Mit dem Roman Der Vorleser habe ich so meine Probleme. Aber als Schriftsteller schätze ich Bernhard Schlink. Seine jüngste Anregung, Kirchenaustritte in Zukunft nicht mehr gegenüber dem Staat, also etwa dem Amtsgericht, sondern gegen über der Kirche zu erklären, beeindruckt.
Schlink fragt, warum eigentlich ein Austrittswilliger nicht zum Pfarrer geht. Die Antwort: Es ist eine lange Tradition. Sie stammt aus der Weimarer Republik und hat in der Bundesrepublik, mit Ausnahme von Bremen, wo es ein sowohl als auch gibt, bis heute überlebt. Das erspart den Pfarrern bedrückende Abschiedsgespräche und, so sah es die Politik, es sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Pfarrer scheidende Schäfchen einem Gewissenszwang aussetzt. Schlink plädiert dafür, dass die Austritte wieder ins Pfarramt einziehen. Das mache aus dem dem „hilflosen“ Pfarrer einen Beteiligten. „Der Pfarrer wird mehr über die Urachen der Kirchenaustritte erfahren, mehr über seine Gemeinde, mehr über die Menschen, die zur Gemeinde gehören, aber nicht am Leben der Gemeinde teilnehmen.“
Die EKD will die Anregungen aufnehmen. Ich selbst finde sie sehr überzeugend. Sie sollten schnellsten umgesetzt werden. Noch stärker als Schlink bezweifle ich freilich, dass damit die Entkirchlichung gebremst würde. Es könnte immerhin die Gemeinden nachdenklicher stimmen.
Was mir an Schlinks Einmischung besonders gefallen hat, ist seine nüchterne Beschreibung des Kirchensterbens. Der Leser darf es durchaus – überinterpretiert – so verstehen: Vielleicht muss ja eine Kirche, die missionarisch völlig stumpf geworden ist, sterben?
Schlink schreibt (FAZ, 16.01.2020, Nr. 13, S. 6):
Auf die Zunahme der Kirchenaustritte reagieren die Kirchen hilflos. Dass die meisten Mitglieder sonntags nicht mehr in die Kirche gehen, dass vielen Mitgliedern die Kirchen fremd und gleichgültig geworden sind, dass die Kirchen Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Bedeutung verloren haben – die Kirchen wissen es. Sie wollen es auch nicht einfach hinnehmen. Die katholische Kirche setzt, so der Sekretär der Bischofskonferenz, auf den synodalen Weg, auf stärkere Beteiligung von Gemeinden und Mitgliedern. Die evangelische Kirche will, so ihr Ratsvorsitzender, die Bedeutung der christlichen Botschaft deutlicher machen. Aber stärker beteiligen lassen sich nur die, die schon am Kirchen- und Gemeindeleben beteiligt sind, und deutlicher kann die Bedeutung der christlichen Botschaft nur denen gemacht werden, denen die christliche Botschaft überhaupt noch etwas bedeutet. Wie steht es mit denen, die mit der christlichen Botschaft, mit Kirche und Gemeinde abgeschlossen haben?
Der Text ist inzwischen online verfügbar (leider hinter einer Bezahlwand): www.faz.net.
Es wäre begrüßenswert, wenn die EKD in ihrer jetzigen Form abstirbt.
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