Empfehlenswerter Bücher zum Thema „Pornographie“

David, Betreiber der Internetseite Unbeschwert laufen, hat eine hilfreiche deutschsprachige Liste empfehlenswerter Bücher zum Thema „Pornographie“ zusammengestellt. Eine sehr gute Ressource für Betroffene, die tiefer gehen wollen; Gruppenleiter; Jugendleiter u. Jugendmitarbeiter; Pfarrer/ Pastoren u. Gemeindeleiter u. Älteste; Gemeindemitarbeiter; Seelsorger u. Berater.

Die Liste kann in zwei Versionen hier jeweils als PDF-Datei heruntergeladen werden: unbeschwert-laufen.de.

Folgen der Bildschirmzeit bei Kindern

Kleine Kinder unter drei Jahren sollten keine Zeit vor Bildschirmen und Fernsehern verbringen. Dennoch passiert es. US-Forscher haben die Auswirkungen untersucht. Die Ergebnisse sind beunruhigend – und sollten Eltern alarmieren. DIE WELT schreibt:

Bei einjährigen Kindern führte jede Bildschirmaktivität zu einer um 105 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit, „starke“ sensorische Verhaltensweisen anstelle von „typischen“ zu zeigen – verglichen mit Kindern, die nicht fernsahen. Die „starke“ Sinneswahrnehmung war bei den knapp drei Jahre alten Kindern bereits mit einer Wahrnehmungsstörung verbunden.

Bei zweijährigen Kindern führte jede zusätzliche tägliche Stunde vor dem Bildschirm zu einer 20 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit, nach 33 Monaten eine „hohe“ Sensationslust oder ausgeprägte Sinnesvermeidung zu entwickeln.

Die Liste der Beeinträchtigungen ist lang. Forscher beobachten bei Säuglingen und Kleinkindern in diesem Zusammenhang Schlafstörungen, verminderte Aufmerksamkeit und Sprachverzögerung; Probleme werden von ihnen nur verzögert gelöst. Auf die Entwicklung von ADHS und Autismus, so die Vermutung, kann sich verstärkte Bildschirmzeit ebenfalls auswirken.

Laut einer wissenschaftlichen Recherche verbrachten im Jahr 2014 Zweijährige und Jüngere in den USA täglich durchschnittlich drei Stunden und drei Minuten pro Tag vor dem Bildschirm. 1997 hatte die Zahl noch bei 79 Minuten gelegen. Die American Academy of Pediatrics (AAP) rät bei Kindern unter zwei Jahren davon ab, vor dem Bildschirm zu sitzen oder liegen. Live-Video-Chat wird von der AAP als möglich erachtet, da die stattfindende Interaktion einen eventuellen Nutzen bringt, etwa im Austausch mit Großeltern.

Die wichtigste Aussage lautet meines Erachtens: „Nicht nur die Zeit vor dem Bildschirm wirkt sich entscheidend auf die Wahrnehmungsfähigkeiten der Kinder aus. Sondern ebenso, dass sie dabei alleine sind, ohne Eltern und Interaktion mit der realen Welt. Die mangelnde Beschäftigung mit Bezugspersonen schadet den Kleinkindern ebenfalls. Etwas fehlt.“

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Päivi Räsänen: Staatsanwaltschaft lässt nicht locker

Am 14. November 2023 habe ich hier über den einstimmigen Freispruch von Päivi Räsänen berichtet. Sie und ein befreundeter Bischof mussten sich vor Gericht verantworten, weil sie sich in einer sexualethische Debatte zu biblischen Positionen bekannt hatten. Räsänen und Bischof Pohjola wurde freilich in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Doch die finnische Staatsanwaltschaft wird gegen das zweite einstimmige Gerichtsurteil Berufung einlegen, meldet ADF International. Die Staatsanwaltschaft fordert demnach Zehntausende von Euro an Geldstrafen und besteht darauf, dass die Veröffentlichungen von Räsänen und Pohjola zensiert werden.

Päivi Räsänen kommentiert das Vorgehen der Staatsanwaltschaft: 

Nachdem ich vor zwei Gerichten einstimmig freigesprochen wurde, habe ich keine Angst vor einer Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof. Auch wenn mir bewusst ist, dass jeder Prozess Risiken birgt, würde ein Freispruch durch den Obersten Gerichtshof einen noch stärkeren positiven Präzedenzfall für das Recht aller Menschen auf freie Meinungsäußerung und Religionsfreiheit schaffen. Und sollte der Gerichtshof beschließen, die Freisprüche der unteren Gerichte aufzuheben, bin ich bereit, die Rede- und Religionsfreiheit notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verteidigen.    

Im 21. Jahrhundert wird die Nachfolge jeden Jünger etwas kosten

Timothy Paul Jones hat im Februar 2023 am Seminar der Südlichen Baptisten (Louisville, Kentucky, USA) einen bemerkenswerten Vortrag über die Verteidigung des christlichen Glaubens gehalten (in der Fachsprache „Apologetik“). Ähnlich wie James R. Wood in seinem Aufsatz „Warum ich mich von Tim Kellers Apologetik abgenabelt habe“ (Glauben und Denken heute, Nr. 22/2022, S. 28–30), macht Jones darauf aufmerksam, dass die Apologetik nicht länger davon ausgehen darf, die Gesellschaft sei für die Option der christlichen Sichtweise aufgeschlossen. Die Zeit, in der die westliche Kutlur gegenüber dem Christentum hin- und hergerissen war, sei vorbei. Die Stimmung sei inzwischen so sehr gekippt, dass die Kirche für die Probleme in der Welt verantwortlich gemacht würde. 

