Gottesfrage

Richard Schaefflers Erkenntnislehre

NewImageKant hat die Frage nach den Bedingungen gestellt, die es möglich machen, dass uns überhaupt etwas als Gegenstand gegenübertritt. Seine Antwort auf die so verstandene „transzendentale Frage“ lautete, dass die Formen unseres Anschauens und Denkens den Gegenständen ihre Gesetze vorschreiben. Der katholische Philosoph Richard Schaeffler versucht, die Einseitigkeit der kantischen Rede von einer „Gesetzgebung“ des Subjekts über die Gegenstandswelt zu überwinden und das Verhältnis zwischen dem Subjekt und seinen Gegenständen als ein dialogisches Verhältnis zu beschreiben. Der Alber Verlag schreibt über sein jüngstes Buch Erkennen als antwortendes Gestalten: Oder: Wie baut sich vor unseren Augen die Welt der Gegenstände auf?:

[Schaeffler] zeichnet den antwortenden Charakter unseres Erkennens Schritt für Schritt auf allen Stufen des Erkennens nach: in den Akten der Wahrnehmung, ohne die alle Formen der Begriffsbildung inhaltslos bleiben, in den Akten des Begreifens, durch die wir unsere subjektiven Eindrücke erst in objektiv gültige Erkenntnisse verwandeln, und schließlich in der Beschreibung des Vorgangs, in welchem sich der Gegenstand all unseren Gestaltungsversuchen immer wieder „entgegenwirft“ und so erst zum „Objectum“ und zum Maßstab unserer Selbstbeurteilung werden kann. Diese dialogische Betrachtungsweise macht die Widersprüche deutlich, in die die Vernunft sich verwickelt, wenn sie sich einseitig als „Gesetzgeberin“ versteht. Aus diesen Widersprüchen kann sie sich befreien, indem sie die Impulse zum antwortenden Gestalten wie auch die Ergebnisse ihres Gestaltens als Entsprechungen einer göttlichen Gesetzgebung versteht.

Christoph Böhr hat in seiner Rezension „Ein Theologischer Realist“ über das erkenntnistheoretische Spätwerk Richard Schaefflers geschrieben (FAZ, 19.08.2015, S. N3):

Am Ende der Postmoderne steht Ratlosigkeit. Welchen Weg soll die Philosophie einschlagen? Richard Schaeffler (geboren 1926, bis zu seiner Emeritierung in Bochum  lehrend) versucht eine Antwort, indem er jener Frage nachgeht, die das neuzeitliche Denken in Bewegung hielt: Was ist gemeint, wenn wir sagen, eine Sache „erkannt“ zu haben? Konstruktivismus wie Dekonstruktivismus sehen die Antwort entschwinden. Während sich große Teile der Philosophie auf diese oder jene Seite schlagen, zugleich aber auch ein neuer Realismus Fahrt aufnimmt, öffnet Schaeffler den Blick für eine neue Sicht der Dinge: Unser Denken, so seine vermittelnde Behauptung, antwortet auf eine Wirklichkeit, die ihm im Eigenstand der Dinge gegenübersteht; in der Empfängnis des Seins der Wirklichkeit allerdings gestaltet unser Denken deren Erkenntnis. Dinge gerinnen zum Bild, indem wir im Erkennen dessen, was wir wahrnehmen, auf deren Widerständigkeit antworten.

VD: JS

Debattieren wir den christlichen Theismus

Nachfolgend eine Rezension von Angus Menuge zum Buch:.

  • J. P. Moreland, Chad Meister u. Khaldoun A. Sweis (Hrsg.): Debating Christian Theism, New York: Oxford University Press, 2013, 576 S. ca. 35,- Euro.

NewImageWas wäre der aufschlussreichste Test, um herauszufinden, ob das historische Christentum auf dem Marktplatz der Ideen immer noch eine ernstzunehmende Alternative darstellt? Wie wäre es mit einer sorgfältig geplanten Reihe von Diskussionen über alle zentralen Lehren des Christentums (was C. S. Lewis „Bloßes Christentum“ genannt hat), wobei die besten Vertreter aller Richtungen mitdiskutieren – sowohl theologisch Konservative und Liberale, die wichtigsten christlichen Apologeten als auch die stärksten skeptischen Gegner? [Anm. der Red.: Mere Christianity ist der Buchtitel eines von C. S. Lewis veröffentlichten Bestsellers, der auf Radioansprachen zwischen 1942 und 1944 zurückgeht und Kernaspekte des Christentums (wie sie von traditionellen christlichen Denominationen geteilt werden) gegen Kritiker verteidigt. In deutscher Sprache ist der Klassiker zunächst erschienen unter dem Titel Christentum schlechthin, heute ist es unter dem Titel Pardon, ich bin Christ. Meine Argumente für den Glauben erhältlich.] Das wäre der Idealfall, allerdings erscheint das Ziel hochgegriffen: persönliche Vorbehalte oder politisch-ideologische Vorgaben könnten es schwierig machen, beide Seiten zur Teilnahme zu motivieren. Und es steht viel auf dem Spiel, denn die Ideen, die in bestimmten akademischen Kreisen als offensichtlich wahr erscheinen, könnten in einem anderen akademischen Umfeld schlichtweg als widerlegt gelten. Weder die Verteidiger noch die Kritiker des Kernbestands des Christentums können diese Debatte völlig sorglos angehen. Beide benötigen eine ordentliche Portion Mut.

Das Buch Debating Christian Theism ist ein wegweisendes Werk, da es bisher diesem Ideal mehr als jedes andere nahekommt. Es ist ein grundlegender und wesentlicher Beitrag zu einem authentischen Dialog ohne Sprechverbote, vergleichbar etwa mit dem Werk Debating Design: From Darwin to DNA (New York: Cambridge University Press, 2004) von William Dembski und Michael Ruse.

Es besteht aus zwanzig Dialogen (daher vierzig kurze Kapitel), die die klassische natürliche Theologie (die Argumente für Gottes Existenz), die Kohärenz des Theismus, das Problem des Bösen, den evolutionären Ansatz zur Erklärung der Entstehung religiösen Glaubens, die menschliche Natur, die Wunder, Wissenschaft und Glauben, die Dreieinigkeit, die Versöhnung, die Inkarnation, die Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift, den historischen Jesus, die Auferstehung, die Inklusivismus-/Exklusivismus-Debatte bezüglich des Heils, sowie Himmel und Hölle, abdecken.

