Georg Huntemann (Autorität oder Chaos, 1971, S. 20–21):
Die verlorenen Söhne unserer Tage haben Väter ohne Vater. Väter ohne Vater mußten sich selbst Vater sein. Sie verstanden ihr Vatersein nur zu oft nicht mehr als ein Mandat Gottes. Die Väter der rebellierenden Söhne waren im Grunde selbst Rebellen, auch wenn sie noch vom „Gott in ihrer Brust“, von der „Vorsehung in der Geschichte“ oder von „dem Allmächtigen in der Natur“ sprachen. Aber dieser Gott in der Brust, in der Geschichte und in der Natur war der Gott, wie unsere Väter sich ihn in Natur, Brust und Geschichte „vorstellten“, es war der Gott, in dem sie sich selbst wiederfanden, in dem sich ihre eigene, aber nicht mehr die Autorität des biblischen Gottes spiegelte. Es war der „gemalte Gott“.
Die Mehrzahl der Theologen des 19. Jahrhunderts in Deutschland hat sich diesem Gott angepaßt. In ihrer „Kritik“ am Alten und Neuen Testament setzten sie Maßstäbe dafür, was der Gott der Bibel in seiner Schöpfung und in der Geschichte tun durfte — und was er nicht dürfen konnte. Die Theologen des alten Liberalismus zersägten die Heilige Schrift, amputierten die Heilstaten Gottes, relativierten die Gebote und gossen in die leeren Gefäße nun toter Buchstaben ihre eigenen Ideologien.
Unsere Väter wurden nur zu oft gnadenlose Väter — sie waren „Stress-Väter“, die ihr Vatersein nicht mehr von Gott empfingen, sondern sich als Vaterprotze selbst herstellen und erkämpfen mußten.