Timothy Paul Jones erwartet dabei interessanterweise nicht, dass die Apologetik viele Menschen überzeugt. Vielmehr sei sie notwendig, um den gesellschaftlichen Anspruch der christlichen Kirche zu verteidigen. Vor allem gebrauche Gott die „neue Apologetik“, um seine Kirche dafür zuzurüsten, beharrlich ihren Glauben trotz Gegenwind öffentlich zu praktizieren und verkündigen. Er schreibt („Brothers and Sisters, We Are All Apologists Now“, SBJT, Nr. 27/2, 2023, S. 110-127, hier S. 122): 

Ich bin nicht sonderlich zuversichtlich Blick darauf, dass diese Argumente [für den christlichen Glauben] irgendeinen zeitgenössischen säkularen Progressivisten davon überzeugen werden, dass christliche Berufe und Praktiken gut für die Welt sind. Soweit man das heute beurteilen kann, haben die Entschuldigungen von Aristides, Justin und Athenagoras die kaiserliche Wahrnehmung des Christentums nicht verändert. Im zweiten Jahrhundert standen die schlimmsten Verfolgungen ja noch bevor. Warum also habe ich Ihnen diese antiken Beispiele angeführt? Und warum habe ich es gewagt, zu erklären, dass wir jetzt alle Apologeten sind? Nicht, weil ich erwarte, dass diese Praktiken jeden Säkularisten vom sozialen Nutzen des Christentums überzeugen werden. Sondern weil Gott uns durch Handlungen wie diese zu einer Gemeinschaft formt, die über den Aufstieg und Fall jeder Macht, die sich der Wahrheit Gottes widersetzt, hinaus Bestand hat. Was durch diese besonderen Handlungen wahrscheinlich Gestalt annimmt, ist nicht die Überzeugung der Welt, sondern die Formung eines Volkes – eines Volkes, das beharrlich seinen Glauben öffentlich praktiziert und verkündet.

Ich sehe die Dinge etwas hoffnungsoller als Jones und bete weiterhin für ein geistlichen Erwachen in Europa. Nichtsdestotrotz erkenne ich einen bedeutsamen Wahrheitsmoment in seiner Argumentation. Apologetik ist nicht nur für das Erreichen der Menschen draußen notwendig, sondern auch für die Zurüstung der Gemeinde. Und: Es wird uns in Zukunft etwas kosten, unseren Glauben öffentlich zu bekennen.

Der Aufsatz „Brothers and Sisters, We Are All Apologists Now“ kann hier heruntergeladen werden: SBJT-27.2-We-are-All-Apologists-Now-Timothy-P.-Jones.pdf.

Auch Christen brauchen das Evangelium

Vor etwa zwanzig Jahren hörte Derek Thomas Jerry Bridges auf einer Konferenz in Iowa. Bei einem seiner Vorträge erklärte er, warum auch Christen das Evangelium brauchen. Ein Anlaß für Thomas, den Artikel „Auch Christen brauchen das Evangelium“ zu schreiben. Darin heißt es: 

Manchmal kann ein schlechtes Gewissen aus einem übertrieben sensiblen Geist resultieren. Schon die kleinste Übertretung kann manche an einen Ort der Finsternis und Verzweiflung treiben. Der Apostel Johannes spricht diese Angelegenheit in seinem ersten Brief an: „Und daran erkennen wir, dass wir aus der Wahrheit sind, und damit werden wir unsere Herzen vor Ihm stillen, dass, wenn unser Herz uns verurteilt, Gott größer ist als unser Herz und alles weiß.“ (1Joh 3,19–20). Allzu leicht ist es möglich, dass sich unser Gewissen Gottes Zusicherung in den Weg stellt. Unser Herz verdammt uns dort, wo das Evangelium uns vergibt. Johannes zeigt den Ausweg: Eine Anwendung der Medizin des Evangeliums ist größer als unser Herz. Ein Gewissen, das uns verurteilt (ob vor oder nach unserer geistlichen Wiedergeburt), sollte auf Christus blicken und seine Vergebung empfangen. In den Worten von Joseph Hart: „Lass dich nicht von deinem Gewissen treiben“ (aus dem alten Kirchenlied „Come Ye Sinners, Poor and Needy“).

Mehr: www.evangelium21.net.

Fall einer Bloggerin

Die Bloggerin Rona Duwe äußerst sich pointiert kritisch zum Selbstbestimmungsgesetz und liefert sich im Internet Debatten mit Transgender-Aktivisten. Nun lädt die Polizei sie zur erkennungsdienstlichen Behandlung vor. Ihr Anwalt bezeichnet das Vorgehen der Polizei als „absolut unüblich“.