Zunächst einige allgemeine Anmerkungen zu dem Buch. Es fällt auf, dass sich die Verteidiger des historischen Christentums mit dem Denken ihrer Kritiker meist gründlicher auseinandergesetzt haben, als die Kritiker des Christentums mit den Werken der Christen. Außerdem greifen die Verteidiger des Christentums in ihren Argumenten seltener auf ad hoc-Manöver zurück. Auch wenn das Buch recht lang ist (über 500 Seiten), ist es ein Gewinn, dass jeder Austausch kurz und bündig gehalten ist und sich auf die wirklich essentiellen Fragen des jeweiligen Gebiets konzentriert. Das erlaubt dem Laien oder jemandem, der sich eher auf andere Bereiche spezialisiert hat, den schnellen Zugang zu einer großen Zahl bedeutsamer Debatten.

Andererseits – und das erscheint mir bei der Komplexität des Projekts unvermeidlich – sind nicht alle Diskussionen gleichermaßen ergiebig. In einigen Fällen hat man den Eindruck, dass ein Wissenschaftler nicht den besten Sparringspartner erhalten hat. Und bei nur zwei Teilnehmern je Thema könnten einige Leser sich manchmal darüber ärgern, dass keiner der beiden das repräsentiert, was sie selbst glauben. Aber die offensichtlichen Alternativen wären entweder zu oberflächlich (alle Sichtweisen werden dargestellt, aber dann viel kürzer und nur skizzenhaft), oder untragbar lang (alle Sichtweisen werden sehr gründlich dargestellt). Es erscheint weise, dass die Autoren offenbar lieber so viele Themen wie möglich untersuchen wollten, als so viele Meinungen wie möglich darzustellen. Schauen wir uns also einige der Diskussionen näher an. (Aus Platzgründen können unmöglich alle behandelt werden.)

William Lane Craig verteidigt das Kalām-kosmologische Argument für die Existenz Gottes, indem er philosophische und wissenschaftliche Gründe für folgende Behauptungen anführt: das Universum fing an zu existieren; dieser Anfang war von etwas anderem verursacht; diese Ursache ist personaler Natur. In seiner Kritik behauptet Wes Morriston, dass die Kosmologie nicht hinreichend fortgeschritten ist, um zuversichtlich Schlüsse über den Anfang der Zeit ziehen zu können, (bzw. „um in der Zeit rückwärts bis zum ‚Zeitpunkt null‘ zu extrapolieren“), und selbst das gäbe uns „keinen Grund zu schließen, dass auf der anderen Seite des Anfangs nichts war“ (S. 21).

Nun spricht aber die Tatsache, dass wir den „Zeitpunkt null“ nicht genau kennen, in keiner Weise gegen die überwältigenden Indizien, dass es so eine Zeit gab, und natürlich denken Theisten, dass Gott, und nicht etwa das Nichts, auf der anderen Seite des „Zeitpunkts null“ war. Morriston stimmt dem philosophischen Argument von Craig zu, dass wir – wenn die Vergangenheit ewig wäre – nicht verstehen könnten, warum jemand, der seit Ewigkeiten zählt (von einem negativen Unendlichen bis null), gerade heute bei der Null ankommt und nicht gestern; aber er behauptet, es könnte dennoch so gewesen sein. Aber das Problem ist doch gewiss dieses, dass für alle endlichen k gilt, dass sowohl ein Unendlich minus k als auch ein Unendlich plus k in gleicher Weise unendlich sind. Daher gilt: wenn diese Person aufhört zu zählen, könnten wir erwarten, dass er immer und immer wieder „aufhört“ zu zählen, in der Vergangenheit und in der Zukunft. Das ist aber inkohärent. „Bei null aufhören zu zählen“ sollte eigentlich nur einmal geschehen, und zu behaupten, dass jemand immer wieder aufhört zu zählen, ist dasselbe, wie zu sagen, dass er überhaupt nicht zu zählen aufhört. Das mag in Filmen wie Inception oder Ground Hog Day (dt. Und täglich grüßt das Murmeltier) Sinn machen, aber im Alltag wäre dies sicher absurd, und das war es ja, worauf Craig hinauswollte.

Morriston bezweifelt auch, dass man das plötzliche Erscheinen eines wütenden Tigers im Raum (welcher eine Ursache benötigt) analog zum ersten In-die-Existenz-Kommen des Universums sehen kann. [Anm. der Red.: W. L. Craig sagt, ein Entstehen des Universums aus dem Nichts (ohne jede Ursache) ist sehr unwahrscheinlich und kontraintuitiv. Denn sonst müssten wir in unserer Alltagserfahrung häufiger die Erfahrung machen, dass plötzlich Dinge aus dem Nichts entstehen, so z. B. der erwähnte „wütende Tiger“.] Denn in unserer Erfahrung werde „nie etwas innerhalb der Zeit von etwas anderem verursacht, das nicht selbst innerhalb der Zeit liegt“ (S. 30). Allerdings ist das grundlegende Konzept von Verursachung ja die Hervorbringung, die nicht zwingend eine zeitliche Abfolge darstellen muss, und der Vertreter des Kalām-Arguments kann gewiss auf das Leibniz’sche Prinzip des zureichenden Grundes verweisen, um zu argumentieren, dass das Universum – anders als Gott – keinen hinreichenden Grund für seine Existenz in sich selbst hat. Nichts Physisches kann da als Ersatz für Gott herhalten, denn physischer Natur zu sein, heißt, zeitlich und räumlich gebunden zu sein, und es ist nicht notwendig, dass Raum und Zeit überhaupt existieren (eine Welt von zeitlosen abstrakten Objekten ist sicherlich eine mögliche Welt). Der Verteidiger des Kalām-Arguments könnte z. B. E. J. Lowes ontologisches Argument anführen (siehe unten), weil es einfach auf der Vorstellung einer metaphysischen Abhängigkeit kontingenter Wesen von einem notwendigen konkreten Wesen basiert, und diese Abhängigkeit hat nichts mit der Zeit zu tun.

Ein Beispiel, wo die Gesprächspartner nicht wirklich miteinander diskutieren, ist der Austausch zwischen Robin Collins und dem kürzlich verstorbenen Victor Stenger. Collins trägt Argumente für die Feinabstimmung der Naturgesetze, der Anfangsbedingungen des Universums sowie der fundamentalen Naturkonstanten, welche notwendig sind, damit körperliche Wesen mit Bewusstsein (kWB) entstehen können, vor. Stenger versucht, diesem Projekt einen Dämpfer zu versetzen, indem er versichert, dass die Werte der physikalischen Parameter und Konstanten willkürlich sind, denn die „Maßeinheiten wurden nach Belieben gewählt und haben keine Bedeutung an sich“ (S. 50). Er sagt zudem wiederholt, dass es keine Feinabstimmung gibt, denn die verschiedenen Korrelationen sind „fixiert durch die etablierte Physik und Kosmologie“ (S. 50–52) und fallen „in die Bandbreite, die man von … Metagesetzen erwarten kann“ (S. 49). Aber die Willkür bei der Wahl der Maßeinheiten berechtigt ja nicht zum Schluss, dass auch die empirisch entdeckten Beziehungen zwischen den Parametern willkürlich sind, und die Berufung auf „Metagesetze“ und „etablierte Physik und Kosmologie“ verschiebt nur die Frage: Warum sind sie derart, dass sie kWB ermöglichen, angesichts der großen Anzahl von Alternativen, bei denen kWB nicht entstehen oder überleben könnten?

