Juni 2014

Weitere Blicke auf die Neue Paulusperspektive

Hier der Hinweis auf zwei frei verfügbare Aufsätze zur „Neuen Paulusperspektive“ (NPP), die 2010 im SBJT  erschienen sind:

  • Der Aufsatz  „The New Perspektive from Paul“ von Mark A. Seifrid ist eine überarbeitete Version des Vortrags, der bereits in deutscher Sprache erschienen ist als: „Die neue Perspektive auf Paulus im Lichte der neuen Perspektive des Paulus“, Theologisches Gespräch 31 (2007), S. 75–88.
  • In dem Beitrag „Another Look at the New Perspective“ von Thomas R. Schreiner geht es um die Verteidigung der reformierten Rechtfertigungslehre im Lichte der Herausforderungen, die sich durch die NPP ergeben.

Im Jahre 2012 veröffentlichte die Zeitschrift Kerygma und Dogma (Jg. 58, S. 268–283) zudem den Aufsatz „Paulus und seine neue Perspektive“ von Mark A. Seifrid. Darin heißt es (S. 282–283):

Das Umdenken über die paulinische Rechtfertigungslehre hat auch ein Umdenken über seine Ethik mit sich gebracht, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zwischen Rechtfertigung und Endgericht. An dieser Stelle ist es besonders evident, dass, wie immer ihre Stärken und Schwächen geartet sein mögen, die „neue Perspektive“ auf Paulus ein Ausdruck der theologischen Fragen unserer Zeit ist. Ist es wahr, dass die Rechtfertigungsbotschaft, die die Vergebung der Sünden bringt, für die Erlösung ausreicht? Ist diese Botschaft die Botschaft des Paulus? Bereits E.P. Sanders nahm eine Unterscheidung im frühjüdischen Verständnis der Errettung vor, nämlich zwischen „Hineinkommen“ (durch Gottes erwählende Gnade) und „Darinbleiben“ (durch ein gewisses Maß an Gehorsam). Einige der bekannteren Vertreter der „neuen Perspektive“ gingen soweit zu behaupten, dass auch Paulus mit diesem Erlösungsverständnis arbeitet. Man wird zunächst aus Glauben gerechtfertigt, doch werden die eigenen Werke schlussendlich für die Errettung im Endgericht mitzählen.

Nach einem anderen Modell ist Rechtfertigung Gottes Beurteilung, dass wir wirklich Menschen sind, die Glauben haben und ihm treu sind. Es ist mehr als nur leicht ironisch, dass jene, die mit Luthers Rechtfertigungslehre aufzuräumen suchen, dem Erlösungsverständnis, das er zu reformieren suchte, wieder bemerkenswert nahe kommen! Es gibt eindeutig schwierige Texte über das Endgericht (z. B. 2Kor 5, 10; Röm 2, 12–16), die ausführlichere Diskussion verdienen, als wir ihnen hier geben können. Sicher werden sie zukünftig im Zentrum der Debatte stehen. Paulus macht es aber ziemlich deutlich, dass Gottes Rechtfertigungswerk in Christus und unsere Verbindung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn uns durch das Endgericht hindurch zur neuen Schöpfung bringen und uns die Gabe des Geistes, d.h. neues Leben hier und jetzt verleihen (Röm 6, 4–5; 8, 1–3; Gal 6, 15). Wir werden durch das Endgericht hindurch getragen, weil wir in Jesus Christus schon das Leben jenseits des Gerichts besitzen. Doch nicht nur das, sondern das Leben, das wir durch den Glauben an Jesus Christus ergreifen, macht uns zu neuen Menschen (2 Kor 5, 17). Das Werk der Rechtfertigung Gottes in Christus reicht für christlichen Gehorsam aus und zwar ohne Ergänzungen, weil nämlich Gehorsam nur aus einem erneuerten Herzen erwachsen kann. Die „neue Perspektive auf Paulus“ hat noch immer viel von der neuen Perspektive des Paulus zu lernen!

Vorsicht, Psychologie!

Allein der Gebrauch bestimmter Begriffe oder das Tragen besonderer Kleidungsstücke kann das Verhalten von Menschen prägen, lehrt uns die empirische Psychologie. Jürgen Kaube fast in einem Beitrag für die FAZ allerdings einige Vorbehalte zusammen, die man gegenüber den sicheren Ergebnissen der experimentellen Psychologie hegen sollte. Zurück geht das auf Jerry Adlers aufklärenden Artikel „The Reformation: Can Social Scientists Save Themselves?“.

Kaube:

Die Verführung, erstaunliche Zusammenhänge nachzuweisen, ist offenbar erheblich. Außerdem scheinen bei psychologischen Laborforschungen dieselben Versuche mal zu klappen und mal nicht. Das macht den Stand der Erkenntnis nicht nur abhängig von der Bereitschaft der Forscher, solchen Studien des Typs „X hängt mit Y zusammen“ einen wissenschaftlichen Sinn zuzuweisen.

Es macht ihn auch abhängig von ihrem Willen oder Unwillen, die eigenen Ergebnisse zu überprüfen. Oder umgekehrt von ihrer Neigung, möglichst schnell zu publizieren, um abzuwarten, ob sich jemand anderes die Mühe der Testwiederholung macht. Insofern wäre es gar nicht unpraktisch, auch die Forscher ab und zu an Worte wie „grau“ und „mühselig“ zu erinnern.

Mehr: www.faz.net.

Evokids

Die große Erzählung des Christentums (Schöpfung, Fall, Erlösung, Erneuerung, Wiederherstellung) verliert in Europa das Vertrauen. Also werden andere große Narrative herangezogen. Die Initiative „Evokids“ glaubt, mit der Entwicklungsgeschichte ein sinnstiftendes Menschen- und Geschichtsbild gefunden zu haben und will in Zukunft das Thema „Evolution“ bereits in der Grundschule platzieren. Dabei helfen wird die Giordano-Bruno-Stiftung und der Arbeitskreis Evolutionsbiologie (Ulrich Kutschera).

Dittmar Graf von der Uni Gießen begründet das Anliegen in einem Gespräch mit der SZ so:

Die Evolutionstheorie hat selbst in unserer Gesellschaft ein Verständnis- und Akzeptanzproblem. Aus meiner Sicht ist die frühe Beschäftigung mit ihr auch deshalb notwendig, damit sich beim Nachwuchs ein fundiertes Menschenbild entwickeln kann.

Hier ein Promotionsvideo aus einer Düsseldorfer Schule zum Thema „Evolution in der Grundschule“. O-Ton: „Es ist ganz wichtig, dass man von Anfang an weiß, wo man herkommt.“

VD: WH

Robert Spaemann: Meditationen eines Christen

Nachfolgend eine Kurzbesprechung des Buches (aus GuDh 1/2014, S. 64–65):

9783608948875Der Band Meditationen eines Christen enthält besinnliche Auslegungen zu den ersten 51 Psalmen. Verfasst sind sie von Robert Spaemann. Spaemann, geboren 1927 in Berlin, zählt zu den wenigen christlichen Philosophen, die es in Deutschland noch gibt. Er besuchte, gemeinsam mit Odo Marquard, Günter Rohrmoser oder auch Ernst-Wolfgang Böckenförde Anfang der 50er-Jahre Seminare bei Joachim Ritter in Münster und promovierte unter ihm. Später habilitierte er sich in den Fächern Philosophie und Pädagogik und lehrte in Stuttgart, Heidelberg und seit 1972 in München Philosophie.

Der Katholik Spaemann ist Vertreter einer aristotelisch geprägten Naturphilosophie und verteidigt die Aktualität des Naturrechts. Freilich nicht in dem Sinn, dass die Natur eindeutige Normen lehrt, sondern die Natur uns die Möglichkeit gibt, unsere Handlungslegitimationen kritisch zu prüfen.

Spaemann glaubt gegen den postmodernen Zeitgeist an die universelle Vernunft. Anders als die Moderne, stellt er die Vernünftigkeit des christlichen Glaubens samt Offenbarungsanspruch in das Zentrum seiner Philosophie (vgl. R. Spaemann, Das unsterbliche Gerücht, 2007).

Begonnen hat Spaemann mit den Aufzeichnungen zu den Psalmen schon vor Jahrzehnten. Hans Urs von Balthasar (1905–1988), der wohl beste Karl Barth-Kenner unter den katholischen Theologen, bekam einige Text zu sehen und legte dem Autor eine Veröffentlichung nahe. Da Spaemann sie erst nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit publizieren wollte, sind sie nun erschienen.

Spaemann spricht der historisch-kritischen Arbeitsweise durchaus einen Erkenntnisgewinn zu, konzentriert sich aber in diesem Buch auf die geistliche Aneignung der Texte. Der Schlüssel zum Verständnis der Psalmen ist für ihn „die Auslegung, die wir Jesus und den Aposteln verdanken. Sie setzt voraus, dass die Verfasser der Psalmen ‚vom Geist erleuchtet‘ wahren, dass es sich also um prophetische Texte handelte, die – oft ohne Wissen der Verfasser – auf eine messianische Zukunft verweisen“ (S. 9). Spaemann liefert eine „Innenansicht“. „Religion hat eine ‚fromme‘ Innenseite und eine psychologische, soziologische, kulturwissenschaftliche und phänomenologische Außenperspektive. Lebendig ist eine Religion nur kraft ihrer Innenseite. Wie es ist, verliebt zu sein, kann uns keine Psychologie oder Kultursoziologie nahebringen. Wir müssen es schon erfahren haben“ (S. 10–11).

So, wie ein evangelischer Christ wahrscheinlich die Lutherübersetzung für eine Psalmenauslegung wählt, greift Spaemann auf die Übersetzung von Joseph Franz von Allioli und die Vulgata zurück. Die Verszählung orientiert sich an der Einheitsübersetzung.

Das Buch hat mich die letzten Wochen begleitet. Als Leser spürt man, dass Spaemann die großen Menschheitsfragen durchdacht und vielleicht durchlitten hat. Obwohl seine Gedanken nicht dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit entsprechen wollen, sondern die eines anbetenden, offenbarungsgläubigen Laien sind, fehlt nirgends die Tiefgründigkeit. Die Sprache ist kraftvoll. Gelegentlich musste ich beim Lesen an Bonhoeffer denken. Ein ausführliches Beispiel. Zu: „Glückselig der Mann, der nicht wandelt im Rate der Bösen und auf dem Weg der Sünder nicht steht und nichts sitzt, wo die Spötter sitzen“ (Ps 1,1), schreibt Spaemann (S. 14–15):

„Gottlosigkeit ist jene Grundorientierung, in welcher der Mensch entweder Gott leugnet oder lebt, als ob Gott nicht wäre. Der Gottlose rückt sich selbst als Individuum oder als Kollektiv in den Mittelpunkt, von wo aus er urteilt, was gut und schlecht, was schön und hässlich, was zu tun und zu lassen ist. Der Psalm spricht vom ‚Rat der Gottlosen‘, in dem der Unselige aus- und eingeht. Die Menschen mit der gottlosen Perspektive bilden einen ‚Rat‘, das heißt eine Verständigungsgemeinschaft. Zwar herrscht in dieser kein wirklicher Friede, denn wo Menschen sich selbst zum Mittelpunkt machen, wo sie einen babylonischen Turm bauen, da entsteht babylonische Verwirrung. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Aber hinsichtlich der anthropozentrischen Perspektive sind sich die Gottlosen dennoch einig. Dass man keine ‚übernatürliche Hypothese‘ in die Beratung irdischer Dinge einführen dürfe, das bildet die gemeinsame Basis dieses ‚Rates‘. Wer den Weg der Seligkeit wählt, verkehrt nicht in diesem Rat, denn er kann sich mit jenen nicht verständigen, deren fundamentale Prämisse die Lüge ist.

Aus der Gottlosigkeit folgt die Sünde, das heißt das von Selbstsucht regierte Handeln, das bei aller Verschiedenheit in einem Punkt übereinstimmt: nicht mit der Ordnung Gottes übereinzustimmen. Die Sünder gehen einen ‚Weg‘. Dass der selige Mann ihn nicht geht, versteht sich von selbst. Aber so wie er im Rat der Gottlosen nicht beiläufig verkehrt, so ‚steht‘ er auch nicht am Weg der Sünder, das heißt, er hält sich gar nicht in diesem Umkreis auf, weil er nämlich gar nicht ‚steht‘, sondern selbst geht, aber einen anderen Weg.

Schließlich die Spötter. Sie sitzen. Sie sind Zuschauer – Zuschauer, die ihr Vergnügen daran haben, wenn das Gute ‚entlarvt‘ wird. Sie Hegen immer auf der Lauer, das Gute zu entlarven, weil sie seine Echtheit nämlich gar nicht wahrnehmen können. Sie lachen über die Tanzenden, weil sie die Musik nicht hören. Sie freuen sich, wenn der Gute der Dumme ist, denn für sie ist ein Leben aus göttlicher Perspektive ohnehin Dummheit.“

Das Buch wurde aufwendig gesetzt und gestaltet. Randglossen, wie die Psalmtexte farblich abgesetzt, bezeichnen die besprochenen Verse. Den stabilen Gewebeeinband schützt ein transparenter Schutzumschlag aus Kunststoff. Die aufwendige Gestaltung macht freilich das Buch auch teuer.

Der Leser, der sich an den hier und da zu findenden katholischen Bezügen nicht stört, wird das Buch genießen und durch die zahlreichen Gedankenanstöße und Querverweise bereichert, ermutigt und oft auch getröstet. Für mich war die Lektüre ein Gewinn.

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Tagung zur „Radical Orthodoxy“

Plakat radical orthodoxy„Radical Orthodoxy“ nennt sich seit den 1990-er Jahren eine in England entstandene theologische Bewegung, die eine radikale und umfassende christliche Alternative zu der voranschreitenden Säkularisierung der westlichen Welt entwickelt. „Radical Orthodoxy“ kritisiert die kantische Metaphysik und wendet sich gegen eine Resignation des Christentums in Bezug auf die Wahrheitsfähigkeit von sprachlichen Ausdrücken. Die Ideen der „RO“ werden im englischen Sprachraum und darüber hinaus inzwischen intensiv diskutiert.

Die Staatsunabhängige Theologische Hochschule (STH) Basel wird nun erstmals im deutschen Sprachraum eine kritische und konstruktive Debatte über die „RO“ anstoßen. Am 6. Dezember 2014 wird sie die Tagung:

  • Radical Orthodoxy: Eine christliche Alternative zum Säkularismus / A Christian Alternative to Secularism

veranstalten. Dazu kommen mit John Milbank und Adrian Pabst zwei prominente Vertreter der „RO“ nach Basel. Philosophen und Theologen evangelischer und katholischer Konfession werden mit Vorträgen, Stellungnahmen und Diskussionsbeiträgen sich beteiligen, darunter Harald Seubert und Daniel von Wachter.

Als deutschsprachige Einführung zur „Radical Orthodoxy“ empfehle ich den Aufsatz „‚Radical Orthodoxy‘ – Darstellung und Würdigung einer herausfordernden Theologie“ von Sven Grosse (NZSTh 2013; 55 (4), S. 437–464). Grosse sagt dort übrigens treffend:

Die Kluft, welche beseitigt werden muss, ist an erster Stelle nicht die Kluft, die im Denken entsteht, wenn man Gott als unendliches, die Kreatur aber als endliches Sein denkt (und zugleich »Sein« beide Male univok aussagt). Das, was zwischen die Natur und die Gnade, welche die Natur nicht aufhebt, sondern voraussetzt und vervollkommnet, hineinkommt, ist die Sünde, und diese ist die entscheidende Kluft. Sie besteht nicht erst im Denken, sondern objektiv und wird nicht durch eine Korrektur des Denkens, sondern durch den Sühnetod Christi und die Rechtfertigung aus Glauben überbrückt.

Hier der Flyer zur Konferenz: Einladung%20RO.pdf.

VD: FL

Glauben & Denken heute 1/2014 online

Gudh013dDie 13. Ausgabe der Online-Zeitschrift Glauben & Denken heute (1/2014) ist erschienen und ist vor allem dem Andenken an den kürzlich verstorbenen Theologieprofessor Georg Huntemann gewidmet, über den Prof. Dr. Thomas Schirrmacher als sein Schüler schreibt. Darüber hinaus widmet sich Prof. Dr. Thomas K. Johnson dem Thema Dreieinigkeit. Prof. Schirrmacher äußert sich zudem zu dem Familienpapier der EKD. Dr. Facius begegnet in seinem Beitrag der Kritik an Martin Luther anlässlich des Reformationsjubiläums. So geht Facius der Frage nach, ob Luther sich gegen die Marktwirtschaft gewendet habe:

Luther wendet sich nach Posener gegen „zwei Grundlagen der Marktwirtschaft“, nämlich gegen die Bildung von Preisen am Markt und die Finanzierung von Geschäften mittels Kredit. Die Titelblätter aller drei mit dem Wucher befassten Werke Luthers gegen den Geldhandel sollen „Bilder geldgieriger Juden“ zeigen. Heutige Folge sei das Misstrauen gegen „die Märkte“, das „Finanzkapital“ oder „die Wall Street“. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nur einige der im Umlauf befindlichen Drucke das Bild eines Juden zeigen, bezüglich des Sermons von 1520 etwa nur drei von zwölf. Für das Titelbild war zudem nicht der Autor, sondern der Verleger verantwortlich. Die Vermutung, dass Luthers Wittenberger Verleger Grünenberg die Bilder eigenmächtig ausgewählt hat, um den Absatz zu heben, liegt nahe. Luther selbst wies darauf hin, er könne sich nicht auch noch um die Illustrationen seiner Schriften kümmern, was insbesondere deshalb nicht ganz von der Hand zu weisen ist, weil ein Autor zur damaligen Zeit in Bezug auf sein Werk nahezu rechtlos war. Gleichwohl sind die Wuchersermone nicht ganz frei von antijüdischen Vorurteilen, ohne dass jedoch der Wucher „mit dem Judentum identifiziert“ würde. Hintergrund der Sermone vom Wucher dürfte die Tatsache gewesen sein, dass Stadtbewohner und Bauern durch (auch geistliche) Zinsherren zunehmend in Existenznot gerieten. Hier erkennt Luther sehr wohl, dass „Kaufen und Verkaufen ein notwendig Ding ist, das man nicht entbehren und gut christlich brauchen kann“. Dass sich Luther „gegen die Bildung von Preisen am Markt“ wenden würde, ist so nicht richtig. Luther hat nichts dagegen, dass ein Verkäufer „auf den Wert der Ware oder auf den Dienst für seine Mühe und Gefahr“ sieht, sondern dagegen, bei der Preisbildung die Not des Nächsten auszunutzen. Ein Kaufmann soll nach Luther seine Ware so teuer verkaufen, „wie es recht und billig ist“, ohne dass dies allgemein festgesetzt werden könnte. Dass Luther erklärt, er sähe es am liebsten, wenn durch die Obrigkeit eingesetzte redliche Leute die Preise kontrollierten, mag der existentiellen Not geschuldet sein, die etwa durch überhöhte Lebensmittelpreise entstand. Auch heute übernimmt der Staat Aufgaben der Daseinsvorsorge, kontrolliert über die Kartellämter unredliche Preisabsprachen und erklärt per Gesetz Verträge zu sittenwidrigen Preisen für nichtig.Der Finanzierung von Geschäften mittels Kredit steht Luther in der Tat skeptisch gegenüber, wobei er vor allem ein Leben über die eigenen Verhältnisse geißelt. Mit dieser Skepsis gegenüber Krediten und Zinsen stand Luther jedoch keineswegs allein. Schon Papst Leo I. (440–461) hatte festgestellt: „Des Geldes Zinsgewinn ist der Seele Tod“. Noch 1515 erneuerte das Fünfte Laterankonzil das Zinsverbot, das seit dem 2. Laterankonzil 1139 in Kraft war. Diese Verbote und auch Luthers Skepsis hatten vor allem soziale Gründe. Das folgende Beispiel Luthers verdeutlicht seine Sorge: „Welcher nun solche Geldpolitik treibt oder treiben muss, wie denen geschieht, die mehr auf Borg kaufen, als sie bezahlen können; wenn nun meine Schuldner nicht zahlen, so kann ich auch nicht zahlen, so frisst sich der Unrat weiter ein und kommt ein Verlust auf den andern, je mehr ich die Finanzpolitik treibe, bis ich merke, es wolle an den Galgen, ich müsse entweder entlaufen oder imSchuldturm sitzen.“34 Seinen sozialen Anliegen folgend will Luther daher auch Ausnahmen vom Zinsverbot zulassen, etwa wenn Menschen durch das Verleihen von Geld aus Gefälligkeit in Not geraten oder Witwen und Waisen in Notzeiten weitere Einnahmen benötigen, die sie durch Geldverleih realisieren können. Sind diese Anliegen Luthers wirklich so unberechtigt? Verdient Luther statt der recht merkwürdigen Ablehnung Poseners für seine Kritik an akuten Missständen nicht vielmehr Beachtung?

Natürlich enthält auch diese Ausgabe wieder zahlreiche Rezensionen.

Artikel

  • Ron Kubsch: Editorial
  • Prof. Dr. Thomas Schirrmacher: Mein Lehrer Georg Huntemann
  • Prof. Dr. Dr. Georg Huntemann: Eigentum als Schöpfungsordnung Gottes
  • Prof. Dr. Thomas K. Johnson: Über die Dreieinigkeit
  • Prof. Dr. Thomas Schirrmacher: „Ein neues normatives Familienmodell“
  • Dr. Daniel Facius: Neuneinhalb Thesen für Martin Luther

Rezensionen

  • Dr. Daniel Facius: Die Begründung der Welt (Thomas Christian Kotulla)
  • Simon Hähle: Die Trauersprechstunde – Was in der Trauer weiterhilft (Hubert Böke)
  • Micha Heimsoth: Paulus und Paulusbilder (Manfred Lang)
  • Hanniel Strebel: God in the Whirlwind (David F. Wells)
  • Andreas Münch: Schätze der Gnade (Ron Kubsch und Matthias Lohmann, Hrsg.)
  • Ron Kubsch: Handbuch Internetseelsorge (Birgit Knatz)
  • Ron Kubsch: Friedrich Avemarie. Neues Testament und frührabbinisches Judentum (Jörg Frey und Angela Standhartinger, Hrsg.)
  • Ron Kubsch: Justification reconsidered (Stephen Westerholm)
  • Ron Kubsch: Meditationen eines Christen (Robert Spaemann)

Hier gehts zur Ausgabe: gudh013d.pdf.

Das Internats-Syndrom

Machen Eton, Westminster und Cardiff krank? In Großbritannien ist eine Diskussion über psychische Schäden durch die Erziehung in Elite-Schulen entbrannt. Therapeuten fordern für manche Jungen und Mädchen ein Internatsverbot. DER SPIEGEL online schreibt:

In Großbritannien hat die BSS-Bewegung mittlerweile eine breite Debatte angestoßen: Sind die teuren, renommierten und altehrwürdigen Kaderschmieden in Wahrheit rücksichtslose Fabriken für hochqualifizierte Leistungsträger, die emotionale Zombies werden? Gleichzeitig ist diese Schulform so beliebt wie noch nie. 68.000 Schüler, immerhin ein Prozent mehr als im Vorjahr, besuchen derzeit ein britisches Internat – obwohl die durchschnittlichen Kosten in demselben Zeitraum auf umgerechnet 35.500 Euro pro Jahr gestiegen sind.

Unterstützung bekommen die Kritiker von großen Namen: Romanautor John le Carré (Sherborne School), in dessen berühmten Spionageromanen die Figur des entrückten Apparatschiks zum wiederkehrenden Personal gehört, hat es klarer formuliert als jeder andere: „Die Briten sind eh ein bisschen verrückt; aber was die Verstümmelung ihrer privilegierten Kinder angeht, sind sie schlicht wahnsinnig und kriminell.“ Und der Starjournalist George Monbiot rechnet im „Guardian“ vor, dass das britische Internatswesen nicht weniger als elf Artikel der Uno-Kinderrechtskonvention verletzt.

Ursache des Syndroms sei die emotional abgeschottete „Überlebenspersönlichkeit“, die sich Internatskinder schnell zulegen, erklärt die Psychogin Joy Schaverien, die das BSS schon 2004 im „Journal of Analytical Psychology“ erstmals vorgestellt hat. „Viele Kinder werden schon im Alter von sieben oder acht in Vollzeitinternate eingeschult – insbesondere die Trennung von der Mutter wird als extrem traumatisch erfahren“, sagt sie. „Das prägt für den Rest des Lebens.“

„Ich habe geheult und geheult und geheult“, erinnert sich der heute 30-jährige Sam Barber, Hawtreys- und Eton-Absolvent, an seine ersten Wochen in der neuen Umgebung. „Irgendwann hört man dann auf mit dem Heulen, weil man mit dem Fühlen aufhört. Man ist gebrochen.“

Der Beitrag ist insgesamt sehr aufschlussreich. Brächte er doch die Anhänger einer „Erziehungsverstaatlichung“ ins Nachdenken!

Hier: www.spiegel.de.

Banker – „Master of the Universe“

Griechenland erpresst und Kommunen zum Zocken mit Zinsen verleitet: In einer Dokumentation packt ein Ex-Investmentbanker aus, wie es in den Banken zugeht. Seine These: Heute könnten Staaten gezielt von Bankern angegriffen werden. Die Perspektiven für Europa sind sehr dunkel. Focus online schreibt:

Das fliegt uns irgendwann um die Ohren“, sagt der Ex-Banker in der Dokumentation „Master of the Universe“, die Dienstagabend (17. Juni 2014) auf Arte lief. Rainer Voss, mittleren Alters, graumeliertes Haar, Brille mit silbernen Rand und deutlich sichtbarem Bauchansatz, hat über Jahrzehnte als Investmentbanker gearbeitet. Er berichtet von der Erpressung Griechenlands durch die Banken und vom großen Knall, der uns in der Finanzkrise bevorsteht. FOCUS Online hat die wichtigsten Passagen der Dokumentation zusammengefasst.

Rainer Voss hat für zahlreiche Banken gearbeitet. Er ist durch die Provinz gezogen. Hatte Büros in Metropolen. Und er bewegte Unsummen an Geld. Wo er angestellt gewesen ist? Das verrät Voss nicht. Nur eines: „Ich habe seit meinem ersten Arbeitstag mehr verdient als mein Vater als Heizungsingenieur an seinem Lebensende.“ Den Ex-Banker zog diese Welt, in der jeder mehrere Sprachen gesprochen hat an, und vereinnahmte ihn.

Die Dokumentation Banker – „Master of the Universe“, übrigens für den Deutschen Filmpreis nominiert, wurde am 17. Juni auf arte ausgestrahlt und kann noch für ein paar Tage in der Mediathek abgerufen werden: www.arte.tv.

VD: IC

Schwang Luther 1517 den Hammer?

Martin Luthers Thesenanschlag von Wittenberg ist sicher der berühmteste, aber längst nicht der einzige: Der Historiker Daniel Jütte hat in der FAZ eine kurze Geschichte des Anschlagens von Zetteln an Kirchen veröffentlicht. Freilich bleiben wichtige Fragen nach wie vor offen.

Staat und Kirche haben eine „Lutherdekade“ ausgerufen, die im Jubiläumsjahr 2017 kulminieren soll. Denn am 31. Oktober 2017 wird sich zum 500. Mal der Thesenanschlag Martin Luthers jähren. Aber hat der Anschlag der 95 Thesen am Hauptportal der Wittenberger Schlosskirche tatsächlich stattgefunden? Die Frage ist bis heute nicht definitiv beantwortet und steht im Mittelpunkt eines seit Jahrzehnten erbittert geführten Streits unter Reformationshistorikern. Nach neueren Schätzungen gibt es nahezu dreihundert Publikationen zu dieser Kontroverse. Es scheint inzwischen fast alles dazu gesagt. Scheint.

Zunächst die Fakten. Luther selbst hat einen Thesenanschlag nie erwähnt. Die Befürworter der Faktizität des Thesenanschlags berufen sich daher vor allem auf ein Zeugnis von Luthers Mitstreiter Philipp Melanchthon sowie auf eine 2006 unter großem Medieninteresse wiederentdeckte Notiz von Luthers Sekretär Georg Rörer. In beiden Dokumenten ist von einem Thesenanschlag die Rede. Historiker, die diesen Quellen glauben, argumentieren, dass beide Berichte den Hergang unterschiedlich erzählen und zudem unabhängig voneinander entstanden sind; Rörers Bericht sogar noch zu Lebzeiten Luthers.

Mehr: www.faz.net.

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