Politik

Die marxistische Transformation

Schon mehrmals habe ich hier im Blog eine Renaissance des marxistischen Denkens angedeutet (z.B. hier). Nun lese ich ausgerechnet im Hochschulanzeiger der FAZ (Was bekannte Frank Schirrmacher?: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat.“), dass der Literaturprofessor Mark Greif nicht mehr nur nach postmodernen Romanen, sondern ebenso nach marxistischen Ideen greift. Der Gründer der Occupy-Gazette beschreibt uns im Interview die Zukunftsvision einer Protestbewegung, die sich zwar nicht auf Kapitalismuskritik reduzieren lässt, aber eben doch den Kapitalismus für die Verschuldungsmisere verantwortlich macht.

Beim harten Kern der Bewegung geht die Tendenz zur radikalen Transformation. Kapitalismus ist für sie der Feind, sie wünschen sich, wie der Soziologe David Graeber, von dem die Formel der „99 Prozent“ stammt, einen gewaltfreien Anarchismus. Dann gibt es die Gruppe von Teilzeitprotestierern, diejenigen, die wie ich an bestimmten Tagen kommen, nach der Arbeit zum Beispiel. Sie haben eine ganz andere Haltung. Ich sah eine Frau, die Geschäftsleute vor der Börse ansprach: „Ich bin nicht gegen Kapitalismus“, sagte sie. „Ich glaube an die Idee von vergüteter Arbeit, aber ich habe so viele Krankenhausschulden, dass es egal ist, wie viel ich arbeite, ich werde das nie abbezahlen können.“ Für sie ist nicht der Kapitalismus das Problem, im Gegenteil – sie möchte ein Teil des Systems sein. Das Problem ist ein Kapitalismus, der es selbst denjenigen, die nach seinen Regeln spielen, unmöglich macht, ein ordentliches Mittelklasseleben zu führen.

Hier mehr: hochschulanzeiger.faz.net.

Verbot islamkritischer Äußerungen heißt Kapitulation

Deutsche Politiker dürften sich nicht von radikal-islamischen Salafisten in die Selbstzensur treiben lassen. Der Islamwissenschaftler Carsten Polanz warnt davor, das Zeigen von islamkritischen Karikaturen verbieten zu lassen. Andernfalls bestimmten gewaltbereite Islamisten immer stärker, wer wann und wo welche Meinung äußern darf.

Idea meldet:

Auch Medien stehen laut Polanz in der Gefahr, vor islamistischer Gewalt zu kapitulieren und sich eine islamisch definierte Selbstzensur aufzuerlegen. So habe sich der Generaldirektor der britischen Rundfunkgesellschaft BBC, Mark Thompson, 2008 dafür ausgesprochen, angesichts möglicher gewaltsamer Bedrohungen über den Islam anders zu berichten als über andere Religionen. Seine Begründung: Muslime werteten Angriffe auf ihre Religion als eine Form des Rassismus. Polanz zufolge lässt man sich damit auf die Argumentation von Islamisten ein. Sie erklärten die Unterlassung jeglicher Kritik am Islam zur Voraussetzung gesellschaftlichen Friedens. Damit entstehe die paradoxe Situation, dass ein Sender die vollkommene Friedfertigkeit einer Religion betone, sich aber zugleich vor der Gewaltbereitschaft ihrer Anhänger fürchte.

Hier die vollständige Pressemeldung: PM067.pdf.

Postdemokratisches Meinungsklima

Zitat aus Stefan Fuchs: „Betreuungsgeld – fabrizierte Meinung vs. Sachargumente“:

Die Betreuungsgeldiskussion bestätigt eine alte Einsicht Joseph A. Schumpeters: Für das politische Geschäft entscheidend ist der von Führungscliquen „fabrizierte“ Wille, der über die Medien vermittelt das veröffentlichte Meinungsklima dominiert. Gerade prototypisch zeigen dies Politbaromter-Umfragen zum Betreuungsgeld: Aktuell sprechen sich nur noch 34 Prozent der Befragten für diese Leistung aus, während es im November 2011 noch 43 Prozent waren. Die „Debatte der letzten Wochen“ habe die Zustimmung „weiter reduziert“ schließen daraus die Demoskopen. Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen, wäre es den Gegnern des Betreuungsgeldes gelungen, das familienpolitische Meinungsklima um 180 % zu drehen …

Mehr: i-daf_im_blickpunkt_2_-2012.pdf.

