Sprachkonzept von KI-Systemen eindimensional

Reinhard Karger weist in dem Artikel „Chatbots sind keine Gesprächspartner“ auf die sprachliche Unterkomplexität von KI-Systemen hin:

Bei Menschen spricht man von Verstand und ist seit der Antike der Ansicht, dass das Denken ein menschliches Spezifikum ist und ihn von anderen Säugetieren, aber auch von den nichtmenschlichen Primaten unterscheidet. Für das menschliche Denken wesentlich ist die Bedeutung von Sprache. Tiere haben keine Sprache im Sinne der symbolischen Interaktion, die auf der Fähigkeit zur bedeutungsidentischen Verwendung von Zeichen basiert. Man kann so weit gehen wie Johann Gottfried Herder, der einmal sagte: „Ohne Sprache hat der Mensch keine Vernunft, und ohne Vernunft keine Sprache.“ Oder wie Wilhelm von Humboldt, der anmerkte: „Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken.“

Ohne Wörter keine Sprache, ohne Bedeutung keine Gedanken, ohne Denken kein Verstand. Das Konzept von Sprache, das in den aktuell erfolgreichen Anwendungen von generativer KI verwendet wird, hat zwar zu hochleistungsfähigen KI-Systemen geführt, ist aber unterkomplex und eindimensional auf die sprachliche Oberfläche ausgerichtet. Es vernebelt die Einsicht, dass Intelligenz kein statistisches Phänomen, dass Sprachproduktion mehr als die Ausgabe von wahrscheinlichen Wortfolgen ist – und behindert in seiner Dominanz die Entwicklung von Lösungen, die einen Mensch-Maschine-Wissensdiskurs überhaupt erst ermöglichen.

Der Linguist bleibt trotzdem optimistisch und erhofft eine „linguistische Wende der maschinellen Intelligenz“:

Die linguistische Wende der maschinellen Intelligenz bedeutet, Sprache nicht mehr als Oberflächenphänomen zu behandeln, sondern als Werkzeug ernst zu nehmen. Erst dann werden wir Maschinen konstruieren können, die Sprache nicht nur verarbeiten, sondern verstehen, die nicht nur Wortketten erzeugen, sondern Aussagen nachvollziehbar und transparent begründen können. Erst dann ist ein Mensch-Maschine-Diskurs vorstellbar, in dem Lösungen für Wissensprobleme ko-kreativ entstehen können. Wissens- und Erkenntnisprobleme sind überreichlich vorhanden.

Mehr: zeitung.faz.net.

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