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A Textual Commentary on the Greek New Testament (2025)

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Ein neuer Textual Commentary on the Greek New Testament ist bei der Deutschen Bibelgesellschaft erschienen. Das gleichnamige Werk von Bruce M. Metzger, das sich in seiner letzten Auflage auf das GNT4 aus dem Jahr 1993 bezog, ist damit abgelöst (er ist aber immer noch sehr wertvoll und kann derzeit für nur 9,95 Euro bei der Bibelgesellschaft bezogen werden). 

Der neue Textual Commentary präsentiert nicht mehr das Ergebnis einer Arbeitskommision, sondern wird von H.A.G. Houghton verantwortet. Houghton ist Mitglied des Herausgebergremiums für NA29 und GNT6.

Aber was ist das Anliegen des Buches? Der Textual Commentary on the Greek New Testament ist kein Bibelkommentar. Er kommentiert Entscheidungen zur sogenannten Textkritik des Neuen Testaments. Neutestamentliche Textkritik ist ein Teilgebiet der Bibelwissenschaft, das sich mit der Rekonstruktion des ursprünglichen Wortlauts des griechischen Neuen Testaments befasst. Da die die Originalhandschriften (auch Autographen genannt) nicht mehr existieren, stützt sich die Textkritik auf die Auswertung und den Vergleich von Handschriften und anderen Textzeugen, um die wahrscheinlich ursprüngliche Lesart zu ermitteln.

Tanja Bittner hat die Neuausgabe rezensiert und schreibt u.a.:

Um fundiert Textkritik zu betreiben, ist ein beträchtliches Maß an Fachwissen nötig, zum Beispiel in Bezug auf die Charakteristika einzelner Handschriften. Vom durchschnittlichen Theologiestudenten, Pastor oder Bibelübersetzer ist das kaum zu leisten, obwohl textkritische Fragen durchaus für ihn relevant sein können.

Auf eben diese „non-specialists“ (S. VII) ist der Textual Commentary ausgerichtet. Er soll dem Leser helfen, die Arbeit der Textkritiker nachzuvollziehen und sich ein Stück weit eine eigene Meinung zu bilden.

In einer ausführlichen Einleitung (36 Seiten) wird zunächst das nötige Grundwissen vermittelt. Der Leser erhält einen Überblick über die verschiedenen Arten von Zeugen (Papyri, Majuskeln, Minuskeln usw.) und die Prinzipien der Textkritik (äußere und innere Kriterien, die neuen Möglichkeiten der CBGM). Im Abschnitt „Who Changed the Text and How?“ (dt. „Wer veränderte den Text und auf welche Weise?“ Vgl. S. 23–27) geht es um die immer wieder geäußerte Vermutung, die antiken Schreiber hätten sich gewisse Freiheiten beim Abschreiben der Texte genommen und zum Beispiel theologisch nicht genehme Stellen verändert. Damit verkennt man aber die Situation in antiken Schreibstuben und die üblichen Abläufe der damaligen Buchproduktion. Man sollte bei der überwiegenden Zahl der Varianten davon ausgehen, dass es sich um Versehen oder unbewusste Änderungen handelt.

Houghton geht in der Einleitung außerdem kurz auf das Konzept der Texttypen anhand der vermeintlichen geographischen Verortung ein (alexandrinischer, westlicher, Caesarea-Text): Der Textbefund erlaubt es heute nicht mehr, diese Kategorien aufrechtzuerhalten, man sollte sie deshalb nicht mehr als Kriterium verwenden. Einzige Ausnahme ist die Kategorie des Byzantinischen Texts, dessen Vertreter tatsächlich ein hohes Maß an Übereinstimmung aufweisen.

Mehr: www.evangelium21.net.

Der Universalismus des David Bentley Hart

David Bentley Hart, Professor an der University of Notre Dame (USA), gilt als einflussreicher akademischer Theologe in der heutigen englischsprachigen Welt. Mit seinem Buch That All Shall Be Saved: Heaven, Hell, and Universal Salvation (dt. „Dass alle gerettet werden: Himmel, Hölle und universale Erlösung“) hat der orthodoxe Christ eine Allerlösungslehre vorgelegt. Michael McClymond hat die Darlegung  kritisch gelesen. 

Hier ein Auszug:

In That All Shall Be Saved umgeht Hart die Kraft biblischer Passagen, die seinen Universalismus untergraben, indem er argumentiert, dass keine der „eschatologischen Formulierungen des Neuen Testaments … als etwas anderes als eine intentionale heterogene Phantasmagorie verstanden werden sollte, deren Absicht ebenso sehr darin besteht, zu desorientieren wie zu belehren“. Er fügt hinzu: „Je genauer man sich die wilde Mischung von Bildern ansieht …, desto mehr löst sich das Bild in Evokation, Atmosphäre und Dichtung auf“. Hier hebt sich Harts Argumentation selbst auf, denn wenn die biblischen Autoren nichts als evokative Phrasen und Symbolik bieten, dann kann weder der Universalist noch der Partikularist auf der Grundlage der Schrift irgendetwas Gesichertes über das Leben nach dem Tod behaupten. Um die universale Erlösung aufrechtzuerhalten, ist Hart bereit, nicht nur die endlose Dauer des Himmels (siehe oben) infrage zu stellen, sondern auch die Autorität der Schrift und den erkennbaren Inhalt der göttlichen Offenbarung.

Wie andere universalistische Exegeten hat auch Hart in seiner biblischen Sichtweise blinde Flecken. Wie andere Anhänger Origenes’ hält er an einem eher überredenden als zwingenden Modell für Gottes Überwindung des Bösen fest. Doch 2. Mose und Offenbarung zeigen, dass das Böse nicht immer auf sanfte Überredung reagiert, sondern manchmal durch überlegene Macht besiegt werden muss. Der Pharao wird letztlich nicht überredet, sondern durch die Macht Jahwes vernichtet. Auch dem Tier, dem Teufel und dem falschen Propheten wird das Böse nicht ausgeredet, sondern sie werden gefasst und in den Feuersee geworfen. In all diesen Fällen ist die Ausübung der Macht Gottes zur Überwindung des Bösen etwas Gutes und nicht etwas Böses. Die himmlischen Heiligen rufen „Halleluja!“, als der monströsen Bosheit Babylons endgültig und vollständig ein Ende bereitet wird (vgl. Offb 19,1–5).

Mehr: www.evangelium21.net.

Das Testimonium Flavianum

Christian Bensel von Begründet Glauben stellt das neue Buch Josephus And Jesus. New Evidence for the One Called Christ von T.C. Schmidt vor. Über das Buch schreibt der Verlag:

Dieses Buch bringt eine außergewöhnliche Verbindung zwischen Jesus von Nazareth und dem jüdischen Historiker Josephus ans Licht. Im Jahr 93/4 n. Chr. verfasste Josephus einen Bericht über Jesus, der als Testimonium Flavianum bekannt ist. Obwohl es sich dabei um die älteste Beschreibung Jesu durch einen Nichtchristen handelt, haben Wissenschaftler aufgrund der angeblich pro-christlichen Aussagen lange Zeit an ihrer Echtheit gezweifelt. Das vorliegende Buch bestätigt jedoch die Urheberschaft von Josephus und enthüllt dann eine überraschende Entdeckung. Zunächst zeigen die ersten Kapitel, dass die Christen der Antike das „Testimonium Flavianum“ ganz anders lasen als moderne Wissenschaftler. Sie betrachteten es als im Grunde genommen banal oder sogar vage negativ und damit weit entfernt von der pro-christlichen Interpretation, die die meisten Wissenschaftler ihm gegeben haben. Dies deutet darauf hin, dass das „Testimonium Flavianum“ tatsächlich von einem Nichtchristen verfasst wurde. Anhand einer stilmetrischen Analyse wird dann gezeigt, dass das „Testimonium Flavianum“ stark dem Stil von Josephus entspricht. Das Testimonium Flavianum scheint daher tatsächlich von Josephus verfasst worden zu sein. Die letzten Kapitel untersuchen Josephus‘ Informationsquellen über Jesus und kommen zu einer bemerkenswerten Entdeckung: Josephus kannte diejenigen, die den Prozessen gegen die Apostel Jesu beiwohnten, und sogar diejenigen, die dem Prozess gegen Jesus selbst beiwohnten, persönlich. Das Buch schließt mit einer Beschreibung dessen, was Josephus uns über den historischen Jesus erzählt, insbesondere darüber, wie sich die Geschichten über die Wunder Jesu und seine Auferstehung entwickelt haben.

Hier das Video von Dr. Christian Bendel dazu:

VD: MZ

Jesus – unsere Hoffnung

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Wer kennt es nicht? Das Buch Jesus – unser Schicksal. Der Autor Wilhelm Busch (1897–1966) war evangelischer Pfarrer und Jugendpastor der Bekennenden Kirche in Essen. Er wurde besonders durch seine Jugendarbeit und die klare evangelistische Verkündigung bekannt. Das 1949 erstmals veröffentlichte Busch enthält viele seiner Ansprachen und Erfahrungen aus der Arbeit mit Jugendlichen. Es gehört zur Kategorie der evangelistischen Literatur und eignete sich gut dafür, es an Leute zu verschenken, die Fragen zum christlichen Glauben haben oder denen man wünscht, dass sie über Glaubensfragen nachdenken. 

Allerdings ist Jesus – unser Schicksal etwas in die Jahre gekommen. Themen wie Tod, Angst, Schuld oder Hoffnung werden oft anhand von Kriegserlebnissen oder Begegnungen mit Soldaten erläutert. Einerseits unterstreichen solche Erfahrungen aus einer sehr dunklen Zeit die Dringlichkeit des Glaubens, andererseits ist es für heutige Leser nicht so einfach, Zugang zu finden.

Das ist ein Grund dafür, weshalb wir als Verlag Verbum Medien Pfarrer Parzany darum gebeten haben, das Buch Jesus unsere Hoffnung zu schreiben. Ulrich Parzany kannte Wilhelm Busch sehr gut. Er ist 1955 durch die Jugendarbeit im Weigle-Haus unter der Leitung von Busch zum Glauben gekommen und hat später mit ihm zusammengearbeitet und wurde schließlich sogar sein Nachfolger. Von Wilhelm Busch hat er gelernt, kühn „das Wort zu reden ohne Scheu“ (Phil 1,14).

So locker und authentisch, wie Pfarrer Buch das Evangelium in Jesus – unser Schicksal ausgebotschaftet hat, so spricht Ulrich Parzany in Jesus unsere Hoffnung über den Glauben. Er legt leicht zugänglich kurze Bibeltexte aus, die Antworten auf die großen Menschheitsfragen geben.

Das gesellschaftliche Klima ist heute allerdings ein anderes als nach dem Krieg. Wir leben in einer Zeit, die trotz Wohlstand von großer Verunsicherung geprägt ist. Deshalb schreibt Ulrich Parzany auf eine Weise, die skeptischen Lesern hilft, Vertrauen zu fassen, vom Zweifeln zum Staunen zu kommen und zu erkennen: Jesus Christus ist die Hoffnung der Welt.

So haben wir mit Jesus unsere Hoffnung wieder ein Buch, das wir mit Freude und begleitet durch unsere Fürbitte an Menschen weitergeben können, von denen wir uns wünschen, dass sie erkennen, wer Jesus ist, und dass sie ihm vertrauen.

Das Buch kostet 6,90 Euro. Wenn man es im Verteilpaket mit 20 Exemplaren kauft, kostet es nur 3,90 Euro.

Hier kann Jesus unsere Hoffnung bestellt werden: verbum-medien.de.

Der narzisstische Film

Lars Henrik Gass hat mit Objektverlust: Film in der narzisstischen Gesellschaft (Berlin: XS-Verlag 2025) einen viel beachteten Essay über den Film in einer narzisstischen Gesellschaft geschrieben. Seine These: Mit der Dominanz der sozialen Medien und Streamingdiensten verändert sich auch der zeitgenössische Kinofilm allmählich zu einem Produkt einer neuartigen sozialen Kybernetik. Diese entspricht einem radikal veränderten Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Blick neuer Filme richtet sich nicht mehr neugierig oder aus Erkenntnisinteresse auf eine äußere Wirklichkeit, sondern auf einen Fundus überlieferter Bilder, denen ihre historische und gesellschaftliche Bedeutung genommen wurde. Kurz gesagt: Der postmoderne Film ist zur Propaganda einer Welt ohne Außen geworden.

Andreas Scheiner hat das Buch für die NZZ vorgestellt. Ein Auszug: 

Am Anfang des Kinos stand das Staunen. Der neuartige Apparat erlaubte es den Menschen, mit Neugierde auf die Wirklichkeit zu schauen. Filme beförderten „die gesellschaftliche Teilhabe und eine universalistische Sicht auf die Welt“, wie der Filmtheoretiker festhält. Heute befördern die Filme vor allem noch den Narzissmus des Einzelnen.Wir leben in einer selbstverliebten Gesellschaft, in der laut Gass „die mitunter schmerzliche, fremdartige Begegnung mit dem Anderen, Neuen, Nichtidentischen“ keinen Platz mehr habe. Der Narzissmus „will nur noch erfahren und haben, was er kennt“. Und so sehen die Filme dann auch aus.Sie richten sich an Menschen, die 20 Franken im Monat für Netflix ausgeben. Oder ähnlich viel für ein Kinobillett. „Die Mittelschichten betrachten sich in diesen Filmen selbst“, schreibt Gass. Allerdings „nicht im Sinne einer womöglich kritischen Darstellung der materiellen Bedingungen ihrer Existenz“.

Exemplarisch sind für ihn die Filme von Ruben Östlund („Triangle of Sadness“) und Paolo Sorrentino („Parthenope“), aber auch eine Serie wie „The White Lotus“ liesse sich anführen: Diese Stoffe vertreten eine „vulgäre Kapitalismuskritik samt eingebauter Verstehanleitung“. Dem Anschein nach werden soziale Missstände offengelegt, „über die man selbst natürlich erhaben ist dank einem hypersensiblen Mindset“.Alles ist nur noch PoseAber diese Produktionen interessieren sich nicht für eine Rea lität, sondern sie „inszenieren Geschmack“. Gass, der sich auch über das gutbürgerliche Arthouse-Kino von Joachim Trier, Wes Anderson oder Mia Hansen-Löve auslässt, kritisiert zu Recht, dass im typischen Gegenwartsfilm alles zur Pose wird, „die man umstandslos einnehmen kann, zur Ausstattung – ohne Entwicklung, ohne Komplexität, ohne Widersprüche“.

Lars Henrik Gass nennt es den narzisstischen Film. Dieser bildet eine Gesellschaft ab, die immer seltener ins Kino geht, aber ihr Selbstbild auch im Film wiederfinden möchte. Auf Netflix muss sie nicht lange suchen. Der narzisstische Film, fasst Gass zusammen, sei „eine Art All-inclusive-Angebot für den Mittelstand als Zielgruppe, der hier sein Zeitporträt erhält, sein Epos“.

Wird es irgendwann wieder besser? Die grosse Chance für das Kino ist ausgerechnet seine grösste Bedrohung: die KI. Paradoxerweise wird die Technik durch die Technik obsolet: Weil es immer weniger Mittel braucht, um Filme zu machen. Man muss nicht James Cameron heissen und mehrere hundert Millionen Dollar aufwenden, um „Avatar“ in die Länge zu ziehen. In naher Zukunft kann praktisch jeder auf Pandora drehen und Geschichten von blauen humanoiden Mondbewohnern erzählen. Womit sich dann kein Mensch mehr dafür interessieren wird.Blockbuster werden ihre Anziehungskraft verlieren. Denn selbst an noch so spektakulären Bildern hat sich das Publikum irgendwann sattgesehen. Was sich nicht erschöpft, sind die Geschichten. Solche, die sich keine KI ausdenken kann. Und die sich nicht darum drehen, was ohnehin jeder schon kennt, sondern die das eigene Weltbild herausfordern. Wenn es so kommt, dann kommt die beste Zeit für das Kino erst noch.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.nzz.ch.

Remaking the World

Heindrikje Kuhs stellt das hochinteressante und zugleich kurzweilige Buch Remaking the World von Andrew Wilson vor.

Ein Auszug: 

Andrew Wilsons Buch überzeugt nicht nur durch seine zentrale These, sondern auch durch Stil, Substanz und Relevanz. Drei Aspekte stechen dabei besonders hervor:

  • Die enthaltenen Geschichten sind schlichtweg hochinteressant. Man begegnet außergewöhnlichen Persönlichkeiten und Gruppen, erfährt von großartigen Erfindungen und spannenden Ideen. Beim Lesen fragt man sich immer wieder verblüfft: Das ist auch 1776 passiert?
  • Wilsons Stil ist kurzweilig, clever und lädt nicht selten zum Schmunzeln ein. Seine sorgfältige Recherche merkt man dem Buch an.
  • Christen sollen die Zeit und Kultur, in der sie leben, bestmöglich verstehen – nicht nur, um treu zu leben, sondern vor allem, um andere Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Genau auf dieses Ziel läuft das Buch erfreulicherweise hinaus.

Mehr: www.evangelium21.net.

Der Europäer große Schuldlust

Die Kritik postkolonialer Theoretiker am westlichen Kolonialismus blendet den langen Strang imperialer Geschichte gewöhnlich aus. Daraus entstehen verzerrte Geschichtsbilder, die neue Machtgelüste bedienen, meint Heiko Heinisch in seinem Gastbeitrag für die FAZ. Der Historiker schreibt darin:

In Werken postkolonialer Theorie, nicht zu verwechseln mit historischer Forschung zur Kolonialgeschichte, ist heute indessen eine manische Fixiertheit auf Europa augenfällig, ein Eurozentrismus, der den langen Strang imperialer Geschichte der Menschheit ausblendet. In dieser Darstellung wird Europa zum alleinigen Subjekt der Geschichte, während alle anderen Völker und Regionen zu bloßen Objekten europäischen Handelns degradiert werden. Genährt wird eine Weltsicht, die von der Annahme ausgeht, alle Übel dieser Welt – Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus, Sklaverei, Sexismus, ja jegliche Form von Unterdrückung und Ausbeutung – seien erst durch den Westen und das „westliche Denken“ erzeugt worden, gemäß der leitenden Annahme, der europäische Kolonialismus wirke bis heute fort und halte die Völker der Welt in Knechtschaft.

So schreibt etwa Achille Mbembe, einer der Stars der postkolonialen Theorie, in seinem Buch „On the Postcolony“, es gebe für afrikanische Gesellschaften seit dem fünfzehnten Jahrhundert keine „distinktive Geschichtlichkeit“ mehr, die nicht von europäischer Vorherrschaft geprägt sei. Keine Erwähnung findet, dass bereits vor dem fünfzehnten Jahrhundert außerafrikanische Mächte die Entwicklung Afrikas maßgeblich prägten: seit dem siebten Jahrhundert die arabischen, später die osmanischen Eroberer. An anderer Stelle beschreibt Mbembe den Monotheismus als Ursache von Eroberungen. Es geht allein um das Christentum, das, so Mbembe, auf der Vorstellung der Weltherrschaft „sowohl in der Zeit als auch im Raum“ basiere, sich das Eigentumsrecht auf die ganze Welt zugeschrieben und daraus das Recht auf Eroberung abgeleitet habe. In diesem Kontext, so folgert er, müssten die Kreuzzüge neu interpretiert werden.

Das Geschichtsbild maßgeblicher Vertreter postkolonialer Theorien, das einem Aktivismus den Boden bereitet, an dessen Ende der Westen selbst und damit der Weg der Aufklärung und Demokratisierung europäischer Gesellschaften abgewickelt werden soll, ist übrigens ganz im Sinne jener Mächte, die, wie Russland, China oder die Türkei die eigene Geschichte verklären und ihren weltpolitischen Aufstieg längst eingeleitet haben. Ein Ende des Westens aber wird keine von Gewalt und Krieg befreite Menschheit bedeuten, vielmehr werden ihm Imperien folgen, die mit Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit vermutlich wenig anfangen können.

Mehr: www.faz.net. Der dazugehörige Buch Postkoloniale Mythen: Auf den Spuren eines modischen Narrativs von Heiko Heinisch gibt es hier (#ad).

Kathryn Butler: Zwischen Leben und Tod

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Christoph Jung hat das Buch einer Ärztin gelesen, das sich fundiert mit den oft unklaren Grenzen zwischen Leben und Tod in der Intensivmedizin auseinandersetzt. Fazit:

Kathryn Butler gelingt mit dem Buch das, was sie sich vorgenommen hat. Sie stellt sich der Herausforderung, ein unangenehmes, aber zweifellos dringendes Thema klar und allgemeinverständlich zu erläutern. Inmitten eines medizinisch-technisch-ethischen Dickichts sorgt sie mit klaren, biblisch orientierten Prinzipien und ihrer intensivmedizinischen Erfahrung für notwendige Orientierung. Manche Situationen bleiben auch nach Lektüre des Buches ethisch schwierig und Betroffene werden in konkreten Fällen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Das ändert jedoch nichts daran, dass das Buch nicht nur für Seelsorger oder Pastoren, sondern letztlich für alle interessierten Christen eine wertvolle Entscheidungshilfe bietet.

Mehr: www.evangelium21.net.

Hurra, Monogamie!

Offene Beziehungen sind so gesellschaftsfähig wie nie zuvor. Wer sich auf einen einzigen Partner einlässt, gilt schnell als ewiggestrig. 

So scheint es.

Theresa Bäuerlein sah das auch mal so:

Ich dachte, Monogamie sei etwas, das man sich ständig erarbeitet, für das man seinen Drang nach der Magie des Verknalltseins und der Verlockung anderer Körper im Griff haben muss. Ich dachte, sie sei auf einer gewissen Ebene ein immerwährender Kampf gegen mächtige biologische Kräfte. Niemand hat mir gesagt, dass dieser Kampf ein Ende haben kann.

Wenn ich den letzten Absatz mit Anfang zwanzig gelesen hätte, wäre ich entsetzt gewesen. Ich hätte nicht an Frieden gedacht, sondern an Langeweile und Aufgeben, an den Tod der Neugier. Tja. Wenn ich mit meinem jüngeren Ich reden könnte, würde ich sagen: „Liebes, du hast noch eine Menge Stress mit Männern vor dir. Du wirst es ‚Spaß‘ nennen, und du wirst denken, das sei deine eigene Idee. In Wirklichkeit bist du ziemlich gehirngewaschen davon, was die Gesellschaft, in der du lebst, unter sexueller Freiheit versteht. Und du hast ganz schön Angst davor, jemandem wirklich nah zu sein.“

Damals hatte ich einen großen Plan: Man bräuchte, dachte ich, eine freie Liebe 2.0, also wie der Hippiekram aus den 60ern, nur weniger chaotisch und mit weniger Parolen: Einfach ein praktikables Beziehungsmodell für Menschen, die Liebe realistisch und jenseits von Traumhochzeitsversprechen sehen und das der Tatsache Rechnung tragen konnte, dass jeder zweite Partner sowieso fremdgeht.

In dem Artikel „Hurra, Monogamie!“ für KRAUTREPORTER, der ursprünglich schon 2019 erschienen ist, bekennt sich inzwischen zum „Beziehungsminimalismus“: 

Die berühmte israelische Soziologin Eva Illouz, die wie keine andere im letzten Jahrzehnt das Dilemma moderner Partnerschaften auseinandergepflückt hat, sagt: „Die moderne Beziehung ist überfrachtet mit Erwartungen, die kaum zu erfüllen sind. Gleichzeitig bildet das Paar, das auf Kontinuität angelegt ist, einen Gegenentwurf zum kapitalistischen Imperativ der Flexibilität. Ist es gerade deshalb wegweisend?“

Ich finde: Gute Frage. Hinter Aussagen wie „Liebe lässt frei“ steckt ja manchmal eine verkappte Konsumhaltung: Man hat einfach keinen Bock, auf irgendetwas zu verzichten, das Spaß macht und das zu haben ist. Und es ist eine Krankheit unserer Zeit, dass ungezügelter Genuss ein Ersatz für Lebenssinn sein soll.

Ich glaube, dass Monogamie ein totales Comeback erleben könnte, wenn sie einen neuen Namen bekäme, der weniger konservativ und unfroh klingt. Ich schlage „Beziehungsminimalismus“ vor. Ich gebe zu, es klingt nicht sexy, aber Minimalismus liegt total im Trend, und die Ansage, dass man sich in Sachen Beziehung einfach mal auf ein Qualitätsprodukt beschränken kann, ist zeitlos. Ich wette, ich könnte darüber einen Blog schreiben, minimalistlover.com oder so, der wäre sofort ein Hit.

VD: WH

Dürfen wir noch sagen, was wir wollen?

Professor Ferdinand Kirchhof, früher Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, erörtert in dem Artikel „Dürfen wir noch sagen, was wir wollen?“ (FAZ vom 12.06.2025, Nr. 134, S. 6). Grundsätzlich sieht er die Meinungsfreiheit als gesichert an. Allerdings entstünden aus der Gesellschaft heraus neue Risiken: „Der britische Liberale John Stuart Mill beklagte bereits im 19. Jahrhundert die ‚wachsende Neigung der Gesellschaft, in die Freiheit des Individuums einzudringen‘. Diese Gefahr ist in den letzten zwei Dekaden erheblich angewachsen.“ 

Sie komme heute aus drei Richtungen auf die deutsche Gesellschaft zu:

1. Private, jedermann zugängliche Internetforen bildeten „Meinungsblasen“, die als Echokammern nicht zur offenen Diskussion von Ansichten dienen, sondern nur Gleichgesinnte meinungsverstärkend um sich versammelten.

2. Private Firmen mit großer Informations- und Finanzmacht – vor allem die amerikanischen „Big Five“ des Internets – monopolisierten Meinungsangebote, sodass dem User im Internet nur noch ein Ausschnitt aus dem öffentlichen Diskurs zur Verfügung stünden.

3. Die größte Gefahr drohe aber der Meinungsfreiheit in Deutschland von einer Veränderung der zwischenmenschlichen Gesprächskultur: „Öffentliche Diskussionen beruhen auf der Selbstverständlichkeit, dass jeder Teilnehmer dem anderen respektvoll zuhört, dessen Argumente ernst nimmt, abwägt und auch bereit ist, sich vom besseren Argument des anderen überzeugen zu lassen. Am öffentlichen Diskurs beteiligt sich mittlerweile die Figur des ‚moralisierenden Missionars‘. Er will gar nicht sachliche Erwägungen austauschen und seinem Gegenüber zuhören. Er vertritt nur seine vorgefasste Meinung in der sicheren Überzeugung, dass sie die einzig richtige ist und gegensätzliche Auffassungen falsch sind.“ 

Kirchhof nennt dann Probleme, die sich durch durch den Aufruf zur „political Correctness“, das Verbot von „cultural occupation“ und die Kultur der „wokeness“ ergeben.

Fazit: „Demokratie, Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft brauchen die Offenheit aller Stimmen und Argumente. In Deutschland müssen nach den Vorgaben des Grundgesetzes alle Bürger gehört werden. Wir sollten moralisierenden Missionaren Einhalt gebieten.“

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