Bibelauslegung

Der fremde Wundertäter (Mk 9,38–49)

Das Markusevangelium überliefert uns folgenden kurzen Dialog (Mk 9,38–49):

Johannes sprach zu ihm: Meister, wir sahen einen, der trieb Dämonen in deinem Namen aus, und wir verboten’s ihm, weil er uns nicht nachfolgt. Jesus aber sprach: Ihr sollt’s ihm nicht verbieten. Denn niemand, der ein Wunder tut in meinem Namen, kann so bald übel von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.

Was ist hier passiert und was dürfen wir aus diesem Gespräch zwischen Jesus und Johannes lernen? Ich will versuchen, beide Fragen kurz zu beantworten:

Johannes, Sohn des Zebedäus und einer der zwölf Jünger (vgl. Mk 1,19–20), berichtet seinem Lehrer (griech. didaskalos) von einem Mann, der im Namen Jesu Dämonen ausgetrieben hat. Da er nicht zu ihnen gehörte, haben sie ihm freilich untersagt, weiterhin im Namen ihres Meisters böse Geister auszutreiben. Jesus ist davon nicht begeistert, sondern erwidert: „Hindert ihn nicht! Denn jemand, der unter Berufung auf meinen Namen ein Wunder tut, kann nicht gleichzeitig schlecht von mir reden. Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ (NGÜ).

Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, dass zwischen dem vorangehenden Abschnitt in Mk 9,33–37 und diesem Austausch in 9,38–49 kein gedanklicher Zusammenhang besteht. Tatsächlich wurde schon vermutet, dass der Apostel wegen des Tadels, den die Zwölf gerade erhalten hatten, den Vorfall mit dem Exorzisten nur einfügte, um schnell das Thema zu wechseln. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass das Gewissen des Johannes wegen der Ermahnung („Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener.“) aufgewühlt wurde und dieser nun wissen wollte, ob er und die anderen sich gegenüber diesem fremden Wundertäter richtig verhalten hatten.

Was für ein Mann ist das überhaupt, von dem Johannes hier spricht? Es handelt sich nicht um einen „Möchtegern-Exorzisten“ wie es etwa die sieben Söhne des jüdischen Hohenpriesters mit dem Namen Skeva waren (vgl. Apg 19,13–16). Er war auch kein „gesetzloser Exorzist“ im Sinne von Mt 7,22–23. Wahrscheinlich ist, dass der Mann, von dem Johannes spricht, wirklich glaubte, dass Jesus der verheißene Messias ist. Allerdings hatte er keine Beziehung zum engeren Jüngerkreis aufgebaut, sondern lebte und wirkte unabhängig von den Zwölfen. Johannes begründet daher den Versuch, ihn auszubremsen, damit, „dass er uns nicht folgte“. Bei Lukas klingt es ein wenig anders. Dort lesen wir: „denn er folgt dir nicht nach mit uns“ (Lk 9,49). Aber sowohl bei Markus als bei Lukas scheint der Schwerpunkt darauf zu liegen, dass dieser Exorzist nicht zum Jüngerkreis gehörte.

Was Jesus meint, wenn er sagt: „Niemand, der ein Wunder tut in meinem Namen, kann so bald übel von mir reden“, ist ziemlich klar. Wenn jemand im Namen Jesu – d.h. in Übereinstimmung mit seinem Willen und in seiner Vollmacht – ein mächtiges Werk vollbringt, wird er nicht schlecht von demjenigen reden, den er als den eigentlichen Auslöser dieses Wunders anerkennt. Deshalb ergänzt Jesus: „Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ (Man beachte, dass Jesus sich hier mit den Jünger eins macht und explizit von „wir“ anstelle von „ich“ spricht.)

Was sollen wir nun aus diesem kleinen Abschnitt lernen?

Erstens warnt uns Jesus vor einem „Exklusivismus“. Wenn wir meinen, dass nur unter uns „echte Jesusjünger“ zu finden sind oder sich alle ernsthaften Christen unserer Gemeinde anschließen sollten, dann wirkt unter uns bereits dieser toxische elitäre Geist, vor dem Jesus hier warnt.

Zweitens – und dieser Punkt ist mit dem ersten verwandt – sieht es ganz so aus, als ob sich Johannes und seine Freunde sehr wichtig genommen haben. Tatsächlich könnte es hier eine Verbindung zu dem vorangehenden Abschnitt geben. Die Zwölf hielten sich für die „Größeren“ (vgl. Mk 9,34). Sie waren schließlich – so ihre Überzeugung – viel näher an Jesus dran und nur bei ihnen ist echte Vollmacht über das Böse zu finden. Jesus macht folglich mit seiner Antwort deutlich, dass Stolz und eine dienende Haltung nicht zusammenpassen. Hans Bayer schreibt in seinem Kommentar: „Beachtenswert ist ferner die Wendung er folgt(e) uns nicht nach; weist dies darauf hin, dass sie sich aufgrund der wachsenden Popularität Jesu wichtig vorkommen?“ (Hans Bayer, Das Evangelium des Markus, HTA, 2018, S. 349).

Drittens zeigt uns Jesus mit seiner Reaktion, dass jemand, der in seinem Namen spricht und handelt, nicht so schnell gegen Jesus und seine Jünger polemisieren wird. Es spricht viel dafür, eine gewisse Toleranz oder sogar Wohlwollen gegenüber jenen zu kultivieren, die anders als wir selbst doch das eine Evangelium weitertragen, sogar dann, wenn die Motive zwielichtig sein mögen (vgl. Phil 1,17–18). William Hendriksen, von dem ich hier viel „abgekupfert“ habe, schreibt (Exposition of the Gospel According to Mark, NTC, S. 360–361):

Seien wir nicht weniger weitsichtig als Paulus (Phil 1,14–18). Folgen wir der Lehre Jesu und reichen wir unter Wahrung dessen, was wir selbst für die Reinheit der Lehre halten, all jenen die Hand der Brüderlichkeit, die den Herrn Jesus Christus lieben und auf das feste Fundament seines unfehlbaren Wortes bauen. Indem wir dies tun, lasst uns beten, dass wir dazu beitragen, andere auf den Weg des Heils zu führen, zur Ehre Gottes (1Kor 9,19.22; 10,31.33).

Blindes Klammern an Kontextualisierung

David Helm beschreibt sehr schön, was passiert, wenn wir die Kontextualisierung zu weit treiben:

Ein blindes Klammern an Kontextualisierung verändert unser Predigen in mindestens drei Bereichen – und niemals zum Besseren. Erstens: Es beeinträchtigt unsere Perspektive beim Studium, sodass der Prediger sich in der Vorbereitung auf sei­ne Predigt mehr mit der Welt als mit Gottes Wort beschäftigt. So etwas bezeichne ich als impressio­nistisches Predigen. Zweitens: Blindes Klammern an Kontextualisierung verändert unseren Gebrauch der Kanzel: Das Wort Gottes soll dabei eher unsere enthusiastischen Pläne und Vorhaben unterstützen als die Pläne Gottes. Das nenne ich berauschtes Predigen. Und drittens: Es verschiebt unsere Sicht von Autorität. Die so „erfri­schende“ und „durch den Geist geführte“ supergeistliche Lesart des Predigers wird maßgeblich für die Wahrheit. Das nenne ich inspiriertes Predigen. So man­che Predigt, die wir als auslegend bezeichnen wür­den, wird dadurch in Wirklichkeit das Ziel verfehlen.

Mehr: www.evangelium21.net.

Tiefer graben

Manche sind vielleicht noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk. Ich möchte das Buch: 

sehr herzlich empfehlen. Mit dem Buch bekommt der Leser insgesamt 16 Werkzeuge an die Hand, mit deren Hilfe er sich Bibeltexte sachgemäß erschließen kann. Die Werkzeuge helfen auf sehr praktische Weise, Bibeltexte besser zu verstehen. Tanja Bittner schreibt in einer ausführlichen Buchbesprechung, die in der nächsten Ausgabe von Glauben und Denken erscheinen wird:

Tiefer graben cover  1Besonders sympathisch war mir auf Anhieb Werkzeug 15: Das „Wer bin ich?“-Werkzeug wirkt gegen das „Ich-bin-Mose-Syndrom“, nämlich unsere Tendenz, uns unmittelbar mit der Hauptfigur einer Erzählung zu identifizieren. Das kann zwar manchmal richtig sein, muss es aber nicht zwangsläufig. Immerhin füllten Mose & Co. einzigartige Rollen in Gottes Heilsgeschichte aus: Niemand von uns ist am brennenden Dornbusch damit beauftragt worden, Gottes Volk aus der Sklaverei Ägyptens zu führen. Einem derartigen Text werden wir nicht gerecht, wenn wir solche Begebenheiten kurzerhand als „Metapher für unsere Psycho-Erfahrungen“ in unsere persönliche kleine Welt herüberholen (im Stil von: Welche Brennender-Busch-Erfahrungen hast du schon erlebt? S. 146–147). Der Leser bekommt mit diesem kleinen Buch also eine gefüllte Werkzeugkiste an die Hand, um die Schätze der Bibel zu heben. Da die Autoren die Verwendung der Werkzeuge jeweils gleich an Bibeltexten demonstrieren, gibt es aber bereits beim Lesen von Tiefer graben solche Schätze zu entdecken. Quasi nebenbei begegnet der Leser einer beachtlichen Fülle an biblischen Wahrheiten und Einsichten. Beispielsweise, wenn anhand von Röm 1,14–18 gezeigt wird, wie wichtig es ist, das Bindewort „denn“ zu Anfang von Vers 18 nicht zu übersehen (S. 88–89): Weil gottlose Menschen unter Gottes Zorn stehen, brauchen sie Rettung. Menschen können die Botschaft unserer Evangelisationen nicht verstehen, wenn wir ihnen nicht mitteilen, wovor sie gerettet werden müssen (und natürlich ist es keine gute Idee, die Thematik eigenmächtig abzuwandeln in eine Erlösung aus der Einsamkeit oder von der inneren Leere). Abschließend sei noch erwähnt, dass auch die grafische Gestaltung des Covers wirklich gelungen ist: eine liebevoll gezeichnete Schatzkarte mit Wimmelbild-Flair. Selbst hier lohnt es sich, genauer hinzusehen – und noch viel mehr natürlich beim Bibelstudium. Tiefer graben sei also jedem Bibelleser als überaus nützliche Werkzeugkiste ans Herz gelegt – ein wertvolles Buch mit starkem Inhalt, das sich auch gut verschenken lässt!

Bullinger: Die bessere Auslegung

Heinrich Bullinger über die Auslegung der Schrift (Schriften, Bd. V, 2006, S. 186):

Der Unterricht der Fortgeschrittenen besteht vorwiegend in Auslegung der Heiligen Schrift. Aus den Schriften der alten Bischöfe geht hervor, dass es in jener alten, glückseligen und gottgefälligen Kirche Brauch war, den Gemeinden nicht nur zelne Teile oder ausgewählte Stellen der biblischen Bücher, dem ganze Bücher des Neuen und des Alten Testaments zulegen.Und daraus ist für die Kirchen kein geringer Nuterwachsen. So machen wir auch heute noch die Erfahrung, dass die Gemeinden nicht besser unterrichtet und nicht stärker bewegt werden können als durch die Worte Gottes selbst und durch eine zuverlässige Auslegung der Bücher des Evangeliums, des Gesetzes, der Propheten und der Apostel.

An dieser Stelle will ich nebenbei daran erinnern, dass eine Auslegung der Heiligen Schrift nicht dem Verlangen entspringt, sich irgendetwas zudenken und die Schriften hin und her zu biegen, sondern dass sie ein erfurchtsvolles Vergleichen der Heiligen Schriften und eine besondere Gabe des Heiligen Geistes ist. Denn der heilige Petrus hat gesagt (2Petr 1,20): „Keine Weissagung der trift kommt durch der Propheten eigene Deutung zustande.“ Deshalb hat niemand die Vollmacht, die Heiligen Schriften nach seinem eigenen Gutdünken auszulegen. Die bessere Auslegung ist auch nicht von einer Mehrheit abhängig, als ob eine bessere Auslegung die sei, der eine Mehrheit zustimmt. Dann würden nämlich der arianische und der türkische Glaube das Christentum bei weitem übertreffen. Die bessere Auslegung ist jeweils die, die nicht mit dem Glauben und der Liebe streitet und die nichts verbiegt, um den Ruhm und die Habgier der Menschen zu verteidigen und zu verbreiten.

Voreingenommen vom „Ich“

Bei der Lektüre biblischer Texte setzten wir Aussagen laufend in ein Verhältnis zu uns selbst. Wir fragen etwa oft zu schnell: „Was bedeutet das für mich?“. Randolph Richards und Brandon O’Brien zeigen in ihrem Buch Misreading Scripture with Western Eyes, dass neuzeitliche Denkvoraussetzungen uns häufig den Blick für den eigentlichen Textsinn eintrüben.

Ein Beispiel  (S. 197–198):

Wir glauben, dass die Bibel unsere Vereinnahmung mit uns selbst befürwortet. Wir schließen aus der Schrift, dass Gott uns einzigartig gemacht hat, für jeden von uns einen besonderen Plan hat und daher uns in den Seiten der Schrift etwas zu sagen hat. Gott sagte zu Jeremia: „Bevor ich dich im Mutterleib geformt habe, kannte ich dich, bevor du geboren wurdest, habe ich dich ausgesondert“ (Jer 1,5). Ebenso sprachen Jesaja und Paulus davon, beim Namen gerufen (Jes 49,1) oder im Mutterleib abgesondert (Gal 1,15) worden zu sein. Als „Westler“ finde ich mich selbst als jemand wieder, der denkt: Wenn Gott sie im Mutterleib auswählte, dann musste er mich auch so auserwählt haben. Ich kann sogar Psalm 139,13 als Beweistext heranziehen. Aber die Begründung ist zirkulär; wir gehen davon aus, dass es so zu verstehen ist, weil unsere Kultur uns sagt, dass wir etwas Besonderes sind. Der Punkt, den die Bibel macht, scheint ganz das Gegenteil zu sein: Jeremia, Jesaja und Paulus waren anscheinend eine Ausnahme. Im Gegensatz zu allen anderen wurden sie für ein besonderes Wort und eine besondere Aufgabe vom Herrn auserkoren. Aber in der Art, wie wir es lesen, ist Jeremia in der Weise „besonders“, wie jeder andere es auch ist.

Das Buch Misreading Scripture with Western Eyes gibt es im April 2017 für Anwender der Logos-Software gratis. Hier die Quelle: www.logos.com.

Die Logik der Bibelauslegung

Auch wenn die Schrift eine bestimmte Wahrheit vielleicht nicht explizit angibt, können wir wahre Aussagen machen, hinter denen die Autorität der Schrift steht – vorausgesetzt, sie werden von den Aussagen der Schrift richtig, also gemäß den Prinzipien logischen Denkens, abgeleitet. Andreas. J. Köstenberger nennt in einem hilfreichen Artikel ein fast schon klassisches Beispiel:

Ich würde gerne jedes Mal fünf Cent einstreichen, wenn ich das Argument höre, dass wir davon ausgehen können, dass Jesus Homosexualität geduldet hat, weil er dieses Thema nie explizit angesprochen hat. Dabei übersieht man freilich, dass Jesus Folgendes unmissverständlich klargestellt hat: „Habt ihr nicht gelesen, dass der, welcher sie schuf, sie von Anfang an als Mann und Frau schuf und sprach: ‚Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und es werden die zwei ein Fleisch sein‘?“ (Matthäus 19,4–5). Es ist schwierig, aus dieser starken Bekräftigung der zweigeschlechtlichen Ehe zu schließen, dass Jesus die gleichgeschlechtliche Ehe geduldet hat.

Mehr hier: www.evangelium21.net.

Die Heilige Schrift als Buch der Kirche?!

Der Bischof der Landeskirche Sachsen, Dr. Carsten Rentzing, hat in einem Vortrag zur Auslegung der Bibel an der Theologischen Fakultät Leipzig die radikale Subjektivierung der Bibelauslegung problematisiert und für eine kirchengemeinschaftliche Auslegung der Schrift geworben.

Ich stelle nachfolgend mal einige erstaunliche Zitate aus dem Vortrag zusammen:

Von da ab steht die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments in der Kirche in höchster Autorität. Die Entstehung des neutestamentlichen Kanons ist dabei kein Akt der Willkür. Keine kirchliche Einzelautorität hat aus der Unzahl von Schriften ausgewählt. In einem langjährigen Prozess haben sich vielmehr die Schriften herausgehoben, die von einer Unmittelbarkeit, einer „Erstlichkeit“ des Zeugnisses gekennzeichnet waren, die die ganze Wucht der Christusoffenbarung zum Ausdruck brachte.

Insoweit die historischkritische Methode den Blick auf die historische Einbettung und Bedingtheit von Texten gelegt hat, hat sie zu einem vertieften Verständnis der Worte der Heiligen Schrift beigetragen. Darin liegt ihre bleibende Bedeutung. Da allerdings, wo sie in epigonaler Verflachung zum Instrument dafür wird, die Geltung der Bibel nicht mehr so genau nehmen zu müssen, ist durchaus Kritik der historisch-kritischen Methode angebracht. Es sind vor allem die einst von Ernst Troeltsch in seinem berühmten Aufsatz von 1898 „Über historische und dogmatische Methode in der Theologie“ reklamierten Grundprinzipien, die einer Ideenkritik bedürfen. Zu diesen Prinzipien gehört die Kritik. Danach gibt es mit Blick auf die Geschichtsforschung nur Wahrscheinlichkeitsurteile und keine Gewissheiten. Dies gilt dann auch für Leben, Wirken und Lehre von Jesus. Als zweites Prinzip nennt Troeltsch die Analogie. Allem historischen Geschehen liegt demnach ein Kern von Gleichartigkeit zugrunde. So gibt es keine analogielosen Ereignisse. Was heute unmöglich ist, war und ist auch zu jedem anderen Zeitpunkt unmöglich, z. B. so etwas wie Totenauferstehung. Schließlich das Prinzip der Korrelation. Alles Geschehen im Kosmos läuft in einer Kette von Ursache und Wirkung ab. Damit gibt es keine direkte Einwirkung Gottes auf innerweltliche Vorgänge und Zusammenhänge.

Wahrscheinlich haben wir als Verkündiger in der evangelischen Tradition zu lange versäumt, die kirchlichen Bekenntnisse in unserer Kirche zu pflegen. Das aber wäre ein Versäumnis, das zu Lasten dessen geht, was man kirchliche Gemeinschaft nennt. Auf diese Art und Weise hätte man in der evangelischen Kirche zwar das Papsttum eines Einzelnen abgeschafft aber zugleich das Papsttum von Millionen einzelner Subjekte eingeführt. Und ich scheue mich nicht, das unlutherisch zu nennen!

Auch für Verkündigung und Auslegung hat dies wieder unmittelbare Auswirkungen. Wir haben in der Verkündigung deutlich zu unterscheiden, ob wir vom Gesetz oder vom Evangelium reden. Wir dürfen vom Gesetz nicht so reden als sei es das Evangelium und umgekehrt. In der Verkündigung gibt es keine Möglichkeit beim Gesetz stehen zu bleiben. Es gibt auch keine Möglichkeit ein „reines“ Evangelium ohne Gesetz zu predigen. Denn erst durch das Gesetz erhält das Evangelium seinen wahren Glanz. Ohne Gesetz bleibt es eine „Allerweltsbotschaft“.

Ad fontes (zurück zu den Quellen), communio sanctorum (Gemeinschaft der Heiligen) und magnus consensus (kirchlicher Konsens über Raum und Zeit hinweg) sind Eckpfeiler einer Suchbewegung, die auf Erkenntnis der Wahrheit und Erhalt der kirchlichen Einheit hin ausgerichtet ist. Und eine solche Suchbewegung ist der Kirche zu allen Zeiten nur zu wünschen!

Der Vortrag wurde in der soeben erschienenen Ausgabe Nr. 151 der Online-Publikation VELKD-Informationen herausgegeben und kann hier heruntergeladen werden: www.velkd.de.

Was ist der Gräuel der Verwüstung?

Wir lesen in  Mt 24,15-16 folgende Worte Jesu:

„Und dieses Evangelium vom Reich wird auf dem ganzen Erdkreis verkündigt werden als ein Zeichen für alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Wenn ihr nun den Greuel der Verwüstung, von dem der Prophet Daniel gesprochen hat, an heiliger Stätte stehen seht — wer es liest, merke auf! —, dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen. Wer auf dem Dach ist, steige nicht hinab, um seine Habe aus dem Haus zu holen; und wer auf dem Feld ist, kehre nicht zurück, um seinen Mantel zu holen. Wehe aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Betet, dass eure Flucht nicht im Winter geschehe oder an einem Sabbat. Denn es wird dann eine Bedrängnis geben, wie es noch keine gegeben hat vom Anfang der Welt bis jetzt und wie auch keine mehr sein wird. Und würden jene Tage nicht verkürzt, es würde kein Mensch gerettet werden; um der Erwählten willen aber werden jene Tage verkürzt werden.“

Kein einfacher Text. Was ist hier mit Greuel der Verwüstung gemeint? Der Exeget Dan Doriani, Dozent am Covenant Seminary (USA), hat die Stelle untersucht. Seine Antwort gibt es auf der Internetseite von Evangelium21: www.evangelium21.net.

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