Ich bin kein Anhänger von Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung (siehe dazu hier) und kritisiere mit anderen seine Kreuzestheologie (vgl. hier). Trotzdem lese ich Moltmann gern und schätze ihn als einen streitbaren Theologen, der mitunter sehr klar zu lehren und zu schreiben vermag. Neulich habe ich einen kleinen Schatz bei ihm entdeckt.
Hier das Zitat (Christliche Erneuerungen in schwierigen Zeiten, 2019, S. 14–16):
Heute haben wir es mit einer Dialoginflation zu tun. Man will mit jedem und möglichst allen „ins Gespräch kommen“. Theologie muss relational und kommunikativ sein. Der Gegenstand, über den wir sprechen, ist nicht so wichtig, die Beziehung, die wir im Dialog eingehen, ist wichtiger. Der Dialog unserer Tage dient nicht der Wahrheit, sondern der Gemeinschaft. Diese gemeinschaftssuchenden Dialoge gehen von einer Kirchengemeinschaft zur anderen, von einer Religionsgemeinschaft zur anderen. Zugleich entstehen wahrheitssuchende Dispute in allen Kirchen und in allen Religionen zwischen Konservativen und Progressiven, zwischen Fundamentalisten und Modernisten. Warum sind die gemeinschaftssuchenden Dialoge und die wahrheitssuchenden Dispute getrennt? Warum gehen Gemeinschaft und Wahrheit nicht zusammen?
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Es gibt einen flachen Witz über die moderne Philosophie der Kommunikation: Ein Reisender ist in einer fremden Stadt. Er fragt einen, der ihm begegnet: „Wissen Sie, wo es zum Bahnhof geht?“ Der antwortet: „Das weiß ich auch nicht, aber ich freue mich, dass wir ins Gespräch gekommen sind.“ Es ist kein Wunder, dass es in der Theologie still geworden ist. Ich erinnere noch die heftigen Dispute über „Entmythologisierung“ oder „feministische Theologie“, um nur zwei zu nennen. Heute sind Theologen friedlich geworden. Es gibt kaum noch Streit. Die Öffentlichkeit nimmt kaum noch Notiz. „Wissenschaftliche Theologie“ hat die Kirchen verlassen und konzentriert sich auf Anerkennung im Haus der Wissenschaften. Dogmatik geht zur Religionsphilosophie über. In früheren Zeiten klagten die Leute über die Streitlust der Theologen, die rabies theologorum. Heute ist Theologie eine harmlose Angelegenheit geworden. Ist das nicht gut so? Nein! Wir müssen wieder lernen. Ja oder Nein zu sagen. Ein Streit kann mehr Wahrheit enthalten als ein toleranter Dialog.
Amen!!
Mt. 5,27: „Es sei aber eure Rede: Ja, ja! Nein, nein! Was darüber ist, das ist vom Bösen.“
Dachte Jesus dabei auch an die heutigen Nebelbänke aus verschleierndem Geschwurbel, die die Sicht (auch auf das Böse) behindern? Ist die inflationäre Geschwätzigkeit der Gegenwart nicht Sünde, wenn/da sie gar nicht die Wahrheit zum Ziel hat?