Augustinus

Weihnachtsaktion 2011: De civitate Dei

Ich möchte mich bei allen Lesern des Theoblog auch in diesem Jahr herzlich für das Interesse an den Beträgen und Disputen bedanken! Herzliche bedanke ich mich auch bei den Kommentatoren!

Etliche Leute haben 2011 wieder Bücher oder DVD’s über TheoBlog bei Amazon bestellt (mehr dazu hier) oder über den Buchladen geordert. Danke!

Ich möchte mich durch eine kleine Aufmerksamkeit erkenntlich zeigen. Jeder Blog-Leser hat die Chance, in der Weihnachtszeit ein Päckchen mit dem Buch Vom Gottesstaat (De civitate Die) zu erhalten. Über das wohl bekannteste Werk des Kirchenvaters Augustinus schreibt der Verlag:

Nach seinen berühmten „Bekenntnissen“, in denen Augustinus seine Bekehrung zum Christentum erzählte, entstand in den Jahren 413-426 die zweite philosophisch-theologische Abhandlung „Vom Gottesstaat“. Sie umfaßt 22 Bücher und ist als Verteidigungsschrift angelegt, weil man dem Christentum den Untergang des römischen Reiches anlastete. Die Zurückweisung dieses Vorwurfs und Rechtfertigung sind Gegenstand der ersten 10 Bücher. In den folgenden aber entwickelt der große abendländische Kirchenlehrer seine Theorie vom Gottesstaat, der als moralische Instanz dem von Selbstliebe und Eigennutz geprägten Weltstaat überlegen ist. Basis dieses weltgeschichtlichen Erklärungsmodells, das das Geschichtsbild und alle Geschichtstheorien bis in die Neuzeit wesentlich mitgeprägt hat, ist die Offenbarung.

Um Empfänger des Buches mit über 1000 Seiten werden zu können, sind folgende drei Punkte zu beachten:

  1. Sie müssen TheoBlog regelmäßig lesen (Vertrauenssache).
  2. Sie müssen mir über das Kontaktformular Ihre eMailadresse mitteilen (und dabei das Stichwort: »Weihnachtspäckchen« in der Mitteilung erwähnen).
  3. Am 18. Dezember werde ich von meinen Kindern unter allen übersandten Adressen einen Empfänger über ein Losverfahren auswählen lassen und die gewählte Person kontaktieren (Vertrauenssache). Nach Übersendung der Postanschrift schicke ich das Päckchen an den Gewinner.

Vielen Dank fürs Mitmachen!

Augustinus: Vom Ermutigen und ›Dämpfen‹

Aurelius Augustinus (De utilitate credendi, 24):

Es gibt … kaum jemanden, der seine Fähigkeiten richtig beurteilt. Wer sie unterschätzt, muss ermutigt, wer sie überschätzt, muss gedämpft werden, damit der erste nicht an der Hoffnungslosigkeit zerbricht, der zweite nicht tief stürzt durch seine Vermessenheit.

Die Umkehr des Augustinus

Possidius, ein Schüler des Kirchenvaters Augustin, schreibt in der Biografie über seinen Lehrer  (Vita Augustini, Paderborn: Schöningh, 2005, S. 31):

Und bald gab er alle Begierden nach irdischen Dingen, die er im Innersten seines Herzens noch hegte, auf. Er wollte nun weder Frau noch Kinder des Fleisches (vgl. Rom 9,8), keine Reichtümer und auch keine Ehren dieser Welt. Statt dessen hatte er beschlossen, mit seinen Freunden Gott zu dienen. Er wollte in und aus jener kleinen Herde sein, zu der Christus mit den Worten spricht: Fürchte dich nicht, du kleine Herde. Es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben. Verkauft, was ihr besitzt, und gebt Almosen. Macht euch Beutel, die nicht veralten und einen Schatz im Himmel, der nicht vergeht (Lk 12,32f). Und auch jenes Wort, das wiederum der Herr gesagt hatte, wollte der heilige Mann verwirklichen: Wenn du vollkommen sein willst, dann verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach (Mt 19,21). Er wollte auf dem Fundament des Glaubens ein Gebäude errichten, nicht aus Holz, Stroh oder Spreu, sondern aus Gold, Silber und Edelsteinen (vgl. 1 Kor 3,12). Das dreißigste Lebensjahr hatte Augustin überschritten, nur seine sehr an ihm hängende Mutter lebte noch. Sie freute sich über seinen Entschluss, Gott zu dienen, mehr, als wenn er ihr Enkel des Fleisches geschenkt hätte. Sein Vater war schon früher gestorben. Augustin verzichtete nun auch auf seine Schüler, die er als Rhetoriklehrer unterrichtet hatte, und legte ihnen nahe, sich einen anderen Lehrer zu suchen. Denn er selbst war fest entschlossen, Gott zu dienen.

Augustinus: Der Christ und seine Kritiker

Aurelius Augustinus (Confessiones 10.5):

Möchte Brudersinn an mir lieben, was Du [Gott] als liebenswert ihm zeigst, und an mir beklagen, was Du als beklagenswert ihm zeigst. Doch das brüderliche Herz soll es tun, nicht eins, das draußen ist, keins von den Kindern der Fremde, deren Mund unnütz redet und deren rechte Hand eine Rechte der Bosheit ist. Das brüderliche Herz aber freut sich über mich, wenn es mich loben kann, und trauert um mich, wenn es tadeln muss. Denn mag es mich nun loben oder tadeln, es hat mich lieb.

Ich glaube nur, was ich sehe

Aurelius Augustinus (De utilitate credendi, Freibug: Herder, 1992, S. 159):

Vieles ließe sich anführen, um zu zeigen: Rein gar nichts in der menschlichen Gemeinschaft bleibt unversehrt, wenn man sich entschließt, nichts zu glauben, was man nicht als sichere Gewissheit vor Augen hat.

Christlicher Hedonismus

Pascal schreibt im 280. Fragment seiner Gedanken: »Wie weit ist es von der Erkenntnis Gottes bis dahin, dass man ihn liebe.« Ich würde mit Blick auf 1Joh 4,18 hinzufügen: »Wie weit ist es von der Furcht Gottes bis dahin, dass man ihn liebe.« Augustinus unterrichtet dazu wunderschön (Vom ersten katechetischen Unterricht, 1985, S. 58):

Wer aber wegen der ewigen Glückseligkeit und der immerwährenden Ruhe, die den Heiligen für die Zeit nach diesem Leben in Aussicht gestellt ist, Christ werden will, damit er nicht mit dem Teufel ins ewige Feuer, sondern mit Christus ins ewige Reich eintritt, der ist wahrhaft ein Christ. In jeder Versuchung ist er auf der Hut, daß das Glück ihn nicht verderbe, das Unglück ihn nicht breche; im Überfluß der irdischen Güter bleibt er bescheiden und maßvoll, in der Bedrängnis tapfer und geduldig. Wenn er sich noch weiter vervollkommnet, kann er zu solcher Glaubensstärke kommen, daß seine Liebe zu Gott größer wird als die Furcht vor der Hölle; sogar wenn Gott zu ihm sagen würde: »Gib dich für immer den fleischlichen Genüssen hin und sündige, soviel du vermagst, und du wirst trotzdem nicht sterben und nicht in die Hölle geworfen, allein bei mir wirst du nicht sein«, würde er entsetzt sein darüber und auch jetzt keine einzige Sünde begehen, aber nicht so sehr aus Angst, dorthin zu stürzen, wovor er sich fürchtete, sondern um dem keinen Anstoß zu geben, den er so sehr liebt. In ihm allein ist die Ruhe, »die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, und die in keines Menschen Herz eingedrungen ist, die Gott denen bereitet hat, welche ihn lieben«.

Augustinus: Gottesstaat und Menschenstaat

Aurelius Augustinus unterscheidet in seiner – allerdings noch nicht voll entwickelten – »Staatstheorie« zwischen einem vergänglichen Staat, in dem der Mensch mit Macht regiert und einem unvergänglichen Staat, zu dem diejenigen gehören, die sich von der himmlischen Liebe leiten lassen (De civitate Dei XIV,28):

Demnach wurden die zwei Staaten durch zweierlei Liebe begründet, der irdische durch Selbstliebe, die sich bis zur Gottesverachtung steigert, der himmlische durch Gottesliebe, die sich bis zur Selbstverachtung erhebt. Jener rühmt sich seiner selbst, dieser »rühmt sich des Herrn«. Denn jener sucht Ruhm von Menschen, dieser findet seinen höchsten Ruhm in Gott, dem Zeugen des Gewissens. Jener erhebt in Selbstruhm sein Haupt, dieser spricht zu seinem Gott: »Du bist mein Ruhm und hebst mein Haupt empor.« In jenem werden Fürsten und untertworfene Völker durch Herrschsucht beherrscht, in diesem leisten Vorgesetzte und Untergebene einander in Fürsorge und Gehorsam liebevollen Dienst. Jener liebt in seinen Machthabern die eigene Stärke, dieser spricht zu seinem Gott: »Ich will dich lieben, Herr, meine Stärke.«

Calvins Gebrauch von Augustinus

S.J. Han vom Chongshin Theological Seminary in Südkorea hat untersucht, wo und wie oft Calvin in seinen Schriften auf Augustinus zurückgegriffen hat. Sein Fazit:

There is no one as influential as Augustine in Calvin’s writings, though Calvin did not use the opinions of Augustine for the sake of using them. He judged and criticised them, like those of any other Church Father and any council, according to their dependability upon the single standard of Scriptures. He showed little appreciation for Augustine in certain doctrinal positions. He could accept neither the allegorical exegesis of the Biblical texts, nor the philosophical subtlety of the speculations. He regarded Augustine as the Father of the Church who had comprehensively grasped all the doctrines of the Scriptures and who is the best qualified representative of the old Church of the first five centuries, in terms of faithfulness to the Scriptures. In this context, I confirm Calvin’s own proclamation of Augustinus totus noster est. In other words, Calvin’s Augustine is the Augustine who was interpreted and used uniquely by Calvin in the sixteenth century.

Hier die Arbeit: www.ajol.info.

Augustinus: Lehrer der Gnade (Teil 8 – Schluss)

Augustinus legt den Schwerpunkt seines Schreibens anschließend auf die Kindertaufe, um zu demonstrieren, dass Gott die Person nicht ansieht. Ich gebe hier nur noch einen Auszug zur Gnadenwahl und den Briefschluss wieder (372–373 u. 378–379):

Dass aber die Gnadenwahl ohne vorausgehende verdienstliche Werke geschieht, zeigt der Apostel an einer anderen Stelle ganz deutlich mit den Worten: »So sind also in dieser Zeit die Übriggebliebenen nach Gnadenwahl gerettet worden. Wenn aber durch Gnade, dann nicht durch Werke; sonst ist die Gnade nicht mehr Gnade« (Röm 11,5f). Im Hinblick auf diese Gnade führt er folgerichtig auch ein prophetisches Zeugnis an, indem er sagt: »Wie geschrieben steht: Den Jakob habe ich geliebt, den Esau aber gehasst«, und sagt weiter: »Was werden wir also sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei fern!« (Röm 9,13.16). Warum soll dies ferne sein? Etwa wegen der zukünftigen Werke beider, die Gott vorauswusste? Nein, auch dies sei ferne! »Denn zu Moses spricht er: ›Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmt haben werde, und Barmherzigkeit verleihen, wem ich barmherzig gewesen sein werde.‹ Deshalb ist es nicht Sache dessen, der will oder läuft, sondern des sich erbarmenden Gottes« (Röm 9,15f). Und damit an den Gefäßen, die zu dem der verdammten Masse gebührenden Verderben bereitet sind, die aus dem­selben Stoffe zur Ehre bereiteten Gefäße erkennen möchten, was die göttliche Barmherzigkeit ihnen verliehen habe, darum sagt er: »Denn es spricht die Schrift zu Pharao: Darum habe ich dich aufgestellt, um an dir meine Macht zu erweisen, damit mein Name auf der ganzen Erde verherrlicht werde« (Röm 9,17) 93 Endlich zieht er den Schluss mit Rücksicht auf beide: »Also wessen er will, erbarmt er sich, und wen er will, verhärtet er« (Röm 9,18). So tut derjenige, bei dem keine Ungerechtigkeit sich findet. Er erbarmt sich aus unverdienter Gnade, verhärtet aber nach gerechtem Urteil.

