Gottesdienst

Praktische Theologie

Über die Anziehungskraft eines „objektiven“ Gottesdienststils

Kenneth J. Stewart geht in seinem Werk In Search of Ancient Roots unter anderem der Frage nach, warum sich jüngere Evangelikale dem Katholizismus oder der Orthodoxie zuwenden? Die Entwicklung ist nicht monokausal erklärbar. Für manche geht es um eine Rückkehr zur Kirche der eigenen Kindheit (so war es z.B. bei Francis Beckwith der Fall). Viele sind auf der Suche nach der „historischen Kirche“. Das Bedürfnis, endlich wieder liturgische Gottesdienste zu haben, spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle. Stewart streicht heraus, dass manche Evangelikale genug haben von den eher „gefühligen“ und „freien“ Gottesdienstformen und von ästhetischen Aspekten der Gottesdienstgestaltung angezogen werden. 

Er schreibt (In Search of Ancient Roots, Downers Grove, IL: IVP Academic, 2017, S. 263–264): 

Als starke Reaktion auf die Tendenz einiger evangelikaler protestantischer Gottesdienste, das Sentimentale zu betonen und eine passende „Stimmung“ zu schaffen, hat ein Teil der in der evangelikalen Tradition aufgewachsenen Menschen gelernt, dies zu hinterfragen und nach Formen des Gottesdienstes zu suchen, die weder die emotionale Beteiligung der Gottesdienstbesucher voraussetzen noch versuchen, diese zu fördern. Es ist nicht so, dass sie emotionale Strenge an sich wünschen; sie bewundern vielmehr die liturgische Schönheit und erfreuen sich an dem, was man als den „ästhetischen“ Aspekt der Gottesverehrung bezeichnen kann. Aber sie möchten weder bedrängt noch beeinflusst werden, wenn sie sich zum Gottesdienst versammeln.

Christian Smith, ehemaliger evangelikaler Protestant und heute römisch-katholischer Soziologe, schreibt: „In der Kirche geht es um eine gemeinsame Identität in Christus, um das sakramentale Leben und um die Bildung zu einem rechtschaffenen christlichen Leben. Es ist nicht erforderlich, dass alle einander gut kennen, geschweige denn ‚Intimität‘ miteinander erleben. Es ist jedoch erforderlich, dass die Menschen an der Liturgie teilnehmen, Gott anbeten, die Sakramente feiern und Gutes im Namen Christi tun.“

Nun halte ich die Sichtweise von Christian Smith für übertrieben. Natürlich ist es hilfreich, wenn die Glieder einer Gemeinde sich kennen, miteinander reden, füreinander beten usw. Und doch ist es nachvollziehbar, dass Christen von Gottesdiensten angezogen werden, in denen die horizontale Ebende (Beziehungen untereinander) zugunsten der vertikalen Ebene (Gott begegnen, auf ihn hören, über ihn staunen, ihn anbeten) zurückgefahren wird. Ich habe evangelikale Gottesdienste erlebt, in denen bei genauem Hinhören fast nur über die eigenen Empfindungen gesprochen wurde. Da geschah nicht „Objektives“ mehr. Zum weglaufen. Wie schön sind hingegen Gottesdienste, in denen es vorbereitete Textlesungen gibt, Sünden bekannt werden, gemeinsam das Vaterunser gebetet wird und die Predigt erkennbar versucht, Gottes Gedanken nachzudenken und seinem Volk zuzusprechen.

Praktische Theologie

Wie die Generation Z Gottesdienste feiert

Luke Simon ist der Meinung, dass innerhalb der Gen Z (Leute, die ungefähr 1997 und 2012 geboren wurden) Männer und Frauen mit unterschiedlichen Erwartungen Gottedienste feiern. Während Männern traditionelle Elemente wie Predigten nach wie vor sehr wichtig seien und Elemente aus der östlichen Orthodoxie anziehend fänden, legten junge Frauen viel Wert auf persönliche Authentizität und Intimität mit Gott. Viele unterschiedlichen Online-Plattformen förderten diesen Trend in Richtung Fragmentarisierung. 

Was Luke Simon dann über mögliche Lösungen schreibt, geht meines Erachtens teilweise in die richtige Richtung. Im Grunde fordert er, Gottesdienste wieder stärker liturgisch auszurichten:

Für viele evangelikale Kirchengemeinden könnte eine neue Betonung des Abendmahls der erste Schritt sein. Wöchentliche Abendmahlsfeiern vielleicht, statt monatlicher, vierteljährlicher oder jährlicher. Dies ist ein Akt des Handelns und der Gemeinschaft. Es fordert die Gläubigen auf, sich selbst zu prüfen, gemeinsam daran teilzunehmen und der Gegenwart Christi auf persönliche Weise zu begegnen.

Wir könnten auch andere historische Praktiken wiederbeleben – wie Antwortgebete oder das Rezitieren des Glaubensbekenntnisses –, die den christlichen Gottesdienst jahrhundertelang geprägt haben, aber in vielen modernen evangelikalen Einrichtungen in Vergessenheit geraten sind. Diese gottesdienstlichen Elemente können die Strenge vermitteln, die junge Männer suchen, ohne Frauen zu entfremden. Sie sind traditionell und gemeinschaftlich zugleich. Ein schriftliches Gebet kann ebenso wie ein zeitgemäßes christliches Anbetungslied ein Mittel für persönliche Betroffenheit (engl. vulnerability) und die Beziehung zu Gott sein.

Pastoren können auch auf die Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen Tätigwerden und Gemeinschaft achten. Es gibt „eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit zum Trauern und eine Zeit zum Tanzen“ (Prediger 3,4) – eine Zeit für tröstliche Predigten der Gnade und des Trostes und eine Zeit für harte Wahrheiten und klare Anweisungen von der Kanzel. In der Tat ist es nicht die Liturgie allein, die junge Männer zur östlichen Orthodoxie zieht; es ist der Aufruf zu einem Leben mit Selbstdisziplin und Zielstrebigkeit. Evangelikale Kirchen, die einen ähnlichen Aufruf ergehen lassen, werden etwas anders klingen, aber wir können zeitgemäße Gottesdienste mit der Ermahnung zu Gebet, Fasten und Beichte verbinden.

Mehr: www.christianitytoday.com.

Praktische Theologie

Das Medium ist Message

Das Medium ist Message, so lautete die These des Medientheoretikers Marschall McLuhan. Vor einigen Tagen löste Pastor J.D. Greear, der ehemalige Präsident der Südlichen Baptisten (USA), einen Sturm in den sozialen Medien aus, als ein kurzer Ausschnitt aus seiner Sonntagspredigt auf Twitter (inzwischen X) zu sehen war. Offensichtlich passten die Botschaft und die Art und Weise, wie diese präsentiert wurde, nicht zueinander.

In dem Clip wirft Greear seiner Gemeinde in der Summit Church vor, zu spät zu kommen, zu früh zu gehen und generell unfreundlich zu sein. Er sagte: „Ihr behandelt die Kirche wie eine religiöse Show.“ Mit Blick auf seine Online-Zuschauer fügte er hinzu: „Wenn die Leute sagen, dass sich die Gemeinde wie eine große Inszenierung anfühlt, seid ihr das Problem.“

Am Schluss des Clips wird die Bühne sichtbar, auf der Pastor J.D. Greear steht. Und irgendwie wird vielen Zuschauern klar, dass das Problem größer ist. Schnell ensteht der Eindruck, dass der Gottesdienst wie eine Show gestaltet wurde, also in gewisser Weise für die Konsumhaltung der Gemeindebesucher mitverantwortlich ist.

Es gibt, so die Moral aus der Geschichte, gute Gründe, Gottesdienste nicht wie Unterhaltungsprogramme zu inszenieren. Das hat Carl Trueman kürzlich auch im Blick auf die Gottesdienste der Gemeinde in Saddleback beanstandet, die von Rick Warren gegründet wurde. 

Hier ist der Clip zugänglich: twitter.com.

Praktische Theologie

Online ist keine Alternative

Die Corona-Pandemie war für Gemeinden auf der ganzen Welt eine Herausforderung, weil Christen an so vielen Orten Schwierigkeiten damit hatten, sich zu versammeln und ihn Erschwernisse am Wort Gottes zu erfreuen. Nun haben sich allerlei Christen daran gewöhnt, sonntags mit einem Kaffee und dem Bügelbrett Gottesdienste im Livestream zu verfolgen. Das kann nur eine Notlösung sein, meint Jonathan Leeman:

Aber die Online-Gemeinde als dauerhafte Lösung vorzuschlagen oder voranzutreiben (wenn auch gut gemeint), schadet christlicher Jüngerschaft. Es bringt Christen dazu, ihr Glaubensleben als selbstbestimmt zu betrachten. Es vermittelt den Eindruck, sie könnten Jesus als Teil der „Familie Gottes“ im abstrakten Sinne nachfolgen – ohne ihnen beizubringen was es bedeutet, Teil einer Familie zu sein und Opfer für eine Familie zu bringen.

Pastoren sollten Menschen also ermutigen, so gut es geht auf die virtuelle „Teilnahme“ an Gottesdiensten zu verzichten. Wir müssen einen Weg finden, unsere Gemeindeglieder auf sanfte Weise daran zu erinnern, dass die Livestream-Option nicht gut für sie ist. Sie schadet ihrer Jüngerschaft und ihrem Glauben. Wir möchten, dass ihnen das klar ist, damit sie nicht bequem werden und aufhören zu den Versammlungen zu kommen, auch wenn es ihnen möglich ist.

Mehr: www.evangelium21.net.

Praktische Theologie

Mehrheit will weiterhin Gottesdienste online feiern

Wenn ich lese, dass Kirchengemeinden an digitalen Gottesdiensten so großen Gefallen finden, dann frage ich mich, was die Leute unter einem christlichen Gottesdienst verstehen. Das sieht meiner Meinung nach nicht nach einem Erfolgskonzept aus, sondern nach einer Selbstaufgabe. 

Die Nachrichtenagentur idea meldet

Nach Ansicht des EKD-Ratsvorsitzenden, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (München), ist an vielen Orten nach den Corona-Beschränkungen „eine Stärkung des Gottesdienstes“ und „zeitgleich ein Aufbruch von innen“ zu erkennen. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter hätten in der Krise neu wahrgenommen, was sich die Menschen erhoffen. „Dazu zählt eine Kirche, die nah dran ist an den Sorgen der Menschen, die in Notlagen ein offenes Ohr hat und neben handfester Unterstützung auch Kraftorte für die Seele bietet“, so Bedford-Strohm. Dies dürfe nicht mehr verloren gehen.

Ähnlich äußerte sich der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel (Düsseldorf). Kirchen und Gemeinden hätten in den letzten anderthalb Jahren mutig neue Wege beschritten, so Latzel. Die meisten Befragten wünschten sich einen digitalen Gottesdienst aus ihrer Gemeinde. Die Ergebnisse hätten gezeigt: „Es gibt für uns keinen Weg zurück in die Vor-Corona-Zeit.“

Die Entwicklung digitaler Gottesdienste sei ein „Musterbeispiel für nachhaltige lokale Digitalisierung“, so der Kommunikationswissenschaftler Holger Sievert von der Hochschule Macromedia in Köln. Er leitete die Midi-Studie. „Zwar ist es den Kirchen nur wenig gelungen, sich neue Dialoggruppen zu erschließen, doch haben die bestehenden quer durch alle Altersschichten diese neue Form der Teilhabe an Kirche für sich als zusätzliche Option entdeckt und möchten sie weiterleben“, so Sievert. Jetzt sei es wichtig, mit entsprechenden Angeboten „am Ball zu bleiben“, so der Kommunikationsexperte.

Gott hat keine rein digitale Kirche geschaffen. Die Feier des Gottesdienst mit Leib und Seele vor Ort sollte selbstverständlich sein, wo immer das möglich ist. Ich empfehle das nachfolgende Video und das dazugehörende Buch:

Praktische Theologie, Zitate

Der Gottesdienst und die Psalmen

Dietrich Bonhoeffer schreibt (Gemeinsames Leben; Das Gebetbuch der Bibel, Werkausgabe, Bd. 5, S. 115–116, unter Logos):

In vielen Kirchen werden sonntäglich oder sogar täglich Psalmen im Wechsel gelesen oder gesungen. Diese Kirchen haben sich einen unermeßlichen Reichtum bewahrt, denn nur im täglichen Gebrauch wächst man in jenes göttliche Gebetbuch hinein. Bei nur gelegentlichem Lesen sind uns diese Gebete zu übermächtig in Gedanken und Kraft, als daß wir uns nicht immer wieder zu leichterer Kost wendeten. Wer aber den Psalter ernstlich und regelmäßig zu beten angefangen hat, der wird den anderen, leichten, eigenen „andächtigen Gebetlein bald Urlaub geben und sagen: ach, es ist nicht der Saft, Kraft, Brunst und Feuer, die ich im Psalter finde, es schmeckt mir zu kalt und zu hart“ (Luther).

Wo wir also in unseren Kirchen die Psalmen nicht mehr beten, da müssen wir den Psalter um so mehr in unsere täglichen Morgen- und Abendandachten aufnehmen, jeden Tag mehrere Psalmen möglichst gemeinsam lesen und beten, damit wir mehrmals im Jahr durch dieses Buch hindurchkommen und immer tiefer eindringen. Wir dürfen dann auch keine Auswahl nach eigenem Gutdünken vornehmen, damit tun wir dem Gebetbuch der Bibel Unehre und meinen besser zu wissen, was wir beten sollen, als Gott selbst. In der alten Kirche war es nichts Ungewöhnliches, „den ganzen David“ auswendig zu können. In einer orientalischen Kirche war dies Voraussetzung für das kirchliche Amt. Der Kirchenvater Hieronymus erzählt, daß man zu seiner Zeit in Feldern und Gärten Psalmen singen hörte. Der Psalter erfüllte das Leben der jungen Christenheit. Wichtiger als dies alles aber ist, daß Jesus mit Worten der Psalmen auf den Lippen am Kreuz gestorben ist.

Praktische Theologie

Was fehlt in den spätmodernen Gottesdiensten?

Die Gottesdienste sind heute stark von der Pop-Kultur beeinflusst. Einerseits fällt es vor allem jungen Leuten dadurch leichter, sich „zurechtzufinden“, andererseits fehlt oft auch etwas, was für Gottesdienste wichtig ist. Tim Challis hat einige moderne Gottesdienste besucht und erklärt, was für Elemente dort gefehlt haben.

Ich habe einmal die megamäßigste Megachurch Amerikas besucht. Eine Gemeinde, dessen Pastor sehr bekannt ist, eine Gemeinde, die für ihre Innovation bekannt ist, eine Gemeinde, die als Vorbild für den modernen Evangelikalismus hingestellt wird. Ich bin so unvoreingenommen, wie ich nur konnte, hineingegangen. Und verstört herausgekommen. Mich hat nicht das verstört, was im Gottesdienst gesagt oder getan wurde, sondern das, was nicht gesagt und getan wurde. Seitdem hatte ich die Gelegenheit, auch noch viele andere Gemeinden zu besuchen, und meistens erging es mir dort ähnlich: Es fehlten viele der Elemente, die einmal Kennzeichen des christlichen Gottesdienstes waren. Im Folgenden nenne ich einige der fehlenden Elemente der modernen Gottesdienste.

Gebet: Jene Gemeinde, die ich vor Jahren besuchte, war die erste, in der so gut wie gar nicht gebetet wurde. Das einzige Gebet im ganzen Gottesdienst war ein Gebet, das als Reaktion auf die Predigt gesprochen wurde. „Betet mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen diese Worte mit mir …“. Es gab keine Schuldbekenntnisse, keine Fürbitten, keine Danksagungen. Es gab kein Gebet des Pastors, mit dem er die Anliegen der Gemeinde vor den Herrn brachte. Diese Beobachtung habe ich in modernen Gottesdiensten immer wieder gemacht: Es wird selten und beiläufig statt oft und auffällig gebetet. Durch Abwesenheit glänzen vor allem die Gebete, die länger als 30 Sekunden oder eine Minute dauern.

Mehr: www.evangelium21.net.

Praktische Theologie

Die „Entstaltung“ der Gottesdienstkultur

Gottesdienste sind heute vielerorts eine Spielfläche für Experimente geworden. Wir sorgen dafür, dass wir in den Gottesdiensten immer häufiger dem begegnen, was wir sowieso gut kennen, nämlich unserer Alltagskultur. Sind Gottesdienste dafür da?

Mehr im Aufsatz „Gottesdienst als Spielwiese – Geistlicher Aufbruch durch neue Gottesdienstkulturen?“ (Bekennende Kirche, Nr. 52, 3/2013, S. 19–27): www.bekennende-kirche.de/heft/52.

Praktische Theologie

Event-Gottesdienste: „Gott, Sex und sowas“

Die westlichen Kirchen experimentieren mit neuen Gottesdienstformen, um Sinnsucher und kirchenferne Milieus anzusprechen. Ob Starwars oder Orgasmus – alle Themen sind kanzeltauglich geworden. Und Shakira singt dazu.

Was sagte einst Kurt Tucholsky über die Kirchen? „Atemlos jappend laufen sie hinter der Zeit her, auf dass ihnen niemand entwische.“

Hier der DLF-Bericht über den Versuch der Kirchen, Menschen durch Niedrigschwelligkeit entgegenzukommen:

 

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