Die Generation „Woke“

Die französische Filmemacherin und Journalistin Caroline Fourest schreibt in ihrem Buch Generation Beleidigt: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei – über den wachsenden Einfluss linker Identitäter (Berlin: Verlag Klaus Bittermann, 2020, S. 8–9):

An der Universität regiert der Essens- und sogar der Gedankenterror. Man nimmt Anstoß am geringsten Widerspruch, der als „Mikroaggression“ wahrgenommen wird, was so weit geht, dass man „Safe spaces“ fordert: sichere Räume, in denen die Leute unter sich bleiben und lernen, dem Anderssein und der Debatte zu entfliehen. Selbst das Rederecht wird einer Genehmigungspflicht unterworfen, je nach Geschlecht und Hautfarbe. Eine Einschüchterung, die bis zur Entlassung von Professoren geht.

Frankreich hält sich noch ziemlich gut. Doch gehen auch in diesem Land bereits Gruppen von Studenten gegen Ausstellungen und Theaterstücke vor, um deren Aufführung zu unterbinden oder einen Redner, der ihnen missfallt, am Reden zu hindern. Manchmal zerreißen sie auch seine Bücher: Autodafés, die an das Schlimmste erinnern.

Diese Kulturpolizei geht von keinem autoritären Staat aus, sondern von der Gesellschaft und insbesondere von einer Jugend, die „aufgeweckt“ sein will, weil ultraempfindlich gegen jedwede Ungerechtigkeit. Was großartig wäre, wenn sie dabei nicht auf Unterstellungen und inquisitorische Methoden verfiele. Die Millenials gehören weithin einer identitären Linken an, die den wesentlichen Teil der antirassistischen Bewegungen und der LGBTI-Szene beherrscht und sogar den Feminismus spaltet. Ohne einen Aufschrei wird ihr kultureller Sieg vollständig sein. Der Einfluss ihrer Netzwerke auf Gewerkschaften, Fakultäten und politische Parteien wird größer, und sie gewinnen die Oberhand über die Welt der Kultur. Ihre Kabale lasten immer schwerer auf unserem geistigen und künstlerischen Leben. Selten bringt jemand den Mut auf, ihnen zu widersprechen. Obschon wir in einer ungemein paradoxen Welt leben, in der die Freiheit zu hassen nie so zügellos war wie in den sozialen Netzwerken, wurde allerdings das Reden und Denken im wirklichen Leben nie so sehr überwacht. Einerseits blüht, dank Nachgiebigkeit und Deregulierung, das Geschäft mit der Aufstachelung zum Hass, zur Lüge und zur Desinformation wie noch nie, geschützt im Namen der Redefreiheit. Andererseits genügt es, dass eine kleine Gruppe von Inquisitoren sich für „beleidigt“ erklärt, um Entschuldigungen eines Stars oder die Zurücknahme einer Zeichnung, eines Produkts oder eines Theaterstücks zu erwirken. Diese Streitigkeiten markieren den wirklichen Bruch sowohl inmitten des Antirassismus als auch zwischen den Generationen.

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