auch darauf hören, was in der Kirche gepredigt wird. Andere sind wiederum der Ansicht, der einzige Weg, den Einfluß zurückzugewinnen, gehe über Rundfunk und Fernsehen. »Das sind die Instrumente mächtiger Beeinflussung“, so sagen sie.

„Die Kirche muß diese Möglichkeiten auskaufen. Laßt uns dort das Geld hineinstecken. Laßt uns diese großen Medien für Reklame und Propagierung gebrauchen!“ Andere setzen ihr ganzes Vertrauen auf Schriften und Bücher.

Dem allen liegt selbstverständlich der hohe Stellenwert von Bildung und Wissen zugrunde. Folgende Überzeugung trifft man häufig an: Wenn wir nur den Eindruck hinterlassen könnten, daß der moderne Christ sich gut in der Wissenschaft auskennt, daß er kein Dummkopf ist und kein Träumer, daß er vernünftig und intellektuell ist, dann wird seine Umgebung bereit sein, auf ihn zu hören. Das sind auch so die gängigen Überlegungen, die hinter den vielen Büchern stecken, die Glauben und Wissenschaft harmonisieren wollen. Das sind die Hauptargumente. Aber die allerwichtigste Frage, so sagt man uns, ist die Frage nach der Einheit und einer einheitlich organisierten Weltkirche. Das eigentliche Problem ist, so sagt man, daß die Christenheit so gespalten ist. Die Welt ist eine Einheit, dagegen ist die Kirche in viele Fragmente gespalten. Darum ist es unmöglich, von Vollmacht zu reden, wenn solche unsicheren Fundamente da sind. Es gibt nur einen Weg, so sagt man uns: „Wir brauchen eine große Weltkirche. Wenn wir nur eine wären und so der Welt gegenübertreten könnten, dann müßte sie auf uns hören. Das ist das Geheimnis der Vollmacht.“

Mit dem Gesagten beschreibe ich nicht nur die Teile der Kirche, die nicht bibelgläubig sind. Leider rede ich auch vom evangelikalen Flügel. Es erscheint mir so, als ob wir in den gleichen Fehler verfallen sind. Wir zitieren zwar sehr oft: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr.“

In der praktischen Druchführung vertrauen wir dann doch dem „allmächtigen Dollar“, der Macht der Presse und der Reklame. Wir scheinen überzeugt zu sein: unser Einfluß hinge von der Technik ab, von den Programmen, die wir produzieren, von den großen Zahlen und den Massen. Wir haben vergessen, daß Gott in der Geschichte der Kirche seine Taten meistens durch den „Rest“ getan hat. Es sieht so aus, als ob wir die große Geschichte um Gideon vergessen haben. Wie Gott dort darauf bestanden hat, die Zahl der Krieger von 32000 auf 300 zu reduzieren, bevor er das Heer gebrauchen konnte. Wir sind fasziniert von der Idee der Größe, und wir sind überzeugt, wenn wir nur etwas Großes »aufziehen« (ja, das ist der richtige Ausdruck) könnten vor der Welt, dann würden wir sie erschüttern und eine große Erweckung wäre die Folge. Das ist das heutige Konzept für Vollmacht und Autorität.

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2 Kommentare
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Rolf
5 Jahre zuvor

Tja Ron, es ist zu befürchten, dass Manches wieder bis auf den „Rest“ zurücksackt. Ist dieser – gute – Beitrag ein Zitat des Buches „Vollmacht“? Noch weitere interessante häufige Argumente: Wir evangelisieren nicht genug, wir beten nicht genug. Man kann drüber nachdenken. Gustav Knak 1854 „Das Gebet im Namen Jesu“: „…wenn wir, die wir die Gnade haben, an den Sohn Gottes zu glauben und ihn in Schwachheit zu lieben, diesem gnädigen Befehl unseres Herrn Jesu gehorsamer wären und in seinem Namen unsern großen Gott fleißiger und brünstiger anriefen, Ihm die eigene wie die fremde Not, die Not unseres armen Volkes und Vaterlandes, die Not der armen Heiden und Juden anhaltender und dringender vorstellten und mit ihm im Namen seines lieben Sohnes im Gebete rängen und ihn nicht los ließen wie jene Witwe, die den ungerechten Richter bat und immer wieder und wieder kam, so dass er endlich sagen musste: „Ich will tun, was sie begehrtet, damit sie nicht zuletzt komme… Weiterlesen »

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