Theologiegeschichte

Glänzendes System der Weltweisheit

Der Erlanger D. Thomasius schreibt in seiner Dogmengeschichte der Alten Kirche (Bd. 1, 1874, S. 85) über das 2. Jahrhundert:

„Es ist die religionsphilosophische Weltanschauung der Gebildeten jener Zeit des zu Ende gehenden Heidenthums, die in dem Gnosticismus an das Christenthum, von dessen Strahlen sie bereits berührt ist, herantritt, um es sich zu assimiliren; es sind die geistigen Mächte der außerchristlichen Welt, die das Christenthum in sich hereinziehen und umsetzen, umbilden möchten. Sie wollen es, seines geschichtlich-soteriologischen Charakters entkleidet, aus einer ethischen Heilsanstalt für die verlorene Welt in ein glänzendes System der Weltweisheit umsetzen, in der That aber verwandeln sie es in ein philosophisch-phantastisches Zerrbild, welches die sämmtlichen Grundlagen des Christenthums entweder ganz alterirt oder doch in ein falsches Licht stellt.“

Also: Nichts Neues unter Sonne!

Zwei Arten des „Theologischen Liberalismus“

Dan Doriani (Covenant Theological Seminary, Missouri, USA) unterscheidet in seinem Beitrag über den Theologischen Liberalismus zwischen einem feindlichen und einem freundlichen Liberalismus. Der freundliche möchte den Glauben an Gott „retten“, zahlt dafür aber einen hohen Preis.

Jahrhundertelang sind liberale Theologen davon ausgegangen, es sei ihre Aufgabe, das Christentum dem „modernen Menschen“ schmackhaft zu machen. In den meisten Fällen teilt dieser moderne Mensch mit dem Theologen einen sehr ähnlichen Hintergrund und sozialen Status. Das Ziel des liberalen Theologen ist die Rettung des Christentums, die durch das Entfernen der jeweils anstößigsten Lehrsätze bewerkstelligt wird. 

Einmal ist es die Lehre der Sünde, die unakzeptabel ist; ein anderes Mal sind es Wunder; und noch ein anderes Mal ist es die Jungfrauengeburt, die stellvertretende Sühne oder die biblische Sexualmoral. Der Tenor allerdings ist immer derselbe: Um das Christentum glaubwürdig zu machen, müssen gewisse Lehrsätze weichen. 

Die erste Variante, der feindliche Liberalismus, hasst das Christentum und möchte es durch eine bessere Religion ersetzen. Die zweite – um die es in diesem Artikel geht – ist freundlicher. Sie möchte den Glauben retten und seine „kulturellen Verächter“ zurückgewinnen. Leider wird das Christentum in dem Rettungsversuch des freundlichen Liberalen zerstört, da seine Loyalität nicht der Schrift, sondern der Kultur gilt. 

Mehr bei Evangelium21: www.evangelium21.net.

Karl Barth: Ein Leben im Widerspruch

Die nachfolgend Buchbesprechung erschien zuerst in GLAUBEN UND DENKEN HEUTE, Nr. 22, (2/2018).

Christiane Tietz. Karl Barth: Ein Leben im Widerspruch. München: C. H. Beck, 2018. ISBN: 978-3-406-72523-4, Hardcover, 538 S. Euro 29,95.

41msXYCKD2L SX319 BO1 204 203 200Zum 50. Todesjahr erinnert Christiane Tietz mit Karl Barth: Ein Leben im Widerspruch an den großen Schweizer Theologen, der am 10. Dezember 1968 im Alter von 82 Jahren verstarb. Es handelt sich um die erste deutschsprachige Biografie seit Jahrzehnten, der für die Barth-Forschung sehr bedeutende Lebenslauf des Barth-Assistenten Eberhard Busch erschien 1975.

Erwartungsgemäß beginnt die Biografie mit dem Blick auf Barths Familie sowie seine Kindheit und Schulzeit. Zu lesen ist allerlei, was zwar schon Eberhard Busch zusammentrug, aber dennoch wenig bekannt ist. Karls Vater, Fritz Barth (eigentlich Johann Friedrich), lernte im Gymnasium etwa unter Friedrich Nietzsche und sprach von ihm mit Hochachtung. Er saß in der Schule neben seinem Freund Eduard Thurneysen (1856–1900), dessen Sohn, der ebenfalls Eduard hieß (1888–1974), ein enger Wegbegleiter Karls werden sollte.
Ausführlich wird der Einfluss der Liberalen Theologie während Barths Theologenausbildung dokumentiert. Er studierte in Bern, Berlin, Tübingen und Marburg. Barth bezeichnete sich damals als Schüler Adolf von Harnacks (1851–1930) und hing sogar Bilder von ihm und Julius Kaftan (1848–1926) über sein Bett (vgl. S. 50). Adolf Schlatter in Tübingen hörte er mit „heftiger innerer Abneigung, weil er durch die historische Kritik einen ganz anderen Umgang mit der Bibel gelernt hatte“ (S. 53). In Marburg begeisterte ihn der große Liberale Wilhelm Herrmann. Bei ihm fand er, was er gesucht hatte: eine „Theologie, aufgebaut auf die ‚Kritik der praktischen Vernunft‘ von Kant.“ Er hat Herrmann „mit allen Poren“ in sich aufgenommen (S. 55). Herrmanns Denken war durch Kants Philosophie und den jüngeren Schleiermacher geprägt. In seinen Augen waren Schleiermachers Reden Über die Religion „geradezu das Wichtigste und Richtigste …, was seit dem Abschluß des neutestamentlichen Kanons auf dem Feld christlichen Erkennens und Bekennens ans Licht getreten“ ist (S. 56). Barth selbst studierte während seiner Marburger Zeit Schleiermacher und Kant ebenfalls gründlich. Die Kritik der reinen Vernunft hatte er sogar zweimal mit dem Lineal in der Hand von Anfang bis Ende durchgearbeitet. Im Rückblick lobte Barth den liberalen Professor für die Einseitigkeit seiner Arbeit, denn eine „anständige Theologie ist immer einseitig“. Dass Herrmann den Anspruch seiner dogmatischen Theologie mit allgemeinen philosophischen Überlegungen, also vom Menschen aus, begründete, konnte Barth in der Retrospektive nur scharf verurteilen. Barth sollte ja schon bald Schleiermacher auf den Kopf stellen und behaupten, dass am Anfang der Dogmatik nicht der Mensch mit seinen Spekulationen, sondern „Gott selbst in seinem Wort“ stehe (vgl. S. 56–57).

Was der damals dreiundzwanzig Jahre alte Barth aus dem Studium mitgenommen hatte, ist in seinem Aufsatz „Moderne Theologie und Reichsgottesarbeit“ aus dem Jahre 1909 nachzulesen. Im Rucksack eines modernen Theologen befänden sich zwei Dinge: „Zum einen der ‚historische Relativismus‘, der Texte und Geschichte des Christentums mit historischen Methoden untersuche und deshalb ‚keine absolute Größe‘ in der Natur und Geisteswelt mehr gelten lassen könne“ (S. 61). Zum anderen läge im Rucksack der modernen Theologen der religiöse Individualismus, denn „die Sittlichkeit als Voraussetzung der Religion habe es allein mit dem Individuum zu tun“ (S. 61). Kurz: Jesus war für ihn ein Religionsstifter wie jeder andere auch und jede theologische Arbeit muss davon ausgehen, dass es keine allgemeingültige Offenbarung gebe, also jeder Mensch nur für sich selbst beantworten könne, wo er Wahrheit gefunden habe (vgl. S. 61).

Beim Vikariat in Genf (1909–1911) und dem Pfarrdienst in Safenwil (1911–1921) stand Barth unter dem Einfluss des christlichen Sozialismus. Die Zutaten auf dem Weg dahin waren vielfältig. Das Reich Gottes als ethische Aufgabe war etwa das große Thema der Liberalen Theologie, die er sich im Studium angeeignet hatte. Durch seinen Freund Thurneysen lernte er zudem Hermann Kutter kennen, der als Pfarrer am Zürcher Neumünster predigte, dass die Verheißungen Gottes mit der Sozialdemokratie endlich in Erfüllung gehen würden. Beachtlichen Einfluss entwickelten freilich auch die Erfahrungen in der Arbeiterstadt Safenwil. Er konnte dort mit eigenen Augen sehen, unter welch schwierigen Bedingungen die einfachen Leute schufteten. Das schärfte seinen Blick für die soziale Frage. „Die Nähe lag für Barth in dem, was die soziale Bewegung und die Sozialdemokratie wollen: Das, ‚was sie wollen, … das wollte Jesus auch‘. Deshalb könne man auch ‚als Atheist und Materialist und Darwinist ein echter Nachfolger und Jünger Jesu sein‘. Der Sozialismus als proletarische Bewegung sei eine Bewegung von unten. Ganz ähnlich war Jesus Arbeiter und wandte sich an die Armen und Unterdrückten … Pointiert gesagt: ‚Nicht wir sollen in den Himmel, sondern der Himmel soll zu uns kommen‘“ (S. 82). 1915 trat Barth in die Sozialdemokratische Partei der Schweiz ein (vgl. S. 86). Obwohl die Wende hin zur Wort-Gottes-Theologie, zu der wir gleich kommen, diese Begeisterung abmilderte, blieb Barth der sozialistischen Idee und der Sozialdemokratie sein Leben lang verbunden. Nach dem Krieg verteidigte er sogar Josef Stalin, da er glaubte, dem sowjetischen Diktator sei es im Kern um die „soziale Frage“ gegangen.

In die Pfarrzeit von Safenwil fiel Karl Barths theologische Wende, die unter verschiedenen Bezeichnungen – „Wort-Gottes-Theologie“, „Dialektische Theologie“, „Theologie der Krise“ oder „Neo-Orthodoxie“ – in die Neuere Theologiegeschichte eingegangen ist.

Der Römerbrief war während dieser Umorientierungsphase treibende Kraft. Barth las das Schreiben des Paulus zunächst, weil er einfach wissen wollte, was in diesem alten Text steht. Aus den Notizen, die er für sich und ein paar Freunde zur persönlichen Auferbauung anfertigte, entwickelte sich am Ende seine berühmte Römerbriefauslegung. Als die erste Auflage vergriffen war, erwägte er zunächst einen einfachen Nachdruck. Letztlich hat er aber seinen Text dann so grundlegend überarbeitet, dass er später sagen musste, „es war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben“ (Der Römerbrief, „Vorwort zum Neudruck“, 1963, S. 6).

Nach Barth verwechseln die Menschen Gott und die Welt. Ja, der Neuprotestantismus beschäftigt sich gar nicht mit Gott und seiner Offenbarung, sondern mit dem Glauben der Menschen. „Kirche und Mission, persönliche Gesinnungstüchtigkeit und Moralität, Pazifismus und Sozialdemokratie vertreten nicht das Reich Gottes, sondern in neuen Formen das alte Reich der Menschen“ (Der Römerbrief, 1919, geschrieben allerdings 1918, S. 42). In der Theologie muss es jedoch zuerst um Gott gehen (hier überschneiden sich m. E. etliche Anstöße mit denen Erich Schaeders, vgl. Theozentrische Theologie, 2 Bde. 1914/16). Denn, so Barth: „Er will Erlöser sein. Er will rechthaben durch seine Kraft. Denn nur, was er tut und vollbringt, ist etwas wirklich und entscheidend Neues und Hilfreiches … Gott muss allein handeln, wenn es zu einer Erlösung kommen soll“ (Der Römerbrief, 1919, S. 398).

In der zweiten Auflage betont er das Anderssein Gottes gegenüber dem Menschen noch stärker als schon in der Auflage von 1919. Anknüpfend an Kierkegaard streicht er die unendliche Verschiedenheit der Qualität zwischen Gott und Mensch heraus. „Jesus Christus überbrückt zwar die Distanz zwischen Gott und Mensch, aber so, dass er sie gerade unterstreicht“ (S. 142). „Barth hämmert immer wieder ein: Der Unterschied zwischen Gott und Mensch ist nicht nur graduell, so als ob in Gott all das Gute des Menschen in gesteigerter Form vorkäme. Der Unterschied zwischen Gott und Mensch ist kategorial, grundsätzlich. Keine menschliche Vorstellung von Gott trifft ihn. ‚Gott, die reine Grenze und der reine Anfang alles dessen, was wir sind, haben und tun, in unendlichem qualitativem Unterschied dem Menschen und allem Menschlichen gegenüberstehend, nie und nimmer identisch mit dem, was wir Gott nennen, als Gott erleben, ahnen und anbeten, das unbedingte Halt! gegenüber aller menschlichen Unruhe und das unbedingte Vorwärts! gegenüber aller menschlichen Ruhe, das Ja in unserm Nein und das Nein in unserm ja, der Erste und der Letzte … und als solcher der Unbekannte, nie und nimmer aber eine Größe unter andern in der uns bekannten Mitte, Gott der Herr, der Schöpfer und Erlöser – das ist der lebendige Gott!‘“ (S. 142).

Auf Christiane Tietz wurde ich aufmerksam, als ich ihren englischsprachigen Aufsatz „Karl Barth and Charlotte von Kirschbaum“ (Theology Today 74, Nr. 2 (2017), S. 86–111) zu Gesicht bekam. Der Text, der die „Notgemeinschaft“ von Karl Barth, Nelly Barth und Charlotte von Kirschbaum beschreibt, hat in Nordamerika und anderswo für viel Wirbel gesorgt. Außerhalb der deutschsprachigen Welt war weniger bekannt, dass Barth 35 Jahre mit seiner Mitarbeiterin und Geliebten Charlotte von Kirschbaum und seiner Ehefrau unter einem Dach wohnte. Sogar in Europa blieb das Verhältnis lange Zeit Gerücht, da keine schriftlichen Dokumente zugänglich waren und Vermerke, etwa die in Buschs’ Lebensbeschreibung, doch etwas schattenhaft blieben (vgl. Karl Barths Lebenslauf, 1976, S. 198–200). Als sich 1991 Barths Nachkommen dazu entschieden, den die Beziehung betreffenden Schriftwechsel, soweit noch vorhanden, öffentlich zu machen, wurde fassbar, wie sehr sich Karl und Charlotte liebten und welch unermessliche Belastung die Dreiecksbeziehung zugleich für die Familie war.

Der Theologieprofessor Barth, fast 39 Jahre alt und inzwischen Vater von fünf Kindern, lernte Charlotte in Oberrieden am Zürichsee kennen. Nach ihrer ersten Begegnung begannen sie, einander Briefe zu schreiben und es entwickelte sich eine passionierte Liebesbeziehung. Barth war wichtig, dass seine Frau Nelly davon wusste. Obwohl er zeitweise erwog, das Verhältnis zu beenden, zog Charlotte von Kirschbaum schließlich im Oktober 1929 in das Haus der Familie in Münster ein. Sie lebte von nun als wichtigste theologische Mitstreiterin in der „Familie“. Die Kinder Franziska und Markus Barth schrieben im Entwurf zu einem Vorwort für die Ausgabe des Briefwechsels über die damaligen Umstände: „Unsere liebe Mutter, Nelly Barth, kommt leider in diesem Briefbande nicht zum Wort. Im ‚Lebenslauf‘ Karl Barths von Eberhard Busch wird gebührlich herausgehoben, wie schwer das Leben zu dritt im selben Hause war: ‚Unzumutbar‘, sagen wir Kinder im nachhinein. Und doch hat es unsere Mutter durchgehalten und trug somit ihren großen Teil an der Arbeit unseres Vaters bei. Wußte sie doch, wie unersetzlich Lollo von Kirschbaums theologische Assistenz und unaufhörliche Mithilfe für das Durchführen des großen Werkes war. Daß es auch menschlich zu keinem Bruch im Familienleben kam, war großmütig von unserer Mutter und wir sind ihr dafür von ganzem Herzen dankbar“ (S. 188). Christiane Tietz kommentiert: „Privat gelang es Barth nicht, eine bessere Lösung der belastenden Dreierkonstellation zu finden. Doch der Schuld, die er damit auf sich lud, blieb sich Barth bewusst. Er beschönigte die Situation nicht und versuchte sie auch nicht theologisch zu rechtfertigen. Erstaunlich ist, dass Barth an dieser Stelle keine christologischen Argumentationsfiguren benutzte, um eine Klärung herbeizuführen. Er formulierte beispielsweise nicht von der Liebe Christi zur Gemeinde her eine Begründung für sein Leben mit zwei Frauen. Ihn, der sonst ‚Erfahrung‘ als theologische Kategorie ablehnte, hielt hier die eigene Erfahrung in ihrem Bann“ (S. 417).

Ich frage mich, ob nicht doch Barths existentialistische Ethik eine Rolle spielte. Es lohnt sich, seine Auslegung von Römer 12 in der Römerbriefauslegung von 1922 zu lesen. Barth überschreibt den Abschnitt mit „Die große Störung“ und spricht sich dort im Grunde gegen eine diesseitsbezogene Ethik aus. „Es ist, wenn es zu Ethik kommen soll, nichts anderes möglich, als Kritik alles Ethos, d. h. aber ein grundsätzliches, womöglich immer in Winkeldrehung von 360° sich vollziehendes Bewegen der Problematik unseres Lebens an jedem einzelnen gegebenen Punkte“ (Der Römerbrief, 1922, S. 413). Das Denken des Lebens muss „verschlungene Wege gehen, in so unerhörte Fernen schweifen“ (Der Römerbrief, 1922, S. 411). „Gnade heißt: Selbstverständlichkeit des schlechten Gewissens mitten in den Verrichtungen der schlechten Welt, aber gerade in dieser Selbstverständlichkeit des schlechten Gewissens die unerhört neue Möglichkeit eines (nie und nirgends ‚guten‘) getrösteten Gewissens“ (Der Römerbrief, 1922, S. 414).

Neben vielen anderen bekannten Ereignissen wird dann Barths Aufstieg innerhalb der theologischen Elite und seine herausragende Rolle im Kirchenkampf geschildert. Viel Raum bekommen überdies Entstehung, Aufbau und Inhalt der monumentalen Kirchlichen Dogmatik (S. 369–390). Doch auch weniger bekannte Geschehnisse werden vermittelt. Amüsant schildert Tietz den Feldzug Barths gegen die Einführung der Frauenordination. In den Nachkriegsjahren engagierte er sich vielfältig ökumenisch. Als 1948 die konstituierende Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen stattfand, hielt er sogar den Eröffnungsvortrag. Auch in der ökumenischen Kommission „Leben und Arbeit der Frauen in der Kirche“, die überwiegend von Frauen besetzt war, wirkte er mit. Schnell wurde deutlich, dass diese Frauen engagiert für die Frauenordination kämpften. Barth lehnte das Pfarramt für Frauen allerdings auf Grundlage des biblischen Befundes ab. Tietz berichtet:

„Außer Barth arbeiteten in dieser Kommission nur wenige Männer mit, unter ihnen der amerikanische Theologe Reinhold Niebuhr (1892–1971) und Martin Niemöller. Die Frauen in der Kommission setzten sich für die generelle Zulassung von Frauen zum Pfarramt und zu anderen Führungsämtern ein. Barth sah in ihren Argumenten eine Tendenz wirksam, die er in seinem Einleitungsreferat kritisiert hatte: dass man nicht von biblischen Texten, sondern von humanistischen Gedanken aus argumentiere. Er habe, so erklärte er bei jenem Treffen der Reformierten, ‚aufrichtige … Sympathie‘ für die Sache der Frauen. Aber die biblischen Texte sprächen von einer ‚Unterordnung der Frau unter den Mann, die Paulus der Unterordnung der Gemeinde unter Christus zur Seite stellt‘. Bei Paulus sei nicht nur der Satz ‚in Christus ist nicht Mann noch Weib‘ (Galater 3,27) zu finden, auf den sich die Frauen in der Kommission beriefen, sondern auch manches andere, das eben von diesen Ordnungsstrukturen spreche. Gegen das Argument, Paulus rede hier zeitgebunden und man müsse die Texte im ‚Geiste Jesu‘ verstehen, polemisierte Barth heftig: ‚Wer sich wirklich und mit Recht auf den Geist Jesu beruft, darf sich keine Freiballonfahrten in den Himmel einer humanistischen Theologie gestatten. Der wirkliche Geist Jesu ist vom Wort der Apostel und Propheten nicht zu trennen.‘“ (S. 351)

Freilich moniert die Autorin: „Man wird sich hier kritisch fragen müssen, ob Barth an dieser Stelle nicht doch der Vorstellung von einer wortwörtlichen Autorität der Bibel verfällt, die seine Schrifthermeneutik eigentlich zu vermeiden hilft. Wie wenig Barth die Anliegen der Frauen damals überhaupt nachvollziehen konnte, belegt ein Brief an Charlotte von Kirschbaum vom 31. August 1948 über seine Teilnahme in dieser Kommission: ‚Ich habe mir die Lippen franzig geredet, um ihnen Gen. 1–2, 1.Kor. 11, Eph 5 etc. einleuchtend und annehmbar zu machen … Aber die women fallen immer noch zähnefletschend auf ihre equality zurück, wollen für Alles und Jedes ‚ordiniert‘ werden, auf Münsterkanzeln predigen und was noch Alles‘“ (S. 351).

Sogar die Gespräche mit dem Baptistenprediger Billy Graham werden kurz erörtert. Barth lernte Graham im August 1960 in der Schweiz kennen und fand ihn eigentlich sympathisch. Über seine Predigten war er hingegen entsetzt. Seiner Meinung nach verkündigte der Evangelist vor allem Gesetz. Er drohte den Hörern und wollte ihnen Angst machen. Während einer Pressekonferenz in den USA sagte er: „Christlicher Glaube fängt mit Freude an, nicht mit Furcht. Herr Graham fängt damit an, daß er den Leuten Angst macht“ (S. 394).

Sein letztes Kolloquium hielt Karl Barth im Sommersemester 1968. Es war noch einmal Friedrich Schleiermacher gewidmet, mit dem er bis zu seinem Lebensende nicht fertig wurde: „‚Ich habe seine romantische Theologie ein Leben lang ernstlich bekämpft‘, schrieb er an einen Freund, ‚möchte aber zum Schluß versuchen, sie unter der heutigen Jugend zum Leuchten zu bringen‘“ (S. 397).

Ab 1964 ging es Barth gesundheitlich und mental spürbar schlechter. In den letzten vier Jahren seines Lebens verbrachte er rund neuneinhalb Monate im Krankenhaus. Auf eine Prostataerkrankung folgte in den Weihnachtstagen 1964 ein kleiner Schlaganfall. Noch bedrückender als die gesundheitlichen Nöte wog allerdings, dass „seit den frühen 1960er Jahren bei Charlotte von Kirschbaum Zeichen einer dementiellen Gehirnerkrankung sichtbar wurden“ (S. 403). Zu Beginn des Jahres 1966 zog sie schließlich in die psychiatrische Klinik „Sonnenhalde“ in Riehen bei Basel. Sie starb am 2. Juli 1975, fast sieben Jahre später als ihr Weggefährte.

Barth kämpfte hin und wieder mit depressiven Stimmungen. In seinen letzten Lebensmonaten wurden sie schlimm. Sein Assistent Eberhard Busch berichtet von Tagen und Nächten voller ernster Depressionen und Anfechtungen. Er habe einem zugeflüstert: „… früher habe er es schön zu lehren gewußt: ‚Vor Dir [Gott] niemand bestehen kann‘, aber jetzt erfahre er erst, was das heißt“ (S. 413). „Sein letztes Telefonat am 9. Dezember war der Anruf von Eduard Thurneysen, mit dem er wieder enger Kontakt hatte. Sie unterhielten sich, wie Thurneysen berichtete, über die aktuelle Lage der Welt, die beide bedrückend fanden. Barth schloss das Telefonat mit den Worten: ‚Ja, die Welt ist dunkel. Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, aber ganz von oben, vom Himmel her. Gott sitzt im Regimente. Darum fürchte ich mich nicht. Bleiben wir doch zuversichtlich auch in dunkelsten Augenblicken! Lassen wir die Hoffnung nicht sinken, die Hoffnung für alle Menschen, für die ganze Völkerwelt! Gott läßt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns und uns alle miteinander nicht! Es wird regiert!‘ Karl Barth starb in der folgenden Nacht, am 10. Dezember 1968, im Schlaf“ (S. 414).

Die kritische Analyse von Barths Wort-Gottes-Theologie bekommt trotz hilfreicher Erläuterungen hier und da verhältnismäßig wenig Raum. Das ist nachvollziehbar, handelt es sich doch nicht um eine kontroverstheologische Studie, sondern um eine Biografie, geschrieben von einer Theologin, die dem barthschen Ansatz nahesteht. Im Epilog wird immerhin das kritische Urteil, das Barths Theologie im deutschsprachigen Raum erfährt, deutlich bezeugt. Während in den USA, England oder Asien Karl Barth zu den meistgelesenen Theologen gehört, hat sich im deutschsprachigen Raum das Lager der „Schleiermacherianer“ durchgesetzt. Aus ihrer Sicht hat Barths Theologie keine Zukunft, da ihr die Anschlussfähigkeit an Kultur und Wissenschaft fehlt. Jörg Lauster resümiert scharf: „Die Wort-Gottes-Theologie hat in der theologischen Landschaft Flurschäden hinterlassen. … Dieser absichtlich kultivierte Verzicht auf wissenschaftliche Anschlussfähigkeit begünstigt eine Vorliebe für immanente Sprachspiele und Argumentationsgänge, denen man außerhalb dieser Kreise nicht folgen kann. Die Remythisierung der Gottesvorstellung, das beharrliche Insistieren darauf, dass Gott redet, stellt eine geradezu gewaltsame Infantilisierung des Gottesbegriffs dar, die vielfach abschreckend und ausschließend wirken muss, weil sie keinerlei Anknüpfungspunkte an modernes kritisches Denken bereithält“ (S. 419, Original: J. Lauster, Zwischen Entzauberung und Remythisierung, 2018, S. 18f.).

Die Verfasserin der Biografie hält hingegen die Dialektische Theologie nach wie vor für wegweisend. Mit einigen anderen hält sie daran fest, dass es in der „Theologie nicht zuerst um die menschliche Kulturleistung Religion geht, sondern um Gott. Gott ist … nicht der Begriff für eine gewisse Transzendenzbezogenheit des Menschen, sondern Gott und Mensch sind fundamental voneinander unterschieden und nur Gott kann die Distanz zum Menschen überbrücken“ (S. 419–420).

Gerade solche Einlassungen machen deutlich, dass Barth mit seiner Wort-
Gottes-Theologie eminente Schwachstellen des Neuprotestantismus aufgedeckt hat. Sein Wunsch, Schleiermacher zu überwinden und konsequent von Gott her zu denken, weist in die richtige Richtung. Überwunden hat er die Krise der Theologie freilich nicht. Eher könnte man behaupten, er sei auf halber Wegstrecke steckengeblieben. Die Theologie muss meines Erachtens noch radikaler fragen, was Gott sagt. Sie muss Gott beim Wort nehmen und wird nicht drumherum kommen, hinter den Kantianismus zurückzugehen und manche neuzeitliche Weichenstellung zu korrigieren.

Jenen, die sich gründlicher mit Barths Theologie und ihren Baustellen vertraut machen wollen, ist zunächst einmal zu empfehlen, einige von Barths eigenen Texten zu lesen. Es muss ja nicht gleich die schwere Kirchliche Dogmatik oder der (exegetisch übrigens oft auf tönernen Füßen stehende) Römerbrief sein. Die Einführung in die evangelische Theologie, die auf eine Vorlesung nach dem Rücktritt vom akademischen Lehrdienst 1961/62 zurückgeht und in energischer Kürze zusammenträgt, was er in seiner Dogmatik lehrte, ist hingegen gut verdauliche Einstiegslektüre (6. Aufl., 2006). Ergänzend sollten kritische Studien gelesen werden. Empfehlen kann ich die Untersuchungen von Klaus Bockmühl (Atheismus in der Christenheit, 1969, sowie das Kapitel „Karl Barth“ in Verantwortung des Glaubens im Wandel der Zeit, 2001, S. 84–137), Bernhard Rothen (Die Klarheit der Schrift, 2 Bde., 1990) sowie David Gibson und Daniel Strange (die Herausgeber des Sammelbands Engaging with Barth, 2008).

Die neue Biografie fördert ohne Zweifel ein besseres Verstehen der barthschen Theologie. Ich habe für die Lektüre der Lebensgeschichte nur wenige Tage gebraucht. Karl Barth: Ein Leben im Widerspruch ist eingängig geschrieben und entsprechend leicht zu lesen. Christiane Tietz hat gewissenhaft recherchiert und meisterhaft erzählt. Ich empfehle die Biografie gern.

Glööcklers Glaube

Es ist schon erstaunlich, was die evangelikale Verlagswelt heutzutage so puscht. Ein „Wir sind Gott“-Hobbytheologe darf inzwischen in einer adeo-Publikation für seine skurrilen Thesen werben. Auf einer Pressekonferenz hat er kürzlich das Buch Kirche, öffne dich vorgestellt (das MEDIENMAGAZIN PRO berichtet darüber).

Der adeo-Verlag gehört zur Stiftung Christlicher Medien (früher Hänssler). SCM schreibt über das Selbstverständnis der Verlagsgruppe: „Sie versteht sich dabei als „ein Haus mit vielen Zimmern“, das offen ist für alle publizistisch tätigen Organisationen, die auf der Basis der Deutschen Evangelischen Allianz arbeiten … Der Vorstand und die Mitarbeiter dieser größten evangelischen Verlagsgruppe sehen es als ihren Auftrag, die christliche Botschaft aktiv zu verbreiten.“

Ist die Allianz inzwischen so breit aufgestellt, dass auch die Botschaften eines Glööckler hineinpassen? Oder nimmt die Verlagsgruppe ihren Auftrag nicht mehr so ernst?

Harald Glööckler verkündet ja – wenn man genau hinhört – einen anderen Glauben.

Anything goes. Ein weiterer Tiefpunkt in der Welt der Evangelikalen.

Petrus van Mastricht (1630–1706)

440px Petrus van MastrichtPetrus van Mastricht wurde 1630 als Sohn des reformierten Predigers Thomas von Mastrich und dessen Frau Jeanne de la Planque in Köln geboren. Seine erste akademische Ausbildung erhielt er an der Lateinschule in Duisburg. 1647 begann er an der Universität Utrecht mit einem Theologiestudium. Zu seinen Lehrern gehörten Größen wie  Gisbert Voetius und Carolus de Maets. Später studierte er noch in Leiden und wahrscheinlich in Heidelberg.

Nachdem er Erfahrungen als Gemeindepastor in Xanten und Glücksstadt gesammelt hatte, folgte er einem Ruf an die preußisch reformierte Universität Frankfurt (Oder) und unterrichtete dort Hebräisch und Praktische Theologie (damals die Bezeichnung für „Ethik“). Später wurde er Professor an der Universität Duisburg und nach dem Tod von Voetius sein Nachfolger an der Universität Utrecht.

In Utrecht entstand auch sein bedeutendes Hauptwerk Theoretico-practica theologia mit 1236 Seiten. Bisher war diese Abhandlung nur in lateinischer und holländischer Sprache verfügbar. Mit Unterstützung der Dutch Reformed Translation Society und Reformation Heritage Books wird derzeit an einer Übertragung ins Englische gearbeitet. Der erste Band wird demnächst verfügbar gemacht.

Jonathan Edwards schrieb in einem Brief an Joseph Bellamy am 15. Januar 1747 über das Werk:

VanMastricht 2 3D preview 1 76649 1525111024 1280 1280Was die Bücher angeht, von denen du sprichst: Mastricht ist manchmal in einem Band, einem sehr großen dicken Quartband, manchmal in zwei Quartbänden, zu haben. Ich glaube, es konnte neu nicht unter 8 oder 10 Pfund erworben werden. Turretin ist in drei Bänden zum wahrscheinlich fast gleichen Preis erschienen. Beide Werke sind ausgezeichnet. Turretin ist auf die polemische Theologie ausgerichtet, auf die 5 Punkte und allen anderen umstrittenen Sachen und ist in diesen Dingen viel umfangreicher als Mastricht und ist besser für jemanden, der nur in den kontrovers-theologischen Punkten gründlich versiert sein möchte. Aber nehmen Sie Mastricht für Theologie im Allgemeinen, Lehre, Praxis und die Kontroversen oder als ein universelles System der Theologie. Es ist außer der Bibel viel besser als Turretin oder irgendein anderes Buch in der Welt, jedenfalls meiner Meinung nach.

„Herrlichkeitstheologie“ oder „Kreuzestheologie“?

440px Luther Cranach the Elder BM 1837 0616 363
Lucas Cranach der Ältere – Marie-Lan Nguyen (2012), Gemeinfrei.

Die Heidelberger Disputation (Disputatio Heidelbergensis) war ein von Johann von Staupitz an der Heidelberger Universität einberufenes Generalkonvent für den Zeitraum vom 25. bis zum 27. April 1518. Es fand also vor 500 Jahren statt. Luther gewann damals etliche Anhänger unter den Studenten und Magistern der Artistenfakultät. Spätere Reformatoren wie Martin Bucer oder Johannes Brenz waren unter den Zuhörern und ließen sich für die Anliegen der reformatorischen Theologie begeistern.

Die Disputation ist stark mit der Theologie des Kreuzes verbunden. Bei Luther tritt der Begriff zwar nur vereinzelt auf. Bei den Erörterungen 1518 verwendet der junge Reformator die Formulierung allerdings in einer sehr grundlegenden und bahnbrechenden Weise. Er stellt die sogenannte „Herrlichkeitstheologie“ (theologia gloriae) der „Kreuzestheologie“ (theologia crucis) gegenüber.

Der Theologe der Herrlichkeit findet Gott durch die Schöpfung. Der Aufbau der Summe der Theologie des großen Thomas von Aquin (1225–1274) kann beispielsweise auf die Formel „Von Gott durch die Welt zu Gott in Christus – dem Gekreuzigten“ gebracht werden.

Luther wendet sich nun nachdrücklich gegen eine Theologie, die unter dem Eindruck der griechischen Philosophie (bes. Aristoteles) vorgibt, vernünftige Wege zu Gott gefunden zu haben. Luther verurteilte sie in seiner 19. These mit den Worten, dass der nicht wert sei, „ein Theologe zu heißen, der Gottes ‚unsichtbares Wesen durch das Geschaffene erkennt und erblickt‘ (Röm 1,20)“. Die Theologie der Herrlichkeit verzwecke Gott und raube ihm die Ehre. Sie „bläht auf, macht blind und verstockt“, heißt es in der 22. These. „Das (dem Menschen) zugewandte und sichtbare Wesen Gottes ist das Gegenteil des Unsichtbaren, nämlich: seine Menschheit, Schwachheit, Torheit“ (20. These). Gott will im Leiden erkannt sein. Und so formuliert Luther in der 20. These:

So genügt oder nützt es keinem schon, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schande des Kreuzes erkennt … Also liegt in Christus dem Gekreuzigten die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes. Und [in] Joh. 14, 6 heißt es: ‚Niemand kommt zum Vater, denn durch mich …

In letzter Analyse setzt nach Luther die Theologie der Herrlichkeit das Vertrauen auf die Werke und führt deshalb zur Verherrlichung des Menschen. Sie beschönigt das desolate Sündersein, das sogar die Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung missbraucht. Allein die Kreuzestheologie lässt Gott dem ihm geschuldeten Ruhm zukommen, da sie alles von Christus erwartet. Wir finden nur durch Christus zu Gott (und in einem gewissen Sinn auch zur Welt). Es gibt keine wahre Theologie ohne Kreuz.

Nachfolgend einige Zitate aus den Disputationen (Luther, M. (2006). HEIDELBERGER DISPUTATION. In W. Härle, J. Schilling, & G. Wartenberg (Hrsg.), W. Härle (Übers.), Der Mensch vor Gott: Deutsche Texte (Bd. 1, S. 37–39). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, zitiert aus der digitalen Logos-Ausgabe).

III:

DIE WERKE DER MENSCHEN, WIE SCHÖN SIE AUCH IMMER SEIEN UND WIE GUT SIE ERSCHEINEN, SO GLAUBHAFT IST DOCH, DASS SIE TODSÜNDEN SIND.

Die Werke der Menschen erscheinen schön, aber innerlich sind sie hässlich, wie Christus von den Pharisäern Mt 23 sagt. Denn sie erscheinen ihnen und anderen gut und schön, aber Gott ist es, der nicht nach dem äußeren Ansehen urteilt, sondern die Nieren und Herzen erforscht. Aber ohne Gnade und Glauben ist es unmöglich, ein reines Herz zu haben. Apg 15: „Durch den Glauben reinigt er ihre Herzen.“

Die These wird deshalb [so] bewiesen: Wenn die Werke der gerechten Menschen Sünden sind, wie die These VII sagt, wie viel mehr der Menschen, die noch nicht gerecht sind. Aber die Gerechten sagen im Blick auf ihre Werke: „Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, Herr, denn vor dir wird kein Lebender gerechtfertigt werden.“ Ebenso der Apostel Gal 3: „Die aus den Werken des Gesetzes sind, sind unter dem Fluch.“ Aber Menschenwerke sind Gesetzeswerke. Und die Verfluchung wird nicht lässlichen [Sünden] zuteil, also sind sie Todsünden. Drittens Röm 2: „Der du lehrst, man solle nicht stehlen, stiehlst.“ Das erklärt der Selige Augustinus [so]: „Nach ihrem schuldigen Willen sind sie nämlich Diebe, auch wenn sie äußerlich andere Diebe verurteilen und belehren.“

XVI:

DER MENSCH, DER GLAUBT, ER WOLLE DADURCH ZUR GNADE GELANGEN, DASS ER TUT, WAS IN SEINEN KRÄFTEN STEHT, FÜGT SÜNDE ZUR SÜNDE HINZU, SO DASS ER DOPPELT SCHULDIG WIRD.

Denn aus dem Gesagten ist offenkundig: Indem er tut, was in seinen Kräften steht, sündigt er und sucht überhaupt das Seine. Aber wenn er glauben sollte, durch Sünde der Gnade würdig oder für die Gnade geeignet zu werden, fügt er sogleich hochmütige Vermessenheit hinzu und glaubt, dass Sünde nicht Sünde und Böses nicht Böses sei, was eine überaus große Sünde ist. So Jer 2: „Mein Volk hat eine zweifache Sünde begangen: Mich, die lebendige Quelle, haben sie verlassen und graben sich rissige Zisternen, die das Wasser nicht halten können.“ D. h.: Durch die Sünde sind sie weit weg von mir und maßen sich dennoch an, aus sich heraus Gutes zu tun.

Nun sagst du: Was sollen wir also tun? Sollen wir in Tatenlosigkeit verharren, weil wir nur Sünde tun [können]? Ich antworte: Nein, sondern, wenn du diese [Worte] gehört hast, dann knie nieder und bete um Gnade, setze deine Hoffnung auf Christus, in dem unser Heil, unser Leben und unsere Auferstehung ist. Denn dies wird deshalb gelehrt, deshalb macht das Gesetz die Sünde bekannt, damit, wenn die Sünde erkannt ist, die Gnade gesucht und erlangt wird. So, so gibt er den Demütigen Gnade, und so wird, wer sich demütigt, erhöht. Das Gesetz demütigt, die Gnade erhöht. Das Gesetz wirkt Furcht und Zorn, die Gnade Hoffnung und Erbarmen. Denn durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde, durch die Erkenntnis der Sünde aber die Demut, durch die Demut wird die Gnade erlangt. So führt Gottes fremdes Werk schließlich sein eigenes Werk herbei: indem es einen zum Sünder macht, um ihn zum Gerechten zu machen.

XXI:

DER THEOLOGE DER HERRLICHKEIT NENNT DAS ÜBEL GUT UND DAS GUTE EIN ÜBEL. DER THEOLOGE DES KREUZES SAGT, WAS DIE SACHE IST.

Das ist offenkundig; denn solange er Christus nicht kennt, kennt er den in den Leiden verborgenen Gott nicht. So zieht er die Werke den Leiden vor, die Herrlichkeit dem Kreuz, die Macht der Schwäche, die Weisheit der Torheit und insgesamt das Gute dem Übel. Das sind solche, die der Apostel ,Feinde des Kreuzes Christi‘ nennt, und das, weil sie das Kreuz und die Leiden hassen, dagegen die Werke und ihren Ruhm lieben und so das Gute des Kreuzes ein Übel nennen und das Übel des Werkes ein Gutes. Aber dass Gott nur gefunden wird in den Leiden und im Kreuz, ist schon gesagt.

So sagen die Freunde des Kreuzes, das Kreuz sei ein Gutes und die Werke [seien] ein Übel, weil durch das Kreuz die Werke zerstört werden und [der alte] Adam gekreuzigt wird, der durch die Werke vielmehr aufgebaut wird. Es ist nämlich unmöglich, dass der nicht durch seine guten Werke aufgebläht werde, der nicht vorher durch Leiden und Übel erniedrigt und zerstört worden ist, bis er weiß, dass er nichts sei und die Werke nicht seine, sondern Gottes sind.

 

Großer Unfug

Viele „Bildungspolitiker“ träumen davon, dass eine Welle der Digitalisierung die Schulen in Deutschland nach vorn bringt. Demnächst sollen Schüler in NRW sogar ihr eigenes Smartphone im Unterricht nutzen.

Großer Unfug, meint Jürgen Kaube und spricht mir aus dem Herzen:

An vielen Schulen dieses Landes sind Smartphones nicht als Lösung, sondern als Problem bekannt. Man hat darum mancherorts die Nutzung der Geräte im Bereich der Schule untersagt: um Ablenkung im Unterricht zu verhindern. Um die Schule nicht zur Versammlung isoliert computerspielender oder filmchenschauender Atome zu machen, die sich der Bildschirme halber nur noch in den schattigen Zonen des Pausenhofs bewegen. Um Cybermobbing wenigstens ein paar Stunden lang zu verhindern. Die Behauptung, es handele sich bei Smartphones in Händen von Kindern und Jugendlichen in erster Linie um Instrumente der Wissensgesellschaft, ist abenteuerlich.

Mehr: www.faz.net.

Turbulenzen am Moody Bible Institute

Das Magazin CHRISTIANITY TODAY berichtet über Turbulenzen am Moody Bible Institute (MBI) in Chicago (USA). Der Präsident der Einrichtung, J. Paul Nyquist, und der Geschäftsführer, Steve Mogck, haben ihr Amt niedergelegt. Der Verwaltungsdirektor Junias Venugopal ist in den Ruhestand gegangen. Das Leitungsgremium gab bekannt, dass die Zeit für eine neue Leitung gekommen sei.

Erst im Oktober 2017 hatte eine Absolventin des MBI einen Offenen Brief eingereicht und sich darin über die Einstellung einiger Dozenten und Studenten beschwert. Die Disziplinlosigkeit sei offensichtlich und bedrückend gewesen. Die Autorin des Briefes thematisierte zudem eine Verflachung der Lehre am Institut. Es werde mehr über Gesellschaftstransformation als über die Verkündigung des Evangeliums für Verlorene gesprochen. Besonders auffällig sei diese Tendenz beim Thema „Urbane Mission“.

Der Leiter der Abteilung betonte konsequent menschliche Handlungen und Heilmittel gegenüber dem Evangelium und betonte, dass es wichtig sei, unsere Werte zu leben, anstatt explizit zu sein. Als ich respektvoll sagte, dass das Evangelium das Unterscheidungsmerkmal christlichen Engagements sei, da Nichtchristen soziale Projekte ebenfalls durchführen könnten, sagte er: „Wir können uns bewusst um Menschen kümmern, ohne sie geistlich zu betreuen“. Ich kam nach vielen Diskussionen zu der Schlussfolgerung: Die Definition des Evangeliums steht der Befreiungstheologie und dem sozialen Evangelium näher als den biblischen Anliegen. Seine Idee, die er in allen Klassen, die ich besucht habe, konsequent darlegte, war, dass es im „Dienst“ nicht um Erlösung gehe; stattdessen müsse die Kirche anderen helfen, sich von den gesellschaftlichen und politischen Zwängen der Gesellschaft zu befreien.

Julie Roys, Moderatorin einer bekannten Radiosendung des Moody Bible Institutes, hatte vor wenigen Tagen außerdem den übertriebenen Luxus und fehlende Transparenz im Umgang mit Geld in der Führungsetage der Einrichtung geschildert. Sie schrieb etwa:

Von 2000 bis 2008 soll das Institut wieder eigenmächtig gehandelt haben, indem es Jerry Jenkins, dem Autor der beliebten Bücher „Left Behind“ und dann Vorsitzender des Board of Trustees von Moody, eine Luxus-Suite im obersten Stockwerk der Jenkins Hall zur Verfügung gestellt hat. 1999 spendete Jenkins Moody eine ungenannte Summe, die es dem Institut ermöglichte, das Gebäude zu erwerben, das seinen Namen trägt. Und laut einem Artikel aus dem Jahr 2006 in der Chicago Tribune verwandelte MBI zwei ehemalige große Einheiten im obersten Stockwerk des Gebäudes in eine Suite für Jenkins und seine Frau, was laut von Regierungsbeamten „verstörend“ sei.

Julie Roys wurde daraufhin ohne Angabe von Gründen gekündigt.

Gründlich hören (1): Von der Wichtigkeit der Theologie

Vor längerer Zeit habe ich angefangen, einige Texte zum kritischen Lesen vorzuschlagen. Im Jahr 2015 startete die Reihe mit dem Beitrag: Braucht Gott dich?.

Heute wird allerdings gar nicht mehr so viel gelesen. Vor allem jüngere Leute hören, zum Beispiel beim Joggen oder im Stau. So erlaube ich mir, einen Vortrag für das gründliche Hören zu empfehlen:

Manuel Schmid, Dozent am Theologischen Seminar St. Chrischona und Theologiebeauftragter der ICF-Bewegung, hat kürzlich einen Vortrag zum Thema: „Warum diese Welt Theologen braucht“, gehalten. Pastor Schmid ist definitiv ein guter Kommunikator (Leute, die mit dem Schweizer Deutsch nicht so gut klar kommen, mögen das etwas anders sehen. Ich liebe es.). Seine evangelikale Selbstkritik bringt echte Nöte auf den Punkt und ich selbst bin offen für eine faire Kritik des Evangelikalismus. Dennoch geht der Vortrag in eine merkwürdige Richtung. Die Empfehlung einer „Jesus-Hermeneutik“ und das Finale mit der Rob Bell’schen Losung „Das letzte Wort hat die Liebe“ relativiert letztendlich die Kompliziertheit und zugleich die Einfachheit der Theologie empfindlich. Ich freue mich auf die Kommentare!

Hier:

Carl Truman: Reformatorische Theologie

Zum 500. Reformationsjubiläum sprach Marvin Olasky am Patrick Henry College mit Carl Trueman über die reformatorische Theologie. Bei der Erörterung von Luthers „Theologie des Kreuzes“ kommen auch das Wohlstandsevangelium und das positive Denken à la Norman Vincent Peale zur Sprache. Besonders hilfreich finde ich Truemans Ermahnung zur Orthodoxie in der Liebe.

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