Religionsfreiheit

Ohne Religion wäre die Welt besser dran?

Bei einer prominent besetzten Debatte über die Religion stritten im Jahr 2011 Wolfgang Huber, Matthias Matussek, Wilhelm Imkamp, Gloria von Thurn und Taxis gegen die Religionskritiker  Monika Frommel, Necla Kelek, Philipp Möller und Alan Posener. Vor allem der Pädagoge Philipp Möller nahm mit seiner Polemik gegen die Religion viele Menschen für sich ein.

Hier ein Mitschnitt der Debatte. Möller, Pressereferent der Giordano-Bruno-Stiftung, spricht ab Minute 28:00:

Hier eine kurze Analyse der Ausführungen von Markus Widenmeyer:

Möller beginnt mit der Aussage, es sei schlicht und einfach absurd, an Gott zu glauben, nur weil man das Gegenteil nicht beweisen kann. Diese Behauptung ist nicht einmal falsch, aber sie ist völlig irreführend. Mir fällt niemand ein, der aus diesem Grund an Gott glaubt. Vielmehr spricht eine ganze Reihe von z.T. recht starken Argumenten für die Existenz Gottes (von denen ich einige in meinem Buch „Welt ohne Gott?“ zu entfalten versucht habe). Solche Argumente werden seit einigen Jahrzehnten in der analytischen Religionsphilosophie auf hohem Niveau diskutiert. Diese Disziplin wechselwirkt dabei z.T. sehr eng mit den Natur- oder Geschichtswissenschaften.

Möller geht mit keinem Wort darauf ein. Und so müssen unter anderem sein witziger (?) Vergleich mit der Zahnfee oder die pauschale Abstempelung von Nicht-Atheisten als primitiv und ohne intellektuelle und emotionale Reife als Ersatz für wirkliche Argumente herhalten.

Den Religionen wirft er sinngemäß vor, die Welt in den Schemata von gut und schlecht zu bewerten. Aber das machen alle Menschen, auch Atheisten. Und Möller zielt ja offenkundig darauf ab, einem (unkritischen) Publikum zu suggerieren, dass Religion schlecht und Atheismus gut sei.

Als (angeblich) große Vordenker nennt er: Epikur, Darwin, Marx, Feuerbach und Kant. Wer aber Autoritäten heranzieht, statt selber wirklich inhaltlich zu argumentieren, zeigt substanzielle Schwäche. Tatsache ist, dass die fünf genannten Herren keine belastbaren Argumente für den Atheismus vorgebracht haben. Kant war sogar ein Gegner des Atheismus und vertrat die Ansicht, dass wir im Rahmen der Moralphilosophie die Existenz Gottes postulieren müssen.

Möller kritisiert den massiven Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen. Um ein wirkliches Argument daraus zu machen, hätte er aber zeigen müssen, dass es dort eine deutlich höhere Missbrauchsrate als sonst gibt und dass dies signifikant mit Religion zu tun hat. Hat er aber nicht. Nicht einmal versucht.

Dann die Behauptung, Grundrechte mussten gegen Religion erkämpft werden. Das ist historisch zwar zum Teil richtig, aber auch zum Teil falsch. Was das biblische Christentum anbelangt, ist es historisch und systematisch-theologisch falsch. Möller hätte z.B. das Buch von Alvin Schmidt „Wie das Christentum die Welt veränderte“ lesen sollen. Übrigens war im Kommunismus der Atheismus quasi Staatsreligion (eine historisch recht einmalige Situation). Der Menschenrechtssituation hat es aber (z.B. unter Stalin, Mao oder Pol Pot) nichts genutzt. Wohl aber die christlich motivierten Bemühungen zur Abschaffung der Sklaverei z.B. durch William Wilberforce, um nur ein Beispiel zu nennen.

Ein anderer Vorwurf lautet: Religiöse Gruppierungen glaubten im Besitz absoluter Wahrheit zu sein. Aber was will Möller damit sagen? (Und was ist der logische Unterschied zwischen „absolut wahr“ und „wahr“?) Macht dieser Umstand (falls er stimmt) z.B. die Existenz Gottes unplausibel? Wenn Mathematiker z.B. an die „absolute Wahrheit“ mathematischer Theoreme glauben, beweist dies dann, dass diese Theoreme falsch sind? Es ist richtig: Theisten (so wie ich einer bin), glauben, dass ihre eigene Weltsicht wahr ist. Aber das tut jeder rationale Mensch. Oder glaubt etwa jemand, dass das, was er für wahr hält, falsch ist? Und glauben Atheisten nicht, dass der Atheismus wahr, meinetwegen „absolut wahr“, ist?

Sodann kritisiert Möller „Berufschristen“, die Homosexualität als Sünde bezeichnen, die wider die Natur sei. Auch hier müsste Möller erst seine Hausaufgaben machen. Er müsste z.B. belegen, dass es objektiv schlecht ist, HS als Sünde zu bezeichnen, bzw. warum dies den Glauben an Gott unplausibel macht. Übrigens hatte bereits Immanuel Kant, den Möller soeben lobend als Aufklärer gegen Religion erwähnte, in seinen Vorlesungen über Moralphilosophie Homosexualität als Verbrechen wider die Natur (lat. crimen carnis contra naturam).