Satan kam doch nicht bis Washington

Jan-Werner Müller lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte in Princeton. In einem Beitrag für die SZ befasst er sich mit der Vermischung von Kanzel und Politik in der USA:

Die Sozialwissenschaftler Robert Putnam und David Campbell haben kürzlich plausibel erklärt, die Verquickung von Religion und Politik in den vergangenen dreißig Jahren stelle eine Anomalie in der Geschichte der USA dar – die vielen Amerikanern ganz und gar nicht gefällt. Eine überwältigende Mehrheit wünscht, dass Predigten nicht für politische Messages missbraucht werden.

Die Republikaner sind in der Tat zur Partei der Evangelikalen geworden (deren Zahl seit den frühen neunziger Jahren stetig sinkt) – was allerdings auch bewirkt, dass sich vor allem immer mehr junge Bürger von allen Glaubensgemeinschaften abwenden. Die Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen, so Putnam und Campbell, sei toleranter und setze inzwischen Religion als solche mit Bigotterie – vor allem Homophobie – und Fanatismus gleich. Die beiden Sozialwissenschaftler meinen somit nicht nur, dass eine Vermischung von Politik und Kirche der Religion schade, sondern dass politische Präferenzen religiöse Einstellungen entscheidend beeinflussten: nicht Atheisten wählen Demokraten, sondern Linksliberale haben irgendwann alles Religiöse satt.

Mehr: www.sueddeutsche.de.

E. Weede: Pläydoyer für Freiheit

Erick Weede, Soziologe und renommierter Konfliktforscher, hat ein Plädoyer für die Freiheit verfasst, dass jedem Schüler und Studenten als Pflichtlektüre verschrieben werden sollte. Politische Korrektheit verlangt, Europas Einheit als Wert an sich anzusehen. Doch dass die Folgen der Einheit immer positiv sein müssen, kann nur glauben, wer Europa-Politiker für Übermenschen hält. Europas Uneinigkeit war ein Glück. Wir brauchen mehr Hayekianer!

„Ein Vereinigtes Europa der Narren?“, ein großartiger Text (FAZ vom 03.02.2012, Nr. 29, S. 12):

Unter politischer Korrektheit kann man das Bedürfnis nach Übereinstimmung mit der Masse der Mitmenschen verstehen, auch um den Preis der Ausschaltung der eigenen Vernunft, wobei meist das Bekenntnis zu Werten und Zielen das Nachdenken über geeignete Mittel in den Hintergrund drängt. Wer Konsens für einen Wert an sich hält, für den ist eigenes Nachdenken – wie es die Kanzlerin im Zusammenhang mit der Sarrazin-Debatte so schön sagte – „nicht hilfreich“.

In der Europa-Politik äußert sich die politische Korrektheit in lautstarken Bekenntnissen zu Europas Einheit als Wert an sich in der unreflektierten Behauptung, dass Europas Einheit den europäischen Frieden sichere. Unreflektiert ist diese Behauptung, wenn man sich weigert, Alternativen für die Erklärung des europäischen Friedens auch nur in Erwägung zu ziehen. Ich will hier nur eine Alternative andeuten: Die Nato oder die dort institutionalisierte amerikanische Hegemonie könnte für den Frieden Europas verantwortlich sein.

Hier: www.faz.net.