Ein Beispiel für eine ad hoc-Verteidigung des Naturalismus liefert der Austausch zwischen dem kürzlich verstorbenen E. J. Lowe und Graham Oppy. Lowe schlägt eine durchdachte (ausgeklügelte) Version des ontologischen Argumentes vor, welches auf der Idee der metaphysischen Abhängigkeit gründet, und Oppy (der eigentlich eine frühere Version des Argumentes kritisiert) behauptet, dass ein solches Argument nicht zeigen kann, dass der Naturalismus logisch inkonsistent ist (S. 73) und dass der Naturalist einfach behaupten kann, dass es ein „absolut unabhängiges natürliches Wesen gibt“ (S. 76). Aber der Naturalismus wird ja gewiss noch nicht dadurch plausibel, dass er logisch möglich ist, und wenn Oppy versucht darzulegen, wie dieses unabhängige natürliche Wesen beschaffen sein könnte, klingt die im Resultat vertretene Sichtweise verdächtig wenig nach Naturalismus. Oppy versichert, dass es ewige und einfache und dennoch natürliche Einheiten geben könnte, und „wenn die natürliche Realität einen Ursprung hat, könnte dieser Ursprung – also der Anfangszustand der Realität – einfach notwendigerweise existieren, keine Teile haben, und für seine Identität nicht auf etwas anderem basieren“ (S. 79). Nun, was macht diese „einfachen Einheiten“ natürlich? Entweder, „natürlich“ heißt raumzeitlich gebunden, oder nicht. Wenn ja, dann gibt es keinen Grund anzunehmen, dass sie existieren müssen, denn Raum und Zeit müssen nicht existieren. Also ist die Vorstellung von notwendigen raumzeitlichen Objekten inkohärent. Aber wenn „natürlich“ nicht raumzeitlich gebunden heißt, dann riskiert Oppy, dass seine Ablehnung des Theismus rein verbal bedingt ist (bzw. auf Etikettenschwindel basiert), denn dann nennt er ein Wesen „natürlich“, welches göttliche Eigenschaften wie Zeitlosigkeit und Selbstgenügsamkeit hat.

Die Diskussion zwischen Paul Copan und Louise Antony illustriert die Tatsache trefflich, dass die besten christlichen Philosophen ihre Kritiker besser kennen, als andersherum. Copan vertritt sehr schlüssig, dass der Naturalismus keinen Sinnzusammenhang dafür bietet, objektive moralische Werte und Pflichten wahrscheinlich zu machen. Er weist die Unwahrscheinlichkeit des atheistischen moralischen Platonismus nach und zeigt überzeugend, dass das Euthyphron-Dilemma für die theistische Ethik kein wirkliches Dilemma darstellt. [Anm. der Red.: Es geht um die Frage, ob etwas deswegen ethisch richtig ist, weil es dem Willen Gottes entspricht, oder ob es an und für sich ethisch richtig ist und deshalb von Gott gewollt wird. Christliche Philosophen entgegnen meist: Gott ist gut. Er entscheidet gemäß seinem Charakter und ist sich selbst Maßstab.] Im Kontrast dazu kann Antonys Aufsatz nur darüber spekulieren, wie natürliche Selektion auf Wahrheit ausgerichtete moralische Reaktionen erzeugen könnte (eine von Richard Joyce und Sharon Street rundweg widerlegte Sicht). Auch verkündet Antony das Euthyphron-Dilemma enttäuschenderweise ganz so, als hätten Jahrzehnte akademischer Arbeiten im Bereich Metaethik, die das Euthyphron-Dilemma längst widerlegt haben, nicht stattgefunden. Und wenn Antony behauptet, dass moralische Rechenschaft in Beziehungen zwischen gewöhnlichen menschlichen Personen gründen kann, übergeht sie damit eine notwendige Antwort auf diejenigen, die ausführlich argumentiert haben, dass es im Naturalismus keine Personen gibt, und dass menschliche Wesen – was auch immer sie sein mögen – im Naturalismus jedenfalls keinen besonderen Wert haben (siehe J. P. Morelands Werk The Recalcitrant Imago Dei (London: SCM Press, 2009) [dt. sinngemäß etwa: Das widerspenstige Ebenbild Gottes, das nicht verschwinden will].

Interessanterweise taucht genau dieses Problem erneut in dem Austausch zwischen Moreland und Oppy über das Argument vom Bewusstsein auf. Moreland vertritt die Auffassung, dass der Theismus die bessere Erklärung für die Existenz von Bewusstsein ist als der Naturalismus. Denn das Bewusstsein steht im Konflikt mit dem Uniformitätsprinzip der Natur, das Bewusstsein ist kontingent, und aus Sicht des Naturalismus höchstwahrscheinlich nur ein Epiphänomen. Selbst, wenn das Bewusstsein auf vorhersagbare Weise auftritt – so Moreland –, würde dies für den Theismus sprechen. Oppys Antwort auf Moreland schließt auch eine Beschwerde dagegen ein, wie Moreland Begriffe verwendet: „Es ist ein Kategorienfehler zu sagen – wie Moreland es tut – dass eine Theorie gegenüber einer anderen eine Antwort unterstellt, die erst noch zu beweisen wäre“ (Fußnote 17, S. 143). Hier macht er es sich angesichts dessen leicht, dass Morelands Gedanke offensichtlich ist: Naturalisten können nicht behaupten, dass die bloße Konsistenz des Naturalismus mit bestimmten Daten als Bestätigung des Naturalismus gilt, wenn der Theismus eine bessere Erklärung dieser Daten liefert, und sie können nicht einfach versichern, dass Phänomene wie „Qualia und libertäre Freiheit … nun mal philosophisch problematisch sind“ (S. 141), wenn sie nur ein Problem für Naturalisten darstellen, hingegen eine enorme prima facie-Plausibilität im Falle des Theismus haben bzw. mit dem Theismus sehr gut vereinbar sind. In seiner Antwort auf Moreland scheint Oppy öfters davon auszugehen, dass eine als vorgefasste Meinung vertretene naturalistische Ontologie mehr Geltung besitzt als offensichtliche Fakten.

Auf der anderen Seite sind einige der Debatten sehr aufschlussreich. Richard Gale mahnt – zurecht, wie ich finde – dass uns der „skeptische Theismus“ als Antwort auf das Problem des Bösen nur bedingt weiterhilft. (Der „skeptischen Theismus“ vertritt, dass unsere Erkenntnisfähigkeit zu begrenzt ist, um wissen zu können, ob Gott nicht doch gute Gründe hat, das Böse zuzulassen.) Denn letztendlich riskiert man mit dieser Strategie eine Nähe zum Ockhamismus, gemäß dem wir nicht wissen, was wir meinen, wenn wir sagen: „Gott ist gut“. Daher „könnte der skeptische Theismus die theistische Hypothese jeglicher Bedeutung berauben“ (S. 206). Dies zeigt, so Meister, dass der Theist eine Erklärung dafür benötigt, warum Gott oft nicht in den Lauf der Welt eingreift. Diese Erklärung müsste eine Art Grenze zwischen Dingen, die Gott tun oder nicht tun würde, deutlich machen. Wie Meister vorschlägt, ist vieles von dem Bösen, welches Gott zulässt, durch die Art gerechtfertigt, wie sich Seelen entwickeln, denn dies beinhaltet, „schwierige moralische Entscheidungen zu treffen“ (S. 214). Zwar ist mir diese Sichtweise sympathisch, jedoch werden manche Leser Meisters Behauptung in Frage stellen, dass auch das natürliche Übel angesichts eines evolutionären Prozesses, welcher „fühlende moralische Wesen wie uns“ (S. 214) hervorgebracht hat, unvermeidbar wird. Es ist nämlich überhaupt nicht klar, dass Gott auf solche Prozesse angewiesen war, und dies scheint Gott mitschuldig zu machen bei der Erzeugung des Bösen. Andererseits hat Meister sicherlich recht, wenn er sagt, dass der Naturalismus ein viel größeres Problem des Bösen hat, da er keine glaubwürdige Erklärung dafür bietet, was das Böse ist oder was es bedeutet.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich manche Leser bei einigen Diskussionen nicht vertreten fühlen, da sie sich keiner der beiden Sichtweisen anschließen können. In der Diskussion über Evolution und Glauben an Gott schreibt Joseph Bulbulia, dass „evolutionäre Psychologie zeigt, wie religiöse Glaubensüberzeugungen möglicherweise entstanden sind, ohne dass irgendwelche Götter existieren, die diese verursacht haben“ (S. 225). Michael Murray und Jeffrey Schloss antworten, dass im Theismus auch dann, wenn man darwinistische Evolution unterstellt, „Gott ein Teil der kausalen Verursachungskette ist, die dazu geführt hat, dass wir übernatürliche, den Glauben erzeugende, Mechanismen besitzen“ (S. 215). Somit könnte Gott sowohl indirekt als auch direkt als Ursache des theistischen Glaubens gewirkt haben. Dann stochern wir allerdings im Nebel, denn die darwinistischen Prozesse würden anscheinend genau gleich ablaufen, egal ob Gott existiert oder nicht; selbst wenn sie zu wahren theistischen Glaubensüberzeugungen führten, wären diese ein glücklicher Zufall, aber die so erzeugten Überzeugungen wären kein Wissen. Der einzige Weg, nachzubessern, so dass die glaubenserzeugenden Prozesse zuverlässig sind, bestünde darin, an gewisse „äußere Zwänge“ zu appellieren, die dann teleologischer Natur sind, wodurch der Ansatz aber nicht mehr rein darwinistisch wäre. Wenn unser Geist nicht planvoll so geschaffen worden ist, dass theistische Glaubensüberzeugungen entstehen (eine Sicht, die mit darwinistischer Orthodoxie nicht vereinbar ist), ist schwer einzusehen, wie diese Überzeugungen zuverlässig sein können.

Auf den ersten Blick besteht eine Pattsituation zwischen Stewart Goetz, der eine immaterielle Seele verteidigt, und Kevin Corcoran, einem „christlichen Physikalisten“ [Anm. der Red.: Der christliche Physikalismus wird von einigen christlichen Philosophen (z. B. Peter van Inwagen) vertreten, die einen Dualismus von Leib und Seele ablehnen und meinen, dass der Mensch nur materielle Bestandteile hat; die Auferstehung von den Toten ist dann einfach die Auferstehung des Leibes mitsamt der Psyche, die als materiell gesehen wird.]. Ausgehend von der Selbstbeobachtung, argumentiert Goetz, dass wir (sich mit der Mehrheit der menschlichen Wesen einig wissend) einfache mentale Wesen sind und erklärt sich als jemand, der erst mal von der Existenz der Seele ausgeht. Corcoran will sich da nicht lumpen lassen und versichert, dass er einfach vom Materialismus ausgeht („Ich bin ein antecedent materialist.“) „Ich steige einfach mit der Grundannahme in diese Diskussion ein, dass ich ein physisches Objekt bin, denn so ist es mir immer erschienen, solange ich denken kann“ (S. 270). Die eigentliche Frage muss aber die folgende sein: Was müssen wir annehmen, um kohärent die Realität erforschen zu können? Sicherlich müssen wir uns selbst als rationale und über die Zeit fortdauernde Wesen betrachten, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, dass wir Wissen über die physische Welt erlangen können.

Man kann nicht zunächst von der Grundannahme ausgehen, dass man einfach nur ein physisches Objekt wie jedes andere ist, das in rein unpersönlichen Begriffen beschrieben werden kann, und dann eine persönliche Untersuchung über die Realität beginnen. Corcoran gibt zu, dass kein a priori-Argument gegen den Dualismus durchschlagend ist (und er besteht darauf, dass Theisten dies so sehen müssen, denn der Theismus setzt mindestens einen nicht-materiellen Geist voraus, der mit der physischen Welt interagiert). Aber er schlägt vor, dass die Art, wie mentale Fähigkeiten von physischen Fähigkeiten abhängen (z. B. benötigt das Gedächtnis einen funktionalen Hippocampus im Gehirn), anders ist, als wir es im Falle des Dualismus erwarten sollten. Allerdings hängt dies davon ab, um welche Sorte Dualisten es sich handelt. Die meisten Dualisten, mich eingeschlossen, räumen eine enge Abhängigkeit zwischen Seele und Gehirn nicht nur notgedrungen ein, sondern vertreten diese selbst mit Nachdruck, und glauben natürlich, dass Erinnerungen im Gehirn gespeichert werden. Am ungewöhnlichsten ist Corcorans Behauptung, dass zwar Naturalisten keine überzeugende Erklärung des Bewusstseins haben, dass aber die Sicht, es gebe eine Seele, auch nicht überzeugender sei. Dies ist aber sicher der Fall, denn Seelen sind von Natur aus Subjekte, und können, weil sie mentale Substanzen sind, Gedanken zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinen (zu untrennbaren Teilen), und können über die Zeit die gleichen bleiben; diese Eigenschaften der Seele erklären doch die Natur des bewussten Denkens sehr gut. Corcorans Spekulationen darüber, wie man den Physikalismus mit dem Leben nach dem Tod in Einklang bringen kann, sind wohlbekannt und aus meiner Sicht völlig ad hoc: Sie müssten eine Ausnahme von der Regel bezüglich der Identitätsbedingung von physischen Objekten fordern, ohne diese Ausnahme zu begründen. Außerdem widersprechen sie klaren Aussagen der Heiligen Schrift (z. B. Mt 10,28; 1Thess 5,23; Offb 6,9–10).

