Luke Simon ist der Meinung, dass innerhalb der Gen Z (Leute, die ungefähr 1997 und 2012 geboren wurden) Männer und Frauen mit unterschiedlichen Erwartungen Gottedienste feiern. Während Männern traditionelle Elemente wie Predigten nach wie vor sehr wichtig seien und Elemente aus der östlichen Orthodoxie anziehend fänden, legten junge Frauen viel Wert auf persönliche Authentizität und Intimität mit Gott. Viele unterschiedlichen Online-Plattformen förderten diesen Trend in Richtung Fragmentarisierung.
Was Luke Simon dann über mögliche Lösungen schreibt, geht meines Erachtens teilweise in die richtige Richtung. Im Grunde fordert er, Gottesdienste wieder stärker liturgisch auszurichten:
Für viele evangelikale Kirchengemeinden könnte eine neue Betonung des Abendmahls der erste Schritt sein. Wöchentliche Abendmahlsfeiern vielleicht, statt monatlicher, vierteljährlicher oder jährlicher. Dies ist ein Akt des Handelns und der Gemeinschaft. Es fordert die Gläubigen auf, sich selbst zu prüfen, gemeinsam daran teilzunehmen und der Gegenwart Christi auf persönliche Weise zu begegnen.
Wir könnten auch andere historische Praktiken wiederbeleben – wie Antwortgebete oder das Rezitieren des Glaubensbekenntnisses –, die den christlichen Gottesdienst jahrhundertelang geprägt haben, aber in vielen modernen evangelikalen Einrichtungen in Vergessenheit geraten sind. Diese gottesdienstlichen Elemente können die Strenge vermitteln, die junge Männer suchen, ohne Frauen zu entfremden. Sie sind traditionell und gemeinschaftlich zugleich. Ein schriftliches Gebet kann ebenso wie ein zeitgemäßes christliches Anbetungslied ein Mittel für persönliche Betroffenheit (engl. vulnerability) und die Beziehung zu Gott sein.
Pastoren können auch auf die Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen Tätigwerden und Gemeinschaft achten. Es gibt „eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit zum Trauern und eine Zeit zum Tanzen“ (Prediger 3,4) – eine Zeit für tröstliche Predigten der Gnade und des Trostes und eine Zeit für harte Wahrheiten und klare Anweisungen von der Kanzel. In der Tat ist es nicht die Liturgie allein, die junge Männer zur östlichen Orthodoxie zieht; es ist der Aufruf zu einem Leben mit Selbstdisziplin und Zielstrebigkeit. Evangelikale Kirchen, die einen ähnlichen Aufruf ergehen lassen, werden etwas anders klingen, aber wir können zeitgemäße Gottesdienste mit der Ermahnung zu Gebet, Fasten und Beichte verbinden.
Mehr: www.christianitytoday.com.
Was man hier sieht, sind die Folgen des Traditionsabbruchs. Kirchenhistoriker Martin Schneider hat dazu veröffentlicht. Wenn die jüngere Christenheit des Westens irgendwann beschließt, keine „Gottesdienste“ mehr zu feiern wie im Amerika der 1950er bis 1970, dann ist das vorbei und kommt ebenso wenig wieder wie der Jerusalemer Tempelkult der Antike. Ist auch nicht weiter schlimm, denn anders als dieser finden sich Sonntagvormittagveranstaltungen gar nicht erst in der Bibel.
Und auch die Ekklesia wird gerade wieder neu definiert. Der dörfliche Gemeindebegriff aus den Jahren 1870-1970 ist in Zeiten der mobilen Anywheres genauso überholt wie der NGO-förmige Wasserkopf der diversen „Kirchen“ (nennt man sie auch „Bünde“, „Allianzen“, „Conventions“ etc.) Alles was diese unter viel Geldverschwendung ihrer Mitglieder versuchen, können NGOs längst viel besser.
Mir fällt noch was zu den Einschätzungen von Luke Simon ein, diese sind m. E. fehlerhaft und zeugen von einem fehlenden Background in Soziologie: Instead, I think we’ll see a structural divide—not heated debate over hymns and electric guitars but a slow fade into wholly separate congregations. Dem liegt eine Fehleinschätzung von Trends zugrunde. Aus der Wahlforschung ist schon lange bekannt: Zunächst setzen junge Männer den Trend, dann folgen mit Verzögerung die Frauen. Wenn in den Zeiten des Adenauer-Deutschlands die jungen Männer konsequent rot wählten und Frauen schwarz, dann gab es nicht das hier: we’ve never seen entire churches split by gender sondern das bedeutete schlicht, dass irgendwann Willy Brandt regierte, nämlich als die Frauen schließlich den Männern folgten und aufhörten „konservativ“ zu wählen. Dieselbe Entwicklung hat sich dann bei einem gewissen Joseph Martin Fischer wiederholt und führte 1998 zu den erwartbaren Resultaten. Der Autor des CT-Artikels geht also irrigerweise davon aus, dass die Mädels ihm und der CCM langfristig… Weiterlesen »
Aus meiner Sicht sollte es die Abwechslung machen. Liturgie, aber auch ewig lange Lobpreiszeiten sind nicht jedermanns Ding. Auch die Predigtlänge sagt nicht grundsätzlich etwas über deren Qualität aus. Deshalb ist auch die Form der Gemeindeveranstaltungen in der Krise. Es ist hier zu wenig Platz um die Fragen, die man da stellen müsste aufzuführen. Auf jeden Fall sollte man Formen hinterfragen und auch mal andere Wege ausprobieren. Auch hier sollte man mal bereit sein heilige Kühe zu hinterfragen. Wenn Gemeindegebäude teilweise über 90 % in der Woche leer stehen und Gemeinden mit 100 Gottesdienstbesuchern mittlerweile 2-3 Vollamtliche haben stellt sich schlicht und ergreifend bei den wirtschaftlich schwierigen Zeiten, denen wir entgegen gehen eben auch die Frage der Finanzierbarkeit des Ganzen.
Die westlichen Trendsetter sind mehrheitlich kirchennahe Ex-Protestanten und wenden sich einer grundsätzlich anderen theologischen Lehre zu. Deshalb ist die Verkürzung auf „Täufer brauchen jetzt weniger CCM“ auch etwas fehlgeleitet.
Tun diese Männer und wechseln die Konfession. Es sind die Frauen, die sich keine Gedanken um die theologischen Grundlagen machen und dort sind, wo die Emotionen bedient werden. Aber eben auch nicht sehr lange. Was die Bibel über Unterordnung sagt, ist kein religiöses Gesetz (präskriptiv), sondern eine Feststellung der unveränderlichen Schöpfungsordnung (deskriptiv). Und daran scheitern letztlich alle utopistischen Protestantismen.