Ich empfehle die Lektüre des WELT-Beitrags von Anna Kröning. Darin heißt es: 

Was ihr aktuell vorgeworfen wird, das ist weder für Duwe noch für ihren Rechtsanwalt nachvollziehbar. Duwe geht davon aus, dass auch dahinter politisch motivierte Gruppen stehen, die versuchten, sie mit einer Flut von Anzeigen und Beschwerden zum Schweigen zu bringen – offenbar mit Erfolg, da auch die Polizei sie wie eine „Verbrecherin“ behandle: „Ich halte diese erkennungsdienstliche Vorladung für einen Einschüchterungsversuch.“

Ihr Anwalt Lammers setzt sich mit der Polizei in Verbindung, versucht, die Angelegenheit zu klären. Lammers beantragt bei der Staatsanwaltschaft Einsicht in Akten des von der Polizei erwähnten Ermittlungsverfahrens, welches Anlass für die erkennungsdienstlichen Maßnahmen sein soll. Er erhält eine solche Akteneinsicht bis heute nicht. Schriftlich erläutert Lammers der Polizei, weshalb er die beabsichtigte Vorladung für rechtswidrig halte. Gleichwohl erlässt die Polizei am 8. Dezember 2023 einen Vorladungsbescheid gegen Duwe – unter anderem zur Aufnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken.

Wie viele dieser „politisch initiierten“ Verfahren inzwischen bundesweit geführt wurden, ist bislang nicht erfasst, doch habe das Thema in den vergangenen Jahren und der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz deutlich an Fahrt aufgenommen, beobachte Jacob. Die Aussage, es gebe von Natur aus Männer und Frauen, könne inzwischen zu persönlichkeitsrechtlichen Verfahren führen, könnten in Zukunft von Gerichten im Einzelfall als Beleidigungsdelikte gewertet werden, sagt Jacob. Dass mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz jeder Mensch ab 14 Jahren in Deutschland sein juristisches Geschlecht im Personenstand selbst definieren darf und eine objektive Überprüfung nicht mehr nötig ist, könne zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Etwa dann, wenn öffentlich ein sogenanntes drittes Geschlecht oder ein fluider Geschlechtsbegriff angezweifelt wird.

Mehr: www.welt.de.

Oswald Bayer: Über Selbsteinschätzung und Eingeschätztwerden

Wer bin ich? Obwohl die es im Hier und Jetzt keine erschöpfende Antwort auf diese Frage gib, darf ich doch wissen, dass meine Identität in guten und starken Händen von Ewigkeit zu Ewigkeit aufbewahrt ist. Oswald Bayer schreibt (Leibliches Wort, 1992, S. 33–34):

Angesichts der unentrinnbaren Selbstbelastung durch das Gesetz und die von ihm geforderte Gerechtigkeit wird verständlich, welche Entlastung und Befreiung das Wort vom Glauben als Werk Gottes ist: Weil für den Glauben – das heißt: für mich selbst – Gott allein verantwortlich ist, habe ich von mir selber Distanz und bin so frei, aus mir herauszugehen – auf Gott, den anderen und alle Kreaturen zu.

Die Selbsteinschätzung und das Eingeschätztwerden, das Beurteiltwerden von anderen bleibt zwar die Realität des alltäglichen Rechtfertigungszusammenhanges: Ich muß mit dem Bild, das ich von mir selber, von meinen Fähigkeiten und Schwächen habe, umgehen; ich muß berücksichtigen, wie andere mich sehen und beurteilen.

Das Entscheidende und das Befreiende des Glaubens ist nun aber, daß diese tägliche – bis zum Tod notwendige – Balance zwischen Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung nicht das Erste und nicht das Letzte ist. Wir sind nicht dazu verdammt, sondern dazu befreit, in dieser Balance zu leben, die durchdrungen und umgriffen ist von Gottes rechtfertigendem Wort.

Unübertrefflich hat davon Dietrich Bonhoeffer in seinem Gedicht „Wer bin ich?“ geredet. Bin ich das, was ich selbst von mir weiß? Oder bin ich das, was andere von mir sagen? Diese Fragen werden nicht weggeblasen; sie verschwinden nicht. Gleichwohl: „Wer ich auch bin“ – ich kann das dahingestellt sein lassen –, „Du kennst mich, dein bin ich, o Gott!“

Im Gebet ist die Frage „Wer bin ich?“ nicht beantwortet, aber in gute Hände weggegeben – in der Gewißheit, daß für mich selbst von Ewigkeit zu Ewigkeit gesorgt ist. Damit bin ich mir selber entzogen – in einer barmherzigen und gnädigen Weise entzogen. Die Freiheit, die sich daraus ergibt, besteht nicht zuletzt darin, daß ich über mich selber kein letztes Urteil sprechen muß und daß das, was andere über mich sagen, kein letztes Urteil ist, sondern immer nur ein vorletztes. Ich muß also keine definitive Bilanz ziehen, sondern darf hier alles das Vorletzte sein lassen und mit Unfertigem leben.

Dramatisieren die Medien Schwangerschaftskonflikte?

