Im Namen Jesu Christi beten – mit den Psalmen

Dietrich Bonhoeffer, Das Gebetbuch der Bibel (Werkausgabe, 2015, Bd. 5, Logos, S. 108–109):

Nun gibt es in der Heiligen Schrift ein Buch, das sich von allen anderen Büchern der Bibel dadurch unterscheidet, daß es nur Gebete enthält. Das sind die Psalmen. Es ist zunächst etwas sehr Verwunderliches, daß es in der Bibel ein Gebetbuch gibt. Die Heilige Schrift ist doch Gottes Wort an uns. Gebete aber sind Menschenworte. Wie kommen sie daher in die Bibel? Wir dürfen uns nicht irre machen lassen: die Bibel ist Gottes Wort, auch in den Psalmen. So sind also die Gebete zu Gott – Gottes eigenes Wort? Das scheint uns schwer verständlich. Wir begreifen es nur, wenn wir daran denken, daß wir das rechte Beten allein von Jesus Christus lernen können, daß es also das Wort des Sohnes Gottes, der mit uns Menschen lebt, an Gott den Vater ist, der in der Ewigkeit lebt. Jesus Christus hat alle Not, alle Freude, allen Dank und alle Hoffnung der Menschen vor Gott gebracht. In seinem Munde wird das Menschenwort zum Gotteswort, und wenn wir sein Gebet mitbeten, wird wiederum das Gotteswort zum Menschenwort. So sind alle Gebete der Bibel solche Gebete, die wir mit Jesus Christus zusammen beten, in die er uns hineinnimmt und durch die er uns vor Gottes Angesicht trägt, oder es werden keine rechten Gebete; denn nur in und mit Jesus Christus können wir recht beten.

Wenn wir daher die Gebete der Bibel und besonders die Psalmen lesen und beten wollen, so müssen wir nicht zuerst danach fragen, was sie mit uns, sondern was sie mit Jesus Christus zu tun haben. Wir müssen fragen, wie wir die Psalmen als Gottes Wort verstehen können, und dann erst können wir sie mitbeten. Es kommt also nicht darauf an, ob die Psalmen gerade das ausdrücken, was wir gegenwärtig in unserem Herzen fühlen. Vielleicht ist es gerade nötig, daß wir gegen unser eigenes Herz beten, um recht zu beten. Nicht was wir gerade beten wollen, ist wichtig, sondern worum Gott von uns gebeten sein will. Wenn wir auf uns allein gestellt wären, so würden wir wohl auch vom Vaterunser oft nur die vierte Bitte beten. Aber Gott will es anders. Nicht die Armut unseres Herzens, sondern der Reichtum des Wortes Gottes soll unser Gebet bestimmen.

Wenn also die Bibel auch ein Gebetbuch enthält, so lernen wir daraus, daß zum Worte Gottes nicht nur das Wort gehört, das er uns zu sagen hat, sondern auch das Wort, das er von uns hören will, weil es das Wort seines lieben Sohnes ist. Das ist eine große Gnade, daß Gott uns sagt, wie wir mit ihm sprechen und Gemeinschaft haben können. Wir können es, indem wir im Namen Jesu Christi beten. Dazu sind uns die Psalmen gegeben, daß wir sie im Namen Jesu Christi beten lernen.

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11 Kommentare
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Schandor
5 Jahre zuvor

So ermutigend und fromm das auch klingt – es ist falsch.
Bonhoeffers Fazit kann sich weder auf den Psalter in seiner Gesamtheit,
noch auch auf alle Stellen beziehen.

An mancher Stelle ist der Sprecher von der eigenen Sünde zerknirscht.
Das kann auf Jesus Christus nicht zutreffen.
Und nur weil ein Bonhoeffer das gesagt hat,
und nur weil das so fromm klingt,
ist es nicht schon wahr.

Wer die Psalmen wenig oder gar nicht liest, kann Bonhoeffers Meinung freilich zustimmen.
Aber wer recht oft und gern in die Psalmen sieht,
der merkt: so kann es nicht sein.

Wahr ist allerdings diese Aussage:

Es kommt also nicht darauf an, ob die Psalmen gerade das ausdrücken, was wir gegenwärtig in unserem Herzen fühlen. Vielleicht ist es gerade nötig, daß wir gegen unser eigenes Herz beten, um recht zu beten.

Man muss eben kritisch bleiben.

Johannes
5 Jahre zuvor

Wie ich Bonhoeffer einschätze, hat er in jedem Fall die Ansicht vertreten dass Jesus sündlos war. In welchem Umfang Jesus selbst die Psalmen gebetet hat, können wir nur vage ermessen. Als sicher kann gelten, dass Jesus am Kreuz den gesamten Psalm 22 gebetet hat. Dieser Psalm enthält tatsächlich keine Aussage über die eigene Sünde.

Die „Lösung“ des Problems könnte in 2. Kor. 5,21 liegen: „Denn er [Jesus] hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“ Genau deshalb musste Jesus übrigens auch getauft werden.

Schandor
5 Jahre zuvor

Das ist ein sehr interessanter Gedanke. Dennoch scheint mir eine seltsame Intentionalität vorzuliegen, sollte man – wie Bonhoeffer ja zu insinuieren scheint – davon ausgehen, die Psalmen seien eine Art Gebetssammlung Jesu. Zumindest habe ich den Text so verstanden.

5 Jahre zuvor

… die Psalmen seien eine Art Gebetssammlung Jesu …

Das finde ich nicht im Zitat Bonhoeffers. Im zweiten Absatz sehe ich den Hinweis auf die christuszentrierte Exegese. Das andere ist, dass Jesus sehr wohl sündlos ist, Er aber auch unter Anfechtungen litt (Gebet im Garten Gethsemane), die in den Psalmen thematisiert werden. Auch betete Jesus aus den Psalmen (Ps 22: Mein Gott, mein Gott …; Ps 31 In deine Hände befehle ich meinen Geist …).

toblog
5 Jahre zuvor

Wie die Reinheit des Opferlammes genau zu verstehen ist, ist in der Tat ein interessantes Thema. Denn formal ist Jesus ja nicht mehr sündlos am Kreuz. Mich hat die Frage beschäftigt, wie Jesus unsere Sünden, die Gott auf ihn gelegt hat, eigentlich wieder wegbekommt. Betrachtet man Hebr. 5,7, dann kann man erkennen, dass die Auferweckung Jesu aus dem Totenreich eben kein Selbstläufer war, die sich Jesus mit seinem Tod erwirbt. Hat Jesus allein dadurch, dass er in den Tod ging, die Sünden/Schuld der Welt abbezahlt, sodass sie nicht mehr auf ihn gerechnet werden? Oder kann man nicht vielmehr auch Ps. 103,1-13 messianisch deuten? Der dir alle deine Sünden vergibt…der dein Leben vom Verderben erlöst…Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt….Oder auch die Geschichte vom verlorenen Sohn?

Schandor
5 Jahre zuvor

Wie er … die Sünden wieder … „wegbekommt“? Durch seinen Tod am Kreuz! Damit ist der Gerechtigkeit Gottes Genüge getan. Genüge heißt: genug. Mehr braucht es nicht. Weder römische Mortifikationsmeister und Selbstquäler der Superlative können dem etwas hinzufügen. Getilgt ist getilgt. Die Schuld besteht nicht mehr durch diese Tat des Mensch gewordenen Gottes. Man wird auch Hebr 5,7 nicht singulär deuten dürfen in die Richtung: Jesus hätte tot bleiben müssen, hätte ihn Gott nicht auferweckt. Das stimmt in gewissem Sinn sicher, aber hier darf man nicht zu sehr im Kausalnexus verhaftet bleiben, denn immerhin hat Jesus ja auch gesagt, das Auferstehen von den Toten sei ihm von Gott geboten worden. Er gab sein Leben und nahm es wieder an sich. Jesus hat „allein“ dadurch, dass er in den Tod ging, die Sünden/Schuld der Welt bezahlt. Da bleibt keine Schuld mehr bestehen, aber es ist immerhin Schuld auch aufgrund von Sünden, die erst noch begangen werden. Jetzt wirds freilich schwierig: denn… Weiterlesen »

toblog
5 Jahre zuvor

@Schandor:
Wenn man anerkennt, dass durch den stellvertretenden Sühnetod die Fluchseite des Gesetzes „erfüllt“/erledigt wurde (vgl. Gal. 3,13), dann ist auch einsichtig, dass dieser Rechtsakt in der Mitte der Zeit ein für alle Mal erledigt werden konnte. Damit hat der Sohn unsere Verbindlichkeiten vom Vater abgekauft (de jure). Und vor allem auch dem Ankläger ist die Grundlage entzogen. Dem Sohn ist jetzt das Gericht übergeben und wir Menschen stehen ihm als Vertreter Gottes gegenüber. Mit Hinweis auf seinen stellvertretenden Sühnetod kann er uns heute bedingungslos vergeben (de facto) – wenn wir das glauben.

Schandor
5 Jahre zuvor

@toblog

d’accord!

toblog
5 Jahre zuvor

Danke. Jesus hat also alle Schuld der Welt auf sich und sitzt deswegen im Gefängnis des Todes. An Stelle von uns. So wie wir ohne Vergebung auch dort bleiben müssten. Welche formal-juristische Begründung gibt es nun, weswegen er wieder auferstehen darf? Was passiert zwischen dem „zur Sünde gemacht“ und dem „auf dass wir in ihm Gottes Gerechtigkeit würden“ (2. Kor. 5,21)? Hier bleibt Paulus ja in streng juristischen Begriffen.

Schandor
5 Jahre zuvor

Schon, aber das Paket „Erlösung“ ist ein Gesamtpaket (Tod+Auferstehung ––– + sündloses Leben auf Erden freilich auch). Die formal-juristische Begründung sehe ich in erster Linie dort, wo alles Formal-Juristische in Gott seinen Grund haben muss. Sonst unterstünde Gott dem Formal-Juristischen. Nun sagt aber der Gottessohn einmal, sein Vater habe ihm geboten, das Leben zu lassen UND es wieder an sich zu nehmen (Joh 10,18). Wenn man das nun auf formal-juristische Terminologie reduziert, entsteht die berechtigte Frage: Weswegen darf er wieder auferstehen? Aber es handelt sich in erster Linie um einen Auftrag, den der Gott-Mensch zu erfüllen hatte – und den er gehorsam erfüllt hat. Dieser Gott-Mensch hat einmal gebetet: Wenn möglich, lass diesen Kelch an mir vorübergehen … Gott sei gelobt und gepriesen, dass er diese Bitte seines Sohnes nicht erhört hat! Ich vermute aber, diese Antwort wird @toblog nicht reichen, und verstehe das auch. Man fragt ja nach etwas bestimmten und möchte eine entsprechende Antwort. Ich bin sicher, es… Weiterlesen »

toblog
5 Jahre zuvor

@Schandor: Ja, ich denke auch, dass es im Plan des Vaters lag, ihn wieder aufzuerwecken. Weil er den Plan bis zum „es ist vollbracht“ erfüllt hat und am Vater festgehalten hat (Hebr. 5,7 „Gott in Ehren hielt“). Doch im Tod hatte er selbst formal nichts mehr zu bringen. Nur den Dreck der Welt.

Und hier gebe ich die Antwort mit Luk. 15,20 aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn: Als er noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und wurde im Innersten von Erbarmen bewegt, lief (ihm entgegen) und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

Um den Sohn wieder anzunehmen, nachdem er ihn wegen der Schuld der Welt zeitweilig verlassen musste, dazu musste er von den Sünden der Welt absehen! Und zwar ohne Gegenleistung.

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