Ralf Frisch schreibt in Gott (2004, S. 102):
Was eine Zivilisation für heilig hält, kann man auch daran ablesen, was diese Zivilisation als Sünde wider den Heiligen Geist, sprich als Häresie oder als säkulare Wiedergängerin von Häresie brandmarkt. Zum Häretiker und zur Häretikerin wird man in der Theologie des Anthropozän nicht dadurch, dass man die theologischen Grundfesten von zwanzig Jahrhunderten Dogmatik erschüttert. Zum Häretiker wird man nicht, indem man die Gottessohnschaft Jesu Christi, seine Auferstehung oder seine Wiederkunft, die Idee eines Schöpfergottes, die Heilsbedeutung des Kreuzes oder die Heilige Schrift für Unsinn erklärt. Mit der Konsequenz öffentlicher und kirchenleitender Achtung als theologischer Irrlehrer oder als theologische Irrlehrerin hat man dann zu rechnen, wenn man gegen den Strom allzu blauäugiger Gerechtigkeits-, Schöpfungs-, Demokratie- und Menschenrechtsvergöttlichung schwimmt. Das heisst aber, dass es in unserer Gegenwart nurmehr ethische Häresien, aber keine dogmatischen Häresien mehr gibt. Dogmatische Häresien locken in Kirche, Theologie und Gesellschaft – abgesehen von ein paar vermeintlich vernachlässigenswerten Frommen niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.