Aber es könnte noch ein stolzer Ungläubiger in seinem Hochmut oder ein verdammungswürdiger Bestrafter zu seiner Entschuldigung sprechen: »Warum klagt er also? Denn wer widersteht seinem Willen?« So mag er sprechen, aber er höre auch, was für den Menschen sich geziemt: »O Mensch, wer bist du, dass du Gott zur Rede stellest« (Röm 9,20) usw., wovon ich schon genügend und öfters, so gut ich es konnte, gehandelt habe. Er soll also dies hören und es nicht gering anschlagen. Wenn er es nun gering anschlägt, so erkenne er auch in dieser Geringschätzung seine Verhärtung; wenn er es aber nicht gering anschlägt, so glaube er, dass ihm auch dazu die Gnade gegeben worden sei, dass er dies nicht gering anschlug. Verhärtet aber ist er durch eigene Schuld, gerettet durch die Gnade.

Verzeihe mir, wenn diese Abhandlung zu umfangreich ist und dir bei deinen Geschäften zur Last fällt! Denn auch ich habe gewaltsam meine Geschäfte unterbrochen, um dir dies zu schreiben und, angeregt durch deine Briefe, die dein Wohlwollen gegen uns verraten, mit dir diese Dinge zu besprechen. Wenn ihr etwa wisset, dass diese Leute noch andere Dinge gegen den katholischen Glauben aussinnen, so teilet es uns mit; benachrichtigt uns auch, was ihr eurerseits mit treuer, echter Hirtenliebe gegen sie zur Geltung bringet, damit sie nicht in der Herde des Herrn das Schwache zugrunde richten. Durch das unruhige Treiben der Irrlehrer wird ja unser Eifer sozusagen aus trägem Schlafe auferweckt, so dass wir mit größerer Sorgfalt die Heilige Schrift durchforschen, um ihnen entgegentreten zu können, wenn sie dem Schafstalle Christi Schaden zufügen wollen. So lässt uns Gott durch die vielfältige Gnade des Erlösers zur Hilfe gereichen, was der Feind zu unserem Verderben ins Werk setzt; denn »denen, die Gott lieben, gereichen alle Dinge zum Besten« (Röm 8,28).

Augustinus: Lehrer der Gnade (Teil 7)

Augustinus behandelt weiterhin die Unentschuldbarkeit des Menschen vor Gott (S. 360–365). Er behauptet in Anlehnung an den Apostel Paulus, dass alle Menschen vor Gott schuldig sind, da Gott sein unsichtbares Wesen alle Menschen offenbart hat (vgl. Röm 1,18–20). Anschließend geht er besonders auf die Menschen ein, die den Willen Gottes kennen. Wenn schon diejenigen, die das Gesetz nicht kennen, sich eines Tages dafür verantworten müssen, dass sie Gott nicht geehrt haben, wie wird es wohl jenen Menschen ergehen, die im Gesetz unterrichtet sind aber nicht danach leben? Das Gesetz deckt unsere Sünde auf, damit wir uns an den Erlöser wenden. Er nämlich, Jesus Christus, kann uns von der Macht der Sünde befreien.



Augustinus: Die Gnade des Erlösers

Auch kann man von Erwachsenen mit Recht sagen: Sie wollten nicht Verstand annehmen, um gut zu handeln; sie haben, was ärger ist, zwar eingesehen, aber doch nicht Gehorsam geleistet, so dass an ihnen in Erfüllung geht: »Ein hartnäckiger Knecht wird durch Worte nicht gebessert; wenn er auch die Sache begreift, so wird er doch nicht gehorchen« (Spr 29.19). Warum gehorcht er nicht als aus dem Grunde, dass sein Wille sehr böse ist? Darum gebührt ihm nach göttlichem Gerichte eine schwerere Strafe; denn wem mehr gegeben ist, von dem wird auch mehr verlangt. Jene nennt die Heilige Schrift unentschuldbar, denen die Wahrheit nicht unbekannt ist und die doch in der Ungerechtigkeit verharren. »Denn es offenbart sich«, sagt der Apostel, »der Zorn Gottes vom Himmel über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit jener Menschen, die die Wahrheit Gottes in Ungerechtigkeit gefangen halten; denn was von Gott bekannt ist, ist unter ihnen kund, weil Gott es ihnen kundgetan hat. Denn von Erschaffung der Welt an ist sein unsichtbares Wesen durch die geschaffenen Werke erkennbar und sichtbar, auch seine ewige Kraft und Gottheit, so dass sie keine Entschuldigung haben« (Röm 1,21).

Wenn er also jene unentschuldbar nennt, die Gottes unsichtbares Wesen durch die geschaffenen Werke erkennen und sehen konnten, aber der Wahrheit kein Gehör schenkten, sondern ungerecht und gottlos blieben und nicht aus Unkenntnis, sondern – obwohl sie, wie es heißt, Gott erkannten – »ihn doch nicht als Gott verherrlichten oder ihm dankten« (Röm 1,18–20), wie viel unentschuldbarer sind dann diejenigen, die, in Gottes Gesetz unterrichtet, sich die Führer der Blinden zu sein getrauen und andere lehren, sich selbst aber nicht lehren, die predigen, dass man nicht stehlen dürfe, aber selbst stehlen, und was sonst der Apostel von ihnen sagt! Ihnen ruft er zu: »Deshalb bist du unentschuldbar, o Mensch, wer immer du seiest, wenn du richtest. Denn indem du einen anderen richtest, verurteilst du dich selbst. Du tust ja gerade das, worüber du richtest« (Röm 2,1).

Auch spricht der Herr selbst im Evangelium: »Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie keine Entschuldigung für ihre Sünde« (Joh 15,22). Dies ist nicht so zu verstehen, als ob sie überhaupt keine Sünde hätten, da sie voll waren von anderen und großen Sünden; sondern es will sagen, dass sie ohne seine Ankunft jene Sünde, dass sie, obwohl sie ihn gehört, doch nicht an ihn glaubten, nicht gehabt hätten. Der Herr erklärt, dass sie jene Entschuldigung nicht haben, kraft welcher sie sprechen konnten. »Wir haben nicht gehört, darum haben wir nicht geglaubt«. Der menschliche Stolz hält sich ja im Vertrauen auf die Kraft des freien Willens für entschuldigt, wenn die Sünde von der Unwissenheit und nicht vom Willen herzurühren scheint.

Diese Entschuldigung meint die Heilige Schrift, wenn sie jene unentschuldbar nennt, die, wie sie nachweist, mit Wissen sündigen. Gottes gerechtes Gericht aber verschont selbst jene nicht, die nicht gehört haben. »Denn alle, die ohne Gesetz gesündigt haben, werden ohne Gesetz zugrunde gehen« (Röm 2,12). Und obwohl sie selbst sich entschuldigen möchten, so lässt derjenige diese Entschuldigung nicht zu, der weiß, dass er den Menschen in Geradheit erschaffen und ihm das Gebot des Gehorsams gegeben hat und dass die Sünde, ebenso wie die Erbsünde, nur aus dem Missbrauche des freien Willens entstanden ist. Auch wird hierbei niemand ohne Sünde verdammt, denn es ist jene Sünde von einem auf alle übergegangen, von jenem einen, in dem alle zusammen gesündigt haben, noch ehe bei den einzelnen persönliche Sünden vorhanden waren. Und darum ist jeder Sünder unentschuldbar, entweder wegen der Erbsünde oder außerdem noch wegen persönlicher Sünden, mag er nun davon wissen oder nicht wissen, mag er urteilen oder nicht urteilen. Denn auch die Unwissenheit selbst ist bei jenen, die nicht erkennen wollten, unzweifelhaft Sünde, bei jenen aber, die nicht erkennen konnten, Strafe der Sünde. Deshalb ist in beiden Fällen keine gerechte Entschuldigung vorhanden, sondern die Verdammung ist gerecht.

Darum aber nennt die Heilige Schrift diejenigen unentschuldbar, die nicht aus Unwissenheit, sondern mit Wissen sündigen, damit sie auch nach dem Urteile ihres Stolzes, vermöge dessen sie auf die Kräfte ihres freien Willens großes Vertrauen setzen, sich als unentschuldbar erkennen. Denn in diesem Falle können sie sich nicht mit Unwissenheit entschuldigen, und doch wäre dies noch nicht die Gerechtigkeit, zu der nach ihrer Ansicht der freie Wille ausreicht. Jener aber, dem der Herr die Gnade des Wissens und des Gehorsams verliehen hat, spricht: »Durch das Gesetz erfolgt die Erkenntnis der Sünde« (Röm 3,20), und: »Die Sünde erkannte ich nicht anders als durch das Gesetz. Denn ich würde nicht von der Begierlichkeit wissen, wenn das Gesetz nicht sagte: ›Du sollst nicht begehren‹« (Röm 7,7). Auch will er den Menschen nicht als unbekannt mit dem gebietenden Gesetze, sondern als unwürdig der errettenden Gnade aufgefasst wissen, wenn er sagt: »Ich freue mich am Gesetze Gottes dem inneren Menschen nach« (Röm 7,22); aber obwohl er nicht nur das Gesetz Gottes erkannt, sondern auch an ihm sich erfreut, spricht er später: »Ich unglückseliger Mensch! Wer wird mich befreien von dem Leibe dieses Todes? Die Gnade Gottes durch Jesus Christus, unseren Herrn« (Röm 7,24–25).

Niemand also errettet von den Wunden jenes Würgers als die Gnade des Erlösers; niemand befreit die wegen der Sünde Verkauften von den Fesseln ihres Kerkermeisters als die Gnade des Erlösers.

So werden also alle, die sich wegen ihrer Sünden und Ungerechtigkeiten entschuldigen wollen, deshalb mit vollster Gerechtigkeit bestraft, weil alle, die gerettet werden, nur durch die Gnade errettet werden. Wenn aber jene Entschuldigung gerecht wäre, dann würde nicht mehr die Gnade, sondern die Gerechtigkeit befreien. Wenn aber die Gnade befreit, so findet sie in dem, den sie befreit, nichts Gerechtes, weder den Willen noch die Handlungsweise, nicht einmal die Entschuldigung. Wäre diese gerecht, so würde jeder, der sie gebraucht, nach Recht und nicht nach Gnade befreit werden. Wir wissen ja, dass durch die Gnade Christi auch einige von denen gerettet werden, die sprechen: »Warum beklagt er sich also? Denn wer widersteht seinem Willen?« (Röm 9,19). Wenn diese Entschuldigung gerecht ist, so werden sie nicht mehr durch unverdiente Gnade, sondern wegen der Gerechtigkeit dieser Entschuldigung gerettet. Wenn es aber die Gnade ist, durch die sie gerettet werden, so ist offenbar diese Entschuldigung nicht gerecht; dann ist es wahrhaft Gnade, wodurch der Mensch gerettet wird, wenn sie nicht aus Gerechtigkeitspflicht gespendet wird. An jenen also, die sprechen: »Warum klagt er noch? Wer widersteht seinem Willen?« geschieht nichts anderes, als was im Buche Salomons geschrieben steht: »Die Torheit des Mannes verdirbt ihm den Weg; gegen Gott aber murrt er in seinem Herzen« (Spr 19,3).

Obwohl also Gott die Gefäße des Zornes zum Verderben bereitet, um seinen Zorn zu offenbaren und seine Macht zu zeigen, vermöge welcher er auch die Bösen zum Guten gebraucht, und um den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit kundzutun, die er zur Ehre bildet, die aber nicht dem verdammlichen Stoffe gebührt, sondern durch die Freigebigkeit seiner Gnade verliehen wird, so wußte doch Gott an diesen Gefäßen des Zornes, die wegen der Verdammlichkeit des Stoffes zur gebührenden Schmach bereitet sind, d.h. an den Menschen, die zwar wegen der natürlichen Güter erschaffen, aber wegen der Sünde zur Strafe bestimmt sind, die von der Wahrheit mit allem Rechte verworfene Ungerechtigkeit zu verdammen, nicht aber diese selbst zu vollbringen. Denn wie die ohne Zweifel lobenswerte menschliche Natur im göttlichen Willen ihren Grund hat, so hat die unstreitig verdammenswerte Sünde im Willen des Menschen ihren Grund. Dieser Wille des Menschen hat entweder die Erbschuld auf die Nachkommen gebracht, die, als er sündigte, in ihm eingeschlossen waren, oder die übrigen Sünden sich zugezogen, da jeder für sich ein schlechtes Leben führte. Aber weder von dieser Erbschuld noch von jenen Sünden, die ein jeder in seinem eigenen Leben, ohne es zu erkennen oder ohne es erkennen zu wollen, aufhäuft oder auch trotz der Belehrung durch das Gesetz infolge fortgesetzter Übertretung zum Übermaß bringt, auch von diesen wird niemand befreit und niemand gerechtfertigt außer vermittels der Gnade Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, der uns erbarmungsvoll Liebe und Gebet und Erfolg unseres Gebetes verleiht, bis er alle unsere Schwachheiten heilt, unser Leben vom Verderben errettet und uns in Erbarmung und Gnade krönet.

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