Die Beiträge von Evan Fales und Paul K. Moser über das Thema Wunder passen bedauerlicherweise nicht gut zueinander. Fales kritisiert die Kohärenz des Konzeptes der Wunder und die Glaubwürdigkeit von Wundergeschichten. Eines seiner Argumente ist, dass Wunder die „lokale Erhaltung von Energie und Bewegung“ verletzen (S. 299). Diese Behauptung ist bereits wirkungsvoll von Robert Larmer in seinem Buch The Legitimacy of Miracle (Lanham, MD: Lexington, 2014) sowie von Robin Collins im Aufsatz „Modern Physics and the Energy – Conservation Objection to Mind-Body Dualism“, (American Philosophical Quarterly 45, 1, 2008, S. 31–42), widerlegt worden. Beide wären ideale Diskussionspartner von Fales gewesen. Larmer zeigt, dass die richtige Formulierung des Energieerhaltungssatzes (Energie bleibt in einem geschlossenen System erhalten) nicht bedeutet, dass Energie nicht geschaffen oder zerstört werden könne, wie es in populären Darstellungen oft behauptet wird. Die letztere Feststellung ist ohnehin eine, die kein Theist akzeptieren kann, da sie Gottes Schöpfung des Universums unmöglich machen würde. Und Collins zeigt, dass sowohl die Relativitätstheorie als auch die Quantentheorie plausible Beispiele für Verursachung ohne Energietransfer bieten. Im Gegensatz dazu hat Moser hier einen wichtigen Aufsatz beigetragen, der eigentlich an einen anderen Ort gehört: Moser sagt, dass Gott nicht nur möchte, dass wir einfach als passive Zuschauer die Indizien für Wunder betrachten, sondern dass Gott uns ruft, unser ganzes Wesen transformieren zu lassen, so dass wir die Wunder als Zeichen der Liebe Gottes sehen können. Dies ist eine hervorragende Einsicht, aber sie gehört gewiss in eine Auseinandersetzung mit einem abgebrühten Evidentialisten (sei es ein Atheist oder ein Theist). Mosers großartiger Beitrag ist es, die Wichtigkeit einer holistischen Anthropologie aufzuzeigen, die alle Bereiche unseres Denkens bei der Formung christlicher Überzeugungen einbezieht (und die Folgen der Sünde auf diese Bereiche ernst nimmt). Er hätte als Gegenspieler einen Verteidiger der rein indizienorientierten „Allein-die-Fakten“-Sichtweise verdient.

Es gibt in dem Buch einige weitere kleinere Enttäuschungen. In der Debatte über die historische Zuverlässigkeit des Neuen Testamentes verteidigen weder Stephen T. Davis noch Marcus Borg die Irrtumslosigkeit der Schrift, und in der Diskussion über den historischen Jesus erwarten weder Stephen J. Patterson noch Craig Evans, dass wir aus den historischen Fakten über Jesus die „konfessionellen“ oder „theologischen Wahrheiten“ ableiten können. Gotthold Ephraim Lessings garstiger breiter Graben zwischen kontingenten Tatsachen und letzten Schlussfolgerungen ist hier offensichtlich, und es wäre schön gewesen, an dieser Stelle etwas von einem Gelehrten wie John Warwick Montgomery zu lesen, der sagt, dass wir diesen Graben überbrücken können, und zwar in der Weise, wie Christus selbst die göttlichen und menschlichen Bereiche überbrückt hat.

Andererseits deckt Gary Habermas sehr wirkungsvoll auf, dass es viel eher philosophische Grundannahmen als historische Tatsachen sind, die Skeptiker wie James Crossley am leeren Grab zweifeln lassen und dazu bewegen, die vielen Augenzeugenberichte über den auferstandenen Jesus als trügerische Visionen anzusehen. Habermas’ Ansatz der „minimalen Fakten“ wird selbst auch kritisiert (manche sagen, er mache gegenüber den einseitigen Prinzipien der Bibelkritik zu viele Zugeständnisse), aber er verdeutlicht, warum im Laufe der Zeit eine skeptische Sichtweise nach der anderen gegenüber den historischen Fakten der Auferstehung fallengelassen worden ist. Die Folge ist, dass Kritiker immer weniger Möglichkeiten haben, sich vor den Ansprüchen Christi auf ihr Leben zu verstecken.

Abschließend sei gesagt – und ich bitte alle Autoren um Nachsicht, die ich aus Platzgründen nicht berücksichtigt habe –, dass dieses Buch tatsächlich neue Maßstäbe setzt, und zwar auf so kühne Weise, dass die A-priori-Wahrscheinlichkeit, dass so ein Buch je erscheinen würde, zweifelsohne sehr gering war! Weil es so hohe Ziele setzt, gibt es auch ein paar Fehlzündungen, wie oben angedeutet. Aber das schränkt die monumentale Wichtigkeit dieses Buches nicht ein, das eine dermaßen weitreichende, qualitativ hochstehende Diskussion über den Wert des christlichen Theismus erreicht hat. Jeder ernsthafte christliche Apologet, jeder christliche Philosoph und jeder seriöse Kritiker des Christentums sollte dieses faszinierende Buch lesen.

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Angus Menuge ist Professor für Philosophie an der Concordia University Wisconsin (USA) und Präsident der Evangelical Philosophical Society. Seine Forschungsinteressen gelten der Philosophie des Geistes, der Wissenschaftstheorie und der Apologetik. Außerdem gilt Menuge als ausgewiesener Experte für C. S. Lewis. Die Buchbesprechung erschien zuerst in: Philosophia Christi, Volume 16, No. 2, 2014, S. 451–456. Die Internetseite der herausgebenden Gesellschaft lautet: URL: http://www.epsociety.org. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Herausgebers. Übersetzt wurde der Beitrag von Roderich Nolte. Erschienen ist die deutsche Ausgabe zuerst in Glauben & Denken heute 1/2015, Nr. 15, S. 57–61.

Debatte: Existiert Gott?

Im Oktober 2015 veranstaltet der cvmd zwei Vorträge mit dem amerikanischen Religionsphilosophen William Lane Craig. In der Alten Kongresshalle in München wird Professor Craig mit dem Philosophen Ansgar Beckermann (Universität Bielefeld) zu dem Thema »Existiert Gott?« debattieren. In der St.-Matthäus-Kirche wird Professor William Lane Craig einen Vortrag zum Thema »Gut ohne Gott? – Über die Grundlage der Moral« halten. Weiterhin wird er an der Ludwig-Maximilians-Universität München sprechen.

