Norbert Bolz

Die Versklavung der eigenen Meinung

Norbert Bolz sucht in einem Beitrag für DIE WELT nach einer Erklärung für die schwindende Meinungsfreiheit und sieht eine Ursache für das Phänomen des Konformismus interessanterweise in der Aufklärung:

Dass die Menschen sich ihres eigenen Verstandes ohne Anleitung anderer bedienen würden, wenn man sie erst einmal von den Dogmen der Religion und den Vorurteilen der Tradition befreit hat, war der Trugschluss der Aufklärung. Gerade der moderne Konformismus des Denkens ist eine Konsequenz der Entmythologisierung, der Entzauberung der Welt – also eine Nebenwirkung der Aufklärung. Wir sagen, was man sagt, weil wir uns nicht mehr vom Gesetz, der Sitte und der Tradition getragen fühlen.

Diese modernitätsspezifische Anomie [bezeichnet in der Soziologie den Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen, Regeln und Ordnungen; Anm. R.K.] führt also geradewegs zum Konformismus: Die Emanzipation der Vernunft hat uns der öffentlichen Meinung versklavt. Und es ist vor allem die Emanzipation der Vernunft von der Tradition, die ein Orientierungsvakuum geschaffen hat, das die Gewalt der öffentlichen Meinung unwiderstehlich macht. Alle reden von Individualität, Diversität und Selbstverwirklichung – und alle denken dasselbe. So entsteht der Konformismus des Andersseins. Sie alle sind Schauspieler des Nonkonformismus auf der Bühne des Konformismus.

Mehr (allerdings hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Moderne Pharisäer

Norbert Bolz kritisiert die auf ein Soziales Evangelium konzentrierte kirchliche Verkündigung in den Ostertagen scharf:

So hört man von ihren Repräsentanten und Pfarrern nur noch selten etwas über das Ärgernis und den Skandal des Wortes vom Kreuz, so wie es im Zentrum der Paulus-Briefe und damit des Neuen Testaments steht. Aber man bekommt am Sonntag sehr viel zu hören über die unzähligen kleinen Kreuze dieser Welt wie Hunger, Flüchtlingselend, Klimakatastrophe usf.

Der Pfarrer tritt immer häufiger als Gutmensch auf – und das heißt in der Sprache des Neuen Testaments: als Pharisäer. Dabei missbraucht er seine Predigt für einen sentimentalen Moralismus. Er ersetzt den Skandal des Gekreuzigten zunehmend durch einen neutralen Kult der Menschheit. Thomas Mann hat das schon vor hundert Jahren „Verrat am Kreuz“ genannt. Was dann noch bleibt, ist die Sentimentalität einer unrealistischen Menschenfreundlichkeit.

Mehr (allerdings hinter der Bezahlwand): www.welt.de.

Über den Habermas-Schredder

Das Debatten-Magazin THE EUROPEAN hat mit Norbert Bolz über die fehlende Streitkultur an Universitäten, mittelmäßige Lehre, den Bologna-Prozess und den Habermas-Schredder, durch den Philosophie an der Uni zu Püree wird, gesprochen. Die Lektüre ist ein Genuss. 

Einige Fragmente:

Es gab noch nie so viel geistige Unfreiheit nach dem 2.Weltkrieg wie heute. Das spüren die jungen Leute, die Karriere machen müssen, um zu überleben. Die Stromlinienförmigkeit wird durch Selbstzensur sehr, sehr früh erzeugt. Es ist ja schon in der Schule so, dass die intelligenten Kinder in Fächern wie Politik, Philosophie oder Gemeinschaftskunde spüren, was der Lehrer gerne hören möchte. Es ist ja nicht so, dass man offen diskutieren könnte.

Das ist ja das Grundproblem der Bildungspolitik, dass sie jetzt gemacht wird. Früher wurde sie nicht gemacht. Man hat sich nicht für Unis und Schulen interessiert. Das war „Gedöns“, und das war ein Segen. Also, Helmut Kohl hat sich nie für Universitäten interessiert, und damals war die Welt noch in Ordnung. Während heute Leute, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, denken Sie an Frau Schavan, eine einzige Katastrophe, sich da einmischen. Die hat dann aber sinngemäß gesagt: „Ihr seid die ewig Gestrigen, wir aber gehen mit Bologna in die Zukunft“. Die Leute, die von der Sache keine Ahnung haben, dürfen aufgrund ihrer Macht alles steuern. Das ist das Problem, nämlich die Politisierung aller möglichen Bildungsprozesse. Das hat es so früher auch nicht gegeben. Die Re-Education, damals nach dem zweiten Weltkrieg, war insofern noch harmlos, weil man sie mit großer Distanz betrachtet hat. Jetzt aber wird es von der Kita bis zur Uni durchgezogen. Kriterien werden vorgegeben. Politiker haben ganz andere Schwerpunkte und von der Sache hier keine Ahnung. Das ist auch ein neues Problem.

