Die erste nachchristliche Generation

Die Zahl der Kirchenaustritte ist so hoch wie nie, und daran ist nicht nur der Missbrauchsskandal schuld: Gott und die Kirche sind den jungen Menschen nicht mehr wichtig. Nietzsche würde wohl sagen: „Recht hatte ich! Die Kirchen sind die Grabsteine Gottes.“ 

Sarah Obertreis schreibt für die FAZ

Die Generation der heute 25- bis 35-Jährigen hat sich derart schnell von der Kirche entfernt, dass selbst hochrangige EKD-Vertreter glauben, dass gerade die erste nachchristliche Generation heranwächst. Still und leise beenden so viele junge Menschen ihre Kirchenmitgliedschaften, dass man in einer der wenigen aktuellen Statistiken, die nach dem Alter der Austretenden aufgeschlüsselt sind, in der jun­gen Generation einen deutlichen Aus­schlag nach oben erkennt.

Mit einem Austritt gehen den Kirchen nicht nur die Austretenden selbst ver­loren, sondern auch ihre zukünftigen Kinder. Früher wuchsen ihre Mitglieder einfach nach. Heute sterben sie aus.

Lukas und seine Frau haben vor an­derthalb Jahren ein Baby bekommen. Ihr Sohn soll später selbst entscheiden, ob er Anhänger einer Religion werden will oder nicht. Erziehen werden sie ihn atheistisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass er später mal Mitglied einer der beiden Kirchen werden wird, geht damit gegen null. Die christlichen Werte wird Lukas’ Sohn aber trotzdem verinnerlicht haben. „Hilfsbereitschaft, Solidarität und Nächstenliebe sind längst zu säkularen Werten geworden“, sagt der Religions­soziologe Pollack. Ei­nen moralischen Kompass hat die junge Generation schon – auch ohne die Kirche.

Das bestätigt natürlich, dass es den Kirchen in den letzten Jahrzehnten vor allem um einen gewissen diesseitigen Wertekanon ging, etwa um Klimawandel, Flüchtlingshilfe oder – besonders im Fall der EKD – sexuelle Vielfalt. Und ich befürchte, dass die bekenntnisorientierten Kreise, die den Schwerpunkt auf Gesellschaftstransformation legen, einen ähnlichen Niedergang erleben werden wie die großen Kirchen in Deutschland. Der Hauptauftrag der Kirche ist nämlich ein anderer und er deckt sich mit dem, was ist: Die christliche Kirche hat den Menschen ihre Erlösungsbedürftigkeit zu spiegeln und die rettende Botschaft vom Kreuz weiterzugeben. Es sagt eben etwas aus, dass in diesem Artikel Begriffe wie „Sünde“, „Tod“, „Vergebung“ „Bibel“, „Jesus“, „Nachfolge“, „Kreuz“, „Erlösung“, „ewiges Leben“ gar nicht mehr vorkommen. An so etwas denken vielleicht junge Kirchgänger oder Journalisten schon gar nicht mehr, wenn sie an „Kirche“ denken (Frau Obertreis ist 1992 geboren). Aber darum geht es. 

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