In der FAZ „duellierten“ sich Friedrich Wilhelm Graf und Detlef Pollack in Sachen Säkulariserungthese. Friedrich Wilhelm Graf ist als Vertreter der liberalen Theologie (Mitglied der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft) mit den Untersuchungen der neuesten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (siehe dazu hier) nicht ganz zufrieden (vgl. Friedrich Wilhelm Graf, „Wie viele Gesichter hat Christus?“, FAZ vom 19.04.202, Nr. 92, S. 11). Es gebe methodische Mängel und überhaupt sollten wir die Umfragen nicht überbewerten. Denn (ebd.):
Theologen wie Soziologen neigen oft dazu, selbst bei schwacher empirischer Grundlage starke Deutungen zu verkünden. Aber Glaubenswelten gehen in der vermeintlichen Alternative von „Wiederkehr der Götter“ und „Säkularisierung“ nicht auf. Die Lage in Berlin ist anders als die in Frankfurt oder Freiburg. Deshalb scheinen analytische Demut und Behutsamkeit geboten. Vieles verstehen wir nicht oder nur sehr unvollkommen. In der Loffeld-Debatte haben französische Geistliche darauf hingewiesen, dass die Generation Z in den letzten beiden Jahren die Messen am Aschermittwoch gestürmt habe. Gerade im musikalischen Christentum, das in der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung absurderweise keinerlei Rolle spielte, lässt sich nur wenig Erosion beobachten. Samstag für Samstag ist die Berliner Hohenzollernkirche mittags zum „Noon Song“ mit einem diversen Publikum dicht gefüllt. Karten für die zahlreichen Aufführungen von Johannes- und Matthäuspassion sind in München ausverkauft. Am Karfreitag findet im höchst weltlichen „Bergson Kunstkraftwerk“ ein Passionskonzert statt. Vielleicht ist „Säkularisierung“ doch weniger klar, weil vielschichtiger und komplizierter, als viele theologische wie soziologische Religionsdeuter derzeit meinen. Sich die Grenzen des eigenen Deutenkönnens einzugestehen, mag nicht die schlechteste epistemologische Tugend sein.
Anders sieht das der Theologe und Soziologe Detlef Pollack. In „Warum so hilflos? Religionssoziologie ist weiter, als es Friedrich Wilhelm Graf für möglichg hält“ (FAZ vom 07.05.2025, Nr. 105, S. 12) wirf er Graf vor, mit einem zu weiten Religionsbegriff zu operieren. Wenn man, wie Graf, das Weihnachtschristentum, Passionsrituale oder fluide Spiritualität einrechne, lasse sich die Lage zwar positiver deuten. Das täusche aber darüber hinweg, dass es um den Gottesglauben alles andere als gut bestellt sei.
Heute … ist der Gottesglaube zu einer Option unter anderen geworden, die man wählen kann oder auch nicht und für die sich viele nicht mehr entscheiden. Für den Zeitabschnitt, für den repräsentative Umfragen vorliegen, lässt sich der Bedeutungsrückgang des Gottesglaubens empirisch gut nachvollziehen. 1949, zum Zeitpunkt der Gründung der Bundesrepublik, gaben 88 Prozent der Bundesbürger an, an Gott zu glauben, 78 Prozent ohne Vorbehalte und weitere zehn Prozent gemäß eigener, nichtkirchlicher Vorstellungen. Heute bekennen sich in Westdeutschland noch etwa 50 Prozent zum Glauben an Gott oder ein höheres Wesen, etwa 20 Prozent sagen, sie wüssten nicht, was sie glauben sollen, und 30 Prozent lehnen den Transzendenzglauben ausdrücklich ab. Mehr als 50 Prozent erklären, ihnen seien religiöse Fragen egal.
Diese Entwicklung ist bekannt.
Pollack macht jedoch interessanter Weise noch auf einen Prozess aufmerksam, über den weniger gesprochen wird. Es geht – mit meinen Worten ausgedrückt – um Folgendes: Indem die Vertreter der liberalen Theologie die Augen vor der dramatischen Entwicklung verschließen, verhindern sie ein Umdenken in den Kirchen. Da, wo keine Krise ist, braucht man auch nicht über die Ursachen und Richtungswechsel nachzudenken. Anstatt das Sterben der Kirchengemeinden auch mit der Kraftlosigkeit der liberalen Theologie in Verbindung zu bringen und eine andere Richtung einzuschlagen, werden die Prozesse der Entkirchlichung kleingeredet.
Im O-Ton klingt das so:
Es ist an der Zeit, dass die führenden Vertreter der liberalen Theologie die Befunde der empirischen Analysen zur Kenntnis nehmen. Das wäre auch deswegen wichtig, weil die Immunisierungsstrategie der liberalen Theologie das kirchliche Handeln alleinlässt. Die religionssoziologisch diagnostizierten Krisenprobleme, die nicht nur die Kirche, sondern auch den Glauben und die Religion in allen ihren Dimensionen betreffen, sind in der kirchlichen Praxis längst angekommen. Die liberale Theologie hat so in den letzten Jahren nicht ohne Erfolg an ihrer eigenen handlungspraktischen Irrelevanz gearbeitet.
Der Kritik Grafs an der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ist eine gewisse Tragik nicht abzusprechen, falls man die Säkularisierungstendenzen wie ich mit Bedauern beobachtet. Die von einem überlegenen Standpunkt aus proklamierten Urteile bleiben weit hinter dem erreichten Stand der religionssoziologischen Diskussion zurück. Graf kennt weder die neuere religionssoziologische Literatur, noch scheint er überhaupt die Studie, die er zerreißt, gelesen zu haben. Stattdessen bedient er sich veralteter Argumentationsmuster, mit denen die Religionssoziologie seit Jahrzehnten umgeht.
Sein Text ist damit nicht nur ein Zeugnis theologischer Realitätsverweigerung, sondern auch eine Manifestation der aporetischen Situation, in die sich die liberale Theologie gebracht hat. Sie meint, mit historisierenden Einordnungen, begriffstechnischen Manövern und methodologischen Blindflügen ihre Sache retten zu können. Aber sie zeigt damit nur ihre argumentative Hilflosigkeit und wird so selbst zu einem Ausdruck dessen, was sie bekämpft: zu einem Symptom der Säkularisierung.
Grundsätzlich richten sich kirchliches Ausredenfinden immer nach innen (an die verbleibenden Mitglieder) und schuld sind immer die anderen, insbesondere diejenigen, die nicht mehr in den Gottesdienst kommen wollen.
Bezeichnend ist, dass dem transzendenten Gott selbst überhaupt keine Rolle in dem Prozess zugeschrieben wird. Mit keinem Wort wird auch nur in Erwägung gezogen, dass ein solches Kirchensterben gewollt sein könnte, weil der Kram neuer Frucht im nächsten Äon im Weg ist.
Das alte Testament ist lustigerweise voll von solchen Erzählungen. Aber anscheinend dreht sich nur noch alles um Umfragen, Soziologie und Erhalt von bürokratischen Monstern.
Ich beteilige mich selten an Diskussionen im Internet, aus sehr naheliegenden Gründen. Aber ich lese schon lange mit, und wenn man sich die Kommentare durchliest dann muss man leider sagen das @Jan Malcom ein ausgemachter Troll 🧌 ist.
Kein konstruktiver Inhalt, immer auf sinnfreie Kontroversen aus, jede Menge Strohmänner und Ablenkungen von eigentlichen Thema. Schade das das unter Christen auch zu oft vorkommt, kenne ich leider auch in der Gemeinde. Wenn man in Verantwortung steht, ist man auch derjenige der sich mit dem Trollen (in Liebe und Wahrheit) auseinander setzen muss. Manchmal muss man ihnen aber auch die Tür zeigen
Daher gilt wie überall auch hier – Don’t feed the Trolls.
Schade das das unter Christen auch zu oft vorkommt, kenne ich leider auch in der Gemeinde. Hört man aber nie von, wenn der Laden brummt, die Kollekte sprudelt und sich charismatische Prediger und Kirchenmusiker die Klinke in die Hand drücken. Das ist dann natürlich vom transzendenten Gott so gewollt und gemacht. Erst wenn es kriselt, die Finanzen knapp werden, der Brain Drain zum Greifen nahe ist, dann werden Studien, Umfrage und Thesen bemüht und Konzertbesucher zu Christen umdefiniert. Nur nach Gott wird halt auffallend nie gefragt, wenn solche Entwicklungen betrachtet werden. Was seltsam anmutet, denn die Bibel ist voll mit solchen Fragen. Warum suchen diese Menschen eigentlich mit weltlichen Mitteln nach weltlichen Lösungen für die Probleme ihrer weltlichen Organisation? Das ist die Grundfrage, bei der man anfangen muss, wenn man sich nicht mit irgendeiner beliebigen NGO voller Aktivisten befasst, sondern mit einer sog. Religionsgesellschaft. Aber genau das ist vermutlich bei den Jahrgängen, die noch in der FAZ publizieren, komplett in… Weiterlesen »
Absolut! DNFTT!
@Jan
Danke für Deine Beiträge. Mir ist unwillkürlich dabei das uralte Buch “ und ihre Lampen verlöschen“ eingefallen. Dort läuft in einer Gemeinde scheinbar alles in Ordnung und sauber durch. Alles adrett, aber der Heiluge Geist hat sich schon lange verabschiedet….( kam bei CLV meine ich auch online lesen)
Dem würde ich eindeutig widersprechen. Auf die KI Beiträge von Jan Malcolm können wir hier eindeutig verzichten. Das war dann auch mein letzter Kommentar zu diesen völlig diffusen und widersprüchlichen Beiträgen!
Wahnsinn, mit welch verblasenem Schwachsinn da geistiges Kapital in den Ausguss gekippt wird. Akademische Elfenbeinturmübungen für Gelangweilte.
@Jan Malcolm ist halt jemand, der die verblasenen Sprachspiele der Pseudoakademiker zum Ärger aller Ernstmeinenden mittreibt. Ein Wunder, dass den wer ernst nimmt, genauso wie jene „Theologen“ und „Soziologen“, Titel, die ihren Trägern Kompetenz zuschreiben sollen, deren Äußerungen aber von nichts als leerem Geschwätz zeugen.
Zurück zum Thema: Auch hierzu sehr hilfreiche Referate von der Jesus25 Konferenz:
Warum das Bibelverständnis nicht beliebig ist (Markus Voss)
Warum das stellvertretende Sühneopfer unaufgebbar ist (Dr. Martin P. Grünholz)
Vielleicht ja auch nach der Konferenz in YouTube verfügbar.
Mir ist unwillkürlich dabei das uralte Buch “ und ihre Lampen verlöschen“ eingefallen. Dort läuft in einer Gemeinde scheinbar alles in Ordnung und sauber durch. Alles adrett, aber der Heiluge Geist hat sich schon lange verabschiedet Mir sind solche Gemeinden bekannt. Bevölkert von Jahrgängen bis 1975 sind alle glücklich. Der talentierte A-Kirchenmusiker liefert noch ab, Kirchenkaffee, Chor und Tanz finden alle super, auch das restliche Wochenprogramm (alles werktags zu den Arbeitszeiten des gemeinen Kirchensteuerzahlers). Und auch von der Kanzel kommt immer das Gewohnte, was nicht aneckt. Woran merkt man, dass etwas nicht stimmt? Einen Kindergottesdienst gab es schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Hier bespaßt sich einfach nur ein spezifisches Milieu mit staatlichen Zuschüssen selbst. Mit „Christentum“ hat das alles nichts mehr zu tun. Seit 1972 versucht befasst sich die KMU mit Kirchenaustritten in Westdeutschland und versucht seitdem die Zahl der Kirchenmitglieder zu prognostizieren. Sie ist damit krachend gescheitert, weil disruptive Entwicklungen gar nicht in Erwägung gezogen werden. Die jüngste disruptive… Weiterlesen »
Vielleicht muss manches erst zerstört am Boden liegen, damit der Neuaufbau klappt. Meine Freikirchenphase hat vor einigen Jahren geendet mit zunehmender Liberalität in der lokalen freien Gemeinde – damit haben die dann an den Gemeindebund aufgeschlossen. Eine Gemeinde hat aber m.E. ihre Daseinsberechtigung verloren, wenn sie sich genauso säkular/liberal positioniert wie die Amtskirche nach außen hin. Seitdem bin ich wieder in der evangelischen Amtskirche ehrenamtlich unterwegs, vornehmlich Dörfer, die bisherigen Kirchgänger dort bislang überwiegend in einem Alter, das keine Anfahrt mehr in die Nachbardörfer ermöglicht. Nach langer Vakanz gibt es seit ein paar Wochen einen jungen engagierten und gläubigen Pfarrer, der alte Gottesdienstformen bevorzugt, klassische Liturgie wie zu Luthers Zeiten, altes Liedgut, …, Abendvespern abhält (nach 2 Monaten tw. besser besucht als die Gottesdienste), und das fehlende theologische Allgemeinwissen mit Bibelkreis und das fehlende liturgische Wissen mit Erklärungen bekämpft (schriftlicher Gottesdienstablaufplan, mündliche „Wissenshäppchen“ am Ende des GoDi – Liturgie ist sicherlich nicht heilsentscheidend, aber wenn sie als in äußere Form… Weiterlesen »