Hier mehr: www.theeuropean.de.

Norbert Bolz: Ein Unisono

Norbert Bolz ist einer der scharfsinnigsten Medien- und Kulturkritiker der Gegenwart. Hier wieder eine Analyse über das Versagen der Politik und des Journalismus im Hinblick auf das Maas-Gesetz (NetzDG):

Norbert Bolz im Gespräch

Im Gespräch mit Wolfgang Herles skizziert der Medienwissenschaftlicher Norbert Bolz eine Metakritik der Mediendemokratie. Hörenswert, analytisch, hilfreich!

Politische Korrektheit führt zur geistigen Knechtschaft

Unter dem Deckmantel der Politischen Korrektheit wird die Meinung an die Moral gebunden. Damit wird die Gesellschaft zum Opfer eines politisch motivierten „Tugendterrors“.

Nachfolgend einige Zitate aus einem Beitrag, den Norbert Bolz am 4. Januar 2017 im TAGESSPIEGEL veröffentlicht hat:

… man wird politisch aggressiv, wenn man theoretisch nicht mehr weiter weiß. Unsere Gesellschaft wird so zum willenlosen Opfer eines Tugendterrors, der in Universitäten, Redaktionen und Antidiskriminierungsämtern ausgebrütet wird.

Die neuen Ingenieure der Seele arbeiten mit Sprachcodes, Gruppenidentitätszuschreibungen und Trainingscamps für „sensitivity“ und „awareness“. Hier ist die offene Diskussion freier Individuen längst durch Zensur, Einschüchterung und Indoktrination ersetzt worden. In der Vergangenheit diskriminierte Gruppen sollen durch positive Gegendiskriminierung Wiedergutmachung erfahren. Wer widerspricht, wird nicht widerlegt, sondern zum Schweigen gebracht. Abweichende Meinungen werden heute schärfer sanktioniert als abweichendes Verhalten. Diese Sanktionen laufen zumeist nicht über Diskussionen, sondern über Ausschluss.

Es gibt keine Freiheit des Denkens ohne die Möglichkeit einer öffentlichen Mitteilung des Gedachten. Und das gilt nicht nur für die wenigen Schreiber, sondern gerade auch für die vielen Leser. Gedankenfreiheit bedeutet für die meisten Menschen nämlich nur die Möglichkeit, zwischen einigen wenigen Ansichten zu wählen, die von einer kleinen Minderheit öffentlich Redender und Schreibender verbreitet worden sind. Deshalb zerstört das Zum-schweigen-bringen abweichender Meinungen die Gedankenfreiheit selbst.

Deshalb gibt es auch keine großen Denker mehr. Abweichende Meinungen, die sich doch noch aus der Deckung wagen, werden sozial bestraft.

Mehr: causa.tagesspiegel.de.

Norbert Bolz: Gnadenlose Neuzeit

Obwohl ich mit dem kierkegaardianischen Schluss dieses Essays überhaupt nicht einverstanden bin, ist „Gnadenlose Neuzeit: Luther und die Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft“ von Norbert Bolz ein intellektueller Genuss. Schon der Einstieg ist gehaltvoller und herausfordernder als das betäubende Geschwätz, dass uns viele evangelische Prediger Sonntag für Sonntag zumuten:

Die evangelische Kirche unserer Zeit ist durch eine Inflation des Kreuzes gekennzeichnet. So hört man von ihren Repräsentanten und Pfarrern nur noch selten etwas über das Ärgernis und den Skandal des Wortes vom Kreuz, so wie es im Zentrum der Paulus-Briefe und damit des Neuen Testaments steht. Aber man bekommt am Sonntag sehr viel zu hören über die unzähligen kleinen Kreuze dieser Welt wie Hunger, Flüchtlingselend, Arbeitslosigkeit, Klimakatastrophe usf. Zusammengehalten werden diese kleinen Kreuze durch die Dauerbereitschaft eines „Reden wir miteinander“. Das hat schon der große dänische Protestant des 19. Jahrhunderts, Sören Kierkegaard, als Geschwätz bezeichnet. Der Pfarrer tritt immer häufiger als Gutmensch auf – und das heißt in der Sprache des Neuen Testaments: als Pharisäer. Dabei missbraucht er seine Predigt für einen sentimentalen Moralismus. Das hat Franz Overbeck schon Ende des 19. Jahrhunderts erkannt. Ich zitiere: „Nichts entvölkert unsere Kirchen so sehr, als dass man es in ihrem Gottesdienst so viel mit den persönlichen Ansichten ihrer Prediger zu tun hat.“ So Overbeck.