Die Arabellion und der Islamismus

Wohin treibt die Arabellion? Wird der Islamismus an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wird der Einfluss der Islamisten wachsen, oder wird die Arabellion zu einer Iranisierung führen? Noch vor einem Jahr rechnete fast niemand mit der Arabellion, obwohl die demographische Entwicklung in Verbindung mit der weitgehend trostlosen Perspektive für die Jugend zu einer explosiven Mischung geführt hatte. Wohin die Arabellion führen wird, ist nicht vorhersehbar. Mehr als eine Momentaufnahme ist derzeit nicht möglich.

Für die Islamwissenschaftlerin Prof. Christine Schirrmacher spricht vieles dafür, dass der Einfluss der Islamisten wachsen wird. Das gab das Institut für Islamfragen am 27. Oktober in einer Pressemeldung bekannt.

Der Islamismus oder politische Islam lehnt die Trennung von Staat und Religion ab. Für Islamisten ist der Islam vielmehr eine untrennbare Einheit von Religion, Politik und Gesellschaftsordnung. Sie wollen dieses allumfassende System entweder auf demokratischem Wege und durch Predigt und Sozialarbeit oder auch mit Gewalt durchsetzen. Auf dem Weg zu diesem Ziel akzeptieren manche Kompromisse und Übergangslösungen. Für Islamisten sind die Gesetze und Regeln des Islam, wie sie im 7. Jahrhundert praktiziert wurden, auch heute für Gesellschaft und Staat unumstößlich und die Lösung aller Probleme der Moderne. Das heißt: Im islamisch regierten Staat gilt das gesamte Scharia-Recht, das Frauen, Nicht-Muslime, Minderheiten und Andersdenkende benachteiligt. Die Durchsetzung der Scharia einschließlich des drakonischen Strafrechts ist für Islamisten unabdingbare Voraussetzung für eine gerechte und friedliche Gesellschaft. Der Islamismus nutzt den technischen Fortschritt und will die Moderne prägen, nicht Prägungen und Werte der Moderne übernehmen. Der politische Islam beansprucht, den wahren Islam zu vertreten und verurteilt Deutungen als falsch, die den Islam nur auf religiöse Aspekte beschränken wollen. Der Iran bietet praktischen Anschauungsunterricht. Heute berufen sich alle arabischen Länder auf die Scharia als eine wesentliche, wenn nicht einzige Grundlage ihrer Verfassung und Gesetzgebung. De facto wurde die Scharia bisher zwar kaum angewendet, von einer rechtlichen Gleichstellung von Christen und Muslimen oder Frauen und Männern sind die arabischen Gesellschaften allerdings weit entfernt. Wie würde sich die politische Landschaft ändern, wenn die Islamisten nicht mehr nur Opposition, sondern als eigene Partei an der Regierung beteiligt sind?

Ohne die demographische Entwicklung ist die Arabellion nicht zu verstehen. In den arabischen Staaten ist etwa die Hälfte der Bevölkerung unter 25 Jahre alt. Diese jungen Menschen wissen aus den Medien, wie ihre Altersgenossen in den Ländern leben, die die Medien beherrschen. Sie selbst leben mit zahlreichen Einschränkungen und oft ohne Perspektive. Die Arbeitslosenquote ist hoch (unter Jugendlichen häufig 30-40%, in den Maghrebstaaten bis 70%). Sie sehen sich als Zuschauer oder sogar Verlierer der Globalisierung und des scheinbar allgemeinen Wohlstands, der an ihrer Region vorüberzieht. Die arabischen Länder sind wirtschaftlich dramatisch unterentwickelt und vergleichsweise wenig produktiv. So wächst die Wirtschaft Asiens jährlich im Durchschnitt um rund 5%, die der arabischen Staaten nur um 0,2%. Die in der Region reichlich vorhandenen Bodenschätze wie Erdöl und Erdgas haben kaum zur wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen. Die Einnahmen aus den Bodenschätzen, dem Tourismus oder auch dem Suezkanal wurden großenteils nicht für die Entwicklung der Infrastruktur verwendet, sondern häufig von den Potentaten an die Mitglieder einer kleinen Elite und ihre Günstlinge verteilt, die meist als Gegenleistung für die Unterstützung des Machthabers Privilegien und Zuwendungen genossen; z. B. hochrangige Militärs oder Stammesführer. Korruption, Klientelwirtschaft, Willkür, Rechtsunsicherheit und Bürokratie erstickten jede Kreativität und jedes eigenverantwortliche unternehmerische Handeln und schufen soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Dass die meisten Potentaten mehr oder weniger mit dem Westen kooperierten, lässt westliche politische Modelle nicht unbedingt attraktiv erscheinen und scheint die Kritik der Islamisten zu bestätigen. Und dass das unbeliebte bis verhasste Israel Teil des westlichen Systems ist, macht die Sache nicht besser.