Ich finde es erschreckend, wie unkritisch die FAZ Ansichten von Abtreibungsbefürtwortern propagiert und infolgedessen auch noch groben Unfug verbreitet. In dem Interview „Frau allein, traurig, depressiv“ darf die Filmemacherin Franzis Kabisch darlegen, wie es Abtreibungsgegner gelungen ist, mittels Fotos und bildgebender Verfahren die Kritik an Schwangerschaftsabbrüchen zu untermauern. Den Interviewer Matthias Dell, (schreibt auch für ZEIT, SPIEGEL und DEUTSCHLANDRADIO) scheint es zu erfreuen, wenn über die spielerische Leichtigkeit bei der seelischen Verarbeitung von Abtreibungen berichtet wird. 

Konkret: Kabisch behauptet: 

Mit der Personalisierung des Fötus. Viele Forscherinnen markieren das als einen wichtigen Punkt. Der Fötus wurde instrumentalisiert von rechten Gruppen – als eigene Person, die, wie die Historikerin Barbara Duden das nennt, zum „öffentlichen Fötus“ wurde. Der braucht nichts, sondern ist autonom und universal. Diese völlige Loslösung von der Schwangeren hat es einfach gemacht, sich für den Fötus einzusetzen. Der wird dagegen auch nie Widerstand leisten und so vereinnahmt für einen „Lebensdiskurs“, in dem die schwangere Person ihm entgegengesetzt ist als Bedrohung. Dabei ist niemand automatisch ein autonomer Mensch, auch das Baby braucht nach der Geburt Fürsorge, Nahrung.

Was passiert hier: Menschen, die davon überzeugt sind, dass auch ein ungeborenes Kind Person ist, werden in die rechte Ecke gestellt. Zugleich wird die These aufgestellt, dass diese Leute meinten, ein Fötus sei autonom und könne von einer schwangeren Frau völlig losgelöst betrachtet werden. Beide Behauptungen sind falsch.

Erwartbar wird in dem gesamten Interview auf das Forschungslage zur Situation der Frauen gar nicht eingegangen. Vermittelt werden soll: Die allermeisten Frauen sind glücklich mit ihrer Entscheidung, abgetrieben zu haben. Was über die Medien – insbesondere durch Bilder – vermittelt wird, dass nämlich Föten Personen seien und Frauen, die abgetrieben haben, Selbstzweifel hätten, ist nur konstruierte Wirklichkeit.

Dass der STERN 1971 mit seine Kampanie „Ich habe abgetrieben“ Frauen bewusst „in Szene gesetzt“ hat, wird nicht einmal erwähnt. Im Gegenteil! Kabisch behauptet: „Es stehen sogar die Namen darunter. Und die Frauen sehen eigentlich alle zufrieden aus, erleichtert oder einfach so, wie man sich Menschen im Alltag vorstellt, die nicht für ihr Leben traumatisiert sind.“

Haben die Kulturwissenschaftlerin Franzis Kabisch und der Medienjournalist Matthias Dell übersehen, dass es ein großer Bluff war, als Romy Schneider, Senta Berger und Alice Schwarzer zusammen mit 371 anderen Frauen im Stern bekannten „Wir haben abgetrieben!“? Alice Schwarzer hat zum Beispiel schlicht gelogen: „Aber das spielte keine Rolle. Wir hätten es getan, wenn wir ungewollt schwanger gewesen wären“ (vgl. hier).

Wenden wir uns kurz von der medialen Wirklichkeit ab. Die Ärztin Angelika Pokropp-Hippen zitiert in ihrem Aufsatz über das Post Abortion Syndrom (PAS) aus einer Studie des Elliot Institutes, bei der 260 Frauen von 15 bis 35 Jahren aus 35 verschiedenen Staaten der USA zu ihrem Gefühlszustand nach der Abtreibung befragt wurden: 

  • 92,60% der befragten Frauen leiden an starken Schuldgefühlen
  • 88,20 % leiden an Depressionen
  • 82,30 % haben ihr Selbstwertgefühl verloren
  • 55,80% haben Selbstmordgedanken
  • 66% beendeten die Beziehung zu ihrem Sexualpartner nach der Abtreibung
  • 40,60% begannen, Drogen zu nehmen
  • 36,50% flüchteten in den Alkohol

Johannes Gonser setzt sich in seinem Buch Abtreibung – ein Menschenrecht?: Argumentationshilfen zur Debatte um den Schwangerschaftsabbruch übrigens gründlich mit der Frage auseinander, ob ein ungeborener Mensch Person ist oder nicht. Das Buch ist meiner Meinung nach ein wichtiger Debattenbeitrag.

Geerhardus Vos: Das Reich Gottes

Der in den Niederlanden geborene Geerhardus Vos (1862–1947) war von 1893 bis 1932 Professor für Biblische Theologie am Princeton Theological Seminary (USA). Er ist bekannt geworden für seine Pionierarbeit im Bereich der sogenannten „Biblischen Theologie“, als deren „Vater“ er gelegentlich bezeichnet wird. Er gehört zu jenen Theologen, die an die vollständige Inspiration der Heiligen Schrift glaubten und ihr die höchste Autorität in allen Fragen einräumten und zugleich akademisch auf dem höchsten Niveau arbeiteten. Vos zeigte und begründete in seinen Vorlesungen und Schriften, dass Gottes erlösende Offenbarung als ein sich organisch entfaltender historischer Prozess erfolgt und das diese Einsicht für die Auslegung der Schrift sehr bedeutsam ist.

Bis vor Kurzem sind nach meinen Wissen keine Schriften von Geerhardus Vos in deutscher Sprache erschienen. Umso erfreulicher ist es, dass der Betanien Verlag inzwischen das kleine Buch Das Reich Gottes und die Gemeinde publiziert hat. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe heißt es (S. 8–10):

Das vorliegende Buch schrieb Vos im zweiten Jahrzehnt seiner Professur in Princeton im Jahre 1903 und somit ist es eines seiner früheren Werke. Es entstand zu einer Zeit, als er und seine Frau Catherine nach neun Ehejahren endlich ihr erstes Kind bekamen und er tägliche Mittagsspaziergänge mit Benjamin B. Warfield unternahm, denen sich oft auch weitere Princeton-Theologen wie J. Gresham Machen anschlossen. Kurz zuvor hatte Vos begonnen, neben seiner akademischen Tätigkeit auch allgemeinverständliche Artikel für eine breite Zielgruppe zu schreiben und in einem neuen Journal namens „The Bible Student“ zu veröffentlichen, das ein bibeltreues Schriftverständnis unter Christen fördern sollte. Seine Schriftauslegung in diesen Artikeln hatte dabei einen starken heilsgeschichtlichen Fokus. „Das Reich Gottes und die Gemeinde“ ist die Weiterentwicklung einiger Artikel und Rezensionen, die Vos in „The Bible Student“ veröffentlich hatte. Er wollte mit diesen Artikeln damals aufkommende irrige Sichtweisen des Reiches Gottes korrigieren, die insbesondere aus deutschsprachiger Richtung die bibeltreue Theologie zu beeinflussen begannen: So verbreitete der deutsche Theologe Wilhelm Lütgert (ein Schüler Adolf Schlatters) eine allein diesseitige Sicht des Reiches Gottes; der Schweizer Paul Wernle publizierte ein Buch über seine rein eschatologische Auffassung des Reiches. Andere jüngere theologische Richtungen vertraten eine strikte Trennung zwischen Reich Gottes und Gemeinde, insbesondere der von John Nelson Darby eingeführte Dispensationalismus, der auch unter den Old-School-Presbyterianern, denen Vos angehörte, Anklang fand. Die Darstellung und Kritik falscher Auffassungen nimmt jedoch nicht sonderlich viel Raum in diesem Buch ein; Vos legt den Schwerpunkt auf eine konstruktive Darlegung dessen, was der Herr Jesus ganz in Harmonie mit dem AT und mit Paulus über Gottes Königsherrschaft lehrt. Da das Thema Reich Gottes einer der ganz großen „roten Fäden“ der biblischen Heilsgeschichte ist – wenn nicht sogar das eine große vereinende Thema der Bibel kommt Vos’ theologische Brillanz als Experte für heilsgeschichtliches Verständnis hier besonders gut zum Ausdruck.

Geerhardus Vos soll noch selbst zu Wort kommen. Über den Glauben sagt er, dass letztlich Gott diesen im Menschen wirkt, er also ein Geschenk von oben ist. Leider muss das innerhalb der evangelikalen Szene heute wieder herausgestellt werden, da in ihr die Anschauung verteidigt wird, der Glaube sei ein Werk des Menschen. Vos schreibt (S. 110):

In letzter Analyse ist Glaube gemäß Jesu Aussage eine Gabe Gottes. Glaube muss das Werk Gottes im Menschen sein, denn nur so lässt er sich mit der Erkenntnis in Einklang bringen, dass wir alles dem Wirken Gottes für uns und in uns verdanken. Der Vater ist es, der den unmündigen Kindern das offenbart, was er „vor Weisen und Verständigen verbirgt“ (Mt 11,25). Jesus betet für Petrus, dass sein Glaube nicht aufhört. Gebet ist also ein Anerkennen, dass das, wofür wir beten, abhängig ist vom Willen und Wirken Gottes. Als Petrus bekannte: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16), antwortete Jesus, dass nicht Fleisch und Blut ihm dies offenbart haben, sondern der Vater im Himmel.