Die evangelische Kirche heute vermeidet Konflikte, indem sie immer weniger behauptet. Sie hat Angst vor den eigenen Dogmen und möchte um keinen Preis orthodox sein. Aber nicht orthodox sein zu wollen, ist für einen Glauben paradox. Denn Orthodoxie heißt nichts anderes als der richtige Glaube. Kennt die evangelische Kirche überhaupt noch den Unterschied zwischen Christentum und einem diffusen Humanitarismus? Sie ersetzt den Skandal des Gekreuzigten zunehmend durch einen neutralen Kult der Menschheit. Thomas Mann hat das schon vor hundert Jahren „Verrat am Kreuz“ genannt. Was dann noch bleibt, ist die Sentimentalität einer unrealistischen Menschenfreundlichkeit.

Dieses Wohlfühlchristentum befriedigt ein tiefes Bedürfnis nach Betäubung. Jeder kennt ja Marxens Formel von der Religion als Opium des Volkes. Genau in diesem Sinne hat dann auch Nietzsche von einem opiatischen Christentum gesprochen und es scharf der ursprünglichen christlichen Erschütterung entgegengesetzt. Gemeint ist bei Marx genau so wie bei Nietzsche: Nicht Religion selbst ist Opium, sondern die modernen Menschen machen aus Religion ein Opiat. Sie benutzen das Christentum als Droge, zur Beruhigung der Nerven. Jede Spur der christlichen Erschütterung ist sorgfältig getilgt. Man lässt sich zwar noch von der Jesus-Geschichte rühren, vor allem an Weihnachten. Aber vom Jüngsten Gericht will niemand mehr etwas hören. Aus Gott ist der liebe Gott geworden. Und aus Jesus ist ein guter Mensch geworden – gewissermaßen ein Integrationsbeauftragter höherer Ordnung. Aber wer den Lehrer und Sozialarbeiter Jesus lobt, will den Erlöser Christus verdrängen. Wenn Jesus nur ein Lehrer des richtigen moralischen Verhaltens gewesen wäre, hätte man ihn nicht gekreuzigt.

Hier das Essay als Mitschnitt (ein Manuskript gibt es hier):

 

VD: PG

N. Bolz: „Geistiger Selbstmord“

Der Philosoph Norbert Bolz erklärte 2008 FOCUS online, warum er nach den Werten der Familie jene der Religion verteidigt

Irgendetwas muss Gott sein. Das ist evident beim Kult ums moderne Ich. Das ist auch evident bei der grünen Religion, wo Gottvater durch Mutter Erde ersetzt wird. Die Sozialreligion wiederum, in welcher der Staat quasi die göttliche Rolle einnimmt, ist sicher die wichtigste und immer noch folgenreichste. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass wir immer tiefer in den Staatsgötzendienst steuern – und jede Menge Theologen sind bereit, aus Gründen der Anpassung an dieser Sozialoffenbarung mitzuwirken. Das Traurige ist eben, dass solche Ersatzreligionen gerade von denen praktiziert und vorangetrieben werden, von denen man eigentlich erwarten sollte, dass sie denken können.

Wenn der Antichrist auftritt, heißt es bei Paulus, dann wird er an seiner Rhetorik von Sicherheit und Friede erkennbar sein. Ich glaube, das ist die Befreiung, wenn es so pathetisch sein darf, die Deutschland fehlt: Wir sind immer noch gebannt von der Rhetorik des Gutmenschentums und müssen einfach erkennen, das ist die Rhetorik des Antichristen. Es ist meine stille Aufklärungshoffnung, dass man wenigstens den intelligenten Leuten hierzulande diesen Zusammenhang noch mal klarmachen kann.

Mehr: www.focus.de.

Norbert Bolz kritisiert Reformpädagogik

Wir brauchen keine Bildungsrevolution, sagt der Philosoph und Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Statt Reformen brauchen wir selbstbewusste Lehrer, statt Ganztagsschulen sollten sich die Eltern wieder selbst um ihre Kinder kümmern:

Als vierfacher Vater von schulpflichtigen Kinder glaube ich, das Problem der Schulen ist nicht das Curriculum, sondern völlig überforderte Lehrer, die sich immer häufiger in Krankheiten flüchten. Überfordert sind die Lehrer nicht vom Stoff, sondern von Eltern, die immer größere Konsumentenerwartungen an die Schule richten, und zum anderen von der Verwaltung, die den Lehrern ständig neue Reformprogramme aufdrückt und sie in irgendwelche Schulungen hetzt. Hier werden sie dann mit sogenannten „neuen Formen des Lernens“ konfrontiert, die ihren eigenen Erfahrungen widersprechen. Das klassische Beispiel ist der Frontalunterricht. Alle Welt, die über Pädagogik nachdenkt, ist dagegen. Die wirklich guten Lehrer, verstehen die Diskussion überhaupt nicht und die Schüler bestätigen mir immer wieder, dass diese gruppenbasierten Alternativmodelle zu nichts führen. Ich wünschte mir manchmal mehr Feuerzangenbowle und weniger Brüsseler Reformideen.

Mehr: www.cicero.de.

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