Calvins zweite Gebetsregel

NewImageTim Keller schreibt in Beten (Gießen: Brunnen Verlag, 2016, S. 111–113):

Calvins zweite Gebetsregel lautet: „Wir sollen bei unserem Beten stets unseren Mangel wahrhaft empfinden …“ Was Calvin hieranspricht, könnte man auch „geistliche Demut“ nennen und dazu gehören sowohl ein tiefes Bewusstsein unseres Angewiesen-Seins auf Gott im Allgemeinen als auch im Besonderen die Bereitschaft, unsere Sünden zu sehen und zu bereuen. Calvin warnte vor der üblichen mittelalterlichen (und modernen) Sicht des Gebets als einer Frömmigkeitsveranstaltung, bei der man gleichsam in seinen Sonntagskleidern vor Gott tritt, um bei ihm Eindruck zu schinden. Er verwirft ohne Wenn und Aber die Vorstellung, man könne „Gott mit Gebeten günstig stimmen“ oder die Gebete als Gewohnheitsübung ableisten. Soll unser Gebet einen Sinn haben, müssen wir mit einer Haltung vor Gott treten, die das genaue Gegenteil ist. Wir müssen uns mit rücksichtsloser Ehrlichkeit unseren Fehlern und Schwächen, unseren Zweifeln und Ängsten und unserer inneren Leere stellen. Wir müssen uns vor jeder bloßen frommen Fassade hüten und in dem Bewusstsein vor Gott treten, dass unsere einzige Hoffnung in seiner Gnade und Vergebung liegt. Der Beter muss ein Bettler sein.

Solange ich das arme Opfer mime, an dessen Problemen immer die anderen schuld sind, aber doch nicht ich selber, suche ich Gott nicht von ganzem Herzen. Echtes Beten fordert mich dazu auf und befähigt mich, aufzuhören mit allen Selbstrecht-fertigungs-, Schuldverschiebe-, Selbstmitleid- und geistlichen Hochmutspielchen.

In dem Maße, wie es mir gelingt, mich von der Scheinrealität des Kreisens um mich selbst frei zu machen, wird mein Gebetsleben reicher und tiefer werden.

 

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7 Jahre zuvor

Amen!!

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