Dies nur als kleine Ankündigung. Genaue Termine und weitere Informationen gebe ich bekannt, sobald die Veranstaltungen genau terminiert sind.

Einstein und die Religion

Wie die FAZ berichtete, hat die Princeton University Press die „Collected Papers of Albert Einstein“ kostenlos online zugänglich gemacht. “Von nun an kann jeder unter http://einsteinpapers.press.princeton.edu durch alle bisher edierten Schriften und Briefe Einsteins navigieren. Das Material ist das der bislang erschienenen 13 Bände der ‚Collected Papers‘ und reicht von den Jugendjahren des 1879 geborenen Physikers bis ins Jahr 1923. In den kommenden Jahren wird es weiter ergänzt werden.“

Band 13 der Schriften enthält ein Dokument, dem Einsteins Einstellung zur Religion entnommen werden kann (S. 622, siehe zu Anlass und Quelle S. 623). Ich zitiere:

Als man Professor Einstein um seine Meinung über Religion bat, hat er auf nächstfolgende Fragen untenstehende Antworten erteilt:

[Fragen]

1) Denken Sie, dass wissenschaftliche Wahrheit und religiöse Wahrheit auf verschiedenem Standpunkten stehen?

2) Fördern sich die Beiden, das heisst kann die wissenschaftliche Entdeckung den religiösen Glauben verbessern und Aberglauben beseitigen, weil dass religiöse Gefühl zur wissenschaftlichen Entdeckung Anstoß geben kann?

3) Welchen Begriff haben Herr Professor über „Gott“?

4) Wie ist die Meinung des Herrn Professor über den „Heiland“?.

[Antworten]

1) Es ist schon nicht leicht, mit dem Wort „wissenschaftliche Wahrheit“ einen klaren Sinn zu verbinden. So ist der Sinn des Wortes „Wahrheit“ verschieden, je nachdem es sich um eine Erlebnistatsache, einen mathematischen Satz oder eine naturwissenschaftliche Theorie handelt. Unter „religiöser Wahrheit“ kann ich mir etwas Klares überhaupt nicht denken.

2) Wissenschaftliche Forschung kann durch Förderung des kausalen Denkens und Überschauens den Aberglauben vermindern. Es ist gewiss, dass eine mit religiösem Gefühl verwandte Überzeugung von der Vernunft bezw, Begreiflichkeit der Welt aller feineren wissenschaftlichen Arbeit zugrunde liegt.

3) Jene mit tiefem Gefühl verbundene Überzeugung von einer überlegenen Vernunft, die sich in der erfahrbaren Welt offenbart, bildet meinen Gottesbegriff; man kann ihn also in der üblichen Ausdrucksweise als „pantheistisch“ bezeichnen (Spinoza).

4) Konfessionelle Traditionen kann ich nur historisch und psychologisch betrachten; ich habe zu ihnen keine andere Beziehung.

Welt ohne Gott?

Markus Widenmeyer, Naturwissenschaftler und Philosoph, hat ein Buch über den Naturalismus verfasst. In Welt ohne Gott? untersucht er die wichtigsten Argumente des Naturalismus und legt eine Begründung seines christlichen Gottesglaubens vor. Ich habe für Glauben & Denken heute mit ihm gesprochen und veröffentliche hier vorab einen Auszug des Interviews:

Welt ohne Gott?

Ein Gespräch mit Markus Widenmeyer über den Naturalismus

UnknownRK: Herr Widenmeyer, warum haben Sie ein Buch über Naturalismus geschrieben?

MW: Die Frage, welche Weltsicht wahr und welche falsch ist, ist die wichtigste Grundfrage, die es überhaupt gibt. Der Naturalismus ist heute eine oder sogar die vorherrschende Weltsicht in der westlich geprägten Welt. Und ich bin der Ansicht, dass er nachweislich falsch ist. Den Nachweis möchte ich in diesem Buch führen.

RK: Können Sie für unsere Leser den Naturalismus kurz definieren?

MW: Allgemein kann man ihn gut über drei Prinzipien charakterisieren. Erstens das Immanenzprinzip: Es gibt nur innerweltliche, „natürliche“ Dinge, nichts Transzendentes. Zweitens das Materieprinzip: Ursprung der Welt ist eine nichtgeistige, nichtrationale Substanz, die Materie. Und drittens ein fundamentales Fortschritts- oder Entwicklungsprinzip. Die Schöpferkraft, die der Theist Gott zuschreibt, wird dabei sozusagen in die Materie projiziert. Ein weiteres Prinzip des heutigen Naturalismus ist der Szientismus; das ist der Glaube, dass die Naturwissenschaft im Prinzip alle sinnvollen Fragen beantworten kann.

Aber auch der Pantheismus und in der Regel der Polytheismus sind naturalistisch. So sind die Götter der Griechen oder Babylonier innerweltlich, endlich, aus einem Chaos entstanden und auch moralisch ziemlich fragwürdig. Der große Gegenspieler des Naturalismus ist der Theismus, wonach ein ewiger, transzendenter Gott existiert.

RK: Thomas Nagel beklagt, dass der Naturalismus heute in der Forschergemeinschaft weitgehend unangetastet vorausgesetzt wird und John Searle nimmt an, dass er als die Religion unserer Zeit gedeutet werden kann. Trifft es zu, dass in der Wissenschaft der Naturalismus heute unangefochten die Deutungshoheit beansprucht?

MW: „Unangefochten“ vielleicht nicht. Aber dieser Anspruch des Naturalismus ist massiv und der Widerstand relativ machtlos. Man darf hier die soziologische Dimension der Institution Wissenschaft nicht übersehen. Die Wissenschaft wirkt nicht nur stark in die Gesellschaft hinein. Es gibt auch äußere, oft nicht-rationale Faktoren, die „Wissenschaft“ beeinflussen, was Wissenschaftsphilosophen schon längst thematisiert haben. Die Strategie ist heute kurz gesagt, „wissenschaftlich“ mit „naturalistisch“ gleichzusetzen. Der Naturalismus will die Spielregeln vorgeben. Und er ist darin recht erfolgreich.

RK: Was ist darin so bedenklich?

MW: „Wissenschaft“ – die man dann nicht mehr so nennen sollte – droht zum Trojanischen Pferd für weltanschauliche Indoktrination zu werden. Wahrheit wird dafür an den entscheidenden Stellen durch Macht ersetzt. Zum Beispiel gelten heute naturalistisch-evolutionäre Darstellungen in biologischen Ursprungsfragen oft pauschal als wissenschaftlich, selbst dort wo sie völlig substanzlos sind. Umgekehrt gilt ein Vorschlag außerhalb dieses Paradigmas per definitionem als unwissenschaftlich – und wer einen solchen vorbringt, muss befürchten, ausgegrenzt und als „Wissenschaftsfeind“ stigmatisiert zu werden. Es ist aber diese Praxis, die die Möglichkeit rationaler Diskurse zerstört und damit auch echte Wissenschaftlichkeit, also die freie Suche nach Wahrheit. Wir kennen eine solche Praxis auch aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese Bedenken teilen übrigens selbst Atheisten wie Thomas Nagel oder Bradley Monton.

RK: Warum lehnen Ihrer Meinung nach so viele Menschen den Gottesglauben ab, obwohl sich unter der Annahme der Existenz Gottes – wie Sie im letzten Kapitel zeigen – unsere Welt deutlich besser erklären lässt.

MW: Man könnte das historisch erklären: Religionskriege und anderer -missbrauch machten den Gottesglauben schließlich unattraktiv. Mich überzeugt das nicht so: Erstens sind diese Dinge meist nicht vereinbar mit dem biblischen Christentum. Zweitens würden unattraktive Aspekte einer Weltsicht diese nicht zwingend falsch machen. Drittens waren die auf dem Naturalismus basierenden Ideologien des 20. Jahrhunderts noch viel desaströser. Eine andere Erklärung ist, dass der christliche Glaube mit seinen sittlichen Ansprüchen in unserer Zeit vielen Lebenskonzepten zuwiderläuft. Da ist etwas dran, aber es erscheint mir als Gesamterklärung nicht befriedigend.
Angesichts der – meiner Ansicht nach – überwältigenden Belege für einen transzendenten, überragenden Geist, ist die beste Erklärung genau die, welche die Bibel selbst liefert, auch wenn diese Erklärung wenig schmeichelhaft ist: So schreibt Paulus, dass Gottes ewige Kraft und sein göttliches Wesen erkannt werden können. Diese natürliche Gotteserkenntnis verschwindet aber, wenn der Mensch Gott nicht Ehre und Dank geben will. Wo anders steht, dass das Denkvermögen der Ungläubigen verblendet wurde. Das ist dann sozusagen das Gegenkonzept zu Dawkins God Delusion.

Mut macht mir aber, dass seit einiger Zeit analytische christliche Philosophie und Apologetik eine Renaissance erleben. Ich hoffe, dass Gott Gnade schenkt, dass Menschen das Licht des Evangeliums wieder sehen wollen.

RK: Vielen Dank für das Gespräch!

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Iwand: „Wenn uns Gott selbst finden soll“

Der Theologe Hans Joachim Iwand folgte 1952 einem Ruf nach Bonn, wo er bis zu seinem Tod 1960 Systematische Theologie lehrte. In der Prinzipienlehre, die er in Bonn gelesen hat, setzt er sich sehr pointiert von dem neuzeitlichen Unternehmen ab, das den Menschen zum Dreh- und Angelpunkt der Wirklichkeitserkenntnis erhoben hat. In radikaler Weise betont er den reformatorischen Gedanken, dass wir Menschen die Welt und uns selbst nur dann verstehen können, wenn Gott von außen in unser Leben tritt. Anders gesagt: Die Wirklichkeit Gottes hängt nicht von meinem Selbstbewusstsein ab, sondern meine Selbsterkenntnis hängt von der Wirklichkeit Gottes ab.

Iwand (Dogmatik-Vorlesungen 1957-1960, 2013,  S. 27):

Gibt es Gott nicht, dann gibt es auch kein „extra nos“! Dann bekommen wir die Welt, die Menschen, ja dann bekomme ich auch letzten Endes mich, mich als Mensch, als dieses rätselhafte Wesen Mensch, nie zu fassen. „Ich bin ich“, was heißt denn das? Ist das nicht der leerste, gedankenloseste Satz, den es gibt? „Extra se stare“, einen Standpunkt außerhalb seiner selbst gewinnen, das hieße eben gerade diese Identität zertrümmern, das Gefängnis des „Ich bin ich“, dieser amor sui [Selbstliebe], zerbrechen, in der Lazarus begraben liegt [Joh 11]. Das ist es, was zerbrochen wird, wenn das Wort Gottes kommt. Das Wort Gottes hebt den Traum dieser Identität auf – hier liegt die Blindheit, hier liegt das Leiden, das mit uns geboren ist, die Blindheit unseres gerade so vernünftigen Wesens. Denn wenn Gottes Wort an uns geschieht, dann heißt es nicht: „Du bist Du“, dann bestätigt er mir nicht jenes „Ich bin ich“, das ich in meinem Stolz oder in meiner abgrundtiefen Verzweiflung sage, sondern er streicht jene Identität durch als die Grundtäuschung, der ich erlegen bin. Und eben damit betreten wir das Reich, wo er Herr ist, wo wir festen Boden unter den Füßen haben, wo nicht mehr die Frage zu unserer Lebensfrage wird, ob wir die Welt gestalten oder sie uns, sondern wo beide Positionen in ihrer Absolutheit aufgehoben sind weil eine dritte Position gefunden und bezogen ist: die des „extra me“!

Vielleicht ist dieses „Ich bin ich“ überhaupt der Gott geraubte Name, den der Mensch sich fälschlich, zu Unrecht angeeignet hat, der nicht sein Name ist. Er ist ein Göttername. Und wenn ihm dann, diesem sich absolut setzenden Menschen, bei seiner Einsamkeit und Isolierung bange wird, dann erträumt er sich einen Helfer über den Sternen, den nennt er Gott. Das ist sozusagen jenes Wesen, das alles das hat, was ihm fehlt, sein Partner sozusagen, der große Menschengott, den wir brauchen, damit wir nicht „aufwachen“ [vgl. Rom 13,11f]. Dieser Menschengott muss als solcher offenbar, enthüllt, zerbrochen werden, er ist die letzte und äußerste Form der Gottlosigkeit, der Unwirklichkeit unseres Lebens, wenn uns Gott selbst finden soll, wenn wir ihn und mit ihm zugleich das finden, was wir das Leben nennen. Die Wirklichkeit schlechthin.

Gödels Gottesbeweis bestätigt

Im Nachlass Kurt Gödels wurden zwei Blätter mit der Überschrift „Ontologischer Gottesbeweis“ gefunden (datiert auf den 10.02.1970). Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin und der TU Wien ist es nun gelungen, den berühmten Gottesbeweis mit einem Computerprogramm zu prüfen und zu bestätigen.

Schon Franz von Kutschera schrieb allerdings: „Dieser Beweis ist formal korrekt, inhaltlich aber nichtssagend (Vernunft und Glaube, 1991, S. 333).

Heise online meldet dazu:

Auch wenn formal die logische Argumentationskette korrekt ist und damit die Existenz Gottes nach den Axiomen und Grundannahmen von Gödel bewiesen wurde, ließen sich diese ebenso wie der Logikformalismus hinterfragen. Für Benzmüller eröffnet der entwickelte Ansatz die Möglichkeit, die Stichhaltigkeit weiterer Gottesbeweise zu untersuchen und diese Gottesbeweise zu variieren, um möglicherweise neue Einsichten zu gewinnen: „Man kann also sagen, dass wir interessante neue Perspektiven für eine Computer-assistierte theoretische Philosophie beziehungsweise Metaphysik aufzeigen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Mehr: www.heise.de.

VD: MF

Eine Art von Vorurteil

Friedrich Hegel schreib in seinen Vorbemerkungen zur Religionsphilosophie:

Denn die Lehre, daß wir von Gott nichts wissen können, daß wir ihn nicht erkennen können, ist in unsern Zeiten zur ganz anerkannten Wahrheit, zur ausgemachten Sache geworden, — eine Art von Vorurteil —, und wer es versucht, den Gedanken faßt, mit der Erkenntnis Gottes sich einzulassen, die Natur desselben denkend zu begreifen, der kann gewärtig sein, daß man gar nicht einmal Acht darauf hat und [ihn einfach mit der Behauptung stehen läßt], daß ein solcher Gedanke ein längst widerlegter Irrtum, daß darauf gar nicht mehr zu achten sei. Je mehr sich die Erkenntnis der endlichen Dinge ausgebreitet [hat], indem die Ausdehnung der Wissenschaften beinahe ganz grenzenlos geworden ist, alle Gebiete des Wissens zum Unübersehbaren erweitert [sind], um so mehr hat sich der Kreis des Wissens von Gott verengt. Es hat eine Zeit gegeben, wo alle Wissenschaft eine Wissenschaft von Gott gewesen ist; unsere Zeit dagegen hat das Ausgezeichnete, von allem und jedem, und zwar einer unendlichen Menge von Gegenständen zu wissen, nur nichts von Gott.

Durchschauen wir die Vorurteile.

Calvin und die Gotteserkenntnis

Der Reformator Johannes Calvin eröffnet seine Institutio bekanntlich mit einer Erörterung der Gotteserkenntnis.

All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr und zuverlässig ist, umfaßt im Grunde eigentlich zweierlei: die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis. Diese beiden aber hängen vielfältig zusammen, und darum ist es nun doch nicht so einfach zu sagen, welche denn an erster Stelle steht und die andere aus sich heraus bewirkt. Es kann nämlich erstens kein Mensch sich selbst betrachten, ohne sogleich seine Sinne darauf zu richten, Gott anzuschauen, in dem er doch „lebt und webt“ (Apg. 17,28). Denn all die Gaben, die unseren Besitz ausmachen, haben wir ja offenkundig gar nicht von uns selber. Ja, selbst unser Dasein als Menschen besteht doch nur darin, daß wir unser Wesen in dem einigen Gott haben (nihil aliud … quam in uno Deo subsistentia)! Und zweitens kommen ja diese Gaben wie Regentropfen vom Himmel zu uns hernieder, und sie leiten uns wie Bächlein zur Quelle hin.

Calvin spricht nicht nur zum Eingang der Institutio darüber. Die Frage der Erkenntnis Gottes ist eine für seine gesamte Theologie zentrale. Warum? Hier eine Antwort von John Frame (The Doctrine of The Knowledge of God, 1987, S. 2):

Woher hatte Calvin diesen bemerkenswerten Gedanken? Zweifellos gewann er ihn durch sein eigenes Studium der Heiligen Schrift. Wir neigen dazu zu vergessen, wie oft in der Bibel Gott seine großen Taten so ausführt, dass Menschen „erkennen“ werden, dass er HERR ist (vgl. Ex 6,7; 7,5.17; 8,10.22; 9,14.29f; 10,2; 14.4.18; 16,12; Jes 49,23.26; 60,16 etc.). Die Schrift betont oft, dass, obwohl in gewissem Sinne alle Menschen um Gott wissen (vgl. Röm. 1,21), in einem anderen Sinne das Erkennen ausschließliches Privileg der erlösten Menschen ist und in der Tat das ultimative Ziel des Lebens eines Gläubigen. Was könnte mehr „zentral“ sein als das? Aber in unserer modernen Theologensprache, ob orthodox, liberal, akademischen oder populärwissenschaftlich, kommen diese Worte nicht leicht über unsere Lippen. Wir sprechen viel lieber über gerettet sein, wiedergeboren sein, gerechtfertigt sein, angenommen sein, geheiligt sein, Geistestaufe, den Eintritt in das Reich Gottes, dem Sterben und Auferstehen mit Christus, den Glauben oder die Buße als über die Erkenntnis des HERRN. Für Calvin gab es diese Zurückhaltung nicht. Er war ganz zu Hause in der biblischen Sprache, er machte sie wirklich zu seiner eigenen. Damit hob er einen reichen Schatz der biblischen Lehre, gegenüber dem wir heute weitgehend ignorant sind.

John C. Lennox in München

Rund 1.200 Plätze fasst die Matthäuskirche in München, und jeder dieser Plätze war am 5. Dezember belegt. Der Autor des Bestsellers Hat die Wissenschaft Gott begraben? sprach über den Atheismus. Ein Thema, das zur Verwunderung des Iren gerade in Deutschland viele Menschen interessiert.

Das Nachrichtenmagazin pro berichtet:

John C. Lennox ist bekennender Christ. Er ist aber auch Naturwissenschaftler. Und wenn man ihm glaubt, so scheint es kein feindlicheres Gebiet für einen Christen zu geben als unter der Weltelite der Naturwissenschaft. Hier lauten die Parolen: Der Feind ist Gott, die Religion vergiftet alles, oder: Gott ist an allem Schuld. „Neuer Atheismus“ nennt sich diese Bewegen mit dem Biologen Richard Dawkins an der Spitze.

Was kann man antworten, wenn schlaue Köpfe wie Dawkins mit Büchern wie „Der Gotteswahn“ oder „Die Schöpfungslüge“ zum neuen Atheismus aufrufen? Lennox antwortet mit einer Gegenfrage: Wenn Gott nicht existiert, woher kommt die Quelle von Ethik und Moral? Laut dem Mathematikprofessor aus Oxford sind Naturwissenschaft und christlicher Glaube kein Widerspruch, im Gegenteil, für ihn ist der Glaube Voraussetzung für die Naturwissenschaft. Ein Standpunkt, den er schon oft in Diskussionen gegen Wissenschaftler wie Dawkins oder dem verstorbenen Autoren Christopher Hitchens verteidigen musste. Gerade in diesen Situationen fühle er sich in seinem christlichen Glauben bestärkt: „Je mehr ich meinen eigenen Glauben gegenüber dem Gegenpol geöffnet habe, desto fester ist er geworden.“

Mehr: www.pro-medienmagazin.de.

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