Keinen Einwand habe ich gegen Möllers These, dass Kritik an Religion (er erwähnt den Islam) erlaubt sein müsse. Ja, Kritik an jeder Weltanschauung muss erlaubt sein, sei es am Christentum, am Islam – und genauso am Atheismus, lieber Herr Möller. Am Ende wird der rationale Mensch sehen (wollen), für was die Kraft der Fakten und Argumente in Summe spricht.
Die Alternativen zu Religion, so Möller: Aufklärung, Humanismus, Wissenschaft, Philosophie. Nun, echte Aufklärung, Wissenschaft und Philosophie sind (oder wären), dass man wirklich bessere Gründe und Argumente vorbringt. Genau das hat Möller jedoch nicht getan, ja nicht einmal in Ansätzen.

Möller plädiert für eine Ethik, „die sich an den Interessen des Menschen orientiert und übrigens auch aller anderer Tiere.“ Mit keinem Wort erwähnt er aber die m.E. schwerwiegenden Probleme, wie Interessen objektivierbar sind, wie man gegensätzliche Interessen ausgleicht, und vor allem, wie eine solche Ethik ohne eine absolute Instanz des Guten (Gott) wirklich begründbar ist. Auch nicht, dass die Tendenz der ethischen Nivellierung von Mensch und Tier ein Vorläuferphänomen des Nationalsozialismus war (z.B. beim Lieblingsvordenker vieler moderner Atheisten, Ernst Haeckel).

Es darf die Forderung nicht fehlen, Religion müsse Privatsache sein. Gut, aber dann müssen alle anderen Weltanschauungen, wie z.B. der Atheismus, auch Privatsache sein. Ich fordere eine strikte Trennung von Wissenschaft und Atheismus sowie Politik und Atheismus!!

Realistischer wäre aber anzuerkennen, dass Menschen für ihre Weltanschauung jeweils werben, und sie in Politik, Gesellschaft und auch Wissenschaft hineintragen, so dass es nicht selten (meist unterschwellig) um weltanschauliche Auseinandersetzungen geht. Und hier ist seit über einem Jahrhundert gerade der Atheismus bzw. Naturalismus sehr einflussreich, was man z.B. am allseits beliebten Kreationisten-Bashing erkennen kann.

Interessanterweise vertritt gerade das Neue Testament der Bibel recht klar die Trennung von Staat und Glaube. Denn die wirkliche Wahrheit kann nicht staatlich verordnet, mit Gewalt durchgesetzt oder mittels staatlicher Bildungseinrichtungen indoktriniert werden. Vielmehr verlangt sie von jedem Menschen eine persönliche Entscheidung ab.

Passives und offensives Martyrium

Ich kann den Ausführungen von Michael Wolffsohn in dem Artikel „Kann eine Bombe Mensch sein?“ in vielem nicht folgen. Aber der Kontrast zwischen dem dschihadistischem und jüdisch-christlichem Martyrium ist trefflich herausgearbeitet (FAZ vom 18.07.16, Nr. 165, S. 8):

Märtyrer sind seit jeher eine politische Waffe. Sie kann entweder defensiv oder offensiv sein. Beide Varianten gab und gibt es. Muslimische Selbstmordattentäter verstehen und präsentieren sich als Märtyrer. Sie meinen und hoffen, direkt ins Paradies zu gelangen, wo sie seelische sowie körperliche Genüsse und 72 Jungfrauen erwarten.

Muslime, Juden und Christen benutzen (in unterschiedlichen Sprachen) den gleichen Begriff, verbinden mit ihm allerdings ganz und gar Unterschiedliches. Ein Märtyrer ist für Juden und Christen jemand, der sich selbst für seinen Glauben, für seinen Gott, opfert. Sich selbst opfert – und keine anderen dabei tötet oder ermordet. Für Juden und Christen personifizieren Märtyrer das rein defensive Leid. Ihr Tod ist unfreiwillig, sie haben ihn nicht selbst gewählt. Theologisch vereinfacht entspricht ihr Tod „Gottes unergründlichem Ratschluss“. Ihrem Verständnis zufolge ist allein Gott Herr über Leben und Tod, nicht der Mensch. So gesehen, sind die Mörder dieser Märtyrer Instrumente Gottes. Keiner weiß, weshalb Gott diese ungeheure Ungerechtigkeit zulässt, jeder stellt die Menschheitsfrage nach der Gottesgerechtigkeit beziehungsweise Theodizee.

Ganz anders die heutigen muslimischen Selbstmordattentäter. Ihr Märtyrertum ist offensiv. Sie sind das handelnde, andere Menschen ermordende Subjekt. Theologisch betrachtet, gleicht dieses Märtyrertum in doppelter Hinsicht Ketzerei. Ob Muslim oder nicht, bei einem Selbstmordanschlag erhebt sich ein Mensch zum Herrn über Leben und Tod anderer Menschen. Er, nicht Gott, vernichtet fremdes Leben und das eigene. Ausgehend von den Grundannahmen des Judentums, des Christentums und auch des Islams, also fundamental theologisch gedacht, ist das nichts anderes als Ketzerei, denn letztlich wagt es ein Mensch, Gott „Nachhilfe“ zu geben. Wenn das keine Gotteslästerung ist, was dann?

Russland: Missionarische Aktivitäten massiv eingeschränkt

Die neuen Bestimmungen über Missionstätigkeit, die am 20. Juli in Russland in Kraft treten, schränken die Mission deutlich ein. Nachfolgend der bedrückende Meldung von Forum 18 (Oslo), die freundlicherweise vom Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA übersetzt wurde:

Russland: Gesetzesänderung schränkt Weitergabe von Glaubensüberzeugungen und missionarische Aktivitäten massiv ein, neue Bestimmungen über Extremismus

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(Bild: Pixabay)

Russlands Präsident Vladimir Putin hat ein Paket von Gesetzesänderungen unterschrieben, darunter auch Bestimmungen über „Missionstätigkeit“, durch die die öffentliche Ausübung der Religionsfreiheit auch in den Medien und Online weiter beschränkt wird. Die in aller Eile eingebrachten Gesetzesänderungen haben zu verbreiteten Protesten geführt, wurden aber am 6. Juli unterschrieben und am 7. Juli Mittag Moskauer Zeit auf der Website des Präsidenten bekannt gegeben. Sie werden am 20. Juli in Kraft treten.

Juristen, die sich für den Schutz der Religions- und Glaubensfreiheiten engagieren, bereiten bereits eine Berufung an den Verfassungsgerichtshof vor, die allerdings erst nach Inkrafttreten des Gesetzes eingebracht werden kann. Gleichzeitig bereiten sie Ratschläge für Einzelpersonen und Religionsgemeinschaften zur Einhaltung der Bestimmungen des Gesetzes vor. Ein protestantischer Leiter hat jedoch bereits gewarnt, dass „ein guter Christ einige der Bestimmungen nicht einhalten kann“.

Entgegen internationalen Menschenrechtsverpflichtungen beschränkt die Abänderung des Religionsgesetzes das Recht auf Weitergabe von Glaubensüberzeugungen auf Personen, die über eine Erlaubnis staatlich registrierter religiöser Gruppen bzw. Organisationen verfügen. Dadurch werden Mitglieder von Gemeinschaften, die sich entschlossen haben, ohne staatliche Registrierung zu wirken, wie etwa ein erheblicher Teil der Baptistengemeinden, von ihrem legitimen Recht auf Weitergabe ihrer Glaubensüberzeugungen ausgeschlossen. Die Gesetzesänderungen verbieten auch die informelle Mitteilung religiöser Überzeugungen, z.B. das Beantworten von Fragen oder Stellungnehmen durch Privatpersonen.

Die Gesetzesänderungen schränken auch die Inhalte ein, die weitergegeben werden dürfen, enthalten eine Liste von Orten, an denen dies gestattet ist, sowie ein ausdrückliches Verbot, religiöse Überzeugungen in Wohngebäuden weiterzugeben. Ein angeblich gegen „Terrorismus“ gerichteter Teil der neuen Bestimmungen verbietet die Umwidmung von Wohnraum für religiöse Zwecke.

Für die Verletzung der neuen Bestimmungen sind hohe Geldstrafen von bis zu 50.000 Rubel (700 Euro) für Einzelpersonen und bis zu 1 Million Rubel für Organisationen vorgesehen. Eine Strafe von 50.000 Rubel entspricht etwa sechs landesüblichen Wochenlöhnen. Durch einen anderen Teil des Gesetzespakets werden die Strafen nach Artikel 282.2 des Strafgesetzbuchs für Personen, die des „Extremismus“ für schuldig gesprochen werden, massiv verschärft. Die letzte Verschärfung dieser Strafen erfolgte erst im Februar 2014. Insbesondere Muslime, die die Werke des Theologen Said Mursi lesen, und Zeugen Jehovas wurden in der Vergangenheit häufig aufgrund von Artikel 282.2 zu hohen Strafen verurteilt.

Der Gesetzesentwurf wurde am 29. Juni 2016 vom Oberhaus des Parlaments gebilligt und zur Unterzeichnung an Präsident Putin übermittelt. Er unterzeichnete diesen trotz verbreiteter Proteste, dass durch die Gesetzesänderung die Verfassung und internationale Menschenrechtsstandards verletzt werden.

Mikhail Fedotov, der Vorsitzende des Präsidialrats für Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte, protestierte am 1. Juli direkt bei Putin, dass die Empfehlungen des Menschenrechtsrats über andere Teile des Gesetzespakets nicht berücksichtigt worden wären und betonte, dass die Änderungen ungerechtfertigte und exzessive Einschränkungen der Gewissensfreiheit von Gläubigen aller Religionen schaffen und das grundlegende Verfassungsprinzip der Nichteinmischung des Staates in die internen Regelungen von Religionsgesellschaften verletzen.

Bis jetzt enthielt das (ursprünglich 1997 verabschiedete) Religionsgesetz keine ausdrücklichen Einschränkungen der Weitergabe von Glaubensüberzeugungen in der Öffentlichkeit, auch wenn es solche Einschränkungen auf regionaler Ebene gab. 2012 trat ein vage formuliertes Gesetz in Kraft, durch das das „Verletzen religiöser Gefühle“ kriminalisiert wird, aufgrund dessen es jedoch kaum zu Strafverfolgungen kam.

Die nunmehrige Gesetzesänderung, durch die die Weitergabe von Glaubensüberzeugungen eingeschränkt wird, fügt dem Religionsgesetz ein vollständig neues Kapitel hinzu. Sie wurde Mitte Juni mit dem umstrittenen Paket von Gesetzesänderungen über die öffentliche Sicherheit und Maßnahmen gegen den Terrorismus zu einem Gesamtpaket kombiniert, in aller Eile beschlossen und unterzeichnet.

Der Inhalt der Gesetzesänderungen, wie etwa das Verbot der Weitergabe von Glaubensüberzeugungen in Wohngebäuden verstößt direkt gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Russlands. Eine Zusammenfassung dieser Verpflichtungen ist in den Richtlinien für die Überprüfung von Gesetzen über Religion der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bzw. der Venedig Kommission des Europarats unter anderem in englischer und französischer Sprache verfügbar unter http://www.osce.org/odihr/13993. Russland ist Teilnehmerstaat der OSZE und Mitglied der Venedig Kommission.

„Heute ist tatsächlich ein schwarzer Tag auf dem Kalender“ schrieb Rechtsanwalt Vladimir Ryakhovsky vom Slavic Centre for Law and Justice am 7. Juli auf Facebook. „Wir hofften, dass Vladimir Putin das Gesetz am Ende nicht unterschreiben würde. Ein Gesetz, das in direktem Widerspruch zum Missionsbefehl im Evangelium ‚Geht hin und macht zu Jüngern‘ steht und darüber hinaus noch die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger verletzt. Ryakhovsky merkte an, man müsse vorerst nach dem Gesetz leben, bis es abgeändert wird bzw. eine Berufung vor dem Verfassungsgerichtshof eingebracht werden kann. „Finden wir heraus, wie man es umgehen kann und dann werden wir versuchen, eine Abänderung zu erwirken. Geratet nicht in Panik wenn sie euch mit Horrorgeschichten aller Art bedrohen“, erklärte er und kündigte für den 19. Juli ein Seminar zum Umgang mit dem neuen Gesetz an. Der stellvertretende Bischof des Bundes der Pfingstgemeinden Konstantin Bendas brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Abgeordneten der im September neu zu wählenden Duma das Gesetz abändern werden. Besonders wichtig ist die Abänderung der Bestimmungen über die Verwendung von Privaträumen für Gottesdienste. „Die Weigerung des Staates, protestantischen Gemeinschaften Grundstücke für den Bau von Kirchen zuzuteilen, hat uns gezwungen, als Wohnbauten gewidmete Gebäude zu kaufen oder zu errichten und darin unsere Gottesdienste und karitativen Aktivitäten abzuhalten“, erklärte Bendas. Er betonte, dass Hausgemeinden ein integrierender Bestandteil der protestantischen Gemeinschaft sind und berichtete von der Belästigung einer Gemeinde bereits vor Verabschiedung der neuen Bestimmungen: „Der Polizeibeamte kam in die Wohnung, in der sich eine Gruppe der Pfingstgemeinde jeden Sonntag versammelt. Mit zufriedener Miene sagte er zu den Versammelten: ‚Jetzt, wenn sie das Gesetz verabschieden, werde ich euch alle von hier vertreiben‘. Ich rechne mit dieser Art der vehementen Durchsetzung.“ Bendas erklärte weiters, dass der Bund der Pfingstgemeinden bereits an Empfehlungen zum Umgang mit dem neuen Gesetz arbeitet. „Ich rechne damit, dass es darin auch einen Abschnitt über Forderungen, die ein guter Christ nicht erfüllen kann, geben wird.

Eine Sprecherin des Rats der (nicht registrierten) Baptistengemeinden zeigte sich betroffen über das neue Gesetz. „Wir betrachten es als repressiv für die Gläubigen in unserem Land, denn dieses Gesetz steht im Widerspruch zur Bibel“. Sie kann derzeit die Auswirkungen auf die Aktivitäten der Baptisten noch nicht abschätzen, rechnet jedoch mit Unterdrückung und Verfolgung. Die Baptisten würden sich wie bisher zum Gottesdienst versammeln, was jedoch im Falle eines konsequenten Vollzugs des Gesetzes zu Problemen führen würde. Der Bischof der evangelisch lutherischen Kirche, Konstantin Andreyev, der auch Anwalt beim Slavic Centre for Law and Justice ist, erklärte am 7. Juli, dass sein Telefon heiß lief mit Anrufen mit Fragen zu dem neuen Gesetz. „Wir beginnen uns für den Verfassungsgerichtshof vorzubereiten und arbeiten gleichzeitig Richtlinien und Empfehlungen für die Religionsgemeinschaften aus, wie sie unter dem neuen Gesetz leben können“, erklärte Andreyev.

Einige Glaubensgemeinschaften, darunter Baptisten und verschiedene andere protestantische Gemeinschaften, Zeugen Jehovas und manche muslimische Gruppen, sowie Mitglieder der Hare Krishna Bewegung sind besonders verwundbar, was die Strafverfolgung nach den neuen Bestimmungen betrifft, da die öffentliche Weitergabe ihres Glaubens für sie eine religiöse Verpflichtung bzw. ein entscheidender Teil ihrer Lehre ist.

Der Rat der Baptistengemeinden hat bereits am 4. Juli ein offenes Protestschreiben an Präsident Putin veröffentlicht, in dem er darauf hingewiesen wurde, dass der Gesetzesentwurf, der seither unterzeichnet wurde, die verfassungsmäßigen Rechte der russischen Bürger, ihre religiösen oder sonstigen Überzeugungen frei zu wählen, zu haben und zu verbreiten, verletzt. Dieser Protest und auch die über change.org lancierte Petition des Rechtsanwalts und Mitglieds einer Pfingstgemeinde Igor Yanshin, die bis zum 4. Juli von 37.000 Personen unterzeichnet wurde, blieben erfolglos. „Du fährst mit dem Zug und möchtest mit einem Mitreisenden über Gott sprechen? Vergiss es! Du könntest den Rest deiner Reise auf der nächsten Polizeistation verbringen. Du hast eine E-Mail mit einer Einladung zu einem Gottesdienst an einen Freund geschickt. Warte auf den Besuch der Polizei“, hieß es unter anderem in dem Petitionstext. Eine andere, nicht mit Religionsfreiheit zusammenhängende Petition gegen die in den inzwischen beschlossenen Gesetzesänderungen vorgesehene Überwachung des elektronischen Datenverkehrs wurde bis 8. Juli von fast 370.000 Personen unterzeichnet.

Im neuen Kapitel 24 des Religionsgesetzes heißt es: „Für die Zwecke dieses Bundesgesetzes wird Missionstätigkeit als Aktivität einer religiösen Vereinigung anerkannt, die es zum Ziel hat, Informationen über ihre Glaubensüberzeugungen an Personen zu verbreiten, die keine Teilnehmer (Mitglieder, Anhänger) dieser religiösen Vereinigung sind mit dem Ziel, dass diese Personen Teilnehmer (Mitglieder, Anhänger) werden. Sie wird direkt von den religiösen Vereinigungen oder von durch diese bevollmächtigten Staatsbürgern bzw. juristischen Personen öffentlich, mit Hilfe der Medien, des Internet oder anderer gesetzeskonformer Mittel durchgeführt.“ In seiner Petition auf change.org argumentiert Rechtsanwalt Yanshin, dass jetzt jedes Gespräch über Gott mit einem Ungläubigen Missionstätigkeit ist und der Regulierung unterliegt. Die Definition im neuen Kapitel des Religionsgesetzes scheint die Möglichkeit einer Bestrafung für die Verbreitung atheistischer Ansichten auszuschließen. Allerdings hat die Verbreitung atheistischer Ansichten und Kritik an der russisch orthodoxen Kirche in der Vergangenheit bereits zu Strafverfolgung geführt.

Unklare Rechtslage

Die Weitergabe von Glaubensüberzeugungen in Wohngebäuden ist nicht gestattet „ausgenommen nach den Bestimmungen von Artikel 16, Teil 2“ (des Religionsgesetzes). In Artikel 16, Teil 2 heißt es, dass Gottesdienste und andere religiöse Riten und Zeremonien in Wohngebäuden frei abgehalten werden können, ebenso in Gebäuden, die Eigentum einer religiösen Organisation sind oder von dieser gemietet werden.

„Ich fürchte, dass nicht einmal die Autoren des Gesetzestexts hier durchblicken“, erklärte Rechtsanwalt Yanshin gegenüber Forum 18. Es scheint, dass die Weitergabe von Glaubensüberzeugungen in Form von Hausbesuchen Tür zu Tür aufgrund des neuen Gesetzes verboten ist, aber es ist unklar, inwieweit andere Formen der Weitergabe betroffen sind. Der protestantische Bischof Bendas meinte in diesem Zusammenhang: „Wir folgen der biblischen Praxis der Hausgemeinden. Die Gläubigen kommen nicht nur am Sonntag zum Gottesdienst, sondern versammeln sich während der Woche zu Hauskreisen in den Wohnungen. Dabei werden manchmal auch Außenstehende eingeladen. Ich glaube, dass sich allein in Moskau über Tausend solcher Hausgruppen jede Woche treffen“. Während Gottesdienste in Wohngebäuden erlaubt sind, könnte die Teilnahme von nicht religiösen Personen oder Angehörigen anderer Religionen als „Missionstätigkeit“ ausgelegt werden.

Quelle: Forum 18, Oslo

USA: Für Christen wird es enger

Das Nachrichtenmagazin Time berichtet in einem Beitrag über den zunehmenden Druck, den Christen neben anderen religiösen Gruppen in Amerika ausgesetzt sind:

Some Christian institutions face pressure to conform to secularist ideology—or else. Flagship evangelical schools like Gordon College in Massachusetts and Kings College in New York have had their accreditation questioned. Some secularists argue that Christian schools don’t deserve accreditation, period. Activists have targeted home-schooling for being a Christian thing; atheist Richard Dawkins and others have even called it tantamount to child abuse. Student groups like InterVarsity have been kicked off campuses. Christian charities, including adoption agencies, Catholic hospitals and crisis pregnancy centers have become objects of attack.

Mehr: time.com.

Sabatina James „im Dialog“

Michael Hirz hat in der Phoenix-Sendung „Im Dialog“ am 27. Mai 2016 mit der Islamkritikerin Sabatina James gesprochen. Wir dürfen dankbar sein, dass es Sendungen gibt, in denen unbequeme Fragen in sachlicher Weise besprochen werden können. Es gibt ja nicht so viele Formate, die es den Gästen ermöglichen, ihre Gedanken auszuformulieren.

Gehet hin und lehret alle Völker

Reinhard Bingener und Friederike Böge haben für die FAZ einen ausgewogenen Artikel über zum christlichen Glauben konvertierende Muslime in Berlin geschrieben.

Vor fünf Jahren saß Pastor Gottfried Martens bei seinen Bibelstunden noch einer Handvoll älterer Herrschaften gegenüber. Wegen der geringen Mitgliederzahl gab es nur einen Gottesdienst pro Woche, ansonsten stand die Kirche leer. Inzwischen aber ist die Dreieinigkeitskirche im Berliner Stadtteil Steglitz vermutlich die am schnellsten wachsende Gemeinde Deutschlands. Zu den älteren Herrschaften sind inzwischen 850 Persisch-sprachige Konvertiten hinzugekommen. Weitere 350 Anwärter befinden sich derzeit in einem der viermonatigen Kurse zur Vorbereitung auf die Taufe. Fast alle Mitglieder und Taufwilligen sind Flüchtlinge, größtenteils aus Iran und in geringerem Maße aus Afghanistan, geboren und aufgewachsen als Muslime. Sie sind erst seit einigen Monaten oder wenigen Jahren in Deutschland, mehrheitlich leben sie noch in Migrantenunterkünften.

An einem Mittwoch haben sich in der schlichten Steglitzer Kirche rund 200 Taufschüler versammelt, die Holzbänke sind fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Es sind vor allem junge Männer und eine Handvoll Frauen. Viele tragen zum Zeichen ihrer Gläubigkeit einen Kreuzanhänger an einer Kette oder einem Armband. Sie lauschen den Worten von Pastor Martens, der zwischen den Bänken auf- und abschreitet, gefolgt von einem Übersetzer, der jeden seiner Sätze in persischer Sprache wiederholt. „Es gibt einige unter euch, die sich bei der Taufe zwischen Gott und ihren Eltern entscheiden müssen“, sagt Martens.

Mehr: www.faz.net.

Interview mit Albrecht Hauser zur Lage in Aleppo

Kirchenrat i.R. Albrecht Hauser gehört zu den Theologen mit viel Expertise in der Missionswissenschaft, die zahlreiche Kontakte zu verfolgten Christen haben und sich immer wieder für die bedrängte Gemeinde stark machen. Noch gestern hat er mit Christen in Syrien telefoniert und sich ein Bild von der sich dramatisch zuspitzenden Lage gemacht.

Ich habe kurz mit ihm gesprochen:

TheoBlog: Herr Kirchenrat i.R., Sie haben gestern mit Christen in Aleppo telefoniert. Wie ist die aktuelle Lage in der Stadt?

Gestern Abend um 20 Uhr erhielt ich einen Not-Anruf, da seit dem frühen Morgen die noch von der Regierung gehaltenen Stadtteile Aleppos mit stündlich zwischen 20 bis 30 Geschossen von den Stellungen der Rebellen aus bombardiert wurden. Von den 134 Krankenhäusern der Stadt im Jahre 2011 waren bis jetzt nur noch 18 funktionsfähig. Gestern wurden zwei weitere Krankenhäuser getroffen und zerstört, darunter auch ein Mutter und Kind-Krankenhaus. Es wurde berichtet, dass es dort 35 Tote gab, Frauen und Kinder, zwei davon starben auf dem Operationstisch. Die Lage ist katastrophal, wie ein Vorgeschmack der Hölle. Angst und Schrecken und die Suche nach Schutz prägt augenblicklich den Alltag der Menschen.

TheoBlog: Es gibt das Gerücht, dass zum 101. Gedenktag des Armenischen Genozids, also am 24. April 2016, besonders viele Raketen in Aleppo eingeschlagen sind.

In Aleppo leben inzwischen weniger als 40.000 Christen, da viele in den letzten Jahren geflohen sind. Die Rebellen beschießen aber ganz gezielt die christlichen Stadtteile von Aleppo, weil sie die Christen vertreiben wollen. Am 101. Gedenktag des Armenischen Genozid, am 24. April, wurden 120 Raketen in den christlichen Stadtteil geschossen. Es gab über 60 Tote und etwas mehr als 130 Verletzte. Tags darauf trafen sogar 1.200 Geschosse die von der Regierung gehaltenen Stadtteile und mehr als die Hälfte davon seien gezielt auf die christlichen Viertel abgeschossen worden. Die Regierung habe daraufhin, wohl auch mit Hilfe der Russen, die Abschussstellen bombardiert, darunter auch das schon seit 2012 zerstörte Al Quds-Krankenhaus. Von dort aus seien mehr als 300 Raketen auf die christlichen Viertel abgeschossen worden. Die Regierung habe vor der Beschießung die Menschen mit Flugblättern gewarnt, doch die Rebellen würden gezielt Menschen als Schutzschilder zum Bleiben zwingen. Mein Gesprächspartner fragte, warum dies in der westlichen Presse nicht berichtet würde. Der dort getötete Arzt sei bekannt gewesen, aktiv auf der Seite der Rebellen mitzuwirken.

TheoBlog: Wie reagieren die Christen, die noch in der Stadt sind?

Die evangelischen, orthodoxen und katholischen Christen in Aleppo kommen an Christi Himmelfahrt, Donnerstag 5. Mai abends um 19.00 Uhr (18.00 Uhr bei uns), zu einer gemeinsamen Gebetszeit zusammen, um vor Gott in die Bresche zu treten und in dieser verzweifelten Lage in Fürbitte und Anbetung vor den erhöhten Herrn zu treten. Sie bitten die Mitchristen in aller Welt, mit ihnen zusammen in Fürbitte für ihre Situation einzustehen, dass doch bald Frieden geschaffen werde und dieses hölleninspirierte Treiben ein Ende nehme. Die Not Aleppos hat die christlichen Geschwister über Konfessionsgrenzen hinweg geistlich und in gemeinsamen Hilfsmaßnahmen zusammen gebracht.

TheoBlog: Was wünschen sich die Gläubigen in Syrien von uns Christen aus Europa?

Dass wir sie in ihrer Not nicht allein lassen und ihre Situation bekannt machen, ja dass wir für sie eintreten in Fürbitte und auf darauf drängen, dass der Westen nicht länger diejenigen Kräfte unterstützt, welche die Zerstörung der Kirche und Vertreibung der Christen als ihr oberstes Ziel sehen.

TheoBlog: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Peking will Religionen sinisieren

Die FAZ meldet (26.04.16, Nr. 97, S. 5), dass in China die Religionen in Zukunft stärker gedrängt werden, ihren Glauben mit den Anliegen des Sozialismus abzugleichen. Ein Auszug:

Chinas Führung will die Religionsgemeinschaften des Landes künftig stärker kontrollieren. Bei einer Arbeitskonferenz der Kommunistischen Partei zu Religionsfragen legte Parteichef Xi Jinping am Wochenende neue Richtlinien vor. Danach wird von den Religionsgemeinschaften jetzt auch verlangt, dass sie ihre Lehrsätze der chinesischen Realität anpassen.

Der Parteichef verfügte, dass die Partei die religiösen Führer und die Gläubigen mit Hilfe der „sozialistischen Kernwerte“ führen solle, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete. Er rief die Religionsgemeinschaften dazu auf, sich den Anweisungen der atheistischen Kommunistischen Partei zu unterwerfen. Xi Jinping warnte vor einer Infiltration durch ausländische Kräfte mit religiösen Mitteln. Die Religionsgemeinschaften müssten den Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken unterstützen, sagte Xi Jinping. Dazu sollten sie ihre Lehrsätze so interpretieren, dass sie Chinas Fortschritt dienten und mit der nationalen Kultur in Einklang stünden. Eine „Sinisierung“ der in China praktizierten Religionen sei eine der Hauptaufgaben in der derzeitigen Lage.

VD: JS

Türkei: Mord an Christen ist für Staatsanwälte kein Terror

Am 18. April 2007 hatten fünf junge Männer in der osttürkischen Provinzhauptstadt Malatya drei Christen grausam ermordet und wurden auf frischer Tat von der Polizei festgenommen. Necati Aydın, Uğur Yüksel und der Deutsche Tilmann Geske hatten sich in den Räumen des evangelischen Zirve-Verlages mit ein paar jungen Männern, die Interesse am christlichen Glauben bekundet hatten, über einige Wochen hinweg zum Bibelstudium getroffen. Dies war offenbar nur ein Vorwand, um sich das Vertrauen der späteren Opfer zu erschleichen.

Obwohl die Taten politisch motiviert waren, ließ man den Terrorverdacht jetzt fallen. Deniz Yücel hat für DIE WELT berichtet:

Wer steht in der Türkei unter Terrorverdacht? Zum Beispiel die Anglistin Meral Camci, der Historiker Muzaffer Kaya, die Psychologin Esra Mungan und der Mathematiker Kivanc Ersoy. Sie gehören zu den insgesamt 2212 Wissenschaftlern, die Anfang des Jahres einen Aufruf zum Ende der Gewalt in den kurdischen Gebieten unterzeichnet und damit den Zorn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf sich gezogen hatten. Mehrere Dutzend weitere Unterzeichner verloren ihren Job, gegen einige Hundert dieser Wissenschaftler wurden Disziplinar- oder Strafverfahren eröffnet. Und vier sitzen in Haft. Der Vorwurf: Werbung für eine terroristische Vereinigung.

Keine Terroristen sind in den Augen der Staatsanwaltschaft hingegen die fünf Männer, die im April 2007 in der südostanatolischen Stadt Malatya drei Christen ermordet haben. Wie zunächst die Tageszeitung „Cumhuriyet“ berichtete, hat die Staatsanwaltschaft Malatya in ihrem Schlussplädoyer den Anklagepunkt der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung fallen gelassen.

Die Morde an dem 36-jährigen türkischen Pastor Necati Aydin, dem 32-jährigen türkischen Christen Ugur Yüksel und dem 45-jährigen deutschen Missionar Tilmann Geske hatten für internationales Aufsehen gesorgt. Die Täter waren in die Räume des evangelikalen Zirve-Verlags eingedrungen, hatten ihre Opfer geknebelt, sie an Händen und Füßen gefesselt und schließlich ihre Kehle durchgeschnitten. „Ich gehe fest davon aus, dass die türkischen Behörden alles unternehmen werden, um dieses Verbrechen aufzuklären und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte damals Frank-Walter Steinmeier, wie heute Bundesaußenminister.

Und die Voraussetzungen für eine Ahndung des Verbrechens schienen wirklich günstig, immerhin waren die Mörder noch am Tatort festgenommen worden. Doch es folgte eine jahrelange juristische Farce. Im Jahr 2012 wurde die Anklage mit den Prozessen gegen die vermeintliche Putschistenorganisation Ergenekon zusammengeführt, die mit Billigung der AKP-Regierung von Staatsanwälten aus dem Umfeld der Gülen-Bewegung gegen hochrangige Militärs, aber auch gegen Journalisten, Wissenschaftler und andere Personen des öffentlichen Lebens betrieben wurden. So wuchs die Zahl der Angeklagten im Zirve-Prozess auf 21 Personen, darunter Kommandanten der Gendarmerie in Malatya. Nach einer Gesetzesnovelle, mit der die Dauer der Untersuchungshaft auf fünf Jahre beschränkt wurde, wurden die fünf Attentäter im März 2014 aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt.

Etliche Christen in der Türkei werden neuerdings von der Terrororganisation IS bedroht. Die Bonner Querschnitte weisen darauf hin, dass seit einiger Zeit der christliche Radiosender „radio shema 98.0“ in Ankara massiv bedroht wird, so dass die Polizei anhaltend mit zwei Autos vor der Tür steht. Zeitgleich geriet die protestantische Kurtuluş-Gemeinde, zu deren Arbeitszweigen auch Radio Shema gehört, derart unter Druck, dass vor Gottesdiensten bis zu 50 Polizisten jeden einzelnen Gottesdienstbesucher genau kontrollierten, um etwaige Anschläge zu verhindern. Soner Tufan, Generalmanager von Radio Shema, schrieb: „Bislang haben wir noch nie gesehen, dass uns die Polizei so ernsthaft schützt.“ Auch habe er erfahren, dass der Premierminister der Türkei angeordnet habe, „alles zu tun, um uns zu schützen“.

Auch die anderen evangelischen Gemeinden in der Türkei sind informiert worden, dass der IS mit Anschlägen gedroht habe, weshalb die Polizei mit verstärkten Patrouillen versuchen werde, die Gemeinden zu schützen. Auch das Büro des Bibelkorrespondenzkurses in Istanbul hat in den letzten Monaten verstärk Drohungen vor allem per Telefon erhalten, wie aus Mitarbeiterkreisen bekannt wurde. Auch hier wird vermutet, dass dies aus dem Umfeld des IS kommen könnte.

Aufgrund der aktuellen Situation riefen türkische Pastoren und Leiter die Christen in aller Welt dazu auf, verstärkt für ihre Glaubensgeschwister in der Türkei zu beten.

Wohin entwickelt sich die Türkei

Diese Woche finden in Berlin die ersten Deutsch-Türkischen Regierungskonsultationen statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu mit militärischen Ehren im Bundeskanzleramt empfangen. Die Türkei wird schließlich gebraucht, sowohl bei der Terrorbekämpfung als auch bei der Eindämmung des Flüchtlingsdrangs. Mit 3 Milliarden Euro will die EU der Türkei dafür unter die Arme greifen.

Gleichzeitig spitzt sich die Situation in der Türkei unter der Regierung von Erdoğan immer mehr zu. Längst geht es um mehr als um Beschränkungen der Pressefreiheit. Türkische Intellektuelle warnen vor den Entwicklungen und sehen das Land in den Faschismus abtriften. Nachfolgend ein Beitrag, der direkt aus der Türkei kommt. Der Autor möchte namentlich nicht genannt werden.

Wohin entwickelt sich die Türkei?

Flag of Turkey svgIn der Türkei mehren sich die Stimmen, die vor einem schnellen Abgleiten des Landes in den Faschismus warnen. So spricht Orhan Kemal Cengiz in seiner Kolumne in der englischsprachigen türkischen Zeitung „Today’s Zaman“ vom 15. Januar von „Unverkennbaren Anzeichen faschistischer Tendenzen“. Hier der Artikel (allerdings auf Englisch): www.todayszaman.com.

Orhan Kemal ist Anwalt und Menschenrechtsaktivist. In der Vergangenheit hat er oft die kleinen evangelisch-türkischen Gemeinden des Landes juristisch vertreten. Im noch andauernden Prozess gegen die Mörder von drei Christen im osttürkischen Malatya im April 2007 hat er sich mit mehreren Anwaltskollegen unentgeltlich für die Christen um Aufdeckung der Hintergründe dieser Morde bemüht.

Was den eher besonnenen Cengiz bewegt, nun von eindeutig „faschistischen Tendenzen“ der derzeitigen türkischen Machthaber zu warnen, ist eine beispiellose Hetzkampagne gegen über 1000 türkische Akademiker. Vor einigen Tagen hatten sie in einem öffentlichen Aufruf das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte im Osten des Landes scharf kritisiert und zu Friendensverhandlungen mit den Kurden aufgerufen. Der türkische Präsident hat seitdem wiederholt diese Akademiker öffentlich beschimpft und bedroht und in Überschreitung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben sowohl die Leitungen der Universitäten als auch die Justiz zum Einschreiten aufgefordert. So widmete er zum Beispiel in seiner ersten Rede nach dem Selbstmordanschlag von Istanbul rund 40 Sekunden der Mordtat, aber rund 10 Minuten seinem Entsetzen über die Wissenschaftler.

Unmittelbar danach eröffneten Staatsanwälte Strafverfahren gegen zahlreiche der Professoren und Dozenten. Einige wurden verhaftet und manche dabei direkt aus der Universität abgeführt. Sondereinheiten der Terrorbekämpfung führten Hausdurchsuchungen bei einigen der Unterzeichner des Aufrufes durch. Universitäten leiteten Verfahren zur Amtsenthebung von Professoren ein. Studentische Gruppen hefteten Drohbotschaften an die Bürotüren von Professoren. Der in der Vergangenheit als Mafiaführer rechtskräftig verurteilte, aber nun für seine Nähe zum türkischen Präsidenten bekannte Sedat Peker, bedrohte in einer öffentlichen Erklärung die Akademiker. Seine Erklärung gipfelte in der Ankündigung, man werde „sich mit dem Blut der Unterzeichner duschen“.

Auch einige der wenigen verbliebenen oppositionellen Zeitungen, die „Cumhuriyet“ („Republik“), titelt am 16. Januar „Tritte des Faschismus“. Der für sein demokratisches Engagement bekannte Chefredakteuer der „Cumhuriyet“, Can Dündar, sitzt seit fast zwei Monaten zusammen mit seinem Kollegen Erdem Gül in Untersuchungshaft, weil er über zweifelhafte Waffenlieferung des türkischen Geheimdienstes nach Syrien berichtet hat. Die „Cumhuriyet“ befürchtet, dass nach Entlassungen und Verhaftungen von unliebsamen Journalisten auch die jetztige Kampagne gegen Akademiker nicht der letzte Schritt sein wird. Direkt neben der Warnung vor dem Faschismus druckt sie das bekannte Zitat des deutschen Pastors Martin Niemöller ab, das er im Rückblick auf die Nazizeit geäußert hat:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

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