Die Konstellation ist in jedem Land anders. Betrachten wir Ägypten näher:

Die Bewegung der Muslimbruderschaft entstand 1928, nachdem frühere Experimente mit dem sog. Reformislam im 18. und 19. Jahrhundert gescheitert waren und das Kalifat mit der Gründung der laizistischen Republik in der Türkei 1923 endgültig abgeschafft worden war. Nach ihrer Gründungsphase in Ägypten dehnte sie ihre Aktivitäten in andere arabische Länder und nach Europa aus. Die Muslimbruderschaft wuchs schnell und soll 1948 schon zwischen einer halben und einer Million Anhänger gehabt haben. Sie geriet durch Gewaltakte immer wieder in Konflikt mit der ägyptischen Regierung, die die Bruderschaft zeitweise duldete, zeitweise für ihre eigenen Ziele benutzte, zeitweise verbot und ihre Mitglieder verfolgte, verhaftete, folterte und hinrichtete.
Von Anfang an setzte sich die Bewegung für ein zweifaches Ziel ein: Die Etablierung einer Regierung, die die Scharia durchsetzt, sowie die Predigt des »wahren Islam«, unterstützt von Sozialfürsorge. Das höchst erfolgreiche Konzept der Predigt und praktischen Hilfeleistung hat die Muslimbruderschaft bis heute beibehalten. Es dürfte ihren Kandidaten bei Wahlen viele Stimmen bringen. Die Muslimbrüder haben sich den Protesten verhältnismäßig spät angeschlossen und waren sich nicht einig, wie sie darauf reagieren sollten. Die ältere Führungsgarde hatte ihren Mitgliedern zunächst verboten, an den Demonstrationen auf dem Kairoer Tahrir-Platz teilzunehmen. Nach dem Sturz Mubaraks gründete sie eine eigene Partei und verbot ihren Mitgliedern, sich in einer anderen Partei zu engagieren. Die jüngere Generation der Muslimbrüder setzte sich jedoch über beide Anweisungen kurzerhand hinweg und rief ihre eigene Partei ins Leben, die »Egyptian Current Party«. Diese Entwicklung macht einen innerhalb der Bruderschaft seit längerem schwelenden Konflikt zwischen der jüngeren und älteren Generation deutlich, der die Schlagkraft der Gruppierung schwächen wird, auch wenn noch 80% der Jungen hinter der älteren Generation stehen sollen.

Etliche muslimische Intellektuelle, Frauen- und Menschenrechtler sind davon überzeugt, dass sich der Islam mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, mit den universalen Menschenrechten, also auch mit voller Religionsfreiheit und Frauen- und Minderheitenrechten vereinbaren lässt. Doch die einflussreichen Vertreter der etablierten muslimischen Theologie an Universitäten und Moscheen verweigern sich bisher fast ausnahmslos einer solchen Interpretation von Koran und Überlieferung. Reformansätze zu einer Entpolitisierung des Islam sind in den islamischen Ländern bisher auf erbitterten Widerstand gestoßen. Wenn die arabischen Staaten wirklich ein neues Kapitel der Rechtsstaatlichkeit, der Menschen- und Freiheitsrechte aufschlagen wollen, wird es unumgänglich sein, dass auch die klassische Theologie diese Gedanken bejaht.

Nach dem Sturz der alten Galionsfiguren hat sich bisher in Ägypten wenig zum Guten verändert. Die Herrschaft des Militärs ist ungebrochen. Seit 1952 kamen alle Präsidenten aus der Mitte des Militärs. Es herrscht über ein Wirtschaftsimperium und hat unlängst durchgesetzt, dass Korruptionsvorwürfe gegen das Militär nur durch das Militär untersucht werden sollen. »Den Diktator zu verjagen ist eine Sache. Aber es kommen neue nach, und die alten Systeme sind noch da« (so Boualem Sansal, ein algerischer Schriftsteller, der gerade den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat). Die Spielräume für die Muslimbrüder sind wesentlich größer geworden, während die christlichen Kopten weniger Schutz genießen. Seit der Revolution haben deshalb 100.000 Kopten das Land verlassen. Der Militärrat scheint zur Zeit gemeinsame Sache mit den Muslimbrüdern machen zu wollen, deren Partei sich gemäßigt gibt. Die von Saudi-Arabien unterstützten Salafiten, die in Deutschland von den Sicherheitsbehörden beobachtet werden, haben die Partei »Nour« (Licht) gegründet, gemäßigte Islamisten gehören der Partei „Wasat“ an, deren Vorbild die türkische AKP ist, und sozialistische Islamisten der Partei »Amal« (Arbeit). Die nicht-islamistischen Revolutionäre sind vergleichsweise schlecht organisiert und in der Gesellschaft kaum vernetzt. Militärrat und Mulimbrüder sind bestrebt, die weiteren Abläufe so zu steuern, dass die neue Verfassung in ihrem Sinne ausfällt und ihre Kandidaten bei der Wahl die besten Chancen haben.

Das Ringen um die rechtsstaatliche Demokratie in den arabischen Staaten hat gerade erst begonnen. Sie wird sich, so Schirrmacher, nicht von selbst einstellen, sondern wohl nur dann eine Chance haben, wenn Islam und Islamismus sich zu umfassenden Menschen- und Freiheitsrechten, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und einer säkularen Gesetzgebung entschließen können und der Staat konsequent die Voraussetzungen für unternehmerisches Handeln schafft und die Bildung fördert.

Sind Christen stets die Guten?

CHRIST & WELT (DIE ZEIT) hat mit Volker Kauder über Christsein in der Politik und über das Thema Christenverfolgung gesprochen:

Die Kirchen können die Verkündigung des Wortes Gottes durchaus noch etwas intensivieren. Es kann doch die Kirche nicht ruhig sein lassen, wenn der Besuch der Gottesdienste immer stärker abnimmt. Jede Organisation muss sich doch fragen, woran es liegt, wenn ihr Zuspruch geringer wird. Das gilt für die Parteien, aber auch für die Kirchen. Die Kirche hat doch einen Missionsauftrag, davon ist aber zu wenig zu sehen.

Mehr: www.christundwelt.de.

Botho Strauss: Klärt uns endlich auf!

Der Dramatiker Botho Strauss hat für die FAZ einen Feuilleton-Beitrag geschrieben, der von den politisch Handelnden und vom Volk mindestens zweimal gelesen werden sollte.

Der Souverän hat einen neuen Widersacher. Diesmal nicht die römische Kirche, nicht den Kommunismus, sondern »die Märkte«. Sie zu beruhigen, unternehmen die Regierungen des Euro-Verbunds ganz altmodische diplomatische Manöver der Täuschung, Verschleierung und Falschaussage – bis hin zum (noch immer uneingestandenen) Bruch vertraglicher Vereinbarungen und institutioneller Regeln. Wie jeder angreifbare und unangreifbare Feind werden deshalb nun die Märkte dämonisch entrückt. Dabei gilt nach dem Wort Friedrich von Hayeks der Markt eigentlich als ein »Entdeckungsverfahren«, indem er seine Teilnehmer über Vor- und Nachteile ihrer Investitionen orientiert – aber eben auch wie gegenwärtig die desolate Finanzlage von kredithungrigen Staaten bloßstellt, die die nationale Politik mehr oder weniger geschickt zu verbergen sucht.

Diese als schonungslos kapitalistisch empfundene »Aufklärung« durch die Märkte wird von den Betroffenen meist empört zurückgewiesen – gegenüber den Märkten reagiert jede Regierung spontan um einen Ruck linker, als sie es vielleicht ist, und sucht die sozialen Verpflichtungen, die sie gegenüber der Bevölkerung wahrzunehmen hat, gegen die Zumutungen der schnöden Zinswirtschaft – in Form der anmarschierenden schier endlosen Zahlenkolonnen der Refinanzierung – abzuschirmen.

Mehr: www.faz.net.

Die Entdemokratisierung Europas

Die Idee einer losen Währungsunion ist gescheitert, die Finanzmärkte spielen verrückt – jetzt soll die Wirtschaftsunion kommen. Weil sie nicht organisch entstehen wollte, wird sie eben zentral von oben durchgesetzt. Hier ein wichtiger Kommentar von Thomas Gutachter:

Und trotzdem sind es lauter Paukenschläge, mit denen die Staats- und Regierungschefs ihr Wetterten seit einem Jahr orchestrieren. Nicht mehr Beethovens Hymne an die Freiheit, sondern Richard Strauss‘ titanisch-dröhnende Eröffnung des Zarathustra ist der Sound der Zeit. Die Wettretter bauen an einer Europäischen Union, genauer: einer Euro-Union, die nichts zu tun hat mit all den Verträgen, um die sie zwanzig Jahre lang so mühsam gefeilscht haben. Nachdem die Idee einer losen Währungsunion gescheitert ist und die Finanzmärkte verrückt spielen, soll jetzt die Wirtschaftsunion kommen, aber richtig.

Mehr: www.faz.net.

Nur wer stehen bleibt, kommt weiter

Gerhard Stadelmaier bezeichnet Erwin Teufel als Mann der Stunde, der mit seiner Rede in das Herz einer unruhigen Zeit getroffen hat. In dem sympathisch geschriebenen Kommentar »Nur wer stehen bleibt, kommt weiter« heißt es:

Dass die europäischen Regierungschefs mit ihren milliardenhorrenden Finanz- und Schuldenaktionen Verträge gebrochen, Recht und Ordnung missachtet hätten, und dass, wenn die Oberen sich nicht mehr an Verträge hielten, es die Unteren nicht mehr einsähen, dass sie sich daran halten sollten. Dass die Christlich Demokratische Union auf das Christliche schnöde pfeife und immer grauprogressiver, belangloser und verwechselbarer daherkomme. Dass Familien mit einem Normaleinkommen und mehreren Kindern heute in Deutschland an den Rand des Existenzminimums gerieten, dass es »bei ihnen am Ende des Monats null auf null« aufgehe, und dass, wenn eine Waschmaschine kaputtgehe oder zwei Kinder gleichzeitig in ein Schullandheim fahren müssten und die Familie zwei-, dreihundert Euro dafür aufbringen müsse, es für sie der absolute Katastrophenfall sei. Dass man die »einfachen Leute« nicht nur in der christlichen Partei, die einmal die Partei dieser Leute war, links liegen lasse. Dass die Wirtschaft zum menschenverachtenden Selbstzweck werde. Dass es in unserem Land eine neue Art von Armut gebe, nämlich »die Armut der Einsamkeit«. Dass Erziehung von Kindern harte Arbeit sei und auch als solche vergütet werden müsse. Dass eine am »C« orientierte Politik das »Leben und die Würde des Menschen in jedem Lebensalter vor und nach der Geburt« schützen müsse (und dies schon lange nicht mehr tue).

Mehr: www.faz.net.

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner