Politik

Alexis de Tocqueville: Die gewaltige Vormundsschaftsgewalt

Was Alexis de Tocqueville in den 1830er Jahren über die die seichte Abschaffung der Demokratie in Amerika geschrieben hat, klingt für mich so interessant und aktuell, dass ich den TheoBlog-Lesern ein längeres Zitat zumuten möchte. Ich wurde durch den Artikel „When Fear leads to Tyranny“ von Jonathan Sumption auf das Buch Über die Demokratie in Amerika aufmerksam. Nach Sumption beschreibt Alexis de Tocqueville unüberbietbar klar, wie ein fürsorglicher Staat seinen Bürgern Stück um Stück ihre Selbstbestimmung nimmt. Die Akteure setzten die Vormundschaftsgewalt so geschickt ein, dass die Bürger den schleichenden Prozess der Entmündigung sogar als Fürsorge wahrnehmen.

Also hier (Über die Demokratie in Amerika, 2021 [1835], S. 411–413):

Ich bin der Ansicht, die Art der Unterdrückung, die den demokratischen Völkern droht, wird mit nichts, was ihr in der Welt voraufging, zu vergleichen sein; unsere Zeitgenossen würden ihr Bild in ihren Erinnerungen vergeblich suchen. Ich selbst suche vergeblich nach einem Ausdruck, der die Vorstellung genau wiedergibt, die ich mir von ihr mache, und der sie umfasst; die alten Begriffe Despotismus und Tyrannei passen nicht. Die Sache ist neu, und da ich sie nicht benennen kann, muss ich versuchen, sie zu beschreiben. Ich will entwerfen, unter welchen neuen Zügen der Despotismus sich in der Welt einstellen könnte: Ich sehe eine unübersehbare Menge ähnlicher und gleicher Menschen, die sich rastlos um sich selbst drehen, um sich kleine und gewöhnliche Freuden zu verschaffen, die ihr Herz ausfüllen. Jeder von ihnen ist, ganz auf sich zurückgezogen, dem Schicksal aller anderen gegenüber wie unbeteiligt: Seine Kinder und seine besonderen Freunde sind für ihn die ganze Menschheit; was seine übrigen Mitbürger angeht, so ist er zwar bei ihnen, aber er sieht sie nicht; er berührt sie, aber er spürt sie nicht; er lebt nur in sich und für sich selbst, und wenn ihm auch noch eine Familie bleibt, so kann man doch zumindest sagen, ein Vaterland hat er nicht mehr. Über diesen Bürgern erhebt sich eine gewaltige Vormundschaftsgewalt, die es allein übernimmt, ihr Behagen sicherzustellen und über ihr Schicksal zu wachen. Sie ist absolut, ins Einzelne gehend, pünktlich, vorausschauend und milde. Sie würde der väterlichen Gewalt gleichen, hätte sie – wie diese – die Vorbereitung der Menschen auf das Mannesalter zum Ziel; sie sucht aber, im Gegenteil, die Menschen unwiderruflich in der Kindheit festzuhalten; sie freut sich, wenn es den Bürgern gutgeht, vorausgesetzt, dass diese ausschließlich an ihr Wohlergehen denken. Sie arbeitet gern für ihr Glück; aber sie will allein daran arbeiten und allein darüber entscheiden; sie sorgt für ihre Sicherheit, sieht und sichert ihren Bedarf, erleichtert ihre Vergnügungen, führt ihre wichtigsten Geschäfte, leitet ihre gewerblichen Unternehmungen, regelt ihre Erbfolge und teilt ihren Nachlass; könnte sie ihnen nicht vollends die Sorge, zu denken, abnehmen und die Mühe, zu leben? Auf diese Weise macht sie den Gebrauch des freien Willens immer überflüssiger und seltener, beschränkt die Willensbetätigung auf ein immer kleineres Feld und entwöhnt jeden Bürger allmählich der freien Selbstbestimmung. Auf all das hat die Gleichheit die Menschen vorbereitet: hat sie bereit gemacht, es zu erdulden, ja es häufig sogar für eine Wohltat zu halten. So breitet der Souverän, nachdem er jeden Einzelnen der Reihe nach in seine gewaltigen Hände genommen und nach Belieben umgestaltet hat, seine Arme über die Gesellschaft als Ganzes; er bedeckt ihre Oberfläche mit einem Netz kleiner, verwickelter, enger und einheitlicher Regeln, das nicht einmal die originellsten Geister und die stärksten Seelen zu durchdringen vermögen, wollen sie die Menge hinter sich lassen; er bricht den Willen nicht, sondern er schwächt, beugt und leitet ihn; er zwingt selten zum Handeln, steht vielmehr ständig dem Handeln im Wege; er zerstört nicht, er hindert die Entstehung; er tyrannisiert nicht, er belästigt, bedrängt, entkräftet, schwächt, verdummt und bringt jede Nation schließlich dahin, dass sie nur noch eine Herde furchtsamer und geschäftiger Tiere ist, deren Hirte die Regierung.

VD: MRW

Ist der Staat Gott?

Europäische Regierungen und Parteien beziehen sich kaum noch auf Gott. Das ist nicht tragisch, wenn Säkularisierung zugleich bedeutet, dass die Religionsfreiheit verteidigt und der Staat nicht selbst zu einem neuen Gott wird, meint Giuseppe Gracia in seinem NZZ-Beitrag „Gott ist tot – der Staat ist Gott? Das wäre eine ganz schlechte Idee“.

Wer eine freie Gesellschaft bewahren will, muss die Religionsfreiheit und das freie Wirken der Religionsgemeinschaften verteidigen. Im Übrigen ist Gelassenheit geboten, wenn politische Parteien verschwinden, die ein «C» im Namen tragen. Das Christentum ist kein politisches Programm und darf nicht auf eine Partei verengt werden. Auch sind Christen keine politische Gemeinschaft, sondern eine Glaubensgemeinschaft.

So wie alle Bürger können Christen in vielen Fragen des politischen Tagesgeschäfts unterschiedliche Ansichten vertreten und verschiedene Parteien wählen. Denn es ist eine Sache, gleiche Grundsätze wie etwa die Nächstenliebe oder die Sorge um die Natur zu haben. Und etwas ganz anderes, die konkrete Umsetzung in oftmals komplexen gesellschaftlichen Realitäten zu beurteilen, bei der es einen legitimen Pluralismus der Überzeugungen gibt.

Aus dem gleichen Grund sollten die Kirchen nicht mit Jesus Politik machen. In den letzten Jahren fallen sie nämlich nicht dadurch auf, dass sie Gott oder die Auferstehung von den Toten bezeugen. Sondern dadurch, dass sie sich dem Staat andienen, als steuerfinanzierter, zivilreligiöser Moralinspender. Oder dass sie versuchen, medial angesagte Programme bezüglich Gender, Klima und Migration christlich zu imprägnieren. Das ist ein Missbrauch der Institution Kirche. 

Mehr hier: www.nzz.ch.

Die Linksidentitären

Justus Bender von der FAZ beobachtet eine Spaltung der linken Bewegung. Auf der einen Seite gibt es die Linksliberalen, die sich auf Leute wie Immanuel Kant, Martin Luther King, Mahatma Gandhi, John Rawls oder Jürgen Habermas berufen. Diese sehen sich als die Gleichstellungsbeauftragten der Weltgeschichte: Alle Menschen waren gleich und sollten gleich behandelt werden. „Ihr Liberalismus war eine solche Selbstverständlichkeit, dass links und linksliberal wie Synonyme verwendet wurden, es sei denn, es ging um Maoisten einer K-Gruppe, aber selbst von denen redeten manche über Freiheit und Gleichheit, wenn es ihnen in den Kram passte.“

Dann kamen die jungen Linken, die anfingen, die Identität von Menschen in das Zentrum der Diskurse zu rücken.

Identität stand in der antiken Philosophie immer für Gleichheit. Platon und Aristoteles fragten, ob ein Kind, das zum Greis altere, noch derselbe Mensch sei. Für die neuen Linken stand Identität nun für Ungleichheit. Ein Schwarzer ist kein Weißer, ein Mann keine Frau, ein Schwuler kein Hetero. Es ging darum, den Opfern von Diskriminierung nicht ihre Erfahrung abzusprechen. Sie sollten berichten, ihnen sollte geglaubt werden und sie sollten ihr Recht bekommen. Kein Weißer sollte sie einschüchtern, kein Mann und erst recht kein weißer Mann.

Aus dem Wunsch, Opfer in den Vordergrund zu stellen, entstand eine Hierarchie. Wer als schwarze lesbische Frau sprach, stand ganz oben, der weiße Mann hingegen ganz unten. Wer als Weißer für Farbenblindheit argumentierte oder anmerkte, alle Menschen seien gleich, wurde unter Verdacht gestellt. Erkannte er die Opferperspektive nicht an? Verwei- gerte er die Auseinandersetzung mit der Hegemonie seiner Ethnie? „Heraus kommt die schleichende kulturelle Entwertung fast aller Werte der Aufklärung: alles von Universalismus, über Autonomie zu Freiheit. Sie werden alle zweitrangige Prinzipien“, sagt der Soziologe Frank Furedi.

Ein interessante Beobachtung, für die es sich lohnt, die FAS zu besorgen (FAS vom 02.08.20, Nr. 31, S. 4).

Bundesregierung übernimmt Forderungen der Abtreibungslobby

Es ist beschämend. Die Abtreibungslobby zieht inzwischen auch die C-Parteien über den Tisch. Die Regierungsfraktionen von Union und SPD haben im Bundestag im Mai 2020 einen Antrag eingebracht, der die Agenden der Abtreibungsbefürworter enthält. Im Antrag „Engagement für die Globale Gesundheit ausbauen – Deutschlands Verantwortung in allen Politikfeldern wahrnehmen“ heißt es (Drucksache 19/19491):

Die Bundesregierung legt einen besonderen Fokus auf die Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte (SRGR). Selbstbestimmte Familienplanung ist ein wesentliches Element von Frauenförderung und beeinflusst die Gesundheit, aber auch die soziale und wirtschaftliche Stellung von Frauen weltweit. Die Verbesserung des Zugangs zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit trägt maßgeblich zur Reduktion von Mütter- sowie Senkung der Neugeborenen- und Kindersterblichkeit bei und ermöglicht es Frauen, selbstbestimmt über ihre Familienplanung zu entscheiden. Darüber erhöhen sich die Chancen auf Bildung und eine gleichberechtige Beteiligung am Arbeitsmarkt und die Möglichkeiten von Frauen, ihre Lebensplanung selbst in die Hand zu nehmen. Gerade in Krisenzeiten ist der Zugang von Frauen zu elementaren Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit besonders stark eingeschränkt; zwei Drittel der weltweiten Fälle von Müttersterblichkeit finden in diesen Kontexten statt.

Hinter dieser Formulierung verbirgt sich die freie Verfügung der Frau über ein ungeborenes Kind, einschließlich seiner Tötung. Und das völlig unabhängig von Fristen und/oder Indikationen – bis zur Geburt. Die Kirchen – es überrascht leider nicht – schweigen bisher.

Was noch hinter dieser Redensart steckt und wer alles sich für diese Anliegen einsetzt, beschreibt der Lebensrechtler Hubert Hüppe in der Tagespost:

Dass ist unfassbar! Allerdings kommt das für mich auch nicht völlig überraschend. Schon im letzten Jahr wurden im Bundeshaushalt mehr Mittel für die International Planned Parenthood Federation (IPPF) eingestellt. Das ist das Flagschiff der internationalen Abtreibungslobby, welches sich allerdings offiziell als Gesundheitsdienstleister ausgibt. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Abtreibungslobby tatsächlich eine sehr professionelle Lobbyarbeit machen. Sie sind ständig im Bundestag unterwegs. Mit der Bundestagsabgeordneten und Staatssekretärin Maria Flachsbarth hat die Organisation „She Decides“ (dt.: „Sie entscheidet“) jetzt eine Protagonistin für die Abtreibungslobby gewonnen, von der man das gar nicht vermuten würde. Wer hält schon für möglich, dass die Präsidentin des Katholischen Frauenbundes, also gewissermaßen die oberste katholische Frau in Deutschland, das deutsche Gesicht einer Organisation ist, die die Freigabe der Abtreibung bis zur Geburt ganz oben auf ihrer Agenda stehen hat?

Mehr hier: www.die-tagespost.de.

Vermeintlicher Schutz der sexuellen Selbstbestimmung

Ein denkwürdiger Tag für Deutschland. Die Therapiefreiheit soll durch einen Kabinettsbeschluss abgeschafft werden. Noch ist das nicht rechtskräftig, da Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen. Aber nach menschlichem Ermessen ist nicht mit großem Widerstand im Parlament zu rechnen.

Interessant: Während viele politische Kräfte dafür werben (siehe z.B. hier), das Werbeverbot für Abtreibungen abzuschaffen, sieht der Gesetzentwurf vor, Hilfsangebote für Menschen unter 18 Jahren, die mit ihrer Homosexualität unglücklich sind, unter Strafe zu stellen. Verstöße gegen das neue Gesetz sollen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder hohen Bußgeldern von bis zu 30.000 Euro geahndet werden.

In einer Mitteilung heißt es:

In Deutschland werden nach wie vor Maßnahmen durchgeführt, die eine sexuelle Orientierung – wie Homo- oder Bisexualität – oder die selbstempfundene geschlechtliche Identität – wie Trans- oder Intersexualität – verändern oder unterdrücken sollen. Diese sogenannten Konversionstherapien hinterlassen bei Betroffenen oftmals psychische Schäden. Negative und schädliche Effekte sind wissenschaftlich zuverlässig nachgewiesen. Ein Nutzen hingegen nicht.

Daher hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, der Konversionsbehandlungen für Minderjährige und für nicht voll einwilligungsfähige Erwachsene verbietet. Untersagt ist auch die Werbung für solche Behandlungen. Ziel ist der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Dem Gesetz müssen noch der Bundestag und der Bunderat zustimmen.

Verstöße gegen das Verbot der Konversionstherapie werden als Straftaten mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr sanktioniert. Wer gegen das Verbot der Werbung, des Anbietens und Vermittelns verstößt, muss mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 Euro rechnen.

Bemerken möchte ich in diesem Zusammenhang, dass Kristina Hänel, die für die Zulassung der Bewerbung von ärztlichen Abtreibungsangeboten kämpft, einen Preis des Vereins der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau e.V. erhalten hat. Im Rahmen eines „Gottesdienstes“ wurde der „unerschrockenen und mutigen Frau“ der Katharina-Zell-Preis verliehen. Ich bin mir ganz sicher, Katharina Zell, eine Unterstützerin der Reformation, würde sich im Grab umdrehen.

Von allerlei Ängsten und steigenden Auflagen

Der linksliberale Zeitgeist mokiert sich über die Ängstlichen, die noch nicht den Status souveräner Weltoffenheit erreicht haben. Aber könnte es nicht sein, dass viele Menschen gar keine Angst haben, sondern nur andere politische Präferenzen? Der Philosoph Konrad Paul Liessmann analysiert eine verbreitete politische Phrase: „Die Ängste der Menschen ernst nehmen“. In der NZZ schreibt er:

Unterstellte Ängste sind ein Hinweis auf paternalistische Besorgnis. Wie Kindern, die sich vor Gespenstern fürchten, versprechen die politischen Vormünder, den Menschen die Ängste zu nehmen. Vielleicht sollte man weniger die Ängste der Menschen als vielmehr diese selbst ernst nehmen. Aber genau das erzeugt offenbar ganz andere Ängste. Denn dieselben besorgten Intellektuellen, die die Ängste der Menschen ernst nehmen wollen, bekennen gerne, dass ihnen die aktuellen autoritären Tendenzen und die zunehmende Fremdenfeindlichkeit wirklich Angst machen. Sind diese Ängste wirklich um so viel begründeter als die der anderen? Haben die Tapferen, die Angst vor den Ängstlichen haben, wirklich nur die Menschenrechte und die Demokratie im Auge? Geht es nicht auch ein klein wenig um den drohenden Verlust von Macht und Einfluss?

Dass es sich lohnt, näher bei den Menschen zu sein, zeigt eine neue Entwicklung in Frankreich. Seit Jahren schrumpft dort die Presse. Mit einer erfreulichen Ausnahme: Die Tageszeitungen legen zu. Ein Grund für die neue Lust an der Zeitung ist die handwerklich gute Arbeit der Journalisten. Sie interessieren sich mehr für die Menschen und legen Wert auf solide Information (FAZ vom 05.06.2018; Nr. 127, S. 13):

Im Zeitalter der Beliebigkeit, Vulgarität und der Fake News ist bei den Anzeigenkunden eine neue Wertschätzung für ein anspruchsvolles, verlässliches redaktionelles Umfeld zu beobachten. Aber auch die Leser setzen wieder mehr Vertrauen in die Tageszeitungen. Die Pressekrise hatte für ihr Selbstbewusstsein durchaus heilsame Folgen. Die Zeitungen treten heute weniger arrogant und ideologisch auf, es ist ein Genuss, täglich den „Figaro“, „Libé“ und den „Monde“ zu lesen. Und weil es im Kiosk gar nichts mehr kostet, eben auch „L’Equipe“ und „Le Parisien“. Es gibt eine neue Lust an der Zeitung. In der jährlichen Umfrage von „La Croix“ sprechen in diesem Jahr 52 Prozent der Franzosen der Gattung Tageszeitung als Informationsmedium ihr Vertrauen aus. Das ist noch immer wenig – aber vor einem Jahr waren es 44 Prozent. Leicht besser schneidet nur der Rundfunk ab. Generell werden die traditionellen Medien wieder als verlässlicher wahrgenommen.

Kinderrechte im Grundgesetz

In der finalen Fassung der Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD steht lapidar auf S. 10: „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern.“

Kinderrechte im Grundgesetz. Das klingt gut. Die linken Parteien wollten schon länger den direkten, staatlichen Zugriff auf die Kinder erleichtern. Im Jahre 2012 bekannte die SPD-Politikerin Manuela Schwesig, damals Familienministerin, unverblümt im Deutschlandfunk: „Wir müssen die Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Oftmals sind Elternrechte oder andere Rechte höher als die Kinderrechte. Das halte ich für falsch.“ Folglich soll der Staat im Blick auf die Kinder mit größerer Autorität ausgestattet werden als die Eltern. Das kommt nicht ganz überraschend. Frau Schwesig stammt aus Frankfurt an der Oder und wurde sozialistisch erzogen. Heute, also nur 5 Jahre später, stimmen ihr die Eliten der CDU und CSU in diesem Ansinnen zu.

Was ist denn falsch an so einer Verfassungsänderung? Meist werden schnell Fälle von vernachlässigten oder misshandelten Kindern herangezogen, um die Stärkung von Kinderrechten zu begründen. Dabei sind die Rechte von Kindern in solchen Fällen ausreichend geschützt. Behörden können in Verdachtsmomenten bereits heute aktiv werden.

Gewollt wird etwas anderes. Mutti Staat möchte direkt in die Familien hineinregieren und sich das Recht sichern, im Zweifel gegen die Interessen und Überzeugungen der Eltern bestimmen zu können, was für die Kinder gut ist. Auf diese Weise werden die Elternrechte, die durch die Verfassung zugesichert sind, abgemildert. Jenes: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“, wird zugunsten des: „Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“ abgeschwächt. Bei einer Pflichtenkollision, also in jenem Fall, beim dem die Vorstellungen des Staates mit den Absichten der Eltern rivalisieren, können sich die staatlichen Behörden leichter durchsetzen. Derzeit keine unmittelbare Bedrohung. Aber totalitäre Staatsmächte lieben solche Möglichkeiten zurecht.

Ich zitiere aus dem empfehlenswerten Buch Gender von Christoph Raedel (Gender: Von Gender Mainstreaming zur Akzeptanz sexueller Vielfalt, Brunnen, 2017, S. 164–165):

Totalitäre Staaten haben von jeher gewusst, warum sie die Kinder beim Staat besser aufgehoben sahen als in der Familie. Wer Leitbilder wie das Verständnis von Geschlecht und sexueller Vielfalt in der Gesellschaft verankern möchte, der muss möglichst früh bei den Kindern ansetzen. In seiner ersten Stufe verfolgte der Ansatz von GM zunächst das Ziel, Frauen durch eigene Erwerbstätigkeit zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit zu führen, was für Mütter nur durch Abgabe der Kinder in eine Betreuungseinrichtung möglich ist.

Die radikalisierte Variante von GM, die bereits Kinder in ihrer „aufgezwungenen Identität“ heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit verunsichern will, kann bei der immer stärker ausgebauten Fremdbetreuung der Kinder ansetzen. Denn je mehr Kinder von Anfang an die Kita besuchen, desto mehr Kinder kommen in den Genuss einer staatlichen Sexualerziehung, die nach WHO-Vorgaben „mit der Geburt“ beginnt (vgl. 5.1). Dagegen geraten Familien, in denen die Kinder in den ersten Lebensjahren zu Hause betreut werden, unter den Verdacht, sich den Maßnahmen zur kollektiven „Beglückung“ zu widersetzen und mutmaßlich Horte der Intoleranz zu sein.

Flankiert werden diese Maßnahmen durch Bestrebungen, im Grundgesetz „Kinderrechte“ festzuschreiben. Es scheint, als seien Kinder durch das Grundgesetz in seiner geltenden Fassung nicht hinreichend geschützt. So konkret möchten das Politiker dann aber doch nicht behaupten. Sie sprechen allgemeiner von den besonderen Bedürfnissen von Kindern und der Absicht, mit einer Ergänzung des Grundgesetzes das Bewusstsein der Bevölkerung für die Rechte der Kinder zu stärken. Allerdings wird eine Gruppe (wie die der Kinder) nicht erst dadurch Grundrechtsträger, dass sie im Grundgesetz ausdrücklich erwähnt wird – zumal dies bei den Kindern bereits der Fall ist, nämlich in Art. 6 Abs. 2, wo das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder festgeschrieben ist.

Genau diese explizite Einbindung der Kinderrechte – nämlich ihres Rechts darauf, von ihren Eltern erzogen zu werden – stört die Befürworter von Kinderrechten im Grundgesetz. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundesrates hat in seinem Gutachten zur Sache vorliegender Änderungsentwürfe den Paradigmenwechsel klar identifiziert: „Bislang ist das Wächteramt [des Staates] im Wesentlichen in Bezug zur (grundsätzlich vorrangigen) Eltemverantwortung ausgestaltet. Die vorgeschlagene Neuregelung würde hingegen eine davon losgelöste Verantwortung des Staates für die Schaffung besonderer, kindgerechter Lebensbedingungen festschreiben.“ Und genau dies scheint gewollt, auch wenn z.B. UNICEF die Kodifizie-rung der Kinderrechte – wenig plausibel – mit den Elternrechten zu begründen sucht. Nicht die Fürsorge für Kinder, wohl aber ein seine eigentlichen Anliegen verschleiernder Aktionismus ist entbehrlich. Denn die Pointe des „Menschenwürdeschutzes, den unsere Verfassung verspricht, liegt freilich darin, dass Merkmale nicht zählen. In der Abstraktion von Alter, Geschlecht und Herkunft behauptet der Mensch seine Würde – und mit ihm das Kind“.

VD: AW

 

Christ & Politik

Ich lade herzlich zur Vorlesung: Christ & Politik: Historische Entwicklungen, aktuelle Sichtweisen, konkrete Herausforderungen mit Prof. Dr. Harald Seubert (STH) in München ein.

Die Ergebnisse einer neuen Barna-Umfrage über den Einfluss nicht-christlicher Weltanschauungen auf das Denken und Leben von Christen haben bestätigt, dass Christen, auch wenn sie sich aus der Welt zurückziehen (Vielleicht gerade dann?), in der Gefahr stehen, von anderen Weltanschauungen vereinnahmt zu werden. Viele Gemeinden verlieren ihre Jugendlichen, weil die Vergewisserung des christlichen Glaubens und die apologetische Auseinandersetzung mit prominenten denkerischen Strömungen nicht stattgefunden hat (siehe dazu hier). Deshalb ist es wichtig, sich mit Herausforderungen der Gegenwart auseinanderzusetzen, auch mit dem Thema Politik.

Prof. Seubert ist als Philosoph und Religionswissenschaftler ein profilierter Experte für das Thema Christ & Politik. Der Kurs wird in seinem ersten Teilsegment in die Geschichte des Verhältnisses christlichen Glaubens und Politik von der römischen Antike bis in die globale Postmoderne einführen. Im zweiten Teil werden zentrale Stücke einer Systematik dieses Verhältnisses thematisiert. Abschließend wird es um die besonders drängenden Fragestellungen vor dem Horizont christlicher Ethik im globalen Zeitalter gehen.

Die Vorlesung beginnt um 10.00 Uhr und geht bis ca. 17.00 Uhr. Weitere Einzelheiten über den Kurs können dem digitalen Flyer entnommen werden: seubert_vorlesung2017.pdf. Das Studium der vorbereitenden Literatur ist freiwillig.

Standort-Liberalismus

Seth Frantzman von der Jerusalem Post fragt, weshalb so viele westliche Linke die Extremen in fremden Ländern mögen:

Wenn die Geschichte des Westens geschrieben wird, wird sie lauten: Sie erzogen sich dazu, sich selber zu hassen und am anderen zu lieben, was sie an sich selber hassen.

Von einer ziemlich einheitlichen Basis ausgehend, akzeptieren Menschen im Westen Werte des Auslandes, die sie zu Hause ablehnen würden. Dies zeigt sich besonders merkwürdig und widersprüchlich unter denen, die sich als „links“ oder „liberal“ betrachten und dann aber Bewegungen, Staatschefs, Ideologien und Religionen, die nachweislich intolerant bzw. rechtsextrem sind, gutheißen. So äußerte etwa die amerikanische Philosophin und Gender-Theoretikerin Judith Butler im Jahr 2006, dass es extrem wichtig sei „die Hamas (und) Hisbollah als soziale Bewegungen, die fortschrittlich, links und Teil der globalen Linken sind, zu verstehen.“

Dieser widersprüchliche Blick ist bezeichnend für ein Phänomen, das von Michel Foucaults Akzeptanz der Islamischen Revolution im Iran bis hin zu jenen „Anti-Kriegs“-Aktivisten in Großbritannien reicht, die den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sowie die russischen Bomben auf Zivilisten befürworten.

Mehr: juedischerundschau.de.

Rauschalarm für Drogeneinsteiger

Weltweit rollt eine Welle für die Legalisierung von Cannabis. Ein Signal mit fatalen Folgen. Drogenmediziner sehen sich gezwungen, öffentlich zu warnen: Die Psychose-Gefahr für junge Menschen wird unterschätzt.

Joachim Müller-Jung hat für die FAZ einen sehr guten Kommentar geschrieben:

Einig ist man sich zumindest darin, dass die Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums und damit die Duldung als Freizeitdroge, wie sie in einigen amerikanischen Bundesstaaten noch schneller als irgendwo sonst vollzogen wurde, mehr Hoffnung für den Hanfanbau, aber kaum mehr Klarheit über die gesundheitlichen Folgen bringt. Eine drogenpolitische Nonchalance, gegen die nun eine Reihe europäischer, amerikanischer und australischer Wissenschaftler in zwei hochrenommierten medizinischen Zeitschriften, dem britischen „Lancet Psychiatry“ und „Biological Psychiatry“, ein vehementes Veto einlegen „Welche Beweise braucht es noch?“, fragt der britische Psychiater Robin Murray, dass die Gesellschaft den Zusammenhang zwischen starkem Cannabis-Konsum und gefährlichen Psychosen endlich anerkennt? Nicht alle, nicht einmal sehr viele Cannabis-Konsumenten trifft es so hart, dass sie Episoden von Wahnvorstellungen oder Halluzinationen bis hin zu Angststörungen, Denkblockaden oder schizophrene Symptome zeigen. Doch wer früh anfängt als Teenager, setzt sich klar einem erhöhten Risiko aus.

In England werden heute mehr als dreizehntausend behandlungsbedürftige Cannabis-Opfer – 50 Prozent mehr als vor zehn Jahren – in Kliniken eingewiesen. Ein Grund: Haschisch ist nicht gleich Haschisch. In den sechziger Jahren waren Cannabis-Produkte im Umlauf, die weniger als drei Prozent des psychoaktiven Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) enthielten, heute sind zwanzig Prozent üblich. Viele Pflanzen – nicht zuletzt auch synthetisch leicht herzustellende Mittel – enthalten mittlerweile bis zu 40 Prozent THC. In der gleichen Zeit, in der die Wirkung gesteigert wurde, nahm die Scheu der Jugendlichen ab. In den Vereinigten Staaten, so wird die Erkenntnis des Nationalen Instituts für Suchtmittelmissbrauch zitiert, hat die Risikobereitschaft zugenommen, in sieben Jahren sei die Zahl der (erfassten) Cannabis-Konsumenten von 14,5 auf 22,2 Millionen hochgeschnellt.

Mehr: www.faz.net.

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