November 2010

Schreiner: Kommentar zum Galaterbrief

_images_product_medium_0310243726.jpgThomas Schreiner hat einen Kommentar zum Galaterbrief verfasst. Das Buch mit 423 Seiten ist in der Reihe Exegetical Commentary on the New Testament soeben bei Zondervan erschienen. Zum Kommentar heißt es:

Designed for the pastor and Bible teacher, this series brings together commentary features rarely gathered together in one volume. Written by notable evangelical scholars, each volume in the Zondervan Exegetical Commentary on the New Testament series treats the literary context and structure of the passage in the original Greek. The series consistently provides the main point, an exegetical outline, verse-by-verse commentary, and theology in application in each section of every commentary.

Critical scholarship informs each step but does not dominate the commentary, allowing readers to concentrate on the biblical author’s message as it unfolds. While primarily designed for those with a basic knowledge of biblical Greek, all who strive to understand and teach the New Testament will find these books beneficial. The ZECNT series covers the entire New Testament in twenty volumes; Clinton E. Arnold serves as general editor. In this volume, Thomas R. Schreiner offers pastors, students, and teachers a focused resource for reading Galatians. Through the use of graphic representations of translations, succinct summaries of main ideas, exegetical outlines and other features, Schreiner presents Paul’s Epistle to the Galatians with precision and accuracy. Because of this series’ focus on the textual structure of the scriptures, readers will better understand the literary elements of Galatians, comprehend the author’s revolutionary goals, and ultimately discover their vital claims upon the church today.

Hier die Einleitung zum Kommentar als PDF: 0310243726_samptxt.pdf.

Frame: Die Lehre vom Wort Gottes

51TBxXl-gXL._SL160_.jpgJohn Frames Buch zur Heiligen Schrift ist gerade erschienen:

  • John Frame: The Doctrine of the Word of God: Theology of Lordship, P & R Publication, 2010, 1056 S.

D.A. Carson schreibt über das Buch:

The fourth volume in John Frame’s Theology of Lordship series, The Doctrine of the Word of God, is the best of them—and that is high praise. In a 700-page »draft« of what he hopes will be a longer and more definitive work, Frame thinks through what Scripture is, what authority means, how to understand inspiration, canon, and a host of other categories intrinsic to any responsible treatment of revelation, especially the revelation provided by Holy Scripture. Frame’s style is highly personal, occasionally sliding all the way to an almost stream-of-consciousness set of associations, but his reflections are invariably so fresh (even when he is articulating old truths) and so thought-provoking (not least where one wants to demur or introduce a caveat) that this reader, at least, overlooks the style he would otherwise have found a bit cloying. More so than the other volumes in the series, this book works hard at developing its theology, the theology of the word of God, out of Scripture itself—and without descending to vicious circularity. This is an important book, and those who write on this subject in the near future without wrestling with Frame will merely testify to their own narrowness.

Ich vermute, dass damit Frames wichtigstes Buch erschienen ist. Hier eine Datei mit dem Inhaltsverzeichnis und dem Vorwort (sowie der Einleitung): 9780875522647.pdf.

Was ist die »Neue Paulusperspektive«?

51FC7m2aNPL._SL160_.jpgDer Neutestamentler Thomas Schreiner hat vor wenigen Tagen ein neues Buch zum Thema »Christen und das biblische Gesetz« herausgegeben. Das Buch:

enthält unter anderem auch einen Abschnitt zur »Neuen Paulusperspektive« (NPP) (hier das Inhaltsverzeichnis des Buches).

Durch Vermittlung von Justin Taylor habe ich die Rechte für eine deutsche Übersetzung des Abschnitts über dir NPP erhalten. Da Lars den Text schnell übersetzt hat, kann ich ihn hier wiedergeben. Ich bedanke mich bei Justin, Lars und dem Verlag Kregel!

– – –

Was ist die »Neue Paulusperspektive?«

Die neue Paulusperspektive findet ihren Ursprung in dem bahnbrechenden Buch Paul and Palestinian Judaism: A Comparison of Patterns of Religion von E.P. Sanders, der 2005 von der Duke University emeritierte. Sein Buch schlug unter den Neutestamentlern ein wie eine Bombe. Noch heute spüren wir den Nachhall dieses Einschlags. Was jedoch nicht bedeutet, dass Sanders der erste gewesen wäre, der seine dargestellte These vertreten hätte. Bei einem Blick in die Vergangenheit finden wir bei den beiden Judaismusforschern Claude Montefiore (1858–1938) und George Foote Moore (1851–1931) ähnliche Argumente. Als Sanders schrieb, war die Zeit jedoch reif und die akademische Welt war bereit, seine These zu hören. Er schrieb ca. 30 Jahre nach dem Holocaust, als die Gelehrten über die Ermordung von sechs Millionen Juden im »christlichen« Deutschland noch immer geschockt waren. Antisemitismus war nicht auf die Politik beschränkt, sondern wurde auch durch die wissenschaftliche Arbeit von Christen unterstützt, die damit eine Teilverantwortung an der Vernichtung von Millionen von Juden tragen. Am wichtigsten war, das Sanders sein Argument sorgfältig auf der rabbinischen Literatur, den Apokryphen, den Pseudepigraphen und auf den Schriften von Qumran aufbaute. Sein Buch war eine handwerklich extrem gute Exegese der relevanten jüdischen Literatur. Jeder, der seine These bezweifelte, musste daher erst einmal aufzeigen, dass seine Exegese fehlerhaft war. Demnach konnte man ihn nicht durch bloße Behauptungen widerlegen.

Sanders argumentierte, dass die angenommene jüdische Gesetzlichkeit ein akademischer Mythos sei, den christliche Forscher dem Beweismaterial aufgrund einer voreingenommenen Sichtweise aufgezwungen hätten. Die Protestanten hätten aufgrund des Konflikts mit dem römischen Katholizismus besonders dazu geneigt, die neutestamentliche Polemik gegen den Judaismus aus der Sicht der Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche im 16. Jahrhundert zu sehen. Sie projizierten das mangelhafte Verständnis von Gnade auf jüdische Quellen. Ein objektives Lesen der Quellen aus dem zweiten jüdischen Tempel demonstriere jedoch, dass der Judaismus eine robuste Doktrin von Gottes Gnade gehabt hätte. Sanders plädiert für ein allgemeines Muster der Religion im Judaismus des zweiten Tempels, welches er »Bundesnomismus« nennt. Gott trat in den Bund mit seinem Volk durch seine Gnade. Israels Befolgung des Gesetzes brachte sie nicht in eine Bundesbeziehung mit Gott, sondern sie wurden in eine Beziehung mit ihm durch die Wirksamkeit seiner Barmherzigkeit gebracht. Das Gebot, das Gesetz zu halten, war eine Antwort auf Gottes Gnade. Dementsprechend könne der Nomismus nicht mit dem Legalismus gleichgesetzt werden. Israel glaubte nicht, das Gott die Verdienste des Einzelnen abwägen würde, um zu entscheiden, ob sie zum Schluss eine Belohnung erhalten würden. Sie haben auch nicht geglaubt, dass sich jemand Gottes Gunst in der Frage der Erlösung hätte verdienen können. Israel blieb in einer gnadenreichen Beziehung mit dem Herrn, indem sie das Gesetz befolgten. Aber sie erhielten Zutritt zu dieser ursprünglichen Beziehung mit ihm durch seine Gnade.

Wenn Sanders den Judaismus korrekt darstellt, wie erklären wir dann die paulinische Kritik an dem Gesetz? Sanders selbst meint, dass Paulus das Gesetz aus dogmatischen Gründen abgelehnt habe. Paulus kam zu der Überzeugung, dass Christus die Antwort auf das menschliche Problem war; Erlösung geschah nur durch ihn. Aber wenn Erlösung nur durch Christus geschieht, wie erklärt man dann das Gesetz? Laut Sanders sah Paulus kein dem Gesetz anhaftendes Problem. Die Unterlegenheit des Gesetzes konnte weder der menschlichen Unfähigkeit, das Gesetz zu halten, noch einer legalistischen Sichtweise des Gesetzes, zugerechnet werden. Anstelle dessen argumentiert Paulus von der Lösung zum Problem. Da Christus die Antwort auf das menschliche Dilemma darstellt (die Lösung), müsse das Gesetz ein Problem sein. Trotzdem hätte Paulus keinen intrinsischen Defekt des Gesetzes wahrgenommen. Sanders besteht darauf, dass die paulinischen Gedankengänge gekrümmt seien und am Rande der Inkohärenz stehen würden. Dies sei durch die theologische Grundannahme, dass Christus die Lösung des menschlichen Problems sei, zu erklären. Also, warum rettet das Gesetz nach Ansicht von Paulus nicht? Die Antwort von Sanders lautet, dass das Gesetz nicht retten kann, weil nur Christus rettet. Das Problem des Gesetzes liegt somit darin, dass es nicht Christus ist.

Ein weiterer Wissenschaftler, der mit Sanders übereinstimmte, war Heikki Räisänen, welcher 2006 von der Universität Helsinki emeritierte. Räisänen adoptierte eine radikalere Lösung als Sanders. Wenn Sanders Darstellung des Judaismus des zweiten Tempels korrekt ist, wie erklären wir dann Paulus? Räisänen argumentierte, dass Paulus kein kohärenter und logischer Denker gewesen sei. Um es anders auszudrücken: Paulus‘ Theologie vom Gesetz ist von Widersprüchen durchzogen und zutiefst inkohärent. Forscher haben sich bemüht, die Theologie des Paulus so darzustellen, als würde sie ein konsistentes Gedankensystem repräsentieren. Nach Räisänen hätten sie alle nicht erkannt, dass Paulus mit zwei sich völlig widersprechenden Grundnahmen arbeitete. Auf der einen Seite sagte er, dass das alttestamentliche Gesetz Gottes bindendes Wort war. Auf der anderen Seite bestand er darauf, dass Nicht-Juden nicht dazu aufgefordert werden sollten, das alttestamentliche Gesetz zu halten. Nach Räisänen konnte Paulus diese beiden sich ausschließenden Ideen natürlich nicht zusammenbringen.

Viele Wissenschaftler sind jedoch mit der Paulusinterpreation von Sanders und Räisänen nicht einverstanden. Im Gegenteil zu Räisänen sind sie davon überzeugt, dass Paulus ein kohärenter Denker gewesen ist. Es scheint einigen, als hätte Räisänen Paulus in einer ablehnenden Haltung gelesen, sodass in Paulus Denken überall Widersprüche auftauchen würden. Demgegenüber war Sanders Interpretation Paulus zugeneigter, jedoch ist laut James Dunn der Paulus, den Sanders beschreibt, eher eigennützig und launenhaft. Nach Sanders war das einzige Problem mit dem Judaismus, dass es nicht das Christentum war. Das Gesetz wurde als Lösung verworfen und als Problem identifiziert, da Christus die einzige Antwort für die Menschheit ist. Dunn erwiderte zu Recht, dass die paulinische Theologie des Gesetzes mehr Tiefe hatte. Paulus hat das Gesetz nicht einfach reflexartig aus dogmatischen Gründen verworfen, seine Ablehnung gegenüber dem Gesetz hatte eine tiefere und solidere Grundlage. Wenn man nun den Paulus von Sanders und Räisänen zurückweisen sollte, wie bewertet man ihn laut Dunn? Dunn akzeptiert, das Sanders in einem grundlegenden Punkt richtig liegt: Der Judaismus des zweiten Tempels war nicht legalistisch. Daher muss die protestantische Standardleseart, nachdem das Gesetz, aufgrund der menschlichen Unfähigkeit es zu halten, nicht rettet, zur Seite geschoben werden. An diesem Kreuzweg schlagen Dunn und N.T. Wright eine neue Leseart für Paulus vor („eine neue Perspektive“), welche einen enormen Einfluss hatte.

Wenn wir Paulus aus seinem historischen Kontext heraus verstehen, sehen wir, dass die Klage über seine jüdischen Opponenten sich auf deren Exklusivismus, Nationalismus und Ethnozentrismus bezog. Die Juden bestanden darauf, dass die Heiden ein Teil des jüdischen Volkes werden mussten, damit sie zu dem Volk Gottes gehören konnten. Deswegen betonten sie die jüdischen Unterscheidungsmerkmale und Grenzmarkierer wie Beschneidung, Essvorschriften und den Sabbat. Somit geht es der gegen das Gesetz gerichteten paulinischen Polemik in erster Linie nicht um Gesetzlichkeit oder menschlichen Ungehorsam. Sanders Behauptung, dass der Judaismus des zweiten Tempels nicht gesetzlich war, ist dadurch ebenso in den paulinischen Schriften bestätigt. Paulus wurde von der Beharrung auf die Beschneidung der Heiden provoziert, sowie auf das Bestehen auf andere Merkmale des Judaismus als eine Bedingung um zu dem Volk Gottes gehören zu können. Paulus jüdische Opponenten waren nicht bereit, die Tür für die Heiden weit aufzuschwingen, da es undenkbar war, sie als Mitglieder von Gottes Volk zuzulassen, ohne dass sie die Bundeszeichen des Alten Testaments angenommen hätten. Sie führten an, dass die Beschneidung von Heiden verlangt sei und sie dabei ihren nationalistischen Vorrang als Juden behielten. Sie wollten nicht, dass sich die Kirche Jesu Christi aus einer Vielfalt von ethnischen Gruppen und Kulturen zusammensetzen würde. Sie wollten ihre kulturelle und ethische Vormachtstellung als Juden beibehalten.

Wie sollte die neue Paulusperspektive bewertet werden? Was sollen wir mit der neuen Paulusperspektive anfangen?

In einer kurzen Beschreibung können wir nicht allen Themen und Fragestellungen gerecht werden, daher möchte ich die Leser auf umfangreichere Werke, die die Bewegung genauer beschreiben, verweisen (besonders Stephen Westerholm, Perspectives Old and New on Paul: The »Lutheran« Paul and His Critics, Grand Rapids: Eerdmans, 2004). Es muss hier noch erwähnt werden, dass Sanders Interpretation des Judaismus des zweiten Tempels seit der Veröffentlichung seines Buches sehr detailliert untersucht worden ist. Einige der Belege in den Texten des Judaismus des zweiten Temples befürworten das Muster des Bundesnomismus, welches Sanders verteidigt. Nichts desto trotz ist die Beweislage bei weitem nicht so schlüssig wie Sanders behauptet. Friedrich Avemarie hat gezeigt, dass die beiden Themen der Erwählung und der Werke in der rabbinischen Literatur in einer unbehaglichen Spannung stehen. In ähnlicher Weise besteht Mark Elliott darauf, dass der Judaismus während der Periode des zweiten Tempels sich typischerweise keine Erlösung für alle vorstellte, sondern nur für die, welche die Thora hielten. Entlang dieser Argumentationslinie stellt Andrew Das fest, dass die Gewichtung der Verdienste in der rabbinischen Literatur recht prominent gewesen ist. Gottes Barmherzigkeit und seine Gnade sind nicht vergessen, jedoch gibt es eine erhebliche Betonung von menschlichen Werken. Simon Gathercole führt an, dass Sanders Schlussfolgerungen nicht uneingeschränkt gülig sind, da es bedeutende Belege in der Literatur des zweiten Tempels dafür gibt, dass Werke eine Rolle beim Erlangen letztendlicher Erlösung spielen. Des Weiteren führt eine genaue Studie der Literatur dieser Periode zu einer nuancierten Schlussfolgerung. In ein paar Fällen scheint Sanders Urteil über den Bundnomismus korrekt zu sein, in anderen Fällen ist seine Interpretation der Belege verfälscht und er zwingt der Literatur sein Paradigma auf. Sanders gibt zu, dass Esra 4 eine Ausnahme zu diesem Muster bildet, wobei es offensichtlich ist, dass es hier mehr als nur eine Ausnahme gibt. In Konsequenz dessen ist Sanders Behauptung, dass der Judaismus des zweiten Tempels die Rolle der Werke im Erlangen der Erlösung nicht betonte, doch übertrieben. Die Behauptung, dass der Judaismus des zweiten Tempels eine Religion der Gnade war, wird durch die jüdischen Quellen nicht so klar unterstützt. Zumindest sind Segmente des Judaismus auf menschlichen Gehorsam fokussiert und damit Opfer einer Art von Legalismus geworden. All dies bedeutet nun, dass wir bezüglich Paulus nicht von der Tatsache ausgehen dürfen, dass es im Judaismus des zweiten Tempels überhaupt keinen Legalismus oder keine Werkegerechtigkeit gegeben hätte.

Zusammenfassung: Die von Sanders vermeintlich bewiesene Grundlage der neuen Paulusperspektive ist nicht so sicher, wie manche behaupten. Wir haben gewichtige Hinweise dafür, dass Paulus das Gesetz aufgrund der menschlicher Unfähigkeit [es zu halten] zurückwies und das einige seiner Opponenten Opfer von Gesetzlichkeit geworden waren. Auch wenn es der neuen Paulusperspektive nicht gelingt, eine adäquate Erklärung für Paulus‘ Sicht des Gesetzes zu geben, so beobachtet sie doch korrekterweise, dass die Einbeziehung der Heiden eines der Hauptthemen der paulinischen Theologie ist. Die Befürworter können nicht überzeugend erklären, wie die Inklusion der Heiden in das Volk Gottes mit der paulinischen Theologie des Gesetzes integriert werden kann. Letztendlich habe ich durch den Verweis auf andere Forscher gezeigt, dass Sanders Leseart der jüdischen Quellen zu sehr vereinfacht. Ein genaues Lesen der jüdischen Quellen deutet darauf hin, dass einige Juden die Rolle des Gehorsams in Bezug auf das Erlangen der eschatologischen Erlösung betont haben.

– – –

Siehe dazu auch diese Beiträge.

Brunner über »Bildung«

Das längere Zitat von Emil Brunner zum Staat endet mit dem Satz: »Es wird die Aufgabe des nächsten Abschnittes sein, an einem einzelnen Beispiel, an dem der Bildung, diesem Gedanken konkreten Inhalt zu geben.« Darauf hin hat Johannes gefragt, ob Brunners Ausführungen zur Bildung ebenso interessant sind wie die zum Staat.

Brunner behandelt die Bildung sehr eingehend und ich kann hier nicht alles publizieren, was er dazu geschrieben hat. Nachfolgend aber der Abschnitt, der offensichlich an seine Ausführungen zu den Grenzen staatlicher Vollmacht anknüpft (Das Gebot und und die Ordnungen: Entwurf einer protestantisch-theologischen Ethik, 4. Aufl., Zürich: Zwingli Verlag: 1939, S. 498–502):

Damit haben wir uns bereits einer anderen wichtigen Frage zugewandt, der nach den Trägern der Bildung. Wer bildet wen? Auf diese Frage kann die allgemeine Antwort nur lauten: jeder bildet jeden. Das Bilden und Gebildetwerden dauert solang als das Leben selbst. Bildend ist vor allem, wie man mit Recht sagt, »das Leben«; wir könnten das das unabsichtliche Bilden nennen. Verstehen wir aber unter Bildung das absichtliche Tun, so geht die Bildung über in die Erziehung. Wir hätten keinen Anlaß, uns über das Problem der Erziehung eingehender auszusprechen, wenn nicht auch hier Vorurteile von größter Bedeutung aufzudecken wären. Erziehung ist nicht in erster Linie Sache der Schule, gar des Staates, sondern der Familie. Es gehört zur göttlichen Schöpfungsordnung, daß das Kind im Schoß und Schutz der Familie aufwächst, nicht bloß als physisches Wesen — denn das ist eine falsche Abstraktion —, sondern eben als Person. Hier lernt es — was wichtiger ist als alles, wie es später noch hinzulernen kann — in exemplarischer Weise das Grundverhältnis der Gemeinschaft kennen, das Verbundensein im aufeinander Angewiesensein, das Verbundensein im Gegenübersein, die Anerkennung des Anderen als eines Nichtgleichen, der gerade in seiner Nichtgleichheit anzuerkennen ist. Was das Kind in dieser Gemeinschaft mit Vater und Mutter lernt, ist — auch wenn es keine idealen, sondern nur leibliche Eltern sind — unendlich wichtiger als alles, was es in einer Schule lernen kann. In der Familie ist nicht ein sachliches oder geistiges Etwas, sondern die Gemeinschaft selbst das Wesentliche. Das Familienleben bringt es mit sich, daß hier die Person immer als ganze da ist und gilt. Die Familie ist keine Schule — Gott sei Dank! —, sondern viel mehr als Schule, Gemeinschaft, wenn auch dies nur in relativem und unvollkommenem Sinne. Gerade dies ist das Unvergleichliche an dem Band, das die einzelnen Glieder der Familie umschlingt. Die Verantwortlichkeit des einen für das andere, die Gebundenheit und Verbundenheit in dieser Verantwortlichkeit ist, bei aller Gebrochenheit, doch irgendwie da in einer auch nur halbwegs ordentlichen Familie, so wie es sonst nirgends da sein kann.

An zweiter Stelle steht aber nicht der Staat, sondern die Gemeinde. Es gehört zu den verhängnisvollen Folgen der modernen Staatsauffassung, daß nach ihr die Gemeinde sozusagen nur eine Unterabteilung, ein Verwaltungsbezirk des Staates ist. Die Gemeinde ist unter ethischem Gesichtspunkt eine selbständige Größe, die die so wesentliche Funktion der Sippe als Mittelglied zwischen Familie und Volk seit dem Verschwinden der Sippe zu übernehmen hat. Ganz besonders ist auch heute noch die Dorfgemeinde ein bedeutender Erziehungsfaktor. Die absichtliche Erziehung der Gemeinde vollzieht sich vor allem durch das Mittel der Schule. Nicht der Staat ist der legitime Träger des Schulwesens, sondern die Schulgemeinde — das Wort nicht im rechtlichen, sondern im sozialen Sinn verstanden als Zusammenschluß von Familien. Kulturfunktionen sind nur notstandsweise, vikarierend vom Staat zu übernehmen; an sich gehören sie nicht in seine Domäne. Der Staat ist ein schlechter Schulmeister und die Selbstverständlichkeit, mit der heutzutage das ganze Schulwesen dem Staat überlassen wird, ist in schweres Übel. Daß die Schule Sache der Volksgemeinschaft ist, heißt noch lange nicht, daß sie Sache des Staates sei. Es ist ein durch nichts zu begründendes Axiom, daß der Staat die einzige Organisation der Volksgemeinschaft als solcher sei, daß also auch diejenigen Organisationen, die sich das Volk als Ganzes für Kulturzwecke schafft, damit schon staatliche Organisationen seien. Durch dieses Axiom wird die Einsicht in die grundsätzliche Verschiedenheit des Aufbaus kultureller und staatlicher Institute verdunkelt. Der Staat als Rechtsorganisation verlangt Zentralisation, Aufbau von oben herab. Die Kultur, die wesentlich von den Einzelnen ausgeht und, als Gemeinschaft, der Intimität des kleinen Kreises bedarf, verlangt Aufbau von unten her. Für den Staat ist das umfassende Ganze das Erste, und nur um seinetwillen gliedert er sich nach unten, um die Wirkung des Ganzen auf die Einzelnen zu übersehen. Die Kultur aber hat zunächst gar kein Bedürfnis nach einem großen Apparat und einer äußeren Einheit. Sie gedeiht am besten im kleinen Kreis, weil für sie das individuelle und persönliche Moment entscheidend ist. Das gilt auch für die Erziehung. An sich besteht nicht das geringste Bedürfnis dazu, die Erziehung zu einer Staatssache zu machen; die genossenschaftliche Gemeindeschule — Schulgenossenschaft — ist eint Gemeinschaftsform, die der Schule viel wesensgemäßer ist, als die Staatsschule. Es sind äußere Gründe, es ist vor allem der Schulzwang, die Finanzfrage und eine äußere Koordination der Schulen, die die Mitwirkung des Staates in Schulsachen notwendig machen. Aber diese Mitwirkung braucht noch lange nicht die Übernahme des ganzen Schulwesens durch den Staat zu bedeuten. Staatsschule darf es nur darum und solange geben, als es keine echte Volksschule gibt. Diese Unterscheidung hört auch dann nicht auf, wichtig zu sein, wenn man die — wenigsten vorläufige — Unvermeidlichkeit des Übels »Staatsschule« durchaus einsieht. Denn auch innerhalb einer Staatsschule würde die Erkenntnis, daß Schule als Kulturangelegenheit von unten nicht von oben her sich aufbauen muß, daß Dezentralisation in Kultursachen ebenso notwendig ist wie Zentralisation in Rechtssachen, den innern Aufbau des Schulwesens gewaltig verändern und zwar im Sinn einer Befreiung vom Grundübel des Uniformismus und bürokratischen Mechanismus.

Noch wichtiger als diese innere und — später auch äußere Loslösung vom Staat ist die Loslösung vom Geist der Aufklärung. Unser ganzes heutiges Schulwesen ist das Produkt der Aufklärung. Ob der einzelne Lehrer oder das einzelne Lehrmittel selbst im Geist der Aufklärungsideologie wirke, kommt kaum in Frage gegenüber dem anderen, daß die ganze Konzeption »Schule«, so wie wir sie heute kennen, nur aus de Geist der Aufklärung heraus verständlich ist. Nun leugnen wir freilich nicht, daß die Aufklärung ihre wichtige Mission hatte im Kampf gegen Orthodoxie und Klerikalismus, ja daß sie auch positiv Wertvolles leistete, und ohne sie der ganze Aufschwung der modernen Wissenschaft schwer denkbar wäre. Aber der Rationalismus der Aufklärungsideologie, der mit ihm verbundene Fortschrittoptimismus, Individualismus und Intellektualismus, der im allgemeinen unser ganzes geistiges Leben verseucht, wirkt sich nun ganz besonders in unserem Schulwesen — von der Primarschule bis zur Universität — aus. Die heutigen Bestrebungen der radikaleren Schulreform haben wohl etwas von dieser Tatsache erfaßt und sind darum mit Recht vor allem gegen den Intellektualismus unseres Schulwesens gerichtet, erfassen aber das Übel selten in der Tiefe, weil sie selbst dem Denken der Aufklärung zu nahe stehen. Es ist wahrhaft tragisch, daß von den großen Ideen Pestalozzis nur diejenigen verwirklicht und überhaupt verstanden worden sind, die er von Rousseau übernommen und weitergebildet hat, aber nicht seine ihm eigentümlichen, die er uns einem tieferen Verständnis des Menschen als Person- und Gemeinschaftswesen gewann. Der Kampf gegen die Aufklärungsideologie ist, aufs Volksganze gesehen, aussichtslos, solange er nicht zugleich zu einem Kampf gegen das in ihr wurzelnde Schulwesen der Gegenwart wird.

Von diesen zwei Gesichtspunkten, der grundsätzlichen Unabhängigkeit vom Staat und der Unabhängigkeit von der Aufklärungsideologie aus, ist auch die Frage der »christlichen Schule« anzufassen. Die Bildung, insbesondere sofern sie Schulbildung sein kann, ist eine »autonome« Lebenssphäre; aber diese Autonomie ist eine begrenzte. Die »neutrale Schule« ist ein Hirngespinst; der »Geist« einer Schule ist — ganz abgesehen von allen stofflichen Inhalten — bedingt durch Weltanschauung und Glaube, ob man es zugibt oder nicht. In diesem Sinne ist es selbstverständlich, daß der Christ christliche Schulen wünschen muß. Aber mit der Schaffung sogenannter »christlicher Schulen« hat dieses Grundsätzliche wenig zu tun. Erstens ist das, was heute Schule heißt, aus einem dem christlichen Glauben wesensensfremden Geist heraus gedacht und gestaltet, und die »Christlichkeit« solcher Schulen vermag daran wenig zu ändern. Vor allem aber ist der christliche Geist, auf den allein es ankäme, durch die Verpflichtung auf ein besonderes christliches Glaubensbekenntnis und durch Betonung des christlichen Religionsunterrichts nicht im entferntesten gewährleistet. Wohl mag unter besonderen Umständen die Bildung solcher »christlicher« Sonderschulen notwendig sein, aber als notwendiges Übel. Dagegen würde dieser Sondercharakter mehr oder weniger wegfallen, wenn die Schule nicht die Einheitsschule des Staates, sondern die aus den besonderen Verhältnissen der Schulgenossenschaft heraus gebildete »Gemeindeschule« wäre. Die einzige Lösung der Frage kann nur darin bestehen, daß die Volksgemeinschaft, die die Schule schafft, selbst vom christlichen Geist bestimmt ist; alles andere sind Notbehelfe von relativem und schwankendem Werte. Eines aber sei zum Schluß deutlich gesagt: die Loslösung der Schule vom Rechtskörper Kirche ist eine Tat der Aufklärung, für die auch die Christen dankbar sein können. Die der Kirche unterstellte konfessionelle Schule ist etwas, das wir wohl noch weniger wünschen können als die heutige Staatsschule; diese Idee ist nur innerhalb einer römisch« katholischen Auffassung des Verhältnisses von Kirche und Kultur stilgerecht, während die kirchliche Bevormundung der Kultur dem protestantischen Glauben wesensfremd ist.

Christen als Hassobjekt für Islamisten und Kriminelle

Von einer Million auf 200.000 – die Anzahl der Christen im Irak schrumpft. Ihr Verhalten war immer sehr friedlich. Trotzdem werden sie verfolgt. DIE WELT schreibt:

Vor allem radikale Islamisten, aber auch reine Kriminellenbanden machten schnell deutlich, dass sie die Existenz der auf provozierende Weise friedlichen Christen nicht dulden würden.

Viele gezielte Morde und Massaker später ist die Zahl der Christen im Irak drastisch geschrumpft – es sind, wenn es hochkommt, noch etwa 200.000. Der Exodus der Christen wird bald abgeschlossen sein. Dann wird das Christentum nur noch in einem historischen Sinne zum Irak gehören. Und es sieht leider nicht so aus, als würde das die deutsche Öffentlichkeit sonderlich betrüben oder gar schmerzen.

Hier: www.welt.de.

Rezensionen zu Büchern über »Mission der Kirche«

Die neue Ausgabe des Online-Journals von 9Marks stellt Bücher zum »Thema Mission der Kirche vor«.

Whatever you might think about our friend’s counsel, the conversation about the church’s mission is difficult, which is why we are devoting this eJournal to reviewing the books on the topic. That way, you don’t have to just hear from us, but from people who have thought about these issues longer and more carefully than we have.

Some of these books we would commend to you wholeheartedly, like VanDrunen’s, Hunter’s, and Keller’s, precisely because they discern the type of distinctions described above. Others we like for one reason or another, but would refrain from giving a full endorsement, as with Wright’s two books or Corbett and Fikkert’s. All of these books are deeply intelligent, Christian, and have something to teach each of us. I do want to call special attention to David VanDrunen’s two books. A number of neo-Calvinists and tranformationalists just might discover that their thinking is more amenable to aspects of the two-kingdoms view than they realize.

Finally, Kevin DeYoung and Greg Gilbert kindly agreed to give us a sneak preview of their book What Is the Mission of the Church? to be released next year by Crossway. Through it all, we hope these reviews and excerpts will help you, pastor, discern which things in your church’s life are weighty and which things are the weightiest.

Hier: www.9marks.org.

Albert Schweizer und seine Leben-Jesu-Forschung

220px-Bundesarchiv_Bild_183-D0116-0041-019,_Albert_Schweitzer.jpgIm Jahre 1965 starben drei einflussreiche Theologen: Paul Tillich, Martin Buber und der 1875 im Elsass (Kayserberg) geborene Albert Schweizer. Schweizer, der zunächst als Hilfsprediger und Privatdozent für Neues Testament (Straßburg) tätig war, machte sich als Theologe, Arzt, Philosoph und Musiker einen Namen, so dass er zu den bekanntesten deutschsprachigen Gelehrten des 20. Jahrhunderts gehört.

Als Theologe wurde er durch seinen großen Forschungsbericht zur Leben-Jesu-Forschung (1906 u. erweitert 1912) und seine Untersuchungen zum Apostel Paulus bekannt (1930). Konsequent vertrat Schweizer die Auffassung, dass der historische Jesus sich in der Erwartung täuschte, dass Kommen des Reiches Gottes stünde unmittelbar bevor. Während die eschatologische Hoffnung auf ein hereinbrechende Himmelreich damit ein für allemal erledigt sei, bliebe für die Christen die Aufgabe, an der sittlichen Vollendung des Reiches Gottes in dieser Welt mitzuwirken (vgl. dazu auch Adolf von Harnack).

Das Deutschlandradio hat mit Professor Werner Zager (Frankfurt) über Albert Schweizers Theologie gesprochen:

[podcast]http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2010/10/29/dlf_20101029_0949_980cde2f.mp3[/podcast]

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner