Psychologie

Vom Glück der Selbstkontrolle

Selbstkontrolle (gr. ἐγκράτεια) wird schon in der Bibel sehr hoch bewertet. Wem sie fehlt, „der ist blind, kurzsichtig, der hat vergessen, dass er gereinigt worden ist von den einst begangenen Sünden“ (2Petr 1,9). Von einem Gemeindeleiter wird sogar erwartet, dass er sich selbst beherrschen kann (vgl. Tit 1,8).

Eine junge Psychologiestudie bestätigt die Güte der Selbstbeherrschung. Menschen, die sich nicht vom Spass oder dem kurzweiligen Glücksgefühl „einfangen lassen“, leben zufriedener.

Selbstdisziplinierten Menschen sagt man nach, eher grimmige und freudlose Zeitgenossen zu sein. Klar, sie halten bei Diäten länger durch, können sich besser zu Sport motivieren, sind vermutlich ausgeschlafener und im Job erfolgreich. Studien zeigen: Wer schon als Kind eher diszipliniert handelte, ist als Erwachsener gesünder, hat weniger finanzielle Probleme und kommt seltener in Konflikt mit dem Gesetz. Aber Menschen, die aus Vernunft Salat einer Schokoladentorte vorziehen oder auf einer Party nur Brause trinken, weil sie drei Tage später eine Prüfung haben, können doch keinen Spaß am Leben haben. Oder? Sehr wohl haben sie das, wie jetzt eine Studienreihe im „Journal of Personality“ von deutschen und US- amerikanischen Psychologen um Wilhelm Hofmann von der University of Chicago belegt. Demnach erleben Menschen mehr positive Gefühle und sind zufriedener mit ihrem Leben, wenn sie sich gut im Griff haben – und Bedürfnisse aufschieben können, um ein anderes wichtigeres Ziel zu erreichen. Die Forscher befragten zunächst mehr als 400 Männer und Frauen, wie viel Selbstkontrolle sie im Alltag zeigen. Die meisten Menschen nutzen diese Fähigkeit oft und automatisch: In der Regel geben wir von fünf Impulsen nur zweien tatsächlich nach. Doch individuell handelt natürlich jeder verschieden. Personen, die gerne mal etwas tun, was eigentlich schlecht für sie ist, aber eben Spaß bringt, ordneten die Wissenschaftler in die Kategorie der weniger selbstdisziplinierten Menschen ein.

Mehr: www.spiegel.de.

 

Antipsychotikaverbrauch bei Kindern steigt drastisch

Der Verbrauch von Antipsychotika bei Kindern steigt drastisch, ältere Menschen schlucken zudem viele Wirkstoffe gleichzeitig. Der neue Arzneimittelreport der Barmer GEK zeigt dramatisch steigende Verordnungen. Stefan von Borstel schreibt für DIE WELT:

Kinder und Jugendliche in Deutschland schlucken zu viele Antipsychotika. Von 2005 bis 2012 stieg die Verschreibung der Medikamente gegen schwere psychische Störungen um 41 Prozent, bei neueren Präparaten gab es sogar ein Plus von 129 Prozent. Das geht aus dem neuen Arzneimittelreport der Barmer GEK hervor, für den die Daten der Barmer-Versicherten ausgewertet wurden.

Dabei zeigten Studien weder einen Anstieg psychiatrischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen, noch hätten sich die relevanten Therapieempfehlungen geändert, sagte der Bremer Wissenschaftler Gerd Glaeske vom Autoren-Team, das den Report erstellt hat. Die Verordnungszahlen seien besorgniserregend.

Auch bei alten Menschen ist der Verbrauch von Medikamenten hoch. Jeder dritte Versicherte über 65 Jahre schluckt dem Bericht zufolge mehr als fünf Arzneimittelwirkstoffe am Tag, bei den Hochbetagten über 80 Jahren ist es sogar jeder zweite. Im Durchschnitt nehmen Männer über 65 Jahre täglich 7,3 Wirkstoffe ein, bei Frauen sind es 7,2. „Darunter leidet vor allem auch die Therapietreue“, sagte Glaeske.

Quelle: www.welt.de.

Neues Handbuch der psychischen Erkrankungen

DSMAllen Frances gilt weltweit als einflussreicher Psychiater. Der Name des inzwischen emeritierten US-amerikanischen Professors ist eng verwoben mit der „Bibel der Psychiatrie“, dem Diagnostischen Handbuch Psychischer Störungen (DSM). Es enthält alle wissenschaftlich anerkannten psychischen Erkrankungen.

Bei der Klassifizierung geht es auch um Macht und Geld. Frances, der selbst an der dritten Version als Autor mitwirkte und bei der vierten sogar den Vorsitz innehatte, warnt in seinem neuen Buch Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen vor der im Mai erscheinenden fünften Version des DSM. Das Gespräch mit DER WELT gibt Einblicke in die Konstruktion von Krankheit, an der vor allem die Pharmaindustrie ihre Freude hat.

Frances:

Vorher gab es keine so scharfen und eindeutigen Kriterien für eine Diagnose. Als das DSM herauskam, wurde es ein Bestseller – niemand von uns hatte das erwartet. Wir dachten das Buch würde Ärzten und Psychologen nutzen, und die Mission war, der Psychiatrie Stabilität, Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit zu geben – darin war es dann gewissermaßen zu gut. Aus einem temporären Leitfaden ist inzwischen eine Bibel geworden, mit gesellschaftlich viel zu hohem Wert. Es wird überall verwendet: im Gerichtssaal, in der Schule, in der Regierung. Es ist zu machtvoll geworden.

Hier das Gespräch: hd.welt.de.

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Das „Jerusalem-Syndrom“

Das „Jerusalem-Syndrom“ gibt es unter diesem Namen weder in den diagnostischen Klassifikationen des IDC oder DSM. Trotzdem ist das Phänomen in Jerusalem so oft anzutreffen, dass bereits ein Spezialklinik eingerichtet wurde. Menschen stehen in weißen Umhängen in der Stadt, predigen und halten sich für einen der zwölf Apostel oder die Jungfrau Maria.

Hier ein kurzer Bericht über das „Jerusalem-Syndrom“ von Tim Ammann (siehe auch: www.tagesschau.de).

[podcast]http://tagesschau.vo.llnwd.net/d3/audio/2012/0406/AU-20120406-1615-2701.mp3[/podcast]

Seelennöte der Stadtmenschen

Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Städte. Zugleich verdichten sich die Hinweise darauf, dass das Leben in Ballungszentren die menschliche Seele stark belastet. Der Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg erklärt für den SPIEGEL, was im Gehirn gestresster Großstädter schief läuft. Eine große Rolle spielt nachweislich der soziale Stress.

Schon seit vielen Jahrzehnten wissen Psychologen, dass das Leben in einer Großstadt die seelische Gesundheit belastet – etliche schwere psychische Erkrankungen treten hier verstärkt auf: Städter leiden auch in Deutschland zu etwa 40 Prozent häufiger an Depressionen; die Quote der Angststörungen ist um rund 20 Prozent erhöht. Noch dramatischer steigt das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, für Menschen an, die in einer Stadt zur Welt kamen und dort ihre frühe Kindheit verbracht haben. So fanden Lydia Krabbendam und Jim van Os von der niederländischen Universität Maastricht nach Auswertung von zehn Studien heraus, dass sich das Risiko für dieses schwere psychische Leiden bei Stadtkindern verglichen mit auf dem Land aufgewachsenen Personen mindestens verdoppelt. Andere Forscher gehen sogar von einer Verdreifachung aus.

Diese Daten gelten zwar als gut gesichert, sie lassen jedoch die Frage offen, welche Ursachen dahinterstecken. Prinzipiell könnte es ja sein, dass Ballungszentren auf Menschen mit einem erhöhten Risiko für seelische Erkrankungen oder bereits offenkundigen psychischen Störungen besonders anziehend wirken oder dass solche Menschen krankheitsbedingt seltener aufs Land ziehen. Diese „Drift“-Hypothesen haben Epidemiologen allerdings ausgeschlossen. Insofern müssen wir davon ausgehen, dass es tatsächlich Faktoren in der Stadt selbst gibt, die das Risiko für psychische Leiden erhöhen.

Hier der lesenswerte Artikel: www.spiegel.de.

ADHS: Versteckte Depression

Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann schreibt in der FR:

Eigentlich hätte es ein Erschrecken geben müssen, quer durch die Kinderpsychiatrie, die Therapieforen und die Schulen: Nach einer gründlichen Studie der Michigan State University stellt sich heraus, dass etwa die Hälfte aller ADHS-Diagnosen (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) unzureichend bis unzutreffend sind. Eine der Ursachen für eine voreilige Diagnose beruhte schlicht darauf, dass diese Kinder zu früh eingeschult worden waren. Sie waren unruhig, konnten sich nicht konzentrieren – und entsprechend der oberflächlichen Symptom-Diagnostik klebte ihnen das Etikett ADHS auf der Stirn.

Und:

Die amerikanischen Studien sollten zu einem konsequenten Umdenken ermutigen. Konsequent heißt zuerst, die Ergebnisse verschiedener Denkschulen nicht nur nebeneinander zu dulden, sondern zu einer differenzierenden Gesamtschau zu erweitern. Wir müssen die Medizingläubigkeit und besonders den sorglosen Umgang damit zurückstellen.

ADHS – das ist eine reine Symptombeschreibung, die den Mädchen und Jungen lediglich ein Abweichen vom statistischen Durchschnittsverhalten testiert. Wir erleben hilflose und oft unerbittliche Reaktion von Schulen und Psychiatrien auf diese von der »Norm« abweichenden Kinder – zumeist Jungen. Die Diagnose ADHS entlastet vielleicht, hilft aber nicht, die Betroffenen zu verstehen.

Spannend! Hier geht es weiter: www.fr-online.de.

VD: EP

Seelige Harmonie bei den Moralpsychologen

Die Moralpsychologie untersucht rein deskriptiv die tatsächlichen moralischen Wertvorstellungen von Menschen, meidet aber selbst ethische Aussagen. Jordan Mejas berichtet heute für die FAZ über eine Tagung von Moralpsychologen im östlichen New England (U.S.A.). In seinem amüsant geschriebenen Artikel »Feierliches Hochamt im Tempel der Vernunft« schildert Mejas, wie Psychologen, Biologen, Neurologen, »und allenfalls solche Philosophen, die sich auf Experimente und Einsichten der Hirnforschung stützen«, kontrovers über Moralbegründungen debattierten. Fast nichts ist in der »Babywissenschaft« unumstritten: Gibt es einen freien Willen?, Sind Moralvorstellungen in uns eingebaut oder durch Erfahrung erworben?, Sind Moralvorstellungen universell oder privat-intuitiv?.

Bei aller Vielfalt der Positionen herrschte in zwei Fragen offenbar Harmonie. Einig waren sich die Moralpsychologen nämlich darin, dass (a) Moral ein Naturphänomen ist (wir also in einer moralischen Welt leben) und (b) wir unsere Moralität keinem Gott zu verdanken haben.

Die säkulare Wissenschaft beherrschte die Konferenz. Als es an ihrem Ende jedoch zu einem ersten Konsens kommen sollte, gingen die Schlussfolgerungen gehörig auseinander. Schon auf die Frage, ob Religion als Teil der Evolution anzusehen sei, blieb die klare Antwort aus. Einig waren sich die Teilnehmer immerhin darin, dass auf Gott zu verzichten sei. Ihm, so das einhellige Resultat ihrer gewiss noch nicht abgeschlossenen oder womöglich nicht abschließbaren Untersuchungen, hat der Mensch die Moral nicht zu verdanken. Dass sie ihm angeboren ist, wollte derart kategorisch allerdings auch nicht jeder behaupten. Nur über den Befund, dass Moral ein Naturphänomen ist, herrschte Einigkeit, wenn auch bloß bis zu einem gewissen Grade. Denn ausschließlich zu verstehen sei das sicherlich nicht. Neben der Natur macht sich in der Moral eben auch die Kultur bemerkbar, und wo die Wirkung der einen aufhört und die der anderen beginnt, ist alles andere als ausgemacht.

Hier der Tagungsbericht: www.faz.net.

Placebo-Effekt andersherum

Der bekannte Placebo-Effekt bei medizinischen Blindversuchen hat seinen naheliegenden Gegeneffekt: Befürchtungen von schädlichen Nebenwirkungen führen zu Beschwerden, auch wenn das verabreichte Mittel bloß die inhaltsfreie Testpille war.

Nocebo (lateinisch: »ich werde schaden«) ist die Negativseite des bekannten Placeboeffekts. Der Glaube allein kann heilen oder Schmerzen lindern, aber er kann auch krank machen oder gar töten. Dabei handelt es sich nicht um bloße Einbildung, der Effekt beeinflusst ganz real und messbar die Physiologie des Körpers. Es gibt Berichte von Menschen, die starben, nur weil sie daran glaubten, von einem Voodoo-Magier zum Tode verurteilt worden zu sein.

Hier der Artikel von Magnus Heier: www.faz.net.

Ich sehe das, was du nicht siehst

300px-Rorschach1.jpgJörg Albrecht hat für die FAZ eine kleine Geschichte des Rorschach-Tests geschrieben.

Nachdem Rorschach den Kleckstest rund zweihundert Psychiatriepatienten vorgelegt hatte, war er überzeugt, ein System gefunden zu haben, mit dem sich das Wesen einer Person geradezu mathematisch beschreiben ließ. Hohe F-Werte verrieten demnach Intelligenz, aber auch Pedanterie. Lagen gar keine B-Deutungen vor, handelte es sich sehr wahrscheinlich um depressiv Verstimmte oder Debile. Hinter vergleichsweise wenigen Fb-Deutungen konnten sich Maniker, Labile oder Neurotische verbergen. Und so fort. Am Ende fällte Rorschach ein Gesamturteil: »Die Versuchsperson ist ein guter praktischer Arbeiter, stereotyp, aber strebsam.« Oder: »Vielseitig begabt, sehr gründlich in allem, was ihn interessiert, aber unstet und leicht zu anderem überspringend.«
… Der Kern des Ichs, dieses unfassbare Gebilde, schien auf einmal dingfest gemacht. Und das auch noch in Prozentsätzen und Zahlen. Rorschachs Schüler gingen alsbald daran, sein Formelwerk zu perfektionieren.

Warum der Test, der über das Leben so vieler Menschen mitentschieden hat, in Deutschland kaum noch angewendet wird, kann man hier erfahren: www.faz.net.

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