Im Johannesevangelium werden in den Reden Jesu einige wichtige Punkte seiner Lehre über den Glauben klarer und ausdrücklicher herausgestellt als bei den Synoptikern. Glaube ist hier durchweg Glaube an Jesus, und nicht nur an Jesus als Werkzeug Gottes, sondern an ihn als Ebenbild und Inkarnation Gottes, so dass an ihn zu glauben heißt, an Gott zu glauben. Folglich wird dieser Glaube an Jesus auch eindeutig dargestellt als umfassender Glaube an ihn als Retter in Sachen Leben und Tod, für Zeit und Ewigkeit, und nicht nur als Glaube an Jesus als Helfer in einer konkreten Notsituation. Ja mehr noch, unser Herr beschreibt hier vorausschauend, in welcher Beziehung Glaube zu seinem Sühnetod und seiner Auferstehung stehen wird, und wie dieser Glaube zu einem Glauben an den himmlischen, verherrlichten Christus wird (Joh 3,14; 6,51; 7,29.38; 11,25; 15,7.16; 16,23–24). Weil das Selbstzeugnis Jesu in diesem Evangelium so viel umfassender und reichhaltiger ist, wird der Glaube hier stärker mit Erkenntnis gleichgesetzt (Joh 6,69; 8,24.28; 14,9–10.20; 16,30). Doch wie bereits gesagt, bedeutet Erkenntnis hier weit mehr als intellektuelle Einsicht. Sie beinhaltet praktische Kenntnis, Vertrauen und Liebe (Joh 10,4.14.15; 17,25.26). Und schließlich: Unser Herr äußert sich hier viel deutlicher zu den Ursachen von Glauben und Unglauben als in den synoptischen Evangelien. Glaube und Unglaube sind praktische Zustände und Handlungen, anhand derer die gesamte geistliche Verfassung des Einzelnen ans Licht kommt. Nicht zu glauben ist die große Hauptsünde, weil die tiefe, innewohnende Sündigkeit des Herzens in der Sünde des Unglaubens ihren wahren Charakter der Feindschaft gegen Gott zeigt (Joh 9,41; 15,22.24; 16,8–9).

Das Buch kann direkt beim Verlag Betanien bestellt werden: www.cbuch.de.

Regis Martin zu Papst Franziskus: „Legen Sie das Amt nieder“

Regis Martin, Professor für Theologie und Fakultätsmitglied des Veritas-Zentrums für Ethik im öffentlichen Raum an der Franziskaner-Universität von Steubenville (Ohio, USA), hat angesichts „Fiducia Supplicans“ scharfe Kritik an Kardinal Manuel Fernandez (Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre) und Papst Franziskus geübt: 

Was sollen Sie also dem Papst raten? Wenn ich es wäre, würde ich Folgendes sagen: „Eure Heiligkeit, bei allem Respekt, es gibt zwei Dinge, die Sie tun müssen, und zwei weitere, die Sie tun könnten. Die ersten beiden sind ziemlich einfach. Werden Sie Fernandez los; dann werfen Sie die Erklärung weg. Was die beiden anderen angeht, so sind sie optional, aber ich würde beides dringend empfehlen. Legen Sie das Amt nieder, das Ihnen so zur Qual geworden ist, und gehen Sie ins nächste Kloster, um ein Leben in Gebet und Buße zu führen.“ 

Hier der lesenswerte Artikel: crisismagazine.com.

Tara Isabella Burton: Self-Made

Tara Isabella Burton hat ein interessantes Buch mit dem Titel Self-Made: Creating Our Identities from Da Vinci to the Kardashians geschrieben (Hodder & Stoughton 2023). Sie folgt in gewisser Weise den Spuren, die Charles Taylor oder auch Carl Trueman gelegt haben. Und doch unterscheidet sich ihr Urteil über unser Zeitalter von dem dieser beiden Autoren.

Taylor stimmt sie darin zu, dass inzwischen der expressive Individualismus „die Art und Weise dominiert, wie wir im modernen Leben über uns selbst denken“ (S. 16). Allerdings glaubt Burton nicht, dass wir in ein säkulares Zeitalter eingetreten sind. Sie meint, dass sich der religiöse Glaube nur verschoben habe. Die Menschen glauben nicht mehr an einen allmächtigen Gott, der sie geschaffen hat und vor dem sie verantwortlich sind. Sie haben diesen Glauben ersetzt durch den Glauben daran, dass sie selbst Götter seien.

Sie schreibt (S. 16):

Ich bin jedoch nicht der Meinung [von Taylor, Anm. R.K.], dass diese Verschiebung einen Übergang von einer religiösen zu einer säkularen Weltanschauung darstellt. Vielmehr glaube ich, dass wir den Glauben an das Göttliche nicht so sehr abgeschafft, sondern vielmehr verlagert haben. Wir haben uns von der Vorstellung eines Schöpfergottes da draußen abgewandt und Gott stattdessen in uns selbst verortet – genauer gesagt, in der numinosen Kraft unserer eigenen Wünsche. Unsere Besessenheit von der Selbsterschaffung ist auch eine Besessenheit von der Vorstellung, dass wir die Macht haben, von der wir einst glaubten, dass Gott sie hat: uns selbst und unsere Realitäten neu zu gestalten, nicht nach dem Bild Gottes, sondern nach dem unserer eigenen Wünsche.

Philip Rieff oder Carl Trueman kann sie nicht darin folgen, dass die moderne oder spätmoderne Pflicht zur Selbsterschaffung des Menschen eine Erzählung des kulturellen Niedergangs sei. Sie sieht im Narrativ der Selbsterschaffung zwar keine erfolgreiche Geschichte des Fortschritts, aber eben auch keine der problematischen Regression. Die Menschen versuchen laut Burton einfach „das Rätsel zu lösen, wie wir als Wesen leben können, die sowohl überwältigend mächtig als auch erschreckend verletzlich sind und ohne unser Einverständnis in eine Welt gedrängt werden, deren Zweck und Bedeutung wir vielleicht nie wirklich erkennen können“ (S. 19).

Alexandra Davis hat kürzlich für Public Discourse ein Interview mit Tara Isabella Burton geführt. Ich kann es allen empfehlen, die sich für das Thema interessieren und zugleich die Zeit fehlt, das gesamte Buch zu lesen.

Burton betreibt alles in allem eine solide Kulturhermeneutik. Und sie wird Recht damit haben, dass dieses Narrativ der erfolgreichen Selbsterschaffung inzwischen auch über die Kirchenkanzeln in das kulturelle Bewusstsein eindringt. Dort, wo nicht mehr Gott selbst im Mittelpunkt steht und angebetet wird, werden ursprünlich christliche Ideen für die Selbstoptimierung verzweckt.

Sie sagt:

In der Pop-Psychologie gibt es diese Erzählung, dass sich die Menschheit verbessert, dass wir alle zu unserem besten Selbst werden, und dass diejenigen von uns, die nicht zu unserem besten Selbst werden, irgendwann aussterben, und das ist gut so, denn es gibt eine Art grundlegendes Wachstum. Das Universum will, dass wir erfolgreich sind; das Universum will, dass wir reich sind. Und das ist nicht nur eine Randsportart der Selbsthilfe-Industrie, sondern wird auf den Kirchenkanzeln der reichen Leute an der gesamten Ostküste gepredigt. Es gibt Leute wie William Ellery Channing oder Henry Ward Beecher, diese christlichen Prediger, die diese Ideologie in das kulturelle Bewusstsein der Amerikaner einbringen.

Hier geht es zum Interview: www.thepublicdiscourse.com.

Gott redet

Es ist schon ein paar Jahre her. Ich saß in der Vorlesung eines bekannten liberalen Theologen, der darüber spekulierte, wie die Idee Gottes in unsere Welt gekommen sei. Er schloß logisch aus, dass Gott sich uns Menschen sprachlich mitteilen kann. Es fiel der Satz: „Gott kann nicht reden!“. Alles, was wir über Gott wissen, ist das Resultat menschlicher Überlegungen und insofern relativ und endlich. 

Gott kann nicht reden? Warum eigentlich nicht? Plausibel und wohltuend klingt, was Francis Schaeffer vor vielen Jahren dazu gesagt hat (Gott ist keine Illusion, 4. Aufl., 2021, S. 102):

Nach biblischer Lehre hat ein persönlicher Gott den Menschen in seinem Bild erschaffen, und von dieser Voraussetzung her ist die Behauptung, Gott habe sich dem Menschen in sprachlicher Form offenbart, kein Nonsens. Warum sollte er sich nicht in sprachlicher Form mitteilen, nachdem er den Menschen als ein Wesen geschaffen hat, das sich in seinem Denken und in der Kommunikation mit anderen Menschen der Sprache bedient? Hat Gott den Menschen wirklich in seinem Bild erschaffen, warum sollte er sich diesem sprechenden Wesen nicht in dieser Weise offenbaren? Kommunikation vollzöge sich dann auf drei Ebenen: Von Gott zum Menschen und umgekehrt; vom Menschen zum Mitmenschen; und vom Menschen zu sich selbst (im Denken). Natürlich kann man die Voraussetzung bestreiten, aber davon ausgehend ist unsere Behauptung weder widersprüchlich noch unsinnig. Unsinnig wird sie erst dann, wenn man voraussetzt, daß die ganze Welt ein geschlossenes System von Ursache und Wirkung ist. Wer daran festhält, daß Ursache und Wirkung niemals durchbrochen wird oder durchbrochen worden ist, der muß sich allerdings der Frage stellen, ob seine Auffassung wirklich allen uns bekannten Tatsachen gerecht wird.

Die alten Sprachen sind nicht verzichtbar

Die Evangelische Kirche diskutiert über die Zukunft des Theologiestudiums. Für die Fakultäten sind die alten Sprachen gesetzt. Das sehen aber nicht alle Kirchenvertreter so. Heike Schmoll skizziert für die FAZ die unselige Debatte.

„Nicht wenige Interessierte am Studium der Theologie lassen sich von der Anforderung einer Ausbildung in drei Sprachen als Eingangsvoraussetzung des Studiums abschrecken“, heißt es darin. Diese Behauptung entbehrt jeder empirischen Grundlage. Es gibt dazu keine Untersuchungen, allenfalls anekdotische Evidenz in Ein­zelfällen. Zweifellos gibt es Einzelne, die Latein, Hebräisch und Griechisch nachholen mussten und daran gescheitert sind. Doch auch das in sich interdisziplinäre Theologiestudium mit historischen, philologischen und systematischen Elementen stellt hohe Anforderungen, die kaum zu bewältigen sind, wenn man schon an den Sprachen scheitert. Eine einschlägige Umfrage der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau unter jüngeren Pfarrern hat ergeben, dass die Jüngeren die Bedeutung der Sprachkenntnisse für eine eigenständige Theologie und Hermeneutik kennt. Die Hochschullehrer der Fakultät in Münster haben sich entschieden dagegen ausgesprochen, eine der drei Sprachen abzuwählen.

Mehr: www.faz.net.

Die Gnade Gottes

J.I. Packer schreibt über das mangelhafte Verständnis der Gnade Gottes innerhalb der Kirche (Gott erkennen, 2019, S. 153–154):

Es ist in allen christlichen Gemeinderichtungen üblich, den christlichen Glauben als eine „Religion“ der Gnade zu bezeichnen. Innerhalb der christlichen Lehre gilt es als ein festes Bekenntnis, dass die Gnade Gottes ein persönliches Handeln Gottes ist und keine mystische Kraft, nicht eine Art „himmlischer Elektrizität“, die man erhält, sobald man den „geistlichen Stecker“ an die Sakramente anschließt. Gottes Gnade bedeutet, dass Gott mit seinem Volk in Liebe handelt.

In verschiedenen Büchern und Predigten wird immer wieder hervorgehoben, dass das neutestamentliche griechische Wort für Gnade (charis), wie das Wort für Liebe (agape), einen christlichen Ursprung hat. Das Wort umschreibt eine unabhängige, selbstbestimmte Güte, und war in der griechisch-römischen Kultur und Theologie bis dahin völlig unbekannt. Es sollte zum Grundwissen eines jeden Christen gehören, dass die Gnade Gottes Reichtum auf Kosten des Opfers Jesu ist. Und doch scheint es so, als gäbe es nicht viele in unseren Gemeinden und Kirchen, die wirklich an Gottes Gnade glauben.

Aber es gab immer wieder einige, die den Gedanken an Gottes Gnade so überwältigend fanden, dass sie nicht anders konnten, als stets von dieser Gnade zu sprechen und Gott dafür zu loben. So sind einige der schönsten Loblieder entstanden – und es bedarf wirklich einer tiefen Begeisterung, um ein Loblied zu schreiben, das über Generationen hinweg in den Gemeinden gesungen wird. Sie haben für die Gnadenlehre Gottes gekämpft, ertrugen Spott und zahlten oft einen hohen Preis für ihre Einstellung. Da ist zum Beispiel Paulus, der diese Lehre gegen die Judaisten verteidigte, Augustinus, der sie vor Pelagius rechtfertigte oder die Reformatoren, die Gottes Gnade vor den Scholastikern verteidigten, und viele nach ihnen folgten ihrem Beispiel. Sie alle hielten sich an das Bekenntnis „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“ (1 Kor 15,10), und ihr Lebensmotto lautete: „Ich erkläre Gottes Gnade nicht für ungültig“ (Gal 2,21; eÜ).

Doch leider trifft dies auf die meisten Namenschristen nicht zu. Gottes Gnade ist bei ihnen bloß ein Lippenbekenntnis. Es ist sicherlich keine Übertreibung, wenn wir sagen, dass sie gar keine Vorstellung von der Gnade Gottes haben. Der Gedanke daran bedeutet ihnen nichts und hat daher auch keinerlei Einfluss auf ihr Leben. Man kann mit ihnen über die Raumtemperatur des Gottesdienstraumes reden oder über die Bilanzen des letzten Jahres, doch kommt man auf die Wahrheiten zu sprechen, die der Begriff Gnade beinhaltet, stößt man auf Zurückhaltung und Verständnislosigkeit. Zwar würden sie niemals behaupten, dass unsere Worte sinnlos wären, und die meisten von ihnen würden auch nicht infrage stellen, dass sie irgendeine Bedeutung haben. Doch sie merken, dass das, was wir sagen, außerhalb ihres Erfahrungsschatzes liegt, und je länger sie ohne diese Erfahrung leben, umso sicherer sind sie, dass sie diese auch nicht nötig haben.

Überall Regenbogen und Klimaschutz

Der Markensoziologe Oliver Errichiello geht mit der Werbenbranche hart ins Gericht: Eine kleine Gruppe kosmopolitischer Agentur-Arbeiter maße sich an, ihre Lebensentwürfe für allgemeingültig zu erklären. Anstatt ein Produkt zu bewerben, werde politische Propaganda vermarktet.

Ein Auszug aus dem WELT-Gespräch:

Errichiello: Ich glaube, die Werber machen Werbung für ihresgleichen. Sie kommunizieren ihren eigenen Lebensstil und hoffen auf Anerkennung im eigenen Milieu. Deshalb spiegelt die Arbeit die Werte einer kleinen Gruppe gut ausgebildeter, junger, kosmopolitischer Menschen aus großen Städten, die in Werbeagenturen arbeiten.

WELT: Sie schreiben in Ihrem Buch, diese Leute wollten eigentlich keine Werbung machen, sondern die Gesellschaft verändern.

Errichiello: Genau, und dafür werde ich sehr geprügelt, aber das halte ich aus. Das ist einfach meine Lebenserfahrung: Kreativität trauen die Auftraggeber in der Regel nicht Menschen in meinem Alter zu, sondern jüngeren Menschen, die vermeintlich offen und am Puls der Zeit sind. Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, oft ohne Kinder und Verpflichtungen, haben aber ganz andere Themen im Leben als die Mehrheitsgesellschaft. Das Problem ist, dass diese Minderheit die Idealbilder für alle entwirft. Da muss doch die Mehrheitsgesellschaft das Gefühl haben, sie bestehe aus Freaks und Lumpenproletariat, das überkommenen Vorstellungen anhängt.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

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