Wenn Lymphknoten so bunt wie Tattoos sind

Der Siegeszug der Tattoos über den Körper scheint unaufhaltsam. Musiker und Sportler fördern den Trend. Bei den 18- bis 27-Jährigen ist in Europa inzwischen jeder vierte tätowiert. Ignoriert wird dabei, dass viele Tätowier-Farben Gifte enthalten. Und niemand weiß, was beim Tätowieren unter die Haut wandert.

„Jeder verlässt sich darauf, dass die Behörden es richten“, sagt Wolfgang Bäumler, Physiker an der Universität Regensburg und einer der Referenten. Doch das Vertrauen in die Behörden sei nicht gerechtfertigt. Es gebe kaum Wissen über die Wirkung der Farben – vor allem nicht über langfristige Folgen.

Bäumler hat seit Ende der 90er Jahre zahlreiche Untersuchungen zu den Pigmenten erstellt. „Die Farben bleiben nicht an der Stelle, wo sie eingestochen werden“, sagt er. Aber wohin sie im Körper abtransportiert werden, sei nicht erforscht. „Bei Tattoos in der Nähe von Lymphknoten sind diese auf jeden Fall genauso bunt wie die Tätowierung.“

Mehr: www.welt.de.

Erkenne, dass du nichts bist!

Immer mehr und immer jüngere Menschen beteiligen sich an Castingshows. Die Ursache liegt nicht allein im Wunsch nach schnellem Ruhm begründet. Sondern auch in einer Gesellschaft, die sich permanent selbst evaluiert. Morten Freidel beschreibt für die FAZ die pathologische Evaluierungskultur.

Der Siegeszug des Systems Castingshow ist damit Ausdruck eines wachsenden Vergleichsdrucks in der Gesellschaft, genauer: ihrer permanenten Dauerevaluierung. Studenten evaluieren ihre Dozenten, Dozenten ihre Studenten, Manager evaluieren ihre persönliche Leistung und ihre Belegschaft, die Belegschaft evaluiert ihre „Performance“ und ihre Manager. Facebook evaluiert das Leben seiner Nutzer, Google ihre Suchanfragen – jede Aktion wird ausgewertet von einem engmaschigen Netz aus Algorithmen. Wenn jemand irgendwo einen Schritt macht, dann macht er nicht einfach einen Schritt, er macht bei Youtube einen coolen, peinlichen oder auch großen Schritt für die Menschheit.

Wir leben längst weniger in einer Konkurrenz- als in einer Evaluierungsgesellschaft: Der alte, prototypische Machtkampf, etwa zwischen Konkurrenten bei der Arbeit, die sich in ihren Intrigen wenigstens gedanklich eins gegen eins duellieren konnten, wird damit nicht nur diffuser, sondern auch radikaler. Diffus, weil er sich nicht mehr gegen ein klar umrissenes Feindbild richtet; radikal, weil es damit tendenziell gegen alle in der anonymen Cloud geht.

Hier: www.faz.net.

Fünf gute alte Bücher

ImageTimFür das Blog des empfehlenswerten Timotheus Magazins habe ich fünf wertvolle Bücher vorgestellt:

Kürzlich war ich mit einem unserer Kinder im Sportgeschäft, um Fußballschuhe zu kaufen. Als uns der Verkäufer fragte, ob er helfen könne, entwickelte sich ein kurzes Gespräch. „Früher“, sagte er, „haben wir beim Kauf von Sportschuhen auf die Lederqualität und die solide Verarbeitung geachtet. Heute interessiert die jungen Leute vor allem, wer in der Bundesliga welche Schuhe trägt“. „Die Hersteller bringen ja auch jedes Jahr neue Farben auf den Markt“, erwiderte ich. „Hm“, antwortete der Verkäufer. „Die Farben wechseln mehrmals im Jahr.“

Wir haben uns an die schnelllebige Kaufkultur gewöhnt. Die Hersteller wecken in uns das Bedürfnis, immer aktuell sein zu wollen. Wir wollen die Farben tragen, die gerade „in“ sind oder genau mit dem Smartphone telefonieren, das gerade frisch auf den Markt gekommen ist. Also kaufen wir.

Im Rahmen der Literatur ist es manchmal ähnlich. Was nicht neu ist, ist „out“. Sind die Schrifttypen unmodern oder die Sätze altertümlich verschachtelt formuliert, werden Bücher schnell beiseitegelegt. Dabei gibt es besonders im Raum der Theologie ältere Bücher von hervorstechender Qualität und Bedeutsamkeit. Theologische Gegenwartsliteratur kann meist alten Klassikern das Wasser nicht reichen. Deshalb empfehle ich nachfolgend einige Bücher, die nicht mehr ganz frisch sind, aber dennoch viel zu bieten haben.

Hier geht’s weiter: www.timotheusmagazin.de.

Schlag gegen Ägyptens Zivilgesellschaft

Ein Gericht in Kairo hat Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung (KSA) und Mitarbeiter von 16 weiteren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu Gefängnisstrafen zwischen einem und fünf Jahren verurteilt. Das Büro der KAS muss dauerhaft geschlossen werden (siehe dazu hier).

Die schockierend harten Urteile gegen 43 Mitarbeiter von  Nichtregierungsorganisationen sind nach Einschätzung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in erster Linie ein Signal an die ägyptische Demokratiebewegung. „Wenn selbst Amerikaner und Deutsche völlig willkürlich zu Haftstrafen zwischen einem und fünf Jahren verurteilt werden, dann ist klar, dass das Regime der Muslimbrüder jede Zurückhaltung aufgegeben hat, um Andersdenkende mundtot zu machen“, erklärte IGFM-Vorstandssprecher Martin Lessenthin.

Mitarbeiter von betroffenen NGOs berichteten davon, dass sie weder eine Vorladung des Gerichtes noch schriftliche Urteile erhalten hätten. „Die Behörden haben noch nicht einmal versucht, einen Schein von Rechtsstaatlichkeit zu waren“, so die IGFM weiter. Hier sei Präsident Mursi auch für Deutschland ohne Maske sichtbar. Die Urteile sind nach Ansicht der IGFM auch ein Ohrfeige für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie selbst ist Vorstandsmitglied der jetzt in Ägypten geschlossenen Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Kanzlerin hatte sich beim Staatsbesuch Mursis Ende Januar um ein konstruktives Verhältnis zur neuen ägyptischen Regierung bemüht. Die offene Brüskierung der USA, Deutschlands und anderer europäischer Regierungen durch die Regierung Mursi zeige, dass die Einschüchterung der ägyptischen Zivilgesellschaft für die Muslimbrüder wichtiger sei als mit Hilfe westlicher Gelder den drohenden Staatsbankrott Ägyptens abzuwehren.

Im Zweifel zuschlagen

Wenn die Staatsmacht Demonstrationen gewaltsam auflöst, hat das vor allem einen Sinn: Der Protest soll kriminalisiert werden, meint Jakob Augstein:

Aber ganz gleich, ob der Staat die Demonstranten kauft oder verprügelt – er schätzt sie nicht. Er misstraut ihnen. Er diskreditiert sie … Jeder Widerstand ist dem Staat verdächtig. Dem Gesetz ist Folge zu leisten. Ein Staat, der seiner Demonstranten nur mit Gewalt Herr werden kann, verliert vor den Augen der Öffentlichkeit seine Legitimation. Der gewalttätige Staat ist der schwache Staat.

Beschwert sich Augstein da etwa über die Eskalationen bei den Protesten in Frankreich? Nein, er schreibt (nur) über die Entwicklungen in Frankfurt und Istanbul.

Warum unser Herz unruhig ist

In seiner Interpretation des „Unruhig ist unser Herz“ greift Walter Andreas Euler auf die Psalmenauslegung und das Buch De Trinitate des Kirchenvaters Augustinus zurück und fasst die Phänomenologie der Unruhe so zusammen (M. Fiedrowicz (Hg.), Unruhig ist unser Herz: Interpretationen zu Augustins Confessiones, 2004, S. 12).:

In seiner Auslegung der Psalmen stellt der Kirchenvater fest, dass unzählige Wünsche in den Herzen der Menschen wohnen. Der eine will Geld, der zweite Besitztümer, der dritte ein großes Haus, der vierte eine Frau, der fünfte eine herausgehobene berufliche Stellung, der sechste gesellschaftliches Ansehen usw. Augustinus stellt sich diesen Fragen nicht abstrakt, sondern wir wissen aus den Confessiones, dass er (zusammen mit seinen Eltern) solche Wünsche lange Zeit, vielleicht mehr als andere, teilte und sie sein Lebensmotor waren. Die Gier des Menschen, so weiß Augustin aus eigener Erfahrung, ist unersättlich. Sie wächst sogar, je mehr der Mensch bekommt und je mehr Wünsche sich erfüllen. Darin zeigt sich, dass die Sehnsucht des Menschen prinzipiell durch nichts Endliches, durch nichts Sterbliches befriedigt werden kann, weil sich die Wünsche immer als größer als die Möglichkeiten ihrer Erfüllung erweisen und weil etwas Endliches, Vergängliches der unendlichen Sehnsucht des Menschen augenscheinlich nicht entsprechen kann. Jeder Mensch will glücklich sein und die Sehnsucht nach Glück motiviert all seine Taten, die bösen eingeschlossen. Mancher allerdings, so stellt Augustin im zehnten Buch der „Bekenntnisse“ fest, begnüge sich aus Bequemlichkeit faktisch mit dem „kleinen“ Glück der irdischen Befriedigungen und verfehle so das große, das eigentliche Glück des seligen, des ewigen Lebens bei Gott. Gleichwohl gilt, dass alle Menschen zumindest prinzipiell glückselig sein wollen, und, so heißt es in De Trinitate, „sie wollen zweifelsohne nicht, dass ihr Glück aufgebraucht wird oder zugrunde geht. Nun können sie aber nur, wenn sie leben, glücklich sein. Also wollen sie nicht, dass ihr Leben zugrunde geht. Unsterblich also wollen alle sein, die wahrhaft glücklich sind oder es zu sein begehren. Nicht aber lebt glücklich, wem nicht zur Verfügung steht, was er will. In keiner Weise wird also das Leben wahrhaft glücklich sein können, wenn es nicht immerwährend ist.“

Louis Berkhof: Systematische Theologie

BerkhofVergangene Woche erschien die Dogmatik von Wayne Grudem in deutscher Sprache. In dieser neuen Woche gibt es ein weiteres Schmankerl: Die Systematische Theologie von Louis Berkhof aus dem Jahre 1932 steht ab sofort online zur Verfügung und kann als PDF-Datei oder im ePub-Format (für eBook-Lesegeräte) heruntergeladen werden. Vielen Dank an die Leute von BiblicalTraining.org, die mit Können und Fleiß das Buch gesetzt haben.

Louis Berkhof lehrte fast vierzig Jahre am Calvin Theological Seminary. Seine Systematik zählt zu den besten Dogmatiken, die im 20. Jahrhundert geschrieben wurden. Berkhof lag wenig daran, mit neuen originellen Ideen aufzutrumpfen. Seine Anliegen war die Treue zur Heiligen Schrift und  die sorgfältige Vermittlung der reformierte Theologie.

Einen Überblick über den Aufbau hat R. Scott Clark vor 12 Jahren zusammengestellt. Eine deutschsprachige Zusammenfassung des Buches ist kürzlich beim 3L Verlag neu aufgelegt worden.

Hier das Buch: www.biblicaltraining.org.

Die unsympathische Seite der Grünen

Bettina Röhl hat für die WIRTSCHAFTSWOCHE die sinkenden Umfragewerte der GRÜNEN wortgewaltig kommentiert. Ein nachvollziehbar hartes Urteil.

Die grünen Erben der 68er-Bewegung, die das Koordinatenkreuz dieser Gesellschaft mit ihren permanenten „Kulturrevolutionen“ (in dem sogenannten roten Jahrzehnt von 1967 bis 1977) erfolgreich und nachhaltig zerstört hat, ziehen diese Gesellschaft mit ihrer stimmenmäßig vergleichsweise klein erscheinenden grünen Partei und deren notorischer Minderheiten-Politik seit dreißig Jahren am Nasenring durch die öffentliche Arena. Die bürgerliche Mehrheit hat es letzten Endes immer goutiert und die große, gerade 150 Jahre alt gewordene SPD, die eigentliche Programmpartei, hat einen Teil ihrer Macht und ihrer Faszination an die Grünen verloren.

Die katholische Kirche, tausend Jahre geistig-moralischer Fels in der Brandung, aber auch Machtblock im gesellschaftlichen Gefüge, ist von den Grünen und ihren Vorläufern, den Kommunisten und der 68er-Bewegung, in kürzester Zeit glatt zerlegt worden. Und auch das, was man den Westen nennt, Demokratie, Bürgerrechte, Pressefreiheit, Individualität, all das, was in Deutschland 1945 wieder Einzug halten konnte, haben die Grünen vor aller Augen massiv bekämpft und denaturiert. Der „Westen“ und das was noch übrig ist, ist der erklärte Feind der Grünen, die sich selber als die Führung eines neuen, eines moralisch überlegenen Westens, den sie kreieren wollen, verkaufen.

Hier: www.wiwo.de.

Welchen Gott haben wir getötet?

Ich habe eine Frage an die Nietzsche-Experten. Nietzsche beeindruckt mich immer wieder neu durch seine rigorose Aufrichtigkeit. In seiner Darstellung des Gottesmordes fasst er sprachmächtig das Verschwinden Gottes am Ende der Neuzeit zusammen (Die fröhliche Wissenschaft, KSA, Bd. 3, 1999, S. 480–482). Der Abschnitt geht unter die Haut, lässt doch erst die „Größe“ des Gottesmordes den Menschen groß werden. Hier:

„Der tolle Mensch. – Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ‚Ich suche Gott! Ich suche Gott!‘ – Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet erch vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrien und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. ‚Wohin ist Gott?‘ rief er, ‚ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!‘– Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, daß sie in Stücke sprang und erlosch. ‚Ich komme zu früh‘, sagte er dann, ‚ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehn und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!‘ – Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: ‚Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?‘“

Ernst Benz ist nun der Auffassung, dass dieser Gedanke nur im Zusammenhang mit Feuerbachs „Projektionshypothese“ zu verstehen sei. Nietzsches Satz vom Tode Gottes „setzt voraus, daß Gott selbst nur als eine mythische Setzung des menschlichen Bewusstseins verstanden wird, deren irrealen Charakter der Mensch inzwischen selbst erkannt hat“ (Nietzsches Idee zu Geschichte des Christentums und der Kirche, 1956, S. 168). Kurz: Der Gott, den wir ermordet haben, ist der Gott, den wir zuvor nach unserem eigenen Bilde geschaffen haben.

Ich habe diese These von Benz bei Wolfhart Pannenberg gefunden (Grundfragen systematischer Theologie, 1967, S. 353f). Pannenberg selbst schließt sich ihr an. Ich halte sie auch für plausibel. Meine Frage lautet: Ist diese Interpretationen heute geläufig (also com­mu­nis opi­nio)?

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