Vergebung

Vergeben – Warum eigentlich?

Lilia Stromberger-Hauff hat das Buch Vergeben – Warum eigentlich? von Tim Keller gelesen. Fazit:

Tim Kellers Buch ist gerade für diejenigen eine Bereicherung, die meinen, sie hätten schon alles rund um das Thema Vergeben im Griff. Zu sehr wird in diesem Buch deutlich, dass das Evangelium nur verstanden werden kann, wenn begriffen wird, dass man selbst von teurer Gnade abhängig ist und dass eine platte Entschuldigung auch vom besten Menschen vor Gott einfach nie reicht, um die Sünde zu sühnen: Es brauchte das Kreuz, um das Unentschuldbare zu vergeben.

Verletzte Personen werden hier ermutigt, die eigenen Verfehlungen, aber auch die der Menschen um sie herum begründet anzugehen und dann die Schönheit der konkreten Vergebung zu erleben, die vom Kreuz her möglich ist.

Kann es sein, dass zwischen Menschen reservierte Beziehungen bestehen, weil echtes Vergeben und Versöhnen nicht umgesetzt wird? Daher ist dieses Buch mit den anschaulichen, sehr greifbaren Gedankengängen und mit den vielen praktischen Anregungen (auch in den vier Anhängen) gewinnbringend für Theologen, engagierte Gemeindemitarbeiter und vor allem für Personen, die Menschen seelsorgerlich begleiten, um die inneren Auseinandersetzungen rund um Vergeben und Versöhnen zu durchschauen und beantworten zu können.

Man sollte sich allerdings Zeit zum reflektierenden Lesen gönnen, weil es Keller nicht um schnelle Antworten geht, sondern darum, die eigene Not und das Ausmaß von Vergeben im Gesamtkontext zu verstehen. Immer wieder kreist er um die Kernaussagen, daher wirkt die Struktur anfangs etwas verwirrend. Es wird ein ehrliches Mitdenken abverlangt, denn Keller ist sehr konkret und aufrüttelnd, indem er das, was der Mensch innerlich diskutiert, ungeschminkt formuliert. Menschen müssen irgendwie mit dem Zerstörten im Leben umgehen, daher ist Vergeben das zentrale Dauerthema, um das Evangelium im Alltag wirksam zu erleben und auszudrücken.

Mehr: www.evangelium21.net.

Melanchthon: Vergebung ist unentgeltliche Wohltat Christi

Phlipp Melanchthon (Loci praecipui theologici 1559, Bd. 2, 2020, S. 173):

So also muss man denken: Die Vergebung der Schuld und die Vergebung des ewigen Todes sind verbunden. Dies nämlich ist die eine und dieselbe unentgeltliche Wohltat Christi, und die Schuld wegnehmen heißt den Zorn Gottes besänftigen, und nichts anderes ist der ewige Tod, als den fürchterlichen und den unsäglichen, andauernden Zorn Gottes zu spüren, so wie Johannes sagt: „Der Zorn Gottes bleibt üiberihm. Wir sollen also wissen, dass die Schuld und der ewige Tod zugleich weggenommen werden wegen Christus, nicht wegen irgend ciner Aufrechnung von uns. Deshalb sagt Paulus: „Der Stachel des Todesist die Sünde, Gott [sei) der Dank, der uns den Sieg gibt durch unsernHerrn Jesus Christus.“ Und Römer 6: „Das Geschenk Gottes [ist] das ewigeLeben durch Jesus Christus.“ Und Hosea 13: „Ich werde dein Tods sein,Tod, und dein Verderben, Hölle.“ Deswegen muss im Glauben erkannt werden,dass wir wegen Christus gnadenhalber befreit werden von Schuld und vom ewigen Tod. So wie Paulus sagt: „Gerechtfertigt durch den Glauben haben wir Frieden bei Gott.“ Die Wohltaten Christi sind die folgenden: Die Schuld wegzunehmen und den ewigen Tod, das heist, den gewaltigen Zorn Gottes zu besänftigen. Deshalb beleidigt einer Christus, wenn er den Erlass des ewigen Todes unserer Erstattung überträgt.

Vergebung ohne Reue?

Es gibt einen Unterscheid zwischen der Vergebungsbereitschaft und dem Zuspruch der Vergebung. John Stott bringt das gut auf den Punkt:

In Lukas 17,3-4 wird eine ähnliche Lehre Jesu aufgezeichnet, jedoch mit einem wichtigen Zusatz: „Wenn dein Bruder oder deine Schwester gegen dich sündigt, so weise sie zurecht; und wenn sie es bereuen, so vergib ihnen. Auch wenn sie siebenmal an einem Tag gegen dich sündigen und siebenmal zu dir zurückkommen und sagen: ‚Ich bereue‘, musst du ihnen vergeben.“

Der Abschnitt im Matthäusevangelium konzentriert sich auf das Zurechtweisen eines Bruders; dieser Abschnitt im Lukasevangelium konzentriert sich eher auf das Vergeben. Wir sollen einen Bruder zurechtweisen, wenn er gegen uns sündigt; wir sollen ihm vergeben, wenn er bereut – und nur, wenn er bereut.

Wir müssen uns davor hüten, die Vergebung zu bagatellisieren. Obwohl Gottes Vergebung für uns und unsere Vergebung füreinander ganz unterschiedlich sind (da Gott Gott ist und wir nur Privatpersonen und außerdem Sünder sind), sind beide doch von der Reue abhängig. Wenn ein Bruder, der gegen uns gesündigt hat, sich weigert, Buße zu tun, sollten wir ihm nicht verzeihen.

Erschreckt Sie das? Es ist das, was Jesus gelehrt hat. Oh, wir müssen ihm in dem Sinne „vergeben“, dass unsere Gedanken ihm gegenüber frei von jeder Feindseligkeit und voller Liebe sind. Aber das ist nicht die christliche Vergebung. „Vergebung“ bedeutet mehr als das; sie beinhaltet die Wiederherstellung der Gemeinschaft. Wenn wir einem sündigenden und unbußfertigen Bruder die volle und innige Gemeinschaft mit uns selbst wiedergeben können, offenbaren wir nicht die Tiefe unserer Liebe, sondern ihre Oberflächlichkeit, denn wir tun das, was nicht zu seinem höchsten Wohl ist. Eine Vergebung, die die Notwendigkeit der Reue umgeht, entspringt nicht der Liebe, sondern der Sentimentalität.

Die Sünden sind erlassen

Martin Luther:

„Die Sünden sind erlassen, wenn du glaubst, dass sie erlassen sind, weil die Zusage des Retters Christus gewiss ist.“

A. Kuyper: Die Vergebung der Sünden

Abraham Kuyper:

Die Vergebung der Sünden, nach der wir nicht streben, für die wir nichts tun können, die nicht das Endziel unseres Weges ist, sondern mit der alles beginnt, ist für den selbstherrlichen Menschen unglaublich und unannehmbar, gerade darum aber die Summe unseres ganzes christlichen Bekenntnisses.

Es wird nie wieder gut

Wie gehen Menschen mit Schuld um, die keinen vergebenden Gott kennen? Dieser bedrückende Artikel aus der FAZ zeigt auf indirekte Weise, wie arm eine schuldverstrickte Welt ist, die keine Vergebung kennt. Da, wo jemand wirklich schuldig wird, stößt die Ratgeberkultur an ihre Grenzen.

Die Psychologin sagt, die Frau müsse sich selbst verzeihen. Aber die Frau weiß nicht, wie das geht. Sie kennt keinen Gott, den sie um Vergebung bitten könnte. Sie hat keine Religion, die festlegen würde, wann es genug wäre mit der Buße. Ihre Blumenerde kauft sie inzwischen im Supermarkt. Die Boss- Hoss-CD hat sie verbannt. Eine Zeitlang dachte sie, sie dürfe nie wieder in den Urlaub fahren. Nicht lachen, wenn jemand einen Witz erzählt. Sie hat aufgehört, sich die Fingernägel zu lackieren. Als habe sie jedes Recht auf Glück verwirkt.

Die Schuld klebt an ihr, sagt die Frau. Die Psychologin widerspricht: „Das ist ein Teil von Ihnen, Sie tragen das. Und Sie dürfen sich ruhig eine Kerze anzünden und es sich daheim gemütlich machen.“ Die Frau spult Ratgebersätze herunter: „Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Ich muss das akzeptieren. Ich muss mich trotzdem lieben. Es hilft niemanden, wenn ich wie ein Trauerklops herumlaufe.“

Neulich hat sie sich einen neuen Rock gekauft. Dann ein Armband. Sie hat es getan, ganz bewusst, obwohl ihr das passiert ist. Die Schuld hat sich nicht gerührt. Manchmal stellt sie fest, dass sie ein paar Stunden lang überhaupt nicht an den Unfall gedacht hat, und die Freude darüber ist größer als das schlechte Gewissen. Manchmal schreckt sie nachts nur noch zweimal hoch. „Es wird nie wieder gut“, sagt die Frau. Aber vielleicht wird es eines Tages besser.

Mehr: www.faz.net.

VD: WH

Vom Mörder zum Pastor

Diese Dokumentation beschreibt das Leben eines Neonazis, der zum Totschläger wurde und überraschend eine Bekehrung zum christlichen Glauben erlebt.

1999 wurde in Eschede in einem Gewaltrausch ein Mann zu Tode geprügelt, Peter Deutschmann, 44, genannt „Hippie“, Sozialhilfeempfänger, wohnungslos, einsam, offenbar sehr couragiert: Er hat gewagt, den Parolen der Neonazis zu widersprechen. Das musste er mit dem Tod bezahlen, denn zwei jugendliche Skinheads, damals 17 und 18, rasteten aus. Der Jüngere, Johannes Kneifel (Foto), ist jetzt, mit 29, ein anderer Mensch. Nach fünf Jahren Jugendstrafe hat er begonnen, Theologie zu studieren. Bald wird er Pastor sein. Eine Wandlung vom Saulus zum Paulus – wie geht das?

Liz Wieskerstrauch begibt sich auf Spurensuche. Wer war dieser Jugendliche damals? Warum fängt ein 13-Jähriger an, sich besinnungslos zu betrinken? Was hat ihn mit 15 Jahren schon zum Skinhead und überzeugten Neonazi gemacht? Das Kamerateam besucht die Eltern, befragt die Lehrer, das Jugendamt, den damaligen Internatsleiter, schließlich zwei Mitarbeiter aus dem Jugendgefängnis Hameln. Dort galt Johannes Kneifel als extrem gefährlich. Doch der willensstarke und hoch intelligente junge Mann erfährt in diesen schweren Jahren allmählich seine Kehrtwende – die Hinwendung zu Gott.

Der Film ist wirklich interessant, auch weil er Einblicke in die Sicht der Tochter von Peter Deutschmann gewährt. Die ambivalente Frage der Vergebung erfährt im Film eine dramatische Zuspitzung.

Sündenvergebung am Sterbebett?

Krankenhausseelsorger, Pastoren und viele andere kennen die Herausforderung: Ein Mensch sieht den Tod vor Augen und möchte noch so einiges klären. Aber wie?

Ein Mitschnitt aus der amerikanischen Serie Emergency Room zeigt, wie schnell so ein Gespräch scheitern kann und wie hilflos Pastoren sind, wenn sie das neutestamentliche Konzept der Vergebung nicht kennen.

Hier geht es zum 2:39 min Mitschnitt (leider nur in Amerikanisch